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Bukumatula 1/2006

Diesseits und Jenseits von Wilhelm Reich

Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie, Forschung und Relevanz im therapeutischen Prozess;
Hrsg. Peter Geißler
Buchbesprechung
Beatrix Teichmann-Wirth:

Der Versuch einer Rezension zum Buch „Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie.
Forschung und Relevanz im therapeutischen Prozess“.
Herausgegeben von Peter Geißler in der edition psychosozialdes Psychosozial Verlags; Gießen 2005.

„ If my heart could do the thinking
and my head began to feel . . . “
Van Morrison

Ich liebe es Liebeserklärungen zu schreiben, zu schwärmen von Vorträgen, Büchern oder Menschen.
Bei diesem Buch wollte es jedoch nicht gelingen, so sehr ich mich bemühte, ich konnte mich nicht begeistern. Nur an einzelnen wenigen Stellen, in Beiträgen des Herausgebers spürte ich bisweilen eine Art Inspiration, eine An- und Aufgeregtheit.

Das Buch ist für Liebesgefühle zu spröde. Es läßt sich nicht in den Arm nehmen und herzen und kosen. Es ist ein Lehrbuch, das den Stand der Diskussion innerhalb der Analytischen Körperpsychotherapie dokumentiert. Der Titel „Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie“ hat mich interessiert, und so hab ich mich gleich einmal als Rezensentin gemeldet. Hab wohl angenommen, dass es um nonverbale Interventionsformen geht und war interessiert, was sich Neues tut am Markt der Körperpsychotherapeuten.

Doch schon beim Lesen des Klappentextes war ich ent-täuscht – da war von Mikro- und Makroanalyse die Rede, von Enactments, auch die Begriffe Beziehungsregulierung und Aushandlungsprozesse waren mir ganz und gar nicht geläufig.

Dennoch: Ich hatte eine Rezension versprochen und so machte ich mich an die Arbeit. Und eine Arbeit war das wirklich, dieses Buch durchzugehen, nein vielmehr durchzuarbeiten, denn bald war klar, dass es hier nicht mit Durchlesen getan war. Denn hier liegt ein Buch vor, welches genau behandelt werden will, man könnte sagen, mikroanalytisch, denn mit einem freien, sanft-weichschauenden Auge ist’s nicht zu erfassen. Also nahm ich einen Unterstreichstift zur Hand, ein Schreibheft zur Seite und begann – wie in meinen alten trotzkistischen Zeiten bei der Lektüre der Rotfront – Zeile für Zeile zu durchforsten.

Alsbald wurde mir klar, dass ich mich offenbar schon sehr weit weg bewegt hatte von einer im analytischen Begriffssystem beheimateten Welt. Und es scheint, als ob man in dieses Land nicht einfach auf Urlaub fahren kann, bloß ausgestattet mit einigen Grundkenntnissen der Sprache.

Nein, diese Sprache ist sehr exklusiv, exklusiv, ausschließend, sie befindet sich nicht auf dem Boden der für die Psychotherapie allgemeingültigen Sprache, schon gar nicht für Körperpsychotherapeuten.

So will ich an dieser Stelle meinen ersten Kritikpunkt nennen, und vielleicht ist dieser ja ganz essentiell: diese Sprache ist eine Sprache, die man – ich – mühsam zu lernen hat, sie ist körperfern, entfremdet, läßt sich – für mich – nur durch harte Gedankenarbeit entschlüsseln. Begriffe wie Explikation, Interaktanden, auch PAMS (Prototypische Affektive Mikrosequenzen) oder der Begriff der Affektregulation, oder auch Enactment, adulte Selbstbewegung und übertragungsanaloge Ermutigung stimmen nichts in meinem Körper an, keine Resonanz, kein unmittelbares Erkennen und Erfassen im Sinne eines „ja genau!“, wie das bei Reichs Begriffen der Ausdrucksbewegung, Panzerung und dem Begriff des Strömens ist, wo ich sogleich das Gemeinte – körperlich – realisiere.

Natürlich oder besser unnatürlich, weil durch eine männliche Wissenschaftswelt konditioniert, fühlte ich mich bald beschämt, etwas nicht zu wissen, nicht im State of the Art zu sein, doch dann mit einigem Abstand und Mozart im Ohr dämmerte mir, oder ich gestattete mir vielmehr es zu denken, dass es gerade bei einem Buch, bei welchem es soviel um den Zusammenhang von Wort und Tat, verbalem und nonverbalem Ausdruck geht, auch darum gehen könnte, körpernah, aus dem Körper kommend zu schreiben. Das würde sogleich eine allgemeine, die enge Welt der psychoanalytischen Körperpsychotherapeuten erweiternde Verständigungsbasis geben. Auf dieser Basis könnte wirklicher Austausch stattfinden und eine wechselseitige Befruchtung.

Doch ich will – versprochen ist versprochen – eine Rezension schreiben, dem Buch gerecht werden – wäre da nicht meine Körperempfindung der Kontraktion, das körperlich gespürte Nein, nochmal hineinzugehen in die Artikel, um ja was G´scheites zu schreiben.

Ich seh schon, das wird keine klassische Rezension, ein Durchgehen und Beschreiben aller hier erschienenen Artikel wird nicht stattfinden. Zur Orientierung will ich jedoch an den Schluss einen Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis geben, es finden sich sowohl Beiträge, die im Symposium vorgetragen wurden, als auch ergänzende Artikel, die teilweise nur entfernt mit dem Thema zu tun haben. Es ist ein Verdienst und ein Anliegen des Herausgebers, in diesen Symposiumssammelbänden Raum zu geben, um den Diskussionsstand in der psychoanalytischen Körperpsychotherapie zu dokumentieren.

Ich werde mich auf das Kernthema des 2004 stattgefundenen Symposiums mit dem Titel „Nonverbale Interaktion: Makro- und Mikroperspektive“ beziehen sowie auf die grundsätzliche therapeutische Ausrichtung der psychoanalytischen Körperpsychotherapie, soweit es mir möglich war durch die Lektüre etwas davon zu verstehen.

Im Vorwort beschreibt Geißler zunächst die Entwicklungsgeschichte des Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“, das – 1998 von Geißler und Rückert gegründet -, jährlich in Wien stattfindet. Ausgangspunkt war der Dialog von Psychoanalytikern mit Interesse an körperlichen Ausdrucksphänomenen und Beziehungsbotschaften und Körperpsychotherapeuten der DÖK, welchen die Betrachtung der therapeutischen Beziehung sowie die Beachtung der Gegenübertragung im Sinne projektiver Anteile in der Bioengetischen Analyse zu kurz gekommen ist und welche zur Erkenntnis kamen, „dass es ohne psychodynamisches Verständnis des psychotherapeutischen Prozesses schwierig war, effektiv Körpertherapie zu betreiben, die über starke Effekte innerhalb der Therapiesitzungen hinausgingen.“

Es wurden sukzessive Erkenntnisse von Downing aus der Säuglingsforschung integriert. Downings Verdienst ist die Verschiebung der Aufmerksamkeit von kognitiven auf körperliche Prozesse und die Einführung eines neuen Begriffssystems (affektomotorische Schemata, Körperstrategien, körperliche Mikropraktiken…). Formal mündete diese neue Schwerpunktsetzung in der Gründung des AKP (Arbeitskreis für analytische körperbezogene Psychotherapie).Die Beschreibung der Entwicklungsgeschichte ließ mich einiges verstehen über das Verständnis von therapeutischer Beziehung und auch über die Schwerpunktsetzung der Forschung im AKP. Und es ließ mich verstehen, warum Reich so gar nicht oder nur sehr peripher vorkommt.

Die Wurzeln der Mitglieder im AKP finden sich also zum einen in der psychoanalytischen Tradition, zum anderen in der Bioenergetischen Analyse. Beide – Freud wie Lowen – haben das energetisch-ökonomische Fundament der Neurose nicht weiter berücksichtigt, was das konkrete Arbeiten betrifft. Freud hat sich auf den Wortinhalt der freien Assoziation konzentriert, und Lowen hat die Charakterstrukturen eingehendst auch in ihren körperlichen Aspekten beschrieben und Übungen zur Verfügung gestellt, um den Körperpanzer zu lösen. Beide haben den energetischen Beziehungsaspekt in den Therapien außer acht gelassen.

Im Einführungskapitel beschreibt Geißler sodann sehr persönlich die Schamgefühle, „sich selbst im Video zu sehen“. Sich diesem auf Film unwiderruflich gebannten eigenen Ausdruck auszusetzen, find´ ich sehr mutig und dem gebührt meine Anerkennung. Dieser Aspekt wird auch in einem zweiten auch von Geißler verfaßten Beitrag aufgegriffen, der die praxeologischen Folgerungen diskutiert. Das gemeinsame (mit dem Klienten) Ansehen von Therapiesitzungen auf Video wird als Hilfsmoment im Sinne eines dritten Objekts gesehen.

Aber es ist vor allem das bewußte sich dem Blick des Klienten Aussetzen, wie es sich in der Frage „Wie sehen Sie mich?“ ausdrückt oder auch in der Einladung an den Klienten, den affektiven Gesichtsausdruck des Therapeuten nachzuahmen, das ich bemerkenswert finde. Da wird ein Beziehungsraum eröffnet, der am gegensätzlichen Pol des klasssich analytischen Settings angesiedelt ist. Freud soll ja das Couch Setting so begründet haben, dass er sich doch nicht 17 Stunden pro Tag anstarren lasse.

Ich selbst konnte diese Schamgefühle in meiner tanztherapeutischen Praxis erleben, (mittlerweile wird diese Methode bewegungsanalytische Therapie nach Cary Rick genannt, und der Therapeut tritt nicht mehr über Bewegung in Kontakt) – damals konnte ich am eigenen Leib erleben, wie es ist, sich zu zeigen – überdies nicht bloß in kontrollierter Weise am Stuhl sitzend, gerade mal die Arme, Hände, Gesicht und vielleicht noch den Oberkörper bewegend, in der tanztherapeutischen Situation war ich ganz sichtbar, von Kopf bis Fuß und in Bewegung – high risk.

Geißler verweist in diesem Abschnitt auch auf die Potentiale der Video(mikro)analyse innerhalb der Ausbildung oder auch für zukünftige Therapien und betont, dass die selbstreflexive Funktion des Therapeuten erhöht wird. Es ermöglicht sukzessiv ein erhöhtes Selbstgewahrsein im Sinne eines begleitenden Selbstmonitoring. Da wir als Körpertherapeuten ein solches Gewahrsein von körperlichen Gegenübertragungsreaktionen jedoch gelernt haben sollten, stellt sich mir die Frage, inwiefern dieser unmittelbare Zugang und eine Schulung in körperlicher Selbstwahrnehmung nicht ein geeigneteres, vor allem einfacheres Element ist.

Die Beachtung der nicht mit freien Auge sichtbaren Verhaltensweisen, der Mimik und Gestik eines Menschen wird in einigen Beiträgen viel Raum gewidmet und der Wert der Beobachtung und nachträglichen Analyse von sogenannten PAMS beziehungsweise von kleinen nonverbalen Sequenzen wird hoch geschätzt. Meiner Ansicht nach werden hier bisweilen körperliche Vorgänge psychologisiert. Besonders deutlich – ich möchte fast sagen kraß – fand ich diese künstliche Bedeutungsschwangerschaft im Beitrag von Streeck, der darin die sogenannten „enactments“ als gemeinsame Inszenierungen zwischen Klient und Therapeut beschreibt.

Ich kann nicht umhin, hier einen Auszug aus einer derartigen Sequenz zu zitieren: „Zu Beginn einer Behandlungsstunde sitzen sich Patient und Psychotherapeut längere Zeit schweigend gegenüber. Während sie sich wortlos ansehen, fasst sich der Therapeut plötzlich ins Gesicht und reibt sich mit dem Zeige- und Mittelfinger am Nasenwinkel – ein körperliches Verhalten, das in erster Linie der Beseitigung eines störenden Reizes und damit der Selbstregulierung des Therapeuten dient.

Kaum hat der Therapeut diese nur wenige Sekunden andauernde Selbstberührung beendet, beugt sich der Patient nach vorne und reibt sich seinerseits am Unterschenkel – auch dies ein Verhalten, das primär selbstregulative Funktionen haben dürfte. Indem die Selbstberührung des Patienten aber unmittelbar im Anschluss an das selbstberührende Verhalten des Therapeuten erfolgt, setzt sich der Patient mit seinem Verhalten, das für sich genommen keinerlei Bedeutung hat, in ein Verhältnis zu dem Therapeuten, und aus ihrem beiderseitigen körperlichen Verhalten entsteht eine interaktive Gestalt, die momentan Aspekte ihrer Beziehung zur Darstellung bringt.“ (Streeck, S 41-42).

Diese Sequenz wird im Sinne eines „pre-enactments“ (Anmerkung: was immer das ist) gesehen und weiter so interpretiert, dass die „aufeinander folgenden Selbstberührungen in diesem Moment wie pantomimisch etwas von ihrer Beziehung darstellen. Ein Verhältnis, das ebenso von Aspekten bestimmt zu sein scheint, die mit Gleichheit und Gleichrangigkeit verbunden sind, wie mit einer Zuordnung von „oben“ und „unten“, von aufrechter und gebeugter Haltung, von scheinbarer Dominanz und deren – möglicherweise ironischen – Zitierung“ (S 42).

Diese Interpretation mag ja stimmen, aber mir scheint sie doch überzogen und ich frag mich auch, welche Art der Beziehung hier konstituiert wird auf dem Boden einer derartigen Betrachtungsweise.

Allgemein meine ich, dass die Forscher-therapeuten mit der Hervorhebung der Betrachtung des mimischen Ausdrucks des Klienten hinter Reich am Beginn der Entwicklung der Orgontherapie beziehungsweise wie er es damals nannte der charakteranalytischen Vegetotherapie zurück gehen: dort wo er gegenüber dem Couch Setting zum vis-a`-vis Setting wechselte und in der Betrachtung der Mimik und Gestik des Klienten oder auch in der Nachahmung und einer Einladung die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, den Körper, das „Wie“ gegenüber dem „Was“ in die Therapie einbezog.

Überhaupt ist es in der Lektüre des Buches für mich so, als ob es einen Wilhelm Reich nie gegeben hätte, und es erscheint vergessen, dass Reich der erste analytische Körperpsychotherapeut war. Das meine ich hier nicht im Sinne einer narzißtischen Kränkung, dass „mein Guru“ Wilhelm Reich nicht gebührend gewürdigt wird, aber es scheint mir so, als ob die Autoren das Rad neu zu erfinden hätten und es erstaunt mich, dass nicht auf den unermesslichen und noch lange nicht voll genützten Wissens- und Erfahrungsschatz von Wilhelm Reich aber auch von anderen körperorientierten Therapeuten – die Bewegungsanalyse hat zum Beispiel ein ganz klares und stringentes Konzept über den Zusammenhang von Bewegungsbild und Selbstkonzept – zurückgegriffen wird.

Das Aufgreifen von nonverbalen Botschaften und die Beschreibung des Körperpanzers in Ergänzung der Charakterstruktur war für Reich nur der Anfang. Er ist immer tiefer ins biologische Fundament eingedrungen, geleitet vom Motiv, die Essenz, das, was Leben ausmacht zu erforschen. Er ist nicht bei der Beschreibung der Oberfläche – im wahrsten Sinne des Wortes – der Phänomene, stehengeblieben, die sich oftmals als hochkomplex gestalten mögen, nein er hat in Form von phänomenologischer Erkundung immer mehr das gemeinsame Fundament all dieser Ausdrucksformen erforscht. Und hier an der Basis ist es einfach und es wirkt ein Prinzip, das alles Lebendige durchdringt – die Pulsation der Lebensenergie. Im Gegensatz dazu scheinen die hier schreibenden analytischen Körperpsychotherapeuten sich auf die Ebene eben jener komplizierten Verästelungen zu beziehen und zu konzentrieren.

Das Instrument der Videoanalyse läßt uns die Aktivität bestimmter Muskelbezirke zwar feststellen, doch diese Analyse spricht nur den Sehsinn an und dieser ist sehr begrenzt.

Es ist eine Frage, worauf ich mein Augenmerk richte – auf das, was sich herauslöst aus der – um mit Reichscher Terminologie zu sprechen – Panzerung als eine Ausdrucksbewegung, dem also, was pulsiert, oder auf das, was Struktur geworden ist.

In Therapien geht es meiner Erfahrung nach um ein Pendeln zwischen beidem: Struktur- Festgewordenes kann ich beschreiben und zu dessen Wahrnehmung eignet sich der Sehsinn, für das zweitere, nämlich der Wahrnehmung dessen, was sich aus dem Festgewordenen an Lebendigem herauslöst, braucht es einen anderen Sinn, einen Spürsinn, ein Körperempfinden, das Instrument dazu ist die vegetative Identifikation, dass ich also in meinem Körper empfinde, was sich dort im anderen ereignet, hier bin ich mehr Resonanzraum als Beobachter. Und das wiederum braucht ein Gestimmtsein meines Wahrnehmungsinstruments.

Und dieses mein Körper-Wahrnehmungs-Instrument wird nicht gestimmt durch ein immer detaillierteres Wissen, welche Muskelgruppen beim Klienten oder auch bei mir aktiviert werden, nein dieses Instrument bedarf einer Pflege, eines Trainings auf der Ebene des Empfindens oder wie Reich es nennt, den Prozeß der Entpanzerung, ein Freiwerden von chronischer Kontraktion, die ein ganzheitliches Mit-Erleben verhindern.

Mein therapeutisches Handeln fußt auf eben dieser Ein-Stimmung; meine Interventionen leiten sich nicht aus Konzepten ab, sondern aus direktem Kontakt – über meine Resonanzfähigkeit. Dies läßt mich jenseits einer defizitorientierten Arbeit den Menschen in seinem Potential aufspüren und berühren. Boyesen spricht in diesem Sinne auch davon, dass es gilt, der Energie des Klienten zu folgen.

Sowohl was den therapeutischen Kontakt als auch was die Ausbildung betrifft meine ich, dass die Wahrnehmung des Ganzen, des Gesamteindrucks hilfreicher ist, als die der Verästelung des Ausdrucks; eine derartige Wahrnehmungs-Einstellung läßt mich unmittelbar wahrnehmen, was dieser Mensch ausdrückt, vorausgesetzt ich verfüge über ein gestimmtes Instrument.

Sonst läuft man leicht Gefahr den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Die praxeologischen Konsequenzen und die fruchtbare Verwertbarkeit von Untersuchungsergebnissen wird von den Autoren im Buch sehr wohl angesprochen und so hab auch ich mich immer und immer wieder in der teilweise mühsamen Beschäftigung mit dem Buch gefragt, worum es denn eigentlich geht, was mit den Ergebnissen anzufangen ist – ich ahne, dass es auch bei den analytischen Körperpsychotherapeuten um ein tieferes Verständnis des Klienten und von Interaktionsprozessen in der therapeutischen Beziehung geht.

Die – meiner Ansicht nach aufgrund von im wahrsten Sinne des Wortes spitz-findige – Erforschung eben dieser Prozesse legt für mich jedoch nahe, dass man annimmt, dass diese Erkenntnisse verallgemeinerbar sind und damit die Untersuchungsergebnisse eine Relevanz für den individuellen Therapieprozeß haben. Das hängt an der Idee, dass etwas plan- und vorhersehbar ist, dass es auf dieser Ebene eine Überindividualität gibt, dass auf dieser Ebene Regelmäßigkeiten, welche eine Ordnung implizieren, zu finden sind. Ich denke, dass das Leben zwar einer Ordnung folgt, diese jedoch nicht vorhersehbar und logisch ist. Gendlin hat dies einmal in den Begriff der Fortsetzungsordnung gebracht.

„Die Art, wie der Körper den nächsten Schritt findet, der den gegenwärtigen Erlebensprozeß fortsetzen oder weitertragen wird, (ist) in einer bestimmten Weise wohlgeordnet, obwohl dieser nächste Schritt nicht ein logisches Ergebnis dessen ist, was bereits da war. Der Körper (die Natur, der Kosmos…) hat (ist) eine Ordnung, die noch nicht fertig, noch nicht vollendet ist. Diese Ordnung verlangt immer nach einem weiteren Fortsetzungsschritt – der Körper (die Natur, der Felt Sense, …) ist bereit für einen solchen Schritt.“ (Gendlin, zit. nach Wiltschko, 1995, S 18)

Postuliert man die Notwendigkeit einer Kohärenz von Forschungsanliegen, Therapietheorie, Instrumenten und den praxeologischen Konsequenzen – was einige Male im Buch durch Geißler aber auch durch Tilmann Moser hinterfragt wird -, so darf man das Therapieziel nicht aus den Augen verlieren.

Dieses Therapieziel ist bei allen therapeutischen Ansätzen zwar unterschiedlich ausformuliert, letztendlich geht es aber in allen Richtungen um 2 Facetten ein und derselben Dimension: dies ist die (Wieder-)Erlangung der Ganzheit und Einheitlichkeit gegenüber der Brüchigkeit, Trennung und Spaltung; die 2. Facette – unmittelbar damit zusammenhängend – ist die Kontaktfähigkeit des Menschen, das heißt die Freiheit und Fähigkeit, adäquat auf eine Situation und einen Menschen zu antworten, dass ich mich zur Verfügung habe in all den Möglichkeiten des Handelns.

Sieht man, wie Reich das in seinem energetischen Verständnis tut, den Therapeuten als das Instrument in der therapeutischen Wirksamkeit so gilt es, für den Therapeuten einheitlich zu sein und in dieser Einheitlichkeit zu antworten. Man könnte dies in die Begriffe der Präsenz, der Gegenwärtigkeit und Kongruenz fassen.

Dieses Antworten ist einfach, auf einer ganz elementaren Ebene menschlichen Seins. Eine Sehnsucht danach fand ich vor allem in 2 Beiträgen im Buch: Im Beitrag von Heisterkamp, über unmittelbare Wirkungszusammenhänge in der Psychotherapie, in welchen er für mich aufgrund der Terminologie teilweise schwer verständliche affektmotorische Schemata als Urformen von leiblicher und emotionaler Bezogenheit beschreibt. Er greift hier die primären Muster der Bezogenheit auf und hebt die leibliche Artikulation als Königsweg zum Unbewußten hervor und stellt das präsentische Verstehen dem repräsentischen, aufgrund nachträglicher Reflexion stattfindenden Verstehen gegenüber.
Ich denke, das ist das, was Wilhelm Reich als vegetative Identifikation, als energetisches Kommunizieren beschrieben hat.

Hier in diesem Beitrag erzählt Heisterkamp von zwei eigenen Therapiesituationen in seiner Ausbildung, wo ihm der Therapeut unmittelbar menschlich begegnete.

Im sogenannten „Verletzungsbeispiel“ beschreibt Heisterkamp wie er bei einer Schlagübung plötzlich nicht auf die Matte sondern auf den Fußboden mit der Hand aufschlug, was große Schmerzen verursachte, er schreibt (S 125) :“Unvergesslich ist mir geblieben, wie mein damaliger Therapeut erschreckt zu mir hinsprang, mir etwas schuldbewusst riet, meine Hände unter kaltes Wasser zu halten und schnell in einen Nachbarraum lief, um `Mobilat´ zu holen. Damit cremte er meine Hand ein und bandagierte sie anschließend fachgerecht. Obwohl ich mir in meinem erwachsenen Ich durchaus der Banalität der Situation bewusst war, spürte ich mit tiefer leiblicher Gewissheit, wie sehr mich seine faktische Sorge um mein leibliches Wohlergehen berührte“.

Ich weiß gar nicht wie ich das ausdrücken soll, will ich doch nicht verletzend sein, aber diese Reaktion des Analytikers ist doch absolut selbst-verständlich. Wie karg an Menschlichkeit muß eine Therapie sein, dass dies einen, wie Heisterkamp beschreibt, tiefgreifenden Eindruck hinterläßt. Die folgende Interpretation hebt sodann noch mal mehr aus der Selbstverständlichkeit heraus, dann wenn Heisterkamp schreibt: „Ich hatte meinen damaligen Therapeuten unbewusst mit meinem Enactment dahin gebracht, seine mir hilfreiche Einfühlung operativ zu fundieren, seine Empathie gewissermaßen handfest zu machen.“ (ebd.)

Und da frag ich mich erneut, was der Anlaß, das Motiv sein mag, das Geschehen nicht einfach, ja einfach zu belassen, schlicht als ein berührendes menschliches Geschehen, wo hinter allen elaborierten und wohl-gemeinten Interventionsformen einfacher menschlicher Kontakt stattfindet, den es meiner Ansicht nach bloß mit Dankbarkeit zu würdigen gilt, so dass die Wirkung sich im Inneren entfalten kann und somit im Sinne einer korrigierenden Erfahrung ein Stück Heilung von früheren Verletzungen stattfinden kann.

Die Sehnsucht nach der Einfachheit aber auch nach dem Raum des Nicht-Wissens spiegelt sich auch sehr deutlich im Einführungskapitel von Geißler wider, mit dem ich diesen Versuch der Rezension, die eigentlich keine wurde, schließen will.

Geißler weist hier auf die Gefahren der „Versuchung einer positivistischen Idealisierung“ hin. Er schreibt (S 18) „Als psychoanalytische Psychotherapeuten haben wir viel Zeit in unsere Ausbildung der Schulung und Verfeinerung unserer Gegenübertragung gewidmet, als Körpertherapeuten dem Training unseres körperlichen Spürbewusstseins. Wir sollten also nicht zu sehr der Versuchung einer positivistischen Idealisierung erliegen, sondern das, was wir gut gelernt haben, weiterhin schätzen.“< Vereinfacht ausgedrückt verstehe ich dies als Einladung, sich nicht gänzlich oder vornehmlich auf Untersuchungsergebnisse zu stützen, sondern auf die eigenen Sinne und das eigene Spürbewusstsein wie Schellenbaum es nennt.

Geißler zitiert an dieser Stelle Odgen, der die Reaktionen des Analytikers als möglichen Bezugspunkt zur Beurteilung einer psychoanalytischen Situation heranzieht. Odgen (2004, S 71, zit. nach Geißler S 23,24) schreibt: „… auf mein Empfinden darüber zu achten, was sich – falls es so etwas gibt – am lebendigsten und echtesten anfühlt. Die Wörter `lebendig´ und `echt´ sind ständig in Bewegung, ständig `im Flug´…, und sie scheinen sich – als täten sie dies vorsätzlich – allen Versuchen, ihre Bedeutung zu definieren und abzugrenzen, zu widersetzen…

Nach meiner Auffassung erfordert die Entwicklung einer analytischen Sensibilität vom Analytiker zwingend, dass er seine Fähigkeit verbessert, die lebendigen Augenblicke einer analytischen Sitzung viszeral zu spüren; zu hören, dass ein Wort oder ein Satz durch die Art, wie er benutzt wird, auf interessante und unerwartete Weise `neu zum Leuchten´ gebracht wurde…“ Als ich dieses Zitat las, war meine Resonanz stark im Sinne eines „ja genau!, darum gehts“. Aber – das hat Reich schon in den 30-er Jahren beschrieben, diese energetischen Resonanz, das viszerale Spüren, oder wie er es nannte, die `vegetative Identifikation´ und dies als das therapeutische Instrument hervorhob.

Und auch jene „Tiefendimension des Erlebens am Herzen – die ganz-heitliche Erfahrungsmodi gekennzeichnet durch ein Verschwimmen der Unterscheidung von Selbst und Anderen, von Innen und Außen…“ (S 24) findet sich bei Reich in der Beschreibung der energetischen Feldüberlagerung, welche in der Annahme von morphogenetischen Feldern gründet, wie Sheldrake sie nennt und welche Phänomene wie Telepathie erklären und jede Interaktion als „biological grounded“ verstehen läßt. Da muß ich mich jetzt wirklich ereifern: Genau das ist die Grundlage der Reich´schen Theorie, die Annahme einer alles Lebendige durchdringenden Lebensenergie als das Fundament und verbindende Element aller Ausdrucksformen des Lebendigen. Und Reichs Lebenswerk ist der wissenschaftlichen Ergründung eben jenes biologischen Fundaments gewidmet.

Es ist heikel, wie Geißler schreibt, sich in diese Bereiche vorzuwagen und dies mag jetzt überzogen klingen und bräuchte wahrscheinlich eine eingehendere Betrachtung über die charakterologischen Voraussetzungen für die Angst des Menschen vor der Freiheit und den Konsequenzen daraus – das würde jetzt sicher zu weit führen. Aber dieses Berühren der tiefsten Schicht, wie Reich es ausgehend von der Annahme der genitalen Potenz, der Beschreibung des Orgasmusreflexes als Grundbewegung eines freien Energieflusses bis zur wissenschaftlichen Fundierung der Orgonenergie tat, hat ihn letztendlich das Leben gekostet, oder wie er selbst einmal zu seinem Freund A.S. Neill gesagt hat: „Die Sexualität haben sie mir noch verziehen, aber das ich das Leben selbst berührte, dafür werden sie mich töten.“

So ist‘s doch ansatzweise eine Liebeserklärung geworden, wieder einmal – unbeabsichtigt von mir – für „meinen Wilhelm Reich“. Hab´ erneut entdecken dürfen, welch großer Schatz in seinem Werk teilweise immer noch verborgen liegt. So hat es mich angeregt das Buch weiter zu erkunden, ob es ein Jenseits von Reich gibt, ob es eine „Verlängerung“ seiner Theorie in das therapeutische Handeln jetzt mit all unserer therapeutischen Erfahrung und für die Ausbildung geben kann und wie diese aussehen mag. Ich hab´ mich sehr bemüht, das große Wissen, das im Buch vermittelt wird zu begreifen.

Einiges hab ich – so glaube ich – verstanden, doch trotz intensiver, wochenlanger Beschäftigung damit bin ich mir nicht sicher, ob ich dem Buch mit diesem Beitrag gerecht werde. Anerkennen möchte ich die Offenheit der AKP Mitglieder für Neues, dafür sich selbst immer wieder in Frage zu stellen und sich gedanklich zu bewegen. In dem Sinne hoffe ich, dass mein Beitrag trotz meiner teilweise sehr kritischen Sicht konstruktiv wirken mag. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Johannes Ranefeld im eben beschriebenen Buch (S 108): „Wo ich bin, denke ich nicht nach, wo ich nachdenke, bin ich nicht mehr“.

Ja, das hab ich erfahren. Ich hab erfahren, welche Wirkung der Aufenthalt in Gedankenwelten auf meinen Organismus hat: die Energie wird nach oben gezogen, der Körper weniger spürbar und vor allem: ich bin nie da, wo ich bin, ob es im Schwimmbad ist – ich denke, beim Kochen – ich denke, beim Essen – ich denke, in der Ayurvedabehandlung – ich denke… So freu‘ ich mich jetzt auf ein wieder gedankenfreieres Sein… Hier ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis: Streeck: Erzählen und Interaktion im psychotherapeutischen Dialog.

Bänninger-Huber: Mimische Signale, Affektregulierung und Psychotherapie. Moser: Analytische Körperpsychotherapie und Mikroperspektive. Ranefeld: Vis a` vis: Psychoanalyse Aug´in Auge, Aug´um Auge. Heisterkamp: Unmittelbare Wirkungszusammenhänge in der Psychotherapie. Oberzaucher: Die Evolution des Gedankenlesens. Geißler: Über Schwierigkeiten beim Versuch der Integration von Körpertechniken in einen psychoanalytischen Prozess. Geißler: Regression, interaktionelles Verstehen und prozedurales Unbewusstes: einige Gedanken.

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    Bukumatula 1/2006

    Nachruf auf die „Mutter der Körperpsychotherapie“

    Gerda Boyesen 1922 – 2005
    von
    Manuela Zachhuber:


    Gerda Boyesen, verstorben am 29. Dezember 2005 in den Armen ihrer erstgeborenen Tochter Ebba, ist nach einem erfüllten Leben heimgekehrt.

    Ihr war immer die Arbeit mit und am Menschen wichtig – soweit derjenige auch bereit war, sich auf die Suche nach dem Eigenen zu begeben. Sie weckte in uns die Neugier, näher hinzuschauen, wer wir sind, was wir in uns tragen, so dass wir selbst ES auch sehen können, um dann, wenn ES integriert ist, aus diesem Potential zu schöpfen, um für uns selbst Entscheidungen zu treffen, um den eigenen Weg zu gehen – wie auch immer dieser aussehen mag.
    Gerda Boyesen war selbst immer auf der Suche nach dem eigenen Weg und ist ihn auch bis zum Schluß mit Freude, Lachen und ohne Angst gegangen. Sie hat nach dem gelebt, was ihr in die Hände gegelegt wurde – und sie hatte wirklich „heilende Hände“.

    Aus ihrer Schule gingen viele hervor, die heute selber lehren, oder auch vor dem Hintergrund der Biodynamik eigene Schulen gegründet haben, wie zum Beispiel David Boadella, um nur einen zu nennen.
    Freude und Lebendigkeit waren Gerda stets wichtig: „sitze vergnügt“ war in ihren Gruppen-Runden ein Ausspruch. Die Stunden in der Gruppe waren oft gespannt vor Neugier, wenn sie mit einem ihrer Schüler arbeitete. Das Ergebnis war ein wahrer Schatz und oft von einer Klärung im Hier und Jetzt gezeichnet.

    Gerda Boyesen, geboren 1922 in Norwegen, Psychologin, Physiotherapeutin, Entdeckerin der „Psychoperistaltik“, ist nicht mehr. Ich danke ihr an dieser Stelle für das Erbe, das sie uns hinterlassen hat, um Menschen auf deren eigenen Weg zu führen.

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    Manuela Zachhuber

    Mein persönlicher Weg zur Biodynamik:

    Da stand ich, 22 Jahre jung, hatte einen guten Job, einen Lebens-partner an der Seite und eine erste kleine Wohnung. Eigentlich hätte ich mich gut fühlen können. Tat ich auch für’s Erste. Trotzdem fehlte mir etwas, aber ich konnte es nicht benennen. Ein Kind – nein, dafür fühlte ich mich nicht „gut genug“ – ich fühlte nicht, dass ich mich schon auf meinem eigenen Weg befand.

    Durch eine Arbeitskollegin wurde ich neugierig: sie machte eine Ausbildung in Körperpsychotherapie. Immer wieder lauschte ich ihren Erzählungen über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen.

    Die Jahre vergingen. Nach Heirat und Umzug bin ich wieder angekommen bei der Suche nach meinem persönlichen Lebensweg. Ich ging durch eine tiefe Krise, die Gefühle spielten verrückt, mein Leben war ein großes Durcheinander. Ich fühlte mich körperlich unpassend und ohne Orientierung.

    Meine frühere Arbeitskollegin bat mich einen Vortrag zum Thema „Biodynamik nach Gerda Boyesen“ Korrektur zu lesen.- Das war es! Ich war fasziniert vom Inhalt und über die Beschreibung der Biodynamischen Arbeit, und ich machte mich auf die Suche nach einem Therapeuten. So begann meinWeg, der ab diesem Zeitpunkt Form angenommen hat und dies bis heute tut. In der Zwischenzeit arbeite ich selbst als Biodynamische Therapeutin und organisiere für die E.S.B.P.E. Seminare und Ausbildungsgruppen.

    Die Gerda Boyesen-Methode – Die Heilende Berührung des Unbewußten

    In ihren Ausbildungskursen betonte Gerda Boyesen immer wieder, daß sie verschiedene „Koffer“ psychotherapeutischer Methoden ent-wickelt habe, um der Komplexität und Verschiedenheit der Klientinnen gerecht zu werden. Berühmt wurde die norwegische Psychologin und Krankengymnastin durch ihre Entdeckung der „Psycho-Peristaltik“ und psychotherapeutisch wirksamer Massagebehandlungen, der „Biodynamischen Psychologie“. Psychotherapie durch Massage? Das klingt merkwürdig und bedurfte einer neuen Theorie über die Vermittlung körperlicher und seelischer Prozesse.

    „Peristaltik“ nennt die Medizin bekanntlich die Bewegungen des Darmkanals, der sich in Teilstücken ausdehnt und zusammenzieht und dadurch die Nahrung transportiert. Die mit Flüssigkeit gefüllten Darmwände haben jedoch noch eine andere Funktion: ihre gurgelnden Eigenbewegungen regulieren den Abbau nervöser Spannungen. Sie werden durch das vegetative Nervensystem gesteuert und entfernen durch minimale Veränderungen des Flüssigkeitsdrucks Reste biochemischer Stoffe aus dem Muskel- und Körpergewebe, die bei vorausgegangenen Erregungen, bei Schreck oder Streß ausgeschüttet wurden.

    Wenn wir etwa plötzlich einen lauten Knall hören, halten wir instinktiv den Atem an. Wir ziehen den Kopf ein und spannen die Beugemuskeln an, um Kraft zum Treten, Schlagen oder Wegrennen zu haben. Verdauung und Peristaltik setzen aus – im Extremfall bis zum spontanen Durchfall – damit alle verfügbare Energie in die Körperperipherie, in Arme, Beine und Kopf strömen kann. Diese „rote, aufsteigende, anspannende Energie“, wie Gerda Boyesen sie nennt, manifestiert sich auch als Blutandrang im Kopf („roter Kopf“, „rot sehen“).

    Sie dient dem Gefühlsausdruck durch Mimik, Weinen oder Schreien. Wenn situationsgemäßes Handeln und Gefühlsausdruck möglich sind, wird die „rote Energie“ restlos verbraucht. Ist der Schreck, die Gefahr oder die Aufregung vorüber, setzt normalerweise eine Erholungs- und Entspannungsphase ein. „Das muß ich erst einmal verdauen“, sagen wir. Das heißt, ich habe das Bedürfnis, mich auszuruhen und mir Zeit zu nehmen, meine Fassung wiederzugewinnen und die Ereignisse zu verarbeiten – sei es durch Gespräche mit anderen, durch Nachdenken, Aufschreiben, Klavierspielen, ein heißes Bad oder was immer.

    Körperlich geschieht dabei folgendes: die zuvor angespannten Muskeln erschlaffen, der Atem normalisiert sich. Wir atmen tief aus, seufzen vielleicht und das rote Gesicht gewinnt seine normale Farbe zurück. In der Entspannung setzen psychoperistaltische Darmbewegungen ein und befördern die Ausscheidung der emotionalen Streßprodukte. Das Gurgeln in den Darmwänden ist manchmal mit bloßem Ohr zu hören und oft mit leiblichen Empfindungen strömender Wärme und einer gelösten, friedvollen Stimmung verbunden. Gerda Boyesen nennt das die „absteigende, entspannende, blaue Energie“. Sie vollendet den zugleich emotionalen und körperlichen Zyklus von Anspannung und Entspannung und gibt uns die elastische Frische zurück.

    Von rot zu blau – die Energie nutzen

    Leider sind solche vollständige Zyklen in unserer Kultur eher die Ausnahme als die Regel. Der physiologisch vorgesehene Ausdruck von Gefühlen wird zu oft durch Drohungen, Beschämungen oder Liebesentzug seitens der Bezugspersonen unterbrochen und verhindert. Wenn ein kleines Mädchen immer wieder seine Wut als ein unannehmbares Gefühl gespiegelt bekommt, sorgt sein Körper durch unbewußte, minimale Muskelanspannungen dafür, daß es verlernt, Wut zu äußern und überhaupt zu empfinden. Schwere seelische Erkrankungen entstehen vor allem durch ein chronisch verletzendes, bedrohliches und entwertendes Klima in abgeschotteten Kleinfamilien, das keinen Ausweg, keine Entspannung, kein tiefes Durchatmen erlaubt.

    Wird die Gefühlsenergie nicht durch angemessenen Ausdruck und Aktion verbraucht, bleiben Stauungen und Restspannungen im Körper zurück. Sie verhindern die psychoperistaltische Entspannung und Selbstreinigung. Auf Dauer gestellt, können sie sich zu Haltungsveränderungen verfestigen: leicht hochgezogene Schultern, ein „Kloß“ im Hals oder ein „Zornesfalte“ auf der Stirn. Auch Bluthochdruck, Verstopfung, Unruhe in den Beinen, flache Atmung und viele andere psychosomatische Symptome können die Folge sein.

    Durch Muskelverspannungen und veränderte Atemmuster können wir unsere Gefühle „unten halten“ und ins Unbewußte verdrängen. Die Alltagssprache weiß um diese Zusammenhänge. „Nun halt mal die Luft an!“ sagen wir, um einen verpönten Gefühlsausbruch zurückzuweisen. Im neurotischen oder süchtigen Erleben und Verhalten verschaffen sich die verdrängten, „unannehmbaren“ Erfahrungen und Gefühle am Bewußtsein vorbei als irrationale, zwanghafte Symptome Gehör.

    Massage als Therapie

    Die Therapie setzt nun vorzugsweise körperlich, durch spezielle Massagebehandlungen an, die Gerda Boyesen „Deep Draining“ nennt. Sie induzieren eine tiefe Entspannung und reaktivieren gleichzeitig die energetisierten Flüssigkeitsstaus und Spannungspunkte in Gewebe, Muskeln und Knochen. Das bedeutet: sie setzen die erstarrte Psychoperistaltik wieder in Gang. Die mittels eines Stethoskops abgehörten Darmgeräusche geben dem Therapeuten eine unmittelbare Rückmeldung über die Wirkung der Massage.

    Die zugleich materiellen und energetischen Entsprechungen der abgekapselten Gefühle und Erinnerungen werden so entweder durch psychoperistaltische Entladungen aus dem Organismus herausgereinigt oder durch erneutes emotionales Durchleben im schützenden und unterstützenden therapeutischen Raum abgebaut. In diesen Prozessen wird natürlich auch gesprochen, aber in einer emotional „verwurzelten“ Weise, wie Gerda Boyesen immer wieder betont.

    Langsam, als wenn wir die Schalen einer Zwiebel abziehen, lösen sich energetische Verpanzerungen des Körpers. Unvollendete emotionale Zyklen schließen sich. Die Fähigkeit, sich tief zu entspannen – auch außerhalb der Therapie – nimmt zu und damit das allgemeine Wohlbefinden. Eine „unthematische Lebensfreude“ kehrt zurück, wie es eine Frau beschrieb, als sie sich dabei ertappte, nach Monaten der Depression auf einmal auf dem Weg zur U-Bahn wieder zu singen, grundlos, einfach so.

    Wenn Sie sich auf die Suche nach einer Gerda-Boyesen-Therapeutin oder einem Therapeuten begeben möchten, beachten Sie bitte, daß der hier beschriebene theoretische und praktische Rahmen in erster Linie für die von Gerda Boyesen selbst Ausgebildeten TherapeutInnen gilt, deren Zertifikate von ihr persönlich ausgestellt wurden. Gerda Boyesens Töchter Ebba und Mona-Lisa sowie andere BiodynamikerInnen haben die Methode mit anderen Akzentsetzungen weiterentwickelt. Innerhalb des Dachverbandes der Biodynamikerinnen (E.S.B.P.E), der auch ein bundesweites TherapeutInnenverzeichnis führt, nennt Gerda Boyesen deshalb ihre Schule die „Gerda-Boyesen-Methode“.

    ___________________________________

    Literatur:

    • Gerda Boyesen: Über den Körper die Seele heilen – Biodynamische Psychologie und Psychotherapie. Kösel Verlag, München 1987.
    • Gerda Boyesen: Biodynamik des Lebens. Die Gerda Boyesen- Methode.Synthesis Verlag, Essen 1987.
    • Gerda Boyesen: Von der Lust am Heilen. Kösel Verlag, München 1995.
    • Hadassa K. Moscovici (Hrsg.): Vor Freude tanzen, vor Jammer halb in Stücke gehen – Pionierinnen der Körpertherapie. BACOPA-Verlag, Schiedlberg 2005.

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    Bukumatula 2/2006

    Literarische Reise in die Bukowina

    Die verdrängte Sprache des Lebendigen
    Rückblende auf Reichs Gymnasiumsjahre in Czernowitz und assoziative Überlegungen
    von
    Gudrun Heininger:


    Wilhelm Reich

    • geboren 1897 in Dobrzanica, Ostgalizien
    • bald nach seiner Geburt Übersiedlung der Familie nach Jurinetz in der nördlichen Bukowina, nicht weit von der Hauptstadt Czernowitz entfernt
    • Kindheit auf dem elterlichen Landgut, Unterricht durch Hauslehrer
    • von Frühjahr 1910 bis Sommer 1914 Besuch des deutschsprachigen Gymnasiums in Czernowitz; er lebt – zusammen mit seinem Bruder – als Pensionär bei einer kinderlosen Familie und verbringt die Ferien zuhause
    • Herbst 1910: Tod der Mutter
    • 1914: nach dem Tod des Vaters leitet er die Arbeiten auf dem Gut, unterstützt vom Verwalter
    • Sommer 1915: Flucht vor der russischen Invasion in den Süden der Bukowina, Matura, freiwillige Meldung zum Heeresdienst
    • ab 1918 Medizinstudium in Wien

    Die Einflüsse aus Czernowitz reichten zu dieser Zeit auch bis nach Jurinetz bzw. bis zu einem weiteren Gut, auf das die Familie Reich 1907 übersiedelte. Die Hauslehrer kamen von dort; dort gab es familiäre Zusammenkünfte und Ausflüge in den „Volksgarten“; man suchte in Czernowitz Ärzte auf, und der Vater war in der Stadt bekannt und angesehen.

    Die Bukowina – Schmelztiegel und Ort der Kreativität

    Wir wissen wenig über Wilhelm Reichs Kindheit und Jugend, aber viel über das Land, in dem er aufgewachsen ist. Es gab zu dieser Zeit in Europa einen einzigartigen und ganz besonderen Ort, mit keinem anderen vergleichbar: die Bukowina.

    Als östlichstes, selbständiges Kronland der Donaumonarchie, als südosteuropäischer Vielvölkerraum, dessen ethnische, kulturelle und spirituelle Landschaften sich kaum endgültig gegeneinander abgrenzen lassen und sich in der Hauptstadt Czernowitz zu einem ebenso fruchtbaren wie belastungsfähigen Beziehungsgefüge konzentrierten.
    Wir wissen von diesem geistig-kulturellen Klima von den Autoren, die uns aus der Vergangenheit davon schreiben.

    Auch wenn man in Rechnung stellt, daß in der Erinnerung viel idealisiert wird, auch wenn man das Elend, die der Zeit entsprechenden sozialen Verhältnisse und die unterschiedlichen individuellen Familiengeschichten in Betracht zieht, werden deutlich Übereinstimmungen sichtbar. Es bleibt eine Essenz, ein Destillat, das diese Zeit an diesem besonderen Ort durchtränkt und das zu viele Wirkungen zeigt, um bloß als Mythos abgetan zu werden. Ob, oder wie weit diese Atmosphäre den jungen Reich beeinflußt hat, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Was ihn mit den deutsch-jüdischen Dichtern der Bukowina verknüpft, ist eventuell eine interessante Randnotiz zu seiner Biographie.

    Die Bukowina um die Jahrhundertwende bietet ein mehr als eigenwilliges Bild.- Wie in einem Auffangbecken sammeln sich Ukrainer, Rumänen, Deutsche und Juden als die zahlenmäßig am stärksten vertretenen Bevölkerungsgruppen, dazu Polen, Ungarn, Österreicher, Slowaken, Russen, Armenier, Huzulen, Gagausen und Zigeuner. Geographisch gelegen zwischen Galizien, Siebenbürgen, Bessarabien und der Moldau wird das Land zum Schnittpunkt sprachlicher, ökonomischer und religiöser Begegnungen von einer selbst für die Donaumonarchie einmaligen Komplexität.

    Um 1888 zählt Karl Emil Franzos „… die Wege, auf denen diese halbe Million Menschen dem ewigen Heil zusteuert: römisch-, griechisch-, armenisch-katholisch, durch die Patienten aktiv ausgeübt möglichen Techniken in den betreffenden Segmenten, die im Sinne der Spannungsladungsformel eingesetzt werden können. Bolen greift dabei immer wieder auf seinen langjährigen Erfahrungsschatz zurück.

    Anschließend wird dem „Geburtstrauma“ ausführlich Platz eingeräumt. Wenn auch das Prozedere einer Geburt seit den Zeiten Reichs zum größeren Teil der Vergangenheit angehört, stellt er Janovs Hypothese: „Wird ein Kind unter großem Stress geboren, indem es um sein Leben kämpfen muss, so wird es später im Leben in Krisensituationen aktiv werden und angreifen“ der immer mehr zur Routine werdenden „Kaiserschnittgeburt“ gegenüber, wo das Kind sozusagen übergangslos in die Welt fällt. „Häufig, wenn auch nicht immer, finden wir später im Leben unsichere und scheue Charaktere, die sich nicht zutrauen, das Leben aufgrund ihrer angeborenen Vitalität und Stärke zu meistern.“ Wenn man bedenkt, dass in den USA bereits 50 Prozent – und in Europa etwa 30 Prozent der Geburten per Kaiserschnitt erfolgen, kann man sich darüber schon Gedanken machen.

    Im Kapitel über „Grenzbereiche“ bezieht sich Bolen schwerpunktmäßig auf die kraniosacrale Therapie, die sich aus der Osteopathie herleitet: „Sie stellt eine Brücke zwischen der Arbeit am Körper und reiner Energiearbeit dar … diese Richtung meiner Arbeit geht weit weg von der Arbeit an den Muskeln und Gelenken hin zur intuitiven Arbeit.“ Und fügt hinzu: “Das System meiner Arbeit besteht aus Neugierde, Experiment, Erfahrung. Wiederholbare Erfahrungen nehme ich als Orientierung in mein Handeln auf. Ich lernte, trotz meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung als Arzt, dass es Phänomene gibt, die wirksam sind, auch wenn sie nicht bis ins Letzte erklärbar sind.“

    In den letzten Kapiteln finden sich Fallbeispiele und eine Zusammenstellung von Begriffen der Abwehrmechanismen – und ein außerordentlich brauchbares Literaturverzeichnis.

    Im Kapitel „Das Setting“ wird auf das Ziel der Therapie hingewiesen: Verdrängte und abgespaltene Erinnerungen an Traumata und die dazugehörigen Gefühle bewußt werden zu lassen, um sie im therapeutischen Kontext des Vertrauens, des Schutzes und der Unterstützung neu erleben zu können; ebenso auf die Fähigkeit des Therapeuten zur Empathie, auf den Begriff der vegetativen Identifikation und auf die Bedeutung des „Erstgesprächs“.

    In „Diagnosen und Charakterstrukturen“ weist Peter Bolen auf die Bedeutung der Diagnoseerstellung zur Auswahl des therapeutischen Herangehens und die infragekommenden Techniken hin, warum auch nichtärztliche Therapeuten mit der Psychopathologie der Psychosen und den Grundzügen der Psychopharmakologie vertraut sein sollten und auf den Umgang mit suizidgefährdeten Patienten.- Zur Beschreibung der Charakterstrukturen und Körpertypologien stellt er seine persönlichen Erfahrungen den klassischen Beschreibungen von Reich, Lowen und Pierrakos gegenüber, wobei er insbesondere die Typologie von Pat Ogden als Grundlage nimmt.

    Der in der Körperpsychotherapie so häufig vorkommende „Energiebegriff“ wird von Bolen pragmatisch gehandhabt – er dient als Bezeichnung der mit unseren Sinnen wahrnehmbaren Erfahrungen. Auch wenn diese Art von Energie naturwissenschaftlichen Messungen unzugänglich ist und von Kritikern als esoterisch abgetan wird: gemeinsam ist dem Begriff eine ihr innewohnende fließende Kraft, die in der Therapie als nonverbale Kommunikation von zentraler Bedeutung ist. Behandelt werden Begriffe wie Aura, Orgon, die körpereigenen Energiesysteme wie die Atmung, der Blutkreislauf, der Fluß der Lymphe etc. Bolen: „Es geht bei dem von mir verwendeten Energiebegriff nicht um ein Glaubenssystem, sondern um wiederholbare Erfahrungen, die wir mit unseren Sinnen machen können.“

    Ausführlich behandelt werden in den nächsten beiden Kapiteln („Die Topographie der Berührung“ und „Arbeit an den Reichschen Segmenten“) die Reichschen Körpersegmente und der Umgang mit bzw. die Wirkung von Berührungen. Es folgt eine Beschreibung der armenisch- und griechisch-orientalisch, augsburgisch, helvetisch und calvinisch, türkisch und jüdisch, kurz: nach jeglicher Facon wird man hier selig, oft nach sonderbarer, wie Popowzen, Unitarier und Bezpopwzen beweisen, oft nach gar keiner…“1)

    Ermöglicht wird dieses vielfältige Panorama, von dem Franzos auch sagt, die Bukowina sei „… vielleicht in culturhistorischer Beziehung das interessanteste Land in Europa“, unter anderem dadurch, daß „… die einzelnen Nationalitäten nicht selten in schroffer Abschottung wohl ihre Eigenstämmigkeiten wahrten, aus der Alltagsnotwendigkeit heraus aber vielfach intensiv miteinander verkehrten.

    So kam es, daß sich der Ruthene als Leiter einer staatlichen Depeschendienststelle der wienerisch gefärbten Amtssprache bediente und nichts auf seine k.u.k. Beamtenakkuratesse kommen ließ, daheim aber mit Frau und Kindern peinlich auf ruthenischen Lebensbrauch bedacht war. Der Pole wieder, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg dem Ungarn oder Juden in der Vaterstadt Czernowitz mit einem Fuhrwerk zu Diensten und mit beiden auf Deutsch verhandelnd, überließ sich im Freundeskreis der Sehnsuchtsschwermut podolischer Volkslieder.

    Der Jude, der als uniformierter Bahnhofsvorsteher ein Musterbeispiel altösterreichischen Pflichtbewußtseins war und daheim seine Töchter Gedichte von Uhland, Schiller und Heine … aufsagen ließ, ja sogar noch nach 1914-1918 im Familienkreis alljährlich den `Kaisergeburtstag´ feierte, hörte dessenungeachtet dennoch nicht auf, ein `guter Jude´ zu bleiben, wie es in einer der chassidischen Geschichten des weißrussisch-jüdischen Erzählers Rappaport (1863-1912) heißt.

    Der als Bergbauingenieur in Staatsdiensten nach Czernowitz versetzte und hier verheiratete, musikalische Grazer, der Violine spielte, traf sich mit dem das gleiche Instrument beherrschenden Juden, dessen Großvater aus Witebsk an der Düna hierhergekommen war, dem einer alteingesessenen rumänischen Familie entstammenden Bratschisten und dem aus Minsk eingewanderten ukrainischen Violoncellisten zur Streichquartettstunde.

    Sie kriegten sich aus nationalistischen Gefühlsaufwallungen heraus gelegentlich in die Wolle und gaben bedenkliche Sentenzen von sich. Doch sie ließen es sich nicht nehmen, bei Haydn und Mozart einige Flaschen Grünen Veltliner aus der Weinhandlung des Slowaken zu leeren, der ihnen das Getränk als `a guets Tröpferl´ angepriesen und danach gemeinsam mit seinem Bruder über die Vier geschimpft hatte.

    Daß solcherlei Symbiose nur durch ein gerüttelt Maß an gegenseitiger Akzeptanz und Bereitwilligkeit zum Zugeständnis möglich war, auch an schmunzelnder Toleranz den Eigenheiten des Anderen gegenüber wie an unbewußter Annahme der von ihm ausgehenden Einflüsse, liegt auf der Hand.“ (Hans Bergel: „Bukowiner Spuren“)

    Natürlich darf man nicht vergessen, daß dieser Blick ein literarischer ist und soziale Ungerechtigkeit, Armut, Unwissenheit und Fatalismus den Alltag sicher genauso bestimmt haben wie Liberalität und Toleranz, daß „patriarchale Autorität, ein starker Ordnungsstaat und eine eindeutig herrschende Leitkultur das unwahrscheinliche Gelingen multikulturellen Zusammenlebens“2) begünstigt haben.

    Czernowitz – Eine selbstbewußte Stadt

    Czernowitz ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine selbstbewußte Stadt mit moderner Infrastruktur, die zwischen 1880 und 1940 mehrere Generationen von Künstlern und Intellektuellen inspiriert. Czernowitz, das heißt: ca. 80.000 Einwohner (davon ein Drittel jüdischer Abstammung – 1918 sind es 47 Prozent), 6 Nationen, 4 Sprachen und ein Dutzend unterschiedlicher Konfessionen in über 150-jähriger, relativ friedlicher Koexistenz.

    Alle nationalen Gruppierungen besitzen ihre eigenen Repräsentationsbauten, Schulen, Büchereien, Vereine, literarischen Gesellschaften, ihr eigenes Theater- und Konzertleben und ihre eigene Presse.- Als man um 1780 „…auf Kosten der Regierung zum Unterricht der Jugend Normalschulen eröffnete und die Unterweisung derselben unentgeltlich veranstaltete, da erklärte sich der größere Haufe, daß er lieber zu den Türken und in die Moldau emigrieren als seine Kinder in die Schule schicken wolle.“3)

    Zwischen 1848 und 1940 dagegen wurden in der Stadt 370 verschiedene Zeitungen verlegt – darunter 200 deutsche, 68 ukrainische, 50 rumänische, 28 polnische und 24 jiddische. Vor 1914 lagen gleichzeitig fünf Czernowitzer Tageszeitungen, mehrere Wochenzeitungen und eine jiddische Zeitung auf; in den Kaffeehäusern „Habsburg“ meint er: „Ich verdanke dieser Therapie einiges. Sie war dynamisch, machte mir Mut, lehrte mich bewußt zu sein und brachte mich in Kontakt mit dem Zen-Buddhismus und dem japanischen Kampfsport Aikido.“

    Reich kannte die Charakterstrukuren nicht, mit denen sich die heutige Psychotherapie zu beschäftigen hat – etwa frühe Störungen wie die Borderlinepersönlichkeit. Ihm waren zu Lebzeiten nur die „harten Strukturen“ vertraut – so wie Freud sich mit Phänomenen wie der hysterischen Blindheit, hysterischen Lähmungen, etc. auseinandergesetzt hat, die es heute kaum mehr gibt. Will Davis hat für frühe Störungen den Begriff der „soft structures“, also der „weichen Strukturen“, eingeführt.

    Diese Charakterstrukturen haben nicht das Problem ihre Gefühle zu äußern, sondern werden von ihnen geradezu überschwemmt. Es geht in der Therapie also darum, diese Emotionen „halten“ zu können, um das sogenannte „Containing“ – also innerhalb des therapeutischen Settings Sicherheit, Schutz, Grenzen und Unterstützung zu erfahren.- „Ich begab mich auf die Suche nach einer körperorientierten Technik, die nicht Streß als Methode einsetzte und dennoch an die tiefen Emotionen heranführte.“

    Die „Gelenksarbeit“ ist der eigentliche Beitrag Peter Bolens zur Körperpsychotherapie. Dazu wird in zwei Kapiteln ausführlich auf deren Bedeutung und Handhabung eingegangen.

    Frühe Beobachtungen als Arzt in einer neuroorthopädischen Ambulanz über starke emotionale Reaktionen nach manualtherapeutischen Deblockierungen von Gelenken „… lenkten meine Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Gelenk und Psyche … und führten mich zu Wilhelm Reichs Entdeckung der chronischen segmentalen Muskelanspannung aufgrund von unterdrückten Emotionen.“

    Es folgt eine Beschreibung der Grundlagen zur Gelenksarbeit und er kommt zu dem Schluß: „… Allein aus diesen neurophysiologischen Tatsachen ist es verständlich, warum emotionale Faktoren einen wesentlichen Einfluß auf die muskuläre Grundspannung, die Körperhaltung und den Bewegungsausdruck besitzen. Umgekehrt können wir natürlich über Einflußnahme auf die Gelenks- und Muskelspannung, die Körperhaltung und den Bewegungsausdruck das Limbische System, also das Zentrum für Emotionen, beeinflussen.“

    Im Kapitel „Wozu Wiedererinnern?“ wird auf das Unbewußte eingegangen. „Der Grund, warum Geschehnisse im Unbewußten deponiert werden, ist, dass sie unangenehme, peinliche und schmerzhafte Erinnerungen beinhalten, welche zum Zeitpunkt, als sie geschahen, für uns nicht verarbeitbar waren … Weitere Merkmale des Unbewußten sind, dass es viele Kindanteile enthält und dass im Unbewußten die Dimension Zeit fehlt. Das heißt, gestern und heute sind dort gleichzeitig vorhanden.“- Das neurotische Verhalten besteht darin, dass Menschen in bedrohlichen Situationen nicht mit den Möglichkeiten eines Erwachsenen reagieren, sondern auf kindliche Reaktionsweisen zurückgreifen.

    Zu einer Heilung kann es nur dann kommen, wenn das Geschehen im Hier und Jetzt wiedererlebt werden kann – und zwar im geschützten therapeutischen Rahmen. Der von Arthur Janov so bezeichnete „Urschmerz“ ist im Gehirn als elektrisches Potential gespeichert. Der innere Streß – der Versuch des Organismus, den Urschmerz bewußt werden zu lassen und dessen gleichzeitiger Blockierung – erzeugt eine innere Unruhe, die zu Nikotin-, Alkohol- und anderen Drogenabhängigkeiten führen kann.

    Im Kapitel „Über das Wesen der Heilung – Selbstregulation“ wird allgemein auf die z.B. auch in der Natur kontinuierlich ablaufenden Prozesse zur Gleichgewichtsherstellung hingewiesen und im speziellen – über den Weg der bewußten Aufmerksamkeit – auf deren Bedeutung im therapeutischen Heilungsprozeß.

    Zum Verständnis des therapeutischen Prozesses wird insbesondere auf den von Staemmler und Bock beschriebenen „Neuentwurf der Gestalttherapie“ zurückgegriffen: der Stagnation folgt im Idealfall die Phase der Polaritäten, das Stadium der Diffusion, die Kontraktion und die Expansion.- Das Ende der Therapie sei erreicht „…wenn wir nicht mehr mit Fragen zu unserem Therapeuten gehen müssen, sondern die Antworten in uns selbst finden“.

    Der sanfte Weg – der Untertitel des Buches – leitet sich von Peter Bolens persönlicher Erfahrung und aus der Entwicklung seines therapeutischen Handelns ab. Zu der in der Anfangszeit klassischen konfrontativen Arbeit am Muskelpanzer – mit starker energetischer Aufladung, um an die blockierten Emotionen heranzukommen – und „de l`Europe“ konnte man 160 internationale Tageszeitungen lesen.4)

    Die soziokulturelle Struktur der Stadt stand allerdings unter eindeutiger Hegemonie der deutschen Sprache und wurde getragen von einem emanzipierten jüdischen Bürgertum, das sich überwiegend zur deutschsprachigen Kultur- und Geisteswelt bekannte und sich dort auch beheimatet fühlte. In Abgrenzung zur rückwärtsgewandten, heimat- und brauchtumsverhafteten Tradition der sogenannten Volksdeutschen orientierten sich die Czernowitzer Juden nach Wien und Berlin und entwickelten eine urbane, mehr intellektuelle Auseinandersetzung zu zeitgemäßen Fragen.

    Uriel Birnbaum (*1894), Autor phantastischer Novellen, expressionistischer Lyriker und Zeichner aus Wien, lebte vom 14. bis zum 17. Lebensjahr in Czernowitz und bezeichnete die Jahre in der Bukowina als die „wichtigsten seines Lebens“.

    Die Dichterin Rose Ausländer erinnert sich: „Man las viel, nicht nur Zeitungen, Zeitschriften, Sekundärliteratur und Unterhaltungslektüre, sondern gute, beste Literatur. Man diskutierte mit Feuereifer, musizierte und sang. Das Stadttheater war immer gut besucht, bei Gastspielen ausverkauft.

    Ein beträchtlicher Teil der Jugend, geistig aufgeschlossen, war von unersättlicher Wißbegier. Das zentrale Interesse vieler Intellektueller galt nicht einem technisch höheren Lebensstandard, es ging ihnen vielmehr um erkenntnisreiche Einsichten, sei es auf Wegen der Wissenschaft, Philosophie, Politik oder durch das Erlebnis von Mystik, Kunst, Dichtung und Musik.

    Czernowitz war eine Stadt von Schwärmern und Anhängern. Es ging ihnen, mit Schopenhauers Worten, um das Interesse des Denkens, nicht um das Denken des Interesses. Karl Kraus hatte in Czernowitz eine große Gemeinde von Bewunderern, man begegnete ihnen, die `Fackel´ in der Hand, in den Straßen, Parks Wäldern und an den Ufern des Pruth… Man schwärmte für Hölderlin, Stefan George, Trakl, Else Lasker-Schüler, Thomas Mann, Hermann Hesse, Gottfried Benn, Bertold Brecht.

    Man verschlang die klassischen und modernen Werke der fremdsprachigen Literatur. Jeder Jünger war von der Mission seines Meisters durchdrungen. Man huldigte selbstlos und mit vehementer Begeisterung: Ein Wort, das die moderne Kritik als Pathos oder Sentimentalität ablehnt… Eine versunkene Stadt. Eine versunkene Welt.“5)

    Rose Ausländers Antwort auf die Frage, warum sie schreibt: „Vielleicht, weil ich in Czernowitz zur Welt kam, weil die Welt in Czernowitz zu mir kam. Jene besondere Landschaft. Die besonderen Menschen. Märchen und Mythen lagen in der Luft, man atmete sie ein. Das viersprachige Czernowitz war eine musische Stadt.“

    Historischer Hintergrund dieser Entwicklung:

    Nach mehreren Jahrhunderten im Herrschaftsgebiet verschiedener Fürstentümer – des ungarischen König- und des osmanischen Reichs – wurde die Bukowina 1774 der Habsburgermonarchie zugesprochen. Jüdische Kaufleute gab es auf dem „Tartarenweg“ zwischen Lemberg und Byzanz schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts, ebenso deutsche Handwerker und Baumeister.

    Die Habsburger legten Wert auf eine Germanisierung dieser östlichsten Provinz und nachdem die österreichische Militärverwaltung zuerst schon versuchte, die Rechte der Juden massiv einzuschränken, wurde auch nach dem „Toleranzpaket“ Josephs II. ihr Akkulturierugsprozeß mit Härte forciert und die Immigration von deutschen Handwerkern, Arbeitern, Bauern und von Ärzten, Lehrern, Anwälten und Beamten – viele davon jüdischer Herkunft und den Lebensgewohnheiten der deutschen Kultur verbunden – gefördert.

    Die Monarchie setzte die Juden zur Ausbreitung und Stabilisierung der deutschsprachigen Kultur ein und ließ ihnen dafür größere Bevorzugung – und damit einen gewissen Schutz vor dem latenten Antisemitismus der übrigen Bevölkerungsgruppen – angedeihen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfaßte dieser Prozeß weite Teile des Judentums und allmählich wurden sie zu den eigentlichen Repräsentanten des österreichischen Staatsgedankens, auf deren Loyalität sich die Zentralregierung verlassen konnte und zum Träger eines idealistischen deutsch-österreichischen Lebensgefühls.

    Doch obwohl sich nirgends sonst eine deutsch-jüdische Kultursymbiose (zumindest für einige Jahrzehnte) in ähnlicher Intensität entwickelte, „…bewahrten sie in weit stärkerem Maße als anderswo jüdisches Erbe und jüdische Tradition. Ja, sie entwickelten einen recht originellen Pragmatismus, der es ihnen erlaubte, moderne

    In den ersten drei Kapiteln behandelt Bolen die Frage, warum in der Psychotherapie die Arbeit am und mit dem Körper – Berührung, Wahrnehmung der Haltung, der Bewegung, der Gestik, der Mimik – so wichtig ist und weist darauf hin, dass Körperpsychotherapie nicht nur Körperarbeit, sondern auch verbale therapeutische Kommunikation ist. Sie unterscheidet sich von rein verbalen Methoden dadurch, dass sie frühes Material, welches im Körper gespeichert ist, durch Körperinterventionen bewußt machen kann.

    Das Gehirn bezeichnet er als „Biocomputer“, wobei bis zum 4. Lebensjahr von den Erziehungspersonen Programme installiert werden, ohne dass sich das Kind dagegen wehren kann, auch wenn sie für seine Entwicklung nicht förderlich sind. „Und welche Möglichkeiten haben wir nun zu erkennen, ob die Basis unserer Handlungen eigener Wille sind, oder ob es sich um ein Fremdprogramm handelt?“ Antwort: „Überraschender Weise sind es unsere Gefühle, auf die wir uns dabei verlassen können, also jener Bereich unserer Persönlichkeit, den wir gerne unserem logischen Verstand unterordnen.“

    Bei vielen Menschen ist der Bezug zum eigenen Gefühl derart verschüttet, dass es in der Therapie oft lange Zeit braucht, um ihnen wieder einen Zugang dazu zu eröffnen. Der Widerstand dagegen besteht aufgrund von Schmerzen, die bei der Wiedererinnerung nochmals auftauchen, sodass „…wir in unserem Erwachsenenleben wie programmierte Roboter herumlaufen, ohne uns dessen bewußt zu sein … wir leiden wegen der Vergewaltigung unserer Gefühle unter psychischen und psychosomatischen Symptomen“.

    In der Psychotherapie wird versucht an diese Programme der frühen Kindheit heranzukommen – Myron Sharaf benannte diese Bemühungen einmal treffend als „digging for oil“ -, um sie auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.
    Die körperorientierte Psychotherapie vermag Traumata auch aus frühester Kindheit wieder zu erinnern und sie einer Verarbeitung zugänglich zu machen.- Statt des direkten Angriffs auf den Muskelpanzer, wie es etwa Aexander Lowen versuchte, folgte z.B. Gerda Boyesen Reichs Beobachtungen der vegetativen Reaktionen und beschäftigte sich in der Folge mit dem visceralen System.

    Ihr Ansatz besteht aus der Hypothese, dass sich ungelöste Konflikte als latente dynamische Anspannung der Viscera (Eingeweide) manifestieren- Erkenntnis berufen kann. Dass wir uns dennoch mit der Wissenschaft auseinandersetzen liegt daran, dass wir nicht isoliert sind. Wir sind in eine kulturelle Umwelt eingebettet, die im wesentlichen wissenschaftlich ist. Daher nehmen wir an diesem wissenschaftlichen Dialog teil.Nur die Ermunterung meiner Freunde und Mitarbeiter bewog mich letztlich dazu, mein während meines beruflichen Lebens erworbenes Wissen in dieser Form weiterzugeben.

    Ich bin zufrieden, wenn es so gut geworden ist, dass es für die praktische Arbeit mit Patienten brauchbar ist. Fehler darin zu finden wird durchaus möglich sein, ich hoffe aber, dass die Leserin und der Leser in diesem Buch auch neue Ansätze und Sichtweisen der Psychotherapie entdecken können, die sich sonst nirgends in der Literatur finden. Damit hätte dieses Buch seinen Zweck erfüllt.

    Primär für Ausbildungskandidaten der Emotionalen Reintegration gedacht, enthält dieses Buch jedoch Anregungen für alle Körperpsychotherapeuten. Falls Psychotherapeuten anderer Schulen sich für die psychotherapeutische Körperarbeit interessieren, sollte es auch für sie eine nützliche Einführung darstellen. Ich versuchte, dieses Buch – mit Ausnahme des Kapitels über die neurophysiologischen Grundlagen der Gelenksarbeit – so einfach zu schreiben, dass auch Laien und Psychotherapiesuchende hier Antworten auf ihre Fragen finden können.

    Zuletzt scheute ich nicht auch Grenzbereiche anzusprechen, die ich persönlich in meiner Arbeit anwende und die sich nicht naturwissenschaftlich begründen lassen. Dieser persönliche Ansatz ist jedoch nicht Allgemeingut innerhalb des Arbeitskreises für Emotionale Reintegration und der darin vertretenen Therapeuten.- Ohne diese Hinweise wäre dieses Buch aber unvollständig geblieben. Die Persönlichkeit des Therapeuten schwingt ja immer in seiner Arbeit mit und eine Ausblendung dieses Aspekts wäre reduktionistisch. Ich wollte auch wahrhaftig bleiben und meine Arbeit so darstellen, wie ich sie praktiziere.“

    Damit ist schon Einiges gesagt. Inhaltlich ist das Buch in 18 Kapitel unterteilt.

    Menschen zu sein und gleichzeitig vom Judentum das zu behalten, was ihnen moralische Stütze im Leben gab und ihre ethnische Identität bewahren ließ.“6) 1867 erhielten die Juden die volle rechtliche Gleichstellung und spätestens nach der Universitätsgründung in Czernowitz, 1875, kam eine reiche und lebendige künstlerische, literarische und intellektuelle Entwicklung in Schwung, die sich bis 1914 ungehindert entfalten sollte.

    Die Kinder dieser Zeit, die in dieses einmalige Biotop hineinwachsen, werden später (ab 1919, als die Bukowina unter rumänische Herrschaft fällt und ab 1941, mit Beginn der deutsch-rumänischen Schreckensherrschaft) Biographien aufweisen, ohne die eine Beschreibung der Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts undenkbar wäre.

    Aber: „Verlust und Zerstörung der heimatlichen Welt, Deportationen, Emigrationen, Familienzerreißung, Flucht, Sprach- und Kulturwechsel, vielfache Rückbindung an durchlaufene Stationen wie an Menschen, über Länder, ja Kontinente verstreute Spuren, unerwartete Ausblicke. Kann einer über das 20. Jahrhundert mitsprechen ohne diese Erfahrungen?“ (Hans Bergel)

    Wenige Namen sind in Erinnerung geblieben von dieser in der Bukowina geborenen oder aufgewachsenen Generation, noch weniger sind über einen kleinen Kreis von Literaturwissenschaftlern und -liebhabern hinaus bekannt geworden: Rose Ausländer, Erwin Chargaff, Paul Celan, Wilhelm Reich.

    Genaue Differenzierungen würden den Rahmen dieses Textes sprengen, der fürs erste nichts anderes will als ein paar Bilder aus der Stadt zu liefern, in deren Umfeld Wilhelm Reich seine Jugendjahre erlebt hat. Auch ist der Fokus eingeschränkt auf die Zeit vor 1914, denn nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Aufkommen der NS-Ideologie und dem Holocaust verschieben sich die Koordinaten aller Assoziationsmöglichkeiten. Aber da war Reich schon lange in Wien, Berlin und Skandinavien, wo er unter anderen Vorzeichen mit denselben Ausbrüchen der Irrationalität und des Hasses konfrontiert war wie die deutsch-jüdischen Dichter der Bukowiner Literaturlandschaft.

    Der junge Reich

    Aus autobiographischen Notizen des 22-jährigen Reich ergeben sich einige Anhaltspunkte, wenn man sich im weglosen Gelände seiner Jugendjahre orientieren will:

    Einerseits ein brutaler, jähzorniger Vater, zerrüttete Eheverhältnisse der Eltern, eine Mutter, die den Sohn an sich bindet und ihn nicht gehen lassen kann, bis zum 11. bzw. 12. Lebensjahr keine Beziehungen zu Gleichaltrigen (außer zum jüngeren Bruder), sexuelle Erfahrungen des Kindes mit erwachsenen Frauen. Andererseits ein extrovertierter, zielstrebiger und pragmatischer junger Mann, dessen intellektuelle Neugier, Erfahrungshunger und in Naturbeobachtung geübter Blick immer in die Tiefe zielen, hinter die Fassade und die oberflächlichen Erklärungen, hinter die Heuchelei und die Lügen der Erwachsenen – und sehr früh die Notwendigkeit, allein und selbständig zu entscheiden durch das Wegfallen der elterlichen Autorität.

    „… Ich träumte, träumte mit offenen Augen, träumte, wenn ich mathematische Formeln an die Tafel schrieb, träumte, wenn ich deutsche Gedichte oder Lesestücke vortragen sollte! Ich war einer der ersten Schüler der Klasse, ohne daß es mir besondere Mühe machte.

    „…Ich verkehrte wenig mit Kameraden, las viel, fraß Belletristik und Wissenschaft, phantasierte stundenlang am Klavier, gab Stunden, um mein Taschengeld zu erhöhen. Ich arbeitete, las, spielte, grübelte, träumte und onanierte! Ich zog mich von der Welt zurück, ließ Kameraden Kameraden sein, denn mich widerte ihr laszives Gespräch und Getue und Gerauche an. Nur einen Freund behielt ich mir zehn Jahre lang – eben den, der später starb.“7)

    Er liebt Schauspiel, Ballett, liebt die Schwester eines Freundes, herrlich langes blondes Haar, liebt Storms „Aquis submersus“, Schillers „Geisterseher“, Hauffs „Märchen“, liebt die Russen, haßt die Franzosen (russische bzw. französiche Literatur) und liebt den „herrlichen Strindberg, dessen Lebensgeschichte ich in einer Zeit lese, wo mein Inneres eine einzige Wunde ist.“8)

    „…Ich bin ernst und mürrisch geworden vor der Zeit und lechze nach Lust und Leben… Ich rackere tagsüber wie ein Lasttier und liege nachts in Bordellen. Ich habe die Empfindung, daß ich jemanden finden, auf irgend ein Erlebnis stoßen müsse…“9)

    Er lebt in Büchern und Träumen, macht Ausflüge, spielt Fußball und Tennis, liebt die Schwester eines Kollegen „… 18 Jahre, schwarz, rote Lippen, kleiner Fuß in zierlichen Halbschuhen, sanfte Linie vom schlanken Hals über die Taille bis zur schönen Hüfte“, stürzt sich in erotische Abenteuer und tobt seine Sinnlichkeit in Bordellen, Stiegenhäusern und Kellern aus, mit leicht-sinnigen Frauen.

    Er ist unentrinnbar, unentwirrbar in die Umstände des Todes seiner Mutter verstrickt und übernimmt die Verantwortung während des Bankrotts und der tödlichen Erkrankung des Vaters. Kurze Zeit später wird der Erste Weltkrieg inszeniert. Reich ist 17 Jahre alt.

    In „Leidenschaft der Jugend“ skizziert er an einigen Beispielen die Grundzüge seiner sexuellen Entwicklung als Kind und Jugendlicher. Behindert durch Ver- und Gebote, Heimlich- und Zweideutigkeiten und den Zynismus der Erwachsenen; durch Sehnsüchte, Wünsche, Neugier, Unklarheiten, Irrtümer, Experimente hindurch bricht sich sein Lust- und Wissenshunger, sein Lebenshunger schließlich freie Bahn.- Wer würde sich da nicht wiedererkennen?

    Reich und Celan

    Eine Reihe eigenwilliger junger Leute bevölkerten die Gymnasien zur selben Zeit und durchstreiften die Stadt: Alfred Margul-Sperber (*1898), Albert Maurüber (*1896), Erich Singer (*1896), Ninon Hesse (*1895), Moses Rosenkranz und David Goldfeld (*1904), Alfred Kittner (*1906), Georg Drozdowski (*1899), Jonas Lesser (*1895), Klara Blum (*1904), Rose Ausländer (*1901), Erwin Chargaff (*1905) – und später Immanuel Weißglas und Alfred Gong (*1920), Else Keren und Selma Meerbaum-Eisinger (*1924), Paul Celan (*1920) … eine unvollständige Aufstellung.-

    Wann immer ich die Namen Wilhelm Reich und Czernowitz höre, denke ich auch: Paul Celan.
    So unterschiedlich beider Biographien und vor allem ihre Arbeitsgebiete sind, so fallen doch markante Übereinstimmungen auf, Verwandtschaften. (Die politischen Verhältnisse haben sich geändert, nachdem die Bukowina 1919 an Rumänien gefallen war. Das geistige Klima der Vorkriegszeit erhielt sich aber noch für zwei Jahrzehnte in verdichteter Form.) Bedingt durch die geschichtlichen Ereignisse und eine Generation voneinander getrennt, schlagen sie verschiedene Wege ein und gehen doch parallel.

    Auch für Celan gilt: Ein autoritärer, Disziplin fordernder, hohe Ansprüche stellender Vater, eine liebevoll-zärtliche, idealisierte Mutter, die vom Sohn erwartet, sie für die Enttäuschungen und die Entfremdung in ihrer Ehe zu entschädigen und die ihn wohl in seiner intellektuellen und künstlerischen Entwicklung unterstützt und fördert, dafür aber seine ganze Liebe und Hingabe beansprucht.

    Über beide wird eine familiäre Katastrophe hereinbrechen, die für ihr Leben prägend sein wird:

    • Eine Liebesaffäre der Mutter, Eifersuchtsdramen, ihr Selbstmord – nach mehreren mißglückten Versuchen – und vier Jahre darauf der Tod des Vaters, Eltern, die den Sohn unausweichlich in ihre persönliche Verzweiflung hineinziehen und dem 13-jährigen Reich in diesem Zusammenhang Verantwortung und „Schuld“ aufladen.
    • Die Deportation und Ermordung der Eltern Paul Celans durch die NS-Herrscher. Celan hatte sich ein sicheres Versteck organisiert, aber aufgrund von Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnissen zwischen seinen Eltern und ihm kam es dazu, daß er der Gestapo entging, während jene aus der Wohnung „abgeholt“ wurden. Daß sie auf die Todesmärsche und in die Zwangsarbeitslager gehen mußten, ohne seinen Beistand, hat er sein Leben lang als diffuse Schuld begriffen, obwohl die einzige Schuld natürlich auf seiten der Täter ist.
    • Für den einen, wie für den anderen blieb die schwierige Vaterbeziehung ungelöst.Gemeinsam ist ihnen auch ein frühes Interesse für Naturwissenschaften und große Empfindungsfähigkeit – Celan hat ein Medizinstudium begonnen, um „mehr über den Menschen zu erfahren“10), abbrechen mußte er es aus politischen Gründen; bei Reich ist ein ähnlicher „Neigungswinkel seiner Existenz“11) fühlbar.
    • Beide – der Wissenschaftler und der Dichter – werden sich später in eine Position der äußersten Ausgesetztheit und zunehmender Einsamkeit begeben: Reich, den seine Tätigkeit als Arzt und Psychoanalytiker zur Arbeit mit den vielfältigen Manifestationen der Lebensenergie führt – Celan mit seiner Erforschung der Sprache und ihrer Möglichkeiten zwischen Verstummtsein und existentieller Notwendigkeit, sich mitzuteilen.
    • Der eine hat für das Wahrzunehmende eine wissenschaftliche Sprache gefunden, die die bisherigen Beschränkungen durch Meinungen und Vorurteile hinter sich läßt – der andere eine Sprache entwickelt, die es ihm ermöglicht, das „…im Zusammenhang der Shoa Erlittene als Dichter im Gedächtnis zu bewahren und zu betrauern“12) und die sich der Verharmlosung entzieht – und zwar in der deutschen Muttersprache, die auch die Sprache der Mörder ist.
    • Was Reich auf der biologischen und energetischen Ebene verstehbar und nachvollziehbar gemacht hat, wird durch Celan auf der Basis des sprachlichen Ausdrucks erlebbar. Der rote Faden durch beider Werke ist einerseits der Ausdruck, die Entfaltung und der Schutz des Lebendigen – immer auf der Spur des Fühlens und Gewahrseins – andererseits das aufmerksame Hinhören und Hinschauen auf Dinge, die geschehen und das In-ständigem-Austausch-mit-ihnen-Sein, kein Rückzug, keine Resignation, nur Präsenz.

    Wo Celan versucht durch das exakte benennen und Ertragen des in der Vergangenheit Geschehenen einen Heilungsprozeß in Gang zu setzen, ist Reichs Blick immer auf die Zukunft gerichtet. Inspiriert ist beider Leben und Arbeiten von einer machtvollen unterirdischen Strömung, die beides verbindet und eine unbedingte Liebe zu größtmöglicher Wahrhaftigkeit trägt.

    In Celans sogenannter „hermetischer Lyrik“, die gar nicht so hermetisch (in sich geschlossen, für Außenstehende unverständlich) ist, wenn man sie in Beziehung zu den realen Begebenheiten und Erfahrungen setzt, zu den Verletzungen der Menschen in diesem – und nicht nur diesem Jahrhundert -, teilt sich das Lebendige in Gestalt der Sprache mit. Sie geht „durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten … durch furchtbares Verstummen … durch die tausend Finsternisse todbringender Rede“ hindurch und tritt „wieder zutage … angereichert von alldem“.13)

    Das erinnert an „Steckenbleiben“, Blockierung, Stauung, Sprachlosigkeit, Ausdruckslosigkeit des ursprünglichen, lebendigen Erlebens und dessen Verwandlung in Destruktivität – und schließlich an das Weitergehen, Durchgehen (durch therapeutische oder andere heilende Begegnungen, durch kathartische Erlebnisse oder Leib und Seele einbeziehende Erkenntnisse), sein Wiederauftauchen, angereichert von alldem und an eine Möglichkeit der Heilung.

    Seine Gedichte erreichen durch die Beschränkung auf das Allernotwendigste und das Weglassen der üblichen Zuschreibungen, der üblichen Denkverführungen eine Konzentration, einen Gang nach innen in den Kernbereich des Erlebens, von dem aus dem Leser, der Leserin, die Celan zu folgen bereit sind, die Bewegung zurück nach außen möglich wird – es wird die Expansion möglich, das Entspannen und Ausatmen, das Wiedererschaffen und Wiedererleben einer Welt, die vorher scheinbar der Zerstörung und dem Vergessen ausgeliefert war.

    Die Texte, die wirklichkeitsnäher nicht sein könnten, werden in einer Öffentlichkeit der 50er bis 70er Jahre, in der die Verdrängung des Geschehenen und die Rechtfertigung der Täter dominieren, als verschlüsselt, abgehoben und unzugänglich diffamiert. Durch absichtliches Mißverstehen, Verdrehung der Tatsachen oder durch lobende Kritik im Sinne von erdrückender Umarmung wird versucht, den Autor als Person und Sprechenden auszulöschen.

    Paul Celan war nicht wie Reich so direkten und massiven Angriffen von Seiten der öffentlichen Institutionen, der Medien und der Regierung ausgesetzt. Im Gegenteil: es wurden ihm literarische Auszeichnungen zugestanden – allerdings unter der Voraussetzung einer mißverstehenden und verfälschenden Interpretation seiner Arbeit. Die Verfolgungen der emotionalen Pest, deren schleichendes Gift der Gleichgültigkeit und deren Unfähigkeit, zu fühlen, an denen Reich gestorben ist, lassen auch Paul Celan den Tod in der Seine suchen.

    ______________________

    Anhang:

    1) Karl Emil Franzos: „Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galicien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien“
    2) Winfried Menninghaus: „Czernowitz/Bukowina als Topos…“ in Merkur 600
    3) Ludwig von Schlözer, zit. in: „Versunkene Dichtung aus der Bukowina“
    4) Evelyn Scheer/Gert Schmidt: „Die Ukraine entdecken“
    5) Rose Ausländer: „Erinnerungen an eine Stadt“
    6) Israel Chalfen: „Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend“
    7)8)9) Wilhelm Reich: „Leidenschaft der Jugend“
    10) Israel Chalfen, s.o.
    11) Paul Celan: „Darmstädter Rede“
    12) Wolfgang Emmerich: „Paul Celan“
    13) Paul Celan: „Bremer Rede“

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    Bukumatula 2/2006

    Emotionale Reintegration – der sanfte Weg

    Ein Beitrag zur Körperpsychotherapie
    Buchbesprechung
    Wolfram Ratz:


    Einen Beitrag zur Körperpsychotherapie hat Peter Bolen jetzt auch in Schriftform abgegeben, nachdem er in Österreich schon über Jahrzehnte eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet eingenommen hat.

    Nach der „sexuellen Revolution“ in den 68er Jahren – die Begeisterung für Marx, Mao und den Klassenkampf wies Ermüdungserscheinungen auf – kam Mitte der 70er Jahre die „therapeutische Revolution“ nach Österreich – ein (Körper-)Psychoboom – ein Rückzug in die eigene Innerlichkeit – trat an die Stelle von Befreiungsutopien.

    In dieser Zeit entstanden Initiativen wie zum Beispiel die AIKE (Arbeitskreis für individuelle und kollektive Emanzipation), die bekannte TherapeutInnen aus dem europäischen und amerikanischen Ausland zu Vorträgen und Seminaren nach Wien einlud – und in jene Zeit fiel auch die Gründung des Wiener Wilhelm Reich Instituts, die 1982 von Peter Bolen initiiert wurde; 1986 gründete Peter Bolen den Verein „Emotionale Reintegration“, einige Jahre darauf war er Gründungsmitglied der AABP (Austrian Association for Bodypsychotherapy) und später mehrere Jahre Präsident der EABP (European Association for Bodypsychotherapy).

    Bereits Psychiater und Neurologe – begann Peter Bolen seine psychotherapeutische Ausbildung in dynamischer Gruppentherapie, der eine Gestaltausbildung und eine Ausbildung in Reichianischer Therapie folgten; Selbsterfahrung erfuhr er in Primärtherapie und in späteren Jahren in der klassischen Psychoanalyse: „Hier holte ich etwas nach, das ich in früheren Therapien vermisste: den sorgfältigen und behutsamen Umgang mit den frühen Verletzungen und das respektvolle, geduldige und liebevolle Umgehen mit der Scham und dem Schmerz des inneren Kindes durch meine Psychoanalytikerin“.

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    Bukumatula 4/2006

    Dafür und für den Regenbogen: Danke

    Nachruf auf Wolfgang Karner
    von
    Beatrix Teichmann-Wirth:

    Wolfgang Karner ist am Mittwoch, dem 16. August 2006 verstorben. Er hat mit seiner Persönlichkeit und mit seinem Einsatz einen prägenden Einfluss auf die Körperpsychotherapieszene in Österreich ausgeübt.- Beatrix Teichmann-Wirth hat für einen Nachruf einige ihm nahestehnde Personen gebeten, Erinnerungen an Wolfgang Karner festzuhalten.- Im Anschluß daran finden Sie ein Interview, das Christian Bartuska mit Wolfgang Karner im Jahr 1998 aufgezeichnet hat.

    Lieber Wolfgang,

    Erst jetzt, anlässlich deines Todes, habe ich mir überlegt, was du für mich wirklich warst: Freund aus alter Zeit, alter Kollege ….

    Eigentlich warst du für mich zumindest ein bisschen so was wie ein großer Bruder oder Cousin, älter, erfahrener, mir immer ein wenig voraus, du hast mich aber immer mitgenommen auf deinen Weg, mir gezeigt, wo es weiter gehen könnte.

    Und mir ist bewusst geworden, dass möglicherweise oder wahrscheinlich mein Leben anders verlaufen wäre, wenn wir uns nicht begegnet wären. Und ich bin sicher, dass du mit deiner Person und auch mit dem, was du organisiert hast, Einfluss genommen hast auf das Leben vieler Menschen. Und du hast ganz sicher entscheidende Impulse für die KörperPsychotherapie in Österreich gesetzt.

    Unsere ersten Begegnungen haben im Rahmen der Kritischen Medizin stattgefunden, wo du natürlich auch organisiert hast: Tagungen, Vorträge, Arbeitskreise – und für mich als linke Medizinstudentin war das klarerweise Pflicht. Meine Haltung in der Medizin ist bis heute von dieser medizin-kritischen Haltung beeinflusst, und ich kenne etliche KollegInnen, bei denen das so ähnlich ist.

    Einmal hast du mich dann mitgenommen zu einer Bioenergetik-Gruppe, in der Parkvilla in Purkersdorf, mit Peter Eedy, die wahrscheinlich auch wieder du organisiert hast.- Die Selbsterfahrungsgruppen haben mir eine neue Welt eröffnet – lebendig, alternativ und befreiend. Wir haben in der Folge viele Gruppen mit verschiedenen Trainern gemeinsam erlebt und sind damit durch das östliche Österreich gezogen, vom Waldviertel bis Vorau, von der Cselley-Mühle bis zum Nexenhof, und mit der Zeit habe ich auch mitorganisiert. Die tiefen Begegnungen, das sich Zeigen mit den alten, verborgenen Wunden und Verletzungen, das Erlauben der Sehnsüchte haben eine Verbundenheit geschaffen, die bestehen bleibt. Und ich war auch in der Gruppe, in der du Kitty kennen gelernt hast.

    Dann haben wir, nach langen und heftigen Diskussionen darüber, ob wir uns dem eigenen Innenleben, der eigenen Entwicklung zuwenden dürfen oder alle Energie in die politischen Arbeit stecken müssen, unter deiner Initiative und Anleitung die AIKE gegründet, den „Arbeitskreis für individuelle und Kollektive Emanzipation“. Du warst viele Jahre Vorsitzender, wir haben Workshops organisiert, das AIKE-Info herausgegeben, ein AIKE-Lokal gesucht, gefunden und hergerichtet; und du hast dir dabei immer viel an Arbeit aufgeladen.

    Später wurde dann das AIK gegründet, in dessen Rahmen du die erste Biodynamik-Ausbildung in Wien 1978 bis 1981 organisiert hast, danach meine (1980) und die nächste 1981. Und Jahre später dann gemeinsam mit Felix Hohenau, Franz Nest und Gerhard Lang die „W91“, eine Biodynamik-Ausbildung, die zu gleichen Teilen von den in Wien ansässigen und den Londoner TrainerInnen geleitet wurde.

    Du hast 1982 die Wilhelm Reich Tage organisiert, bei denen durch drei Wochen an der Universität, im Amerlinghaus und in der VHS Stöbergasse Vorträge, Diskussionen und Workshops stattgefunden haben. Du hast mitgewirkt bei den Bestrebungen des AIK, die Anerkennung der Körperpsychotherapie in Österreich zu erreichen.Du hast als Psychotherapeut und als Supervisor gearbeitet und später, gemeinsam mit deiner Frau Kitty, Aufstellungs-Arbeiten zum Thema „Täter-Opferfamilien“ im `Dritten Reich´ gemacht.

    Und all das zusätzlich zu deinem Vollzeit-Beruf im Bundeskanzleramt, wo du als Abteilungsleiter in der Regional- und Technologie-Politik entscheidende Impulse in der Regionalentwicklung gesetzt und die Errichtung zahlreicher Innovations- und Technologiezentren initiiert hast.

    Ich habe mich sehr gefreut, als du im vorigen Jahr der AABP beigetreten bist und bereit warst, mir in Gesprächen deine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Kurz darauf habe ich erfahren, dass du schwer erkrankt bist.

    Weiterleben nach dem Tod – das war für mich früher die Erinnerung an einen Menschen, das, was im Gedächtnis der Menschen bleibt. Aber es ist viel mehr: Du lebst im Herzen deiner Frau und deiner Familie weiter, du lebst in deinen Kindern weiter. Du lebst weiter in unserer Erinnerung und Verbundenheit und in dem, was du in uns und in der Gesellschaft bewirkt hast – und viel von deiner Arbeit wirkt durch uns auch auf andere Menschen weiter ….

    Lieber Wolfgang, ich danke dir.

    Elfriede Kastenberger

    Frühjahr, Sommer 1982, ein kleiner Büroraum im Dachgeschoss in der Annagasse, ein Schreibtisch voll mit Aktenstößen, auch sonst überall Türme von Akten, eine Thermoskanne, viel Kaffee und mitten drinnen: Wolfgang. Ein- bis zweimal pro Woche war ich bei ihm in seinem Refugium. Dann schob er ein paar Stöße zur Seite und wir arbeiteten an der Organisation der 1. Wiener Wilhelm-Reich-Tage.

    Wolfgang produzierte an so einem Nachmittag mehr Ideen als ich und einige weitere im Organisationskomitee in einer Woche bis zum nächsten Treffen umsetzen konnten. Das Problem war nicht, dass wir gute Ideen für interessante Veranstaltungen suchen mussten, unsere Aufgabe war viel mehr Wolfgang einzubremsen. Das gelang uns nur sehr zum Teil, denn das Ergebnis waren schließlich tägliche Veranstaltungen über einen Zeitraum von 3 Wochen: Unter der Woche gab es „Werkstattseminare“ im Amerlinghaus und im Schmida, am Wochenende Vorträge und Podiumsdiskussionen an der Uni und in der Urania.

    Wenn wir eine kurze Kaffeepause einschoben, machte sich Wolfgang sorgenvolle Gedanken, dass sich Kreisky nur noch mit Ja-Sagern umgab und dass die „Blauen“ bereits alle Vorkehrungen für eine Regierungsbeteiligung trafen. Diese Zusammenarbeit mit Wolfgang war eine anstrengende, aber unglaublich dichte und schöne Zeit für mich.

    Gerhard Lang

    Wolfgang Karner ist letzte Woche gestorben und erst mit seinem Tod, ist mir bewußt geworden, welche Bedeutung er für mich hatte. Wolfgang lernte ich kennen, als er schon den Grundstein zur AIKE gelegt hatte. Ein Mann der ersten Stunde, unermüdlich in seinem Streben, um die Anerkennung der Körperpsychotherapie kämpfend.

    Für mich war Wolfgang mehr als das: ein Humanist, ein Symbol für die Visionen unserer Jugend, ein Kämpfer für Werte, die heute vielleicht in den Hintergrund gerückt sind. Der Mann, der uns allen Boden gegeben hat und in uns weiter leben wird. Eine große Seele ist von uns gegangen. Der große Regenbogen, der am Tag seiner Beerdigung aufgegangen ist, ist ein Zeichen, dass Gott, wie immer es ihn geben mag, Wolfgang willkommen geheissen hat.

    Mercedes Köhler-Bourgeot

    Und plötzlich war er da, ein riesiger, den Himmel umspannender, in leuchtenden Farben strahlender Regenbogen – wie ein letztes Geschenk. Das Grab war schon mit Erde bedeckt, die Blumen liebevoll von Freunden und Nächsten darauf gelegt und der heftige Regen, der von Anbeginn des letzten Weges immer wieder auf uns nieder floß zu Ende gekommen – da tat er sich auf und ließ uns die Köpfe vom Erdboden zum Himmel heben.

    Vieles war gewürdigt worden von Menschen, welche neben die Urne traten und sich nochmal an Wolfgang wandten. Sein Engagement und seine Tatkraft ebenso wie sein Durchsetzungswille, seine Streitbarkeit und seine starke Liebeskraft – und immer wieder sein tiefes Interesse für den anderen – und seine Wärme.

    So wird er auch mir in Erinnerung bleiben, mit dieser großen Herzenswärme, welche jeden der wenigen Kontakte, welche ich mit ihm hatte, erfüllte. Dafür und für den Regenbogen: Danke.

    Betraix Teichmann-Wirth

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    Bukumatula 3/2006

    HANDBUCH DER KÖRPERPSYCHOTHERAPIE

    Buchbesprechung
    Dario Lindes:

    Autoren: Gustl Marlock, Halko Weiss
    Verlag: Schattauer; 1. Auflage (Mai 2006)
    gebundene Ausgabe: 972 Seiten, EUR 99.-
    ISBN: 379452473X

    Dieses gerade brandneu erschienene Buch hat keinen geringeren Anspruch als einen umfassenden Aufriss und eine Gesamtschau über die körperorientierte Psychotherapie von ihren Anfängen bis heute zu liefern – und erfüllt ihn auch vorzüglich. Dabei trägt es seinen Titel „Handbuch“ zu Unrecht, ist es doch nicht handlich: ein fetter Wälzer von fast 1000(!) Seiten – mit diesem Ausmaß reiht es sich locker in die Dimension vieler medizinischer Fachbücher ein. Ich meine, man prophezeit nicht zu falsch, wenn man sagt, dass dieses Buch wohl zu einem Standardwerk der körperpsychotherapeutischen Literatur werden wird.

    Aus dem PR-Text des Verlags: „Das Handbuch der Körperpsychotherapie bietet erstmals eine Gesamtübersicht über das weite Spektrum dieser Disziplin, die immer mehr Beachtung und Anhänger findet. Über 60 international renommierte Vertreter und führende Lehrer der verschiedenen Grundrichtungen stellen zentrale Gesichtspunkte körperpsychotherapeutischer Behandlung vor.

    Alle wichtigen Bereiche – von der Geschichte, über Theorie, Methodik und die praktisch-klinischen Aspekte bis hin zur Praxeologie – werden hierbei umfassend und aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet dargestellt. Den Autoren gelingt so eine schulenübergreifende Synopsis, die das breite Spektrum dieses Therapiekonzepts veranschaulicht, dabei aber schulenbetonte Ideologien vermeidet.

    Das Werk macht deutlich, dass die Körperpsychotherapie als Ganzes – auch wenn sie zunächst sehr bunt und heterogen erscheinen mag – durch ihren langen und gefestigten Erfahrungshintergrund sowie vielfältige therapeutische Ansätze substanzielle Beiträge zur Psychotherapie leistet und aus dieser nicht mehr wegzudenken ist …

    Diese erläuternden Worte gibt der Verlag seinem Buch mit auf den Weg – und für wahr, sie versprechen nicht zu viel.
    Interessant für uns Reichianer ist vor allem, dass unsere Reichianische Ecke auch nicht zu kurz kommt und durchaus prominent vertreten ist: gleich im Anfangsteil, dem historischen Abriss über die Geschichte der Körperpsychotherapie, räumen die Herausgeber dem Werk und der Bedeutung Wilhelm Reichs ein eigenes Kapitel ein (geschrieben von Wolf E. Büntig).

    Alsdann folgen Beiträge der bekanntesten Vertreter unserer Reich’schen Körperszene:

    • David Boadella„Soma-Semantik, Bedeutungen des Körpers“
    • Alexander Lowen„Die neurotische Charakterstruktur und das bewusste Ich“
    • Stanley Keleman„Die Reifung des somatischen Selbst“
    • Ron Kurtz„Körperausdruck und Erleben in der körperorientierten Psychotherapie“
    • Peter Geißler„Regression in der Körperpsychotherapie“
    • Ebba Boyesen (und Peter Freudl) „Die Entfaltung libidinöser Kräfte in der neoreichianischen Körperpsychotherapie“
    • Jack Lee Rosenberg„Segmentale Haltemuster im Körper-Geist-System“

    … und als Höhepunkte:

    • Eva Reich(mit Judyth O. Weaver) „Emotionale Erste Hilfe“
    • Heike Buhl„Orgonmedizin“

    Der Rest der Autorenreihe – es sind an die 60 – liest sich wie ein Who-is-Who der Körpertherapie, darunter Hilarion Petzold, Tilmann Moser, Jack Painter (bei dem ich meine Ausbildung gemacht habe), Courtenay Young, Guy Tonella, Günter Heisterkampu.v.a.

    Die beiden Herausgeber – Gustl Marlock, Pädagoge und psychologischer Psychotherapeut (spez. f. Kinder- und Jugendlichentherapie), Leiter von Weiterbildungen in unitiver integrativer Körperpsychotherapie, Dozent und Supervisor für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie – und Halko Weiss, Psychologe und psychologischer Psychotherapeut, Mitbegründer des Hakomi-Instituts in Boulder, Colorado, und Direktor des europäischen Hakomi Institutes, sind zur Zeit mit dem Aufbau eines Europäischen Kollegs für Körperpsychotherapie („European College for Somatic Psychotherapy“ ECSP) beschäftigt, das eine qualifizierte, schulenübergreifende Weiterbildung in Körperpsychotherapie ermöglichen soll. (www.somaticpsychology.org)

    Das Buch ist ein Kompendium aller therapeutischen Richtungen, Schulen und Gedankenimpulse. Es gliedert sich in 13 Hauptteile mit insgesamt 99 Unterkapiteln und behandelt auch „Klinische Aspekte“ (Hauptteil VII), „Behandlung spezifischer Störungen“ (IX), „Erweiterte Anwendungsgebiete“ (X), „Fallstudien“ (XI) und „Schnittstellen mit anderen Formen der Psychotherapie“ (XII).

    Sicher keine leicht lesbare Bettlektüre, vielmehr ein fundamentales Nachschlagewerk für die therapeutische Alltagspraxis; und so wird (und soll) es auch den öffentlichen Diskurs um die Anerkennung von körpertherapeutischen Formen für die Psychotherapie fördern. Eine Pflichtlektüre für jeden Körpertherapeuten!

    Abschließend noch 3 Kommentare von Fachleuten, die es in ihren Worten besser auf den Punkt gebracht haben als ich es je könnte:

    Courtenay Young, Präsident der European Association of Body-Psychotherapy (EABP): „Dies wird eines der definitivsten Bücher zur Körperpsychotherapie werden, die je verlegt wurden. Endlich haben wir ein Werk, das fast alle wichtigen Themen und Fragen unseres Feldes einschliesst, sowie beinahe alle seine herausragenden Vertreter. Die EABP und der Rest der Körperpsychotherapiewelt hat lange auf dieses Buch gewartet, und es wird zweifellos zu dem Prozess beitragen, die Körperpsychotherapie als eine grosse und bedeutsame Strömung in Psychologie und Psychotherapie zu etablieren.“

    Dirk Revenstorf, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Tübingen, Vorstand der Milton-Erickson-Gesellschaft: „Der Reichtum und die Komplexität der Konzepte der KPT ist von den anerkannten Richtungen der Psychotherapie lange Zeit übersehen worden. Diese Buch zeigt erstmals das breite Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten der Körperpsychotherapie und leistet zur Vertiefung der Praxis und Theorie der Psychotherapie im Allgemeinen einen wichtigen Beitrag im richtigen Moment.“

    Gerald Hüther, Prof. für Neurobiologie an der Universität Göttingen: „Dieses Handbuch führt endlich zusammen, was zusammengehört. Gehirn und Körper sind untrennbar miteinander verbunden, nicht nur anatomisch, sondern auch durch ihre gemeinsame Entwicklungsgeschichte. Und weil die im Lauf des Lebens gemachten Erfahrungen immer auf beiden Ebenen, im Gehirn und im Körper, strukturell verankert sind, bleibt jede psychotherapeutische Intervention, die den Körper nicht mit einbezieht, nur eine Teilbehandlung.“

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    Bukumatula 4/2006

    Orgontherapie – ein Handbuch der Lebensenergie-Medizin

    Buchbesprechung
    Olga Hausar:

    Autor: Heiko Lassek
    Verlag: U. Leutner, Berlin; 2. Auflage (2005)
    broschürte Ausgabe: 220 Seiten, EUR 18,60
    ISBN: 3-934391-23-0

    Seit fast 30 Jahren begleitet mich das Wissen von Wilhelm Reich und seiner Arbeit durchs Leben. In den letzten Jahren ist aber die Hoffnung auf eine Veränderung im Sinne Reichs immer kleiner geworden. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war ich wie im Dornröschenschlaf. Ich weiß um die Orgonenergie, ich lebe intensiv in und mit der Natur und kann täglich Ereignisse beobachten, die sich durch die Orgonenergie erklären lassen – und ich war lange der Meinung, daß sogar die Leute vom Wilhelm Reich-Institut in einem gleichartigen Schlaf liegen – und bitte gleichzeitig alle um Entschuldigung.

    Da kam in einer besonders müden Zeit das „bukumatula“ mit dem Hinweis, daß das Buch „Orgontherapie – Ein Handbuch der Lebensenergie-Medizin“ in einer neuen Auflage erschienen und über das Wilhelm Reich Institut zu beziehen ist. Nachdem ich bei Arno Schmidt gelesen habe, daß man im Laufe seines Lebens höchstens 3000 Bücher lesen kann, habe ich sowieso schon Panik, meine Lesezeit mit schlechter Literatur zu verschwenden. So habe ich das Buch bestellt, gelesen – und es hat mich aufgeweckt.

    Ich mag es, wenn jemand sein Wissen auf einfache, klare Weise erklärt und nicht kompliziert herumredet. Heiko Lassek macht das großartig. Schon in der dreiseitigen Einführung bekommt der Leser eine Fülle an Information über Wilhelm Reich, die von ihm entdeckte Lebensenergie und die Möglichkeiten der Nutzung. Das Buch beruht auf den Erfahrungen von Heiko Lassek als Arzt und Grundlagenforscher, die er in mehr als 20 Jahren gesammelt hat.

    Im 1. Kapitel wird sowohl der Mensch Wilhelm Reich von der Kindheit an, als auch die Entwicklung seiner Arbeit – angefangen bei der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung über Charakteranalyse, Sexualhygiene, Bionforschung, Entdeckung der Orgonenergie, Krebsforschung bis hin zu seinem Spätwerk – sehr kurz, aber im Wesentlichen vorgestellt, sodaß auch ein Leser, der Wilhelm Reich noch nicht kennt, neugierig werden muß und mehr davon wissen will. Für den bereits „Eingeweihten“ ist es eine klare Form der Erinnerung.

    Im 2. Kapitel wird näher auf die Grundbegriffe aus Reichs Theorie eingegangen und sein Forschungswerk in drei Phasen vorgestellt. Es bietet auch Möglichkeiten der Nutzung für ein neues Verständnis von Krankheit und Gesundung, wie schon die Überschrift lautet.

    Der Wiederentdeckung des Gesamtwerks von Wilhelm Reich ist das 3. Kapitel gewidmet. In den 60iger Jahren war Reich plötzlich bei Studentenbewegungen und Kommunen wieder im Gespräch, obwohl sein Konzept der Sexualität verfälscht wurde.

    Heiko Lassek erzählt wie er selbst durch die Lektüre von Ola Raknes („Wilhelm Reich und die Orgonomie“) begonnen hat zunächst Physik und dann Medizin zu studieren. Und wie es dazu kam, daß er mit Gleichgesinnten die „Wilhelm Reich Initiative Berlin“ gegründet hat – mit einer Vortragsreihe über das Gesamtwerk Wilhelm Reichs, welches Interesse diese gefunden hat und über die Arbeitsgruppen, die in der Folge entstanden sind. Die Bionforschung rückte immer mehr in den Mittelpunkt und Ende der 70iger, Anfang der 80iger Jahre gelang es einer Gruppe Medizinstudenten um Heiko Lassek die Bionexperimente nachzuvollziehen. Dazu gibt es im Buch gute Abbildungen. Für mich war es ein sehr, sehr beeindruckendes Erlebnis bei einem Vortrag mit Filmvorführung zu diesem Thema dabei zu sein – sehr empfehlenswert! Heiko Lassek schildert die Konsequenzen der Bionforschung, die Entdeckung der T-Bazillen, die beim bionösen Zerfall von menschlichen Körperzellen entstehen, wie sich daraus der lebensenergetische Bluttest nach Reich entwickelt hat und den Einsatz des Orgonakkumulators, den schon Reich zur Krebsbehandlung verwendet hat. Die Berliner Arbeitsgruppe hat diese Behandlungsmethode als erste medizinische Gruppe nach dem Tod Wilhelm Reichs überprüft.

    Die Erfahrungen mit der Behandlung von schwerkranken Menschen mit Orgonenergie und –therapie wird im 6. Kapitel beschrieben – so berührend, daß ich meine jeder sollte es selber lesen (Seite 145).

    Davor, in Kapitel 4, beschreibt Heiko Lassek anschaulich und gut verständlich drei Energietypen des menschlichen Körpers mit ihren verschiedenen Reaktionsweisen auf die Störung des Energieflusses und bietet Übungen an, um die Energie wieder ungestört fließen zu lassen.

    In Kapitel 5 kann man eine Zusammenfassung der Ergebnisse der ersten klinischen Untersuchung zur Orgontherapie lesen, die der Psychologe Wolfgang Runge (Technische Universität Berlin) 1996 in seiner Diplomarbeit erstellt hat.

    Die Überschrift des 7. Kapitels lautet „Kontraindikationen und Gefahren“.- Orgontherapie gilt nicht als Wundermittel und Heiko Lassek gibt in diesem Abschnitt des Buches Warnhinweise zur Orgontherapie und Orgongeräten.

    Das Nachwort: Gedanken und Anregungen zum orgontherapeutischen Konzept bildet Kapitel 8 und wirft folgende Fragen auf:

    • Auf welche Art wirkt Orgonenergie?
    • Das Nervensystem als selbstorganisiertes, in sich geschlossenes System
    • Die Hierarchie des Wahrnehmungsfeldes nach Rupert Sheldrake
    • „Orgastische Impotenz“
    • Wie beeinflusst das Menschenbild des Behandelnden die Felder im behandelten Organismus?
    • Abgrenzung der Orgontherapie von psychosomatischer Medizin und Psychologie

    Im Anhang gibt es noch eine Bauanleitung für Orgongeräte mit Arbeitsablauf, Materialliste und Skizzen.
    Wie bei einer spannenden Geschichte wollte ich nicht zu viel verraten, sondern neugierig machen. Ich hoffe, das ist mir gelungen.

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  • Buk 3/06 Auszeit braucht Einkehr

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    Bukumatula 3/2006

    Auszeit braucht Einkehr

    Zur Eröffnung des Präventionszentrums in Bad Pirawarth
    von
    Regina Hochmair:

    Erstmals kann in Österreich RADIX® und FA (Funktionale Analyse) im stationären Rahmen zum Einsatz gebracht werden. Beide Verfahren basieren auf den Arbeiten Wilhelm Reichs. Aufgrund meiner Weiterbildung in Verhaltenstherapie wird das psychotherapeutische Angebot „Körper/Verhaltenstherapie“ (KVT) genannt. Autonomie, Lösungsorientiertheit im Umgang mit Problemen, sowie Unterstützung bei der Entwicklung und Verwirklichung von Zielen sollen damit als wesentliche Merkmale genannt sein.

    Die stationäre Behandlung richtet sich an Menschen, die stressbedingten Folgeerkrankungen, körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung, Angsterkrankungen, Depressionen, chronischen Schmerzen, chronischen Hauterkrankungen, Burnout, Adipositas sowie psychosomatischen Erkrankungen vorbeugen möchten.

    In einem 14-tägigen Programm wird mit der AUSZEIT-KUR eine spezielle Zielgruppe angesprochen: Menschen, die aufgrund ihrer übermäßigen Anforderungen Burnout gefährdet sind. Da das Präventionszentrum als Kurhotel geführt wird, sprechen wir von Gästen.

    In zwei Wochen erhalten die Gäste eine Arztkonsultation und 6 Einzelsitzungen. Sie nehmen an 4 Gruppensitzungen, Entspannungstherapien und an der Kreativgruppe teil. Es besteht die Möglichkeit Cranio Sacrale Therapie, Kneipptherapie, Ernährungsberatung und Ganzheitstherapien (Ayurveda, Öldispersionsbäder nach Junge, WATSU – Wasser-Shiatsu), sportwissenschaftliches Training und Beratung zusätzlich zu machen. Physiotherapie, Massagen, Hydrotherapie, Elektrotherapie sowie ärztliche und psychologische Leistungen können genutzt werden.

    Selbstverständlich kann ein zweiwöchiger Aufenthalt nur als Impuls verstanden werden. Eine Weitervernetzung mit ambulanten bzw. niedergelassenen Therapeuten macht natürlich zur Stabilisierung und Nachhaltigkeit des eingeleiteten Veränderungsimpulses Sinn.

    Wir unterscheiden uns von den herkömmlichen Wellnesseinrichtungen dadurch, dass in Bad Pirawarth auch eine intensivere medizinische Betreuung gewährleistet ist und dass wir offen für komplementäre Behandlungsmethoden sind, die wir sehr individuell abstimmen können.

    Das Präventionszentrum Pirawarth liegt eingebettet in den alten Kurpark in unmittelbarer Nachbarschaft der dazugehörigen renommierten neurologischen Klinik Pirawarth.- Im Haus befindet sich auch ein Heilwasserbrunnen. Das Heiltrinkwasser ist seit 1376 bekannt und heute ein wissenschaftlich anerkanntes Heilmittel gegen Sekretionsanomalien des Magens und entzündlichen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.- Das heiße Jod-Sole-Thermalwasser bewährt sich bei der Behandlung von Hauterkrankungen.

    Mit der sogenannten Pirafit-Methode werden adipöse Gäste behandelt. Ausgehend von dem „Schlank ohne Diät“-Programm wurde es von Ernährungsexperten des Institutes für Sozialmedizin der Universität Wien zusammengestellt.- Das Haus hat auch eine orthopädische Rehabilitationsstation.

    Warum die spezielle Zielgruppe?

    In einer Zeit stets wechselnder Anforderungen bekommt Ausgeglichenheit einen neuen Stellenwert.
    Verantwortungsvolle Menschen erkennen, wann es „Zuviel“ ist und erlauben sich eine kreative Schöpfungspause. Sie ziehen sich aus den Verpflichtungen zurück, um Kräfte zu sammeln, damit diese für die alltäglichen Anforderungen in Beruf und Privatleben wieder verfügbar sind.

    Dies ist dann möglich, wenn sie ihre persönlichen Leistungsgrenzen kennen. Es gibt Zeiten, in denen sie auch bereit und willens sind, persönliche Bedürfnisse aufzuschieben, da vermehrte Anforderungen dies abverlangen. Dies gelingt umso leichter, wenn der Zeitraum der Mehrarbeit überschaubar ist und die Entlohnung für den Mehraufwand folgt. Dies kann materiell oder durch Anerkennung und Bestätigung der erbrachten Leistung sein.

    Mit der Rückkehr in ein tragendes Beziehungsnetz wie Familie, Partnerschaft, Freundeskreis, befassen sie sich mit Beziehungsthemen. Das nach Hause kommen, was immer das für jeden persönlich bedeutet, wird als die Zeit des Innehaltens, der Einkehr, eingebettet in eine sichere Umgebung, erlebt. Private Beziehungen werden gepflegt und sie können den eigenen Neigungen nachgehen. Sie nehmen sich Zeit für den Urlaub, weil sie reif dafür sind. Jede, jeder hat im Laufe der Zeit Methoden gefunden, durch Ruhe, Besinnung und Sammlung in einem ausgewogenen Gleichgewicht zu aktiven Phasen zu stehen.

    Zeiten des Wechsels sind labile Zeiten. Ganz natürlich bewegen sie das Leben und fordern die zur Bewältigung nötige Flexibilität von uns ab. In unserer beschleunigten Zeit nimmt jedoch auch die Frequenz der Wechsel zu.
    In diesen unruhigen Zeiten gerät das Taktgefühl für Erholungsbedürfnis und Aktivität aus dem Rhythmus. Viele Menschen leben jahrzehntelang in der Gewissheit, alles im Griff zu haben, wenn sie sich nur mehr anstrengen und härter arbeiten.

    Dabei wird die Willens- und Durchsetzungskraft gestärkt, die Leistungsspirale höher gedreht und die Befriedigung aus dem Schaffen gezogen, bis der Circulus Vitiosus aus Anforderung-Bewältigung und Anerkennung kippt und der Kraftverzehr in eine schneller und enger werdende Negativspirale zieht. Eine Kette aus Anstrengung, Ermüdung, Selbstzweifel, subjektiven Misserfolgen und Dauerstress, lässt den Schaden nicht mehr verbergen. Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem schmerzlich festgestellt werden muss, wie die körperliche Ermüdung fortgeschritten ist und die innerliche Erschöpfung zugenommen hat.

    Beziehungen sind bereits in Mitleidenschaft gezogen. Die Grenzen der eigenen Bemühungen sind schon lange überschritten. Noch wird alle Kraft in die Verhinderung des privaten und beruflichen Misserfolges investiert und der Zustand, der in den 70er Jahren von Herbert Freudenberger mit dem Begriff BURN-OUT geprägt wurde, geleugnet. Unrealistische Erwartungen an den eigenen Arbeitserfolg, übertriebene Anforderungen an sich selbst, eine Überschätzung der eigenen Kräfte und Möglichkeiten haben dazu geführt. Ausbleibender Erfolg wird durch noch mehr Engagement und dem Gefühl der Unentbehrlichkeit ausgeglichen und durch Hyperaktivität ersetzt.

    „Erholung“ findet bei übermäßigem Alkoholkonsum oder mit anderen Drogen, zuviel Essen und beim Zappen der Fernsehsteuerung statt.

    „Burn-Out“ ist ein Reaktionssyndrom, das aus Aufgaben-, Personenmerkmalen und ständig wandelnden Arbeitsbedingungen resultiert. Es muss als eine spezifische Form der Bewältigung oder Lösung von Konflikten, Problemen oder Aufgaben verstanden werden.

    Die häufig arbeitsplatzbezogenen Beschwerden alleine genügen aber nicht, um ein Burn-Out-Syndrom entstehen zu lassen. Den „Burn-Out-Mix“, bestehend aus emotionaler Erschöpfung, negativ-zy-nischer Einstellung anderen Menschen gegenüber und Zweifel am Sinn der eigenen Arbeit, erleiden Arbeitnehmer vor allem auch in jenen Berufen, in denen eine emotional engagierte Hinwendung zu anderen Menschen gefordert ist. Bleiben dann trotz hoher Verausgabung sichtbare Erfolge aus und kann dies nicht durch Anerkennung von anderer Seite kompensiert werden, kann es zur so genannten Gratifikationskrise kommen. Die berufliche Eignung der eigenen Person wird angezweifelt und die Arbeit als solche als sinnlos erachtet.

    Mittlerweile gibt es kaum eine Berufsgruppe die von der Burn-out Gefährdung nicht betroffen wäre.
    Das Pulsationsmodell Wilhelm Reichs, wie es von Kelley und Davis mit unterschiedlicher Gewichtung – bezogen auf den Outstroke und Instroke beziehungsweise hinsichtlich der Arbeitstechnik weiterentwickelt wurde, bietet einen griffigen Ansatz für das Verständnis des Burn-out–Zyklus an. Eine genauere Untersuchung dieses Zusammenhanges halte ich für sinnvoll und kann im neuen Präventionszentrum zur Verwirklichung kommen.

    Es freut mich Euch dies mitteilen zu können.

    Information:
    Präventionszentrum Kurhotel Pirawarth
    A-2222 Bad Pirawarth, Kurbadstraße 100
    Tel.: 02574/29160 836
    www.kurhotel-pirawarth.at
    info@kurhotel-pirawarth.at
    hochmair@kurhotel-pirawarth.at

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    Bukumatula 4/2006

    Der widerspenstige Entdecker der Lebensenergie

    Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Birgit Johler über eine Wilhelm Reich-Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien im Herbst 2006
    Wolfram Ratz:


    Wolfram Ratz: Du warst Ende Juli dieses Jahres in den USA. Was war der Zweck Deiner Reise?

    Birgit Johler: Ich war drei Wochen dort. Zuerst war ich in Washington und habe mir in der Library of Congress angeschaut, was es zum Thema Reich gibt; und dort gibt es Dokumente, die Reich damals den Freud-Archivs übergeben hat. Ich bin dann mit einem Mietwagen nach Maine gefahren.

    Oder fangen wir anders an: Ausschlaggebend für meine Reise war eine geplante Ausstellung über Wilhelm Reich, die nächstes Jahr im Herbst im Jüdischen Museum in Wien gezeigt werden wird. Ich habe schon vor einiger Zeit mit dem Wilhelm Reich-Museum in Orgonon Kontakt aufgenommen, wissend, dass es dort Objekte für die Ausstellung gibt, die ich gerne haben würde. Ich bin dann von den Leuten dort eingeladen worden, um das Ausstellungsprojekt vorzustellen.

    Das habe ich sehr gut mit Recherchen vor Ort verknüpfen können. Das heißt, ich habe an einer Konferenz teilgenommen, habe mein Projekt vorgestellt und das Museum nach Ausstellungsstücken durchforstet. Ich war eine Woche lang dort und habe anschließend Eva Reich und ihre Tochter Renata in Hancock besucht. Und danach Peter Reich in Boston.

    W: Du organisierst die Ausstellung über Reich. Bist Du selbst auf die Idee dazu gekommen oder ist da jemand an Dich herangetreten?

    B: Das war meine eigene Idee. Ich bin Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Ausstellungsmacherin. Ich habe z.B. im Freud Museum bei zwei Ausstellungen mitgearbeitet: bei der diesjährigen Jubiläumsausstellung zu Sigmund Freud und bei „Freuds verschwundene Nachbarn“; ich arbeite aber selbständig.

    Ich hatte schon vor zwei Jahren die Idee – anläßlich der Wiederkehr des 50. Todestages Wilhelm Reichs und der Öffnung des Reich-Archivs im nächsten Jahr – eine Ausstellung zu machen, auch als Antwort auf Sigmund Freud. Ich bin an das Jüdische Museum herangetreten und nicht an das Freud-Museum, weil ich einfach nicht nur eine psychoanalytische Ausstellung machen wollte, sondern mehr Aspekte zu Reichs Arbeiten zeigen will. Ich war sehr glücklich, dass sich die Verantwortlichen entschlossen haben die Ausstellung zu machen.

    W: Was hat Dich auf Deiner Reise durch die USA beeindruckt?

    B: Was mich sehr beeindruckt hat war „Orgonon“, wo sich Reich niedergelassen hat und dessen Umgebung. Das Observatorium, das früher auch sein Arbeitsraum war, das ist ein ganz starker Ort; da ist man schon beeinflußt, positiv beeinflußt. Er hat sich ein sehr schönes Stück Land ausgesucht und hat schon gewußt, warum er dorthin geht und damit weit weg von allem war, von dem er nichts mehr hören wollte.

    Ich denke, er ist so weit in den Norden gezogen, damit die Leute aus New York nicht dorthin kommen. Beeindruckt war ich auch von Eva Reich die eine ganz entzückende Frau ist und die mir sehr aufmerksam zugehört hat, was wir in Wien vorhaben. Auch Peter Reich habe ich als tolle Persönlichkeit erlebt; die Begegnung mit ihm war für mich sehr bereichernd.- In Orgonon habe ich Dinge gefunden, die für Reich stehen und die ich für die Ausstellung nach Wien kommen lassen will. Das schaut ganz gut aus; es gibt eine gute Basis für eine Zusammenarbeit.

    W: Was wird man in der Ausstellung sehen können?

    B: Das muß erst ausverhandelt werden. Es gibt Objekte wie den „Medical Dor-Buster“, den Reich gebaut und verwendet hat, oder kleine Prototypen von „Cloudbustern“ die Tom Ross gebaut hat. Natürlich auch Fotos und Filme. Genaueres werde ich in den nächsten Monaten wissen.

    W: Mein Freund Douglas, der anläßlich eines USA-Besuchs vor drei Jahren beim Vorbeifahren zufällig auf das Museum aufmerksam geworden ist, hat „Orgonon“ ein wenig provinziell, ein wenig heruntergekommen dargestellt.

    B: Man darf nicht vergessen, dass das Museum von nur 700 Leuten im Jahr besucht wird. Es verfügt über wenig Geldmittel und bekommt kaum Förderungen – und dafür finde ich es schon o.k.- Man kann sich darüber unterhalten, ob es gut ist einen Raum so zu belassen, wie Reich ihn verlassen hat, oder ihn zu verändern.

    Aber es ist schon ein sehr starker Ort. Wenn man oben im Observatorium steht, die Fenster geöffnet sind und man die schöne Landschaft sieht – und man spürt, dass die Proportionen der Räume angenehm sind, dann ist das schon beeindruckend. Es hat alles seinen Platz. Es ist – wie bei solchen Orten üblich – eine Art Gedenkstätte. Ich war noch nicht im Freud-Museum in London, aber da zeigen sie Ähnliches. Ich habe mitgeteilt bekommen, dass man noch die Delle im Kissen sieht, auf dem Freud bei seinem Ableben mit dem Kopf gelegen hat.- Es ist eigentlich eine Art Wallfahrtsstätte – aber das hat mich in Orgonon nicht so bedrückt.

    W: `Wallfahrtsstätte´ klingt irgendwie nach geschehenen Wundern.

    B: Die Leute kommen – so wie in das Sigmund Freud-Museum in Wien oder in London, weil sie irgendetwas von der Person `erspüren´ wollen, die sie verehren.- Nach Orgonon kommen Leute aus unterschiedlichsten Motiven, z.B. weil sie Reichs Arbeit sensationell finden. Das haben manche im Hinterkopf und kommen dorthin, wenn sie in der Gegend sind. Aber es kommen auch Leute dorthin, die Reich nicht kennen oder schätzen, einfach ausNeugierde.

    W: Du hast dann Eva Reich in Maine besucht.

    B: Ja, einen Nachmittag lang. Sie ist mehr oder weniger bettlägerig und vergesslich. Ich weiß nicht ob das Alzheimer ist oder Altersvergesslichkeit. Aber sonst war sie sehr wach und hat mit Aufmerksamkeit meinen Erzählungen zugehört. Sie hat von ihrer Zeit in Orgonon erzählt, aber nicht sehr viel. Das Gespräch hat sie sehr angestrengt. Ich habe mich vorwiegend mit ihrer Tochter Renata unterhalten.

    Wir haben mehrere Fotoalben durchgesehen, von denen ich einige Bilder auch in der Ausstellung zeigen möchte. Eva Reich war recht munter, schien aber nach einer halben Stunde überanstrengt zu sein.- Erinnerungen an Wien oder Deutschland waren keine mehr da. Auch nicht an dramatische Erlebnisse wie die FDA-Kampagne gegen ihren Vater. Da haben wir einfach nicht mehr weiter darüber gesprochen.

    W: Wie bist Du eigentlich auf Wilhelm Reich gestoßen?

    B: Für mich spannend ist die `Person´ Reich, die so widerspenstig ist. Es gibt einfach ein Interesse an Personen, die so waren wie er, die sich z.B. für die Arbeiter eingesetzt haben, sozialistisch aktiv waren, auch kommunistisch aktiv waren. Ich möchte den Bogen weiter spannen bis zu seiner Zeit in Orgonon – was eine große Herausforderung ist -, ihm andererseits aber gebührt.

    Eine Ausstellung über seine Zeit und sein Leben in Wien zu machen wäre einfacher, aber nur eine halbe Sache. Was ich in der Ausstellung zeigen möchte ist, dass er etwas gefunden hat – nämlich die `Lebensenergie´ -, die ja etwas Positives ist und er damit in seinem Suchen nicht allein dasteht. Es gab vor ihm und auch nach ihm Modelle der Lebensenergie und auch andere Modelle, z.B. der Wetterbeeinflussung; also er ist nicht der einzige, der sich damit beschäftigt hat. Das heißt, ich möchte ihn mit meiner Ausstellung auch ein bißchen `herunterholen´.

    In meiner Ausstellung möchte ich auch nicht alte Geschichten erzählen, wie z.B. seinen Ausschluß aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, sondern möchte einen neuen Blick auf seine Person werfen. Was ich vorweg verraten möchte ist, dass es zentral um das Thema `Energie´ gehen wird. Das ist für mich ein roter Faden, der sich durch die Ausstellung ziehen wird. Das ist mein Zugang.

    W: Hast Du nicht die Befürchtung, dass unter Umständen, allein wenn der Name Reich auftaucht, von vornherein Kritiker auf den Plan gerufen werden, dass es eine massive Ablehnung gibt?

    B:Natürlich wird es die geben – und ich bin schon gespannt in welcher Intensität. Andererseits finde ich es toll, dass das Museum diese Ausstellung machen will. Es soll ja nicht so sein, dass ich Reich bewerte. Die Kritiker, die dann kommen und sagen „Was fällt Euch ein“ haben vorgefasste Meinungen und kennen die neuralgischen Punkte. Die werden wohl auch in der einen oder anderen Form zur Sprache kommen.

    Aber es geht für mich darum, den Kern seiner Arbeit zu treffen. Und das ist für mich beispielsweise auch seine Arbeit in Wien zur Neurosenprophylaxe, sein Bemühen nicht nur einigen wenigen gut situierten Leuten zu einem besseren Befinden zu verhelfen, sondern großflächig zu helfen – und da hat Reich einiges geleistet, was wir auch zeigen werden.

    W: Und auch zum `späten´ Reich, wo dann z.B. UFOs auftauchen?

    B: Das ist ein Aspekt, den ich eher weglassen werde, weil das für mich ein relativ marginaler Punkt in seiner Arbeit ist. Aber wenn sich da jemand festbeißt, dann sage ich: ja, viele andere Leute haben damals auch UFOs gesehen, Reich war da nicht der Einzige. UFOs waren in jener Zeit eine hoch angesetzte politische Angelegenheit. Ihm wird das halt angekreidet.

    Ich kann jetzt auch kein Krankheitsbild von ihm erstellen, wie das vielleicht manche haben wollen, da sollen sich die Leute selber eine Meinung bilden. Mir geht es darum zu zeigen, dass er jemand war, der versucht hat zu helfen, zu heilen, und er hat einen Weg eingeschlagen, der für viele fragwürdig war, für viele aber auch versuchenswert war – und er hat die Körpertherapie beeinflußt …

    W: … er war sozusagen der `Vater´ der Körpertherapie …

    B: … genau, er war wesentlich dafür verantwortlich. Das sind die Dinge, die ich zeigen möchte und nicht andere Sachen, auf denen immer herumgeritten wird; ich will keine Verschwörungstheorien o.ä. hineinlassen. Das ist wahrscheinlich für mich von Vorteil als jemand, der ein bisschen von außen kommt und vielleicht auch jünger ist und sich mit diesen Dingen nicht beschäftigen will.

    W: Noch eine Frage zu Deiner Person. Du bist gebürtige Vorarlbergerin und bist aus der Ortschaft Alberschwende nach Wien gekommen.

    B: Ich bin 1992 nach Wien gekommen und habe Europäische Ethnologie studiert. Ich habe dann bei verschiedenen Projekten mitgearbeitet; habe eine Ausstellungen im Volkskundemuseum über `Übergangsrituale´ gemacht, habe beim ORF verschiedene Sachen gemacht, habe die zwei Ausstellungen im Freud Museum wesentlich mitkuratiert und leite jetzt nebenher ein Forschungsprojekt zu `Jüdische Nachbarschaft´ im 9. Bezirk und habe unlängst auch bei einem Dokumentarfilm mitgewirkt der im Fernsehen gelaufen ist und demnächst ins Kino kommt.. Das war auch eine Geschichte über Freud und seine Mitbewohner im Haus. So bin ich langsam in die Geschichte der Psychoanalyse hineingewachsen, eigentlich hineingelaufen.

    W: Und Du bist gerne in Wien?

    B: Ich bin sehr gerne in Wien. Ich habe mich nach meinem USA-Aufenthalt wieder sehr nach Wien gesehnt. Ich habe hier viele Freunde und Bekannte und finde es als Kulturschaffende hier sehr anregend; das würde in Vorarlberg recht schwierig sein.

    W: Schön. Danke Birgit für das Gespräch.

    B: Das war´s schon?

    W: Vielleicht kannst Du noch sagen von wann bis wann die Ausstellung in Wien zu sehen sein wird.

    B: Die Ausstellung in Wien wird am 10. Oktober 2007 eröffnet und läuft bis 31. Jänner 2008. Sie ist als Wanderausstellung geplant. Für mich war das von vornherein klar, weil Reich an vielen Orten gelebt und gearbeitet hat. Ich würde sie gerne nach Berlin bringen, nach Skandinavien und ich würde sie natürlich sehr gerne nach Amerika bringen, was – wie ich jetzt gemerkt habe – nicht so einfach ist, weil es dort Ressentiments Reich gegenüber gibt.

    Es dürfte in Europa mehr Interesse an seiner Person geben, aber wenn wir es schaffen hier in Europa Erfolg zu haben, dann ist es auch leichter, den Sprung nach Übersee zu schaffen. Psychoanalytische Kreise in Paris haben auch Interesse an der Ausstellung bekundet – wir sind da bereits im Austausch, vielleicht könnte das nach Wien die erste Destination sein. Die Ausstellung könnte idealerweise den Orten, an denen Reich gewirkt hat, folgen.

    W: Man könnte sie ja auch in Czernowitz zeigen.

    B: Natürlich. Dort würde ich selbst sehr gerne einmal hin, das wäre ganz toll.- Die Ausstellung werde ich aber mit Reichs Ankunft in Wien beginnen lassen – mit Reichs Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg. Reich war ja einer von wenigen späteren Psychoanalytikern, die am Krieg teilgenommen haben und der an einer der härtesten Fronten, der italienischen, mitgekämpft hat – und dann nach Wien gekommen ist, um zu studieren; zunächst Jus und dann Medizin.

    Das ist der Einstieg in diese Ausstellung. Inwieweit Reichs Kindheit und Jugend hineinkommt, weiß ich noch nicht. Die Ausstellung wird drei Monate laufen. Wir möchten auch ein Rahmenprogramm anbieten, das vermutlich auch für Leute, die eure Zeitschrift lesen, interessant sein wird. Das ist das was ich im Moment sagen kann und sagen möchte.

    W: Einiges bleibt noch geheim?

    B: Ja, genau, man darf nicht zu viel verraten.
    _______________________________________________________

    „Mit großer Mühe hat das britische Verteidigungsministerium jahrelang lästige Wissenschaftler abgewimmelt. Irgendeine Abteilung, ahnten die neugierigen Frager, beschäftigt sich mit UFOs. Doch das Ministerium leugnete hartnäckig. Jetzt musste man zugeben: Über 30 Jahre lang erforschte die Geheimabteilung D155 „Unidentifizierte Flugobjekte“. Und weil man fürchtete, die Bevölkerung würde dies nicht schätzen, versuchte man noch schnell, die Unterlagen verschwinden zu lassen.“ (KURIER-Artikel vom 27.9.06 über „Heimliche Forschungen“)

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    Bukumatula 4/2006

    Ein Besuch in Orgonon

    Notizen eines Gesprächs mit Veronika und Douglas Deitemyer in der WRI-Küche.
    Wolfram Ratz

    An einem warmen Sommertag im Juli 2002, auf der Fahrt vom Norden Maines nach Maryland, sahen wir plötzlich ein Schild mit dem Hinweis „Wilhelm Reich Museum“. Mir war Reich insofern vertraut, als ich früher mit Wolfram Zimmer und Küche teilte und Gäste wie Myron Sharaf, David Boadella, Al Bauman, Emily Derr, etc. auch persönlich kennengelernt habe. Für ein T-Shirt und ein Reich-Häferl wollten wir dort einkehren – als Souvenir für unsere Freunde in Wien.

    In Rangeley bogen wir in eine Nebenstraße ein, die dann in einen Waldweg überging. Nach etwa 5 Kilometern stand – nach dem Passieren eines Empfangsgebäudes – plötzlich auf einem grünen Hügel ein großes Steinhaus vor uns. Wir kamen zur Mittagszeit hin. Sie sperrten gerade auf und boten uns beiden eine Führung an, was wir gerne annahmen. Das Haus, das Reich von einem New Yorker Architekten erbauen ließ, wirkt sehr monumental, aber irgendwie auch erdrückend.- Es sieht jedenfalls ganz anders aus als die typischen Häuser in der Umgebung. Vielleicht hat er sich bei der Planung an die Häuser der österreichischen Alpen angelehnt.

    Zu Beginn der Führung wurde uns zunächst ein zwanzigminütiges Video vorgeführt. Es waren zum Teil alte Aufnahmen aus Wien und Beiträge über das Leben und Wirken Wilhelm Reichs. Dann wurden wir in die Arbeitsräume Reichs hinaufgeführt. In das Untersuchungszimmer, in mehrere Räume mit Geräten und Bildern von ihm; wir wurden durch alle Räume geführt, alles war gut beschriftet. Ganz oben war ein Balkon, von dem man einen schönen Ausblick hatte. In einem Raum wurde auch dokumentiert, wie es zu seiner Verhaftung und Verurteilung kam.

    Danach gingen wir ein Stück durch den Wald zu Reichs Grabstelle. Die ist so ähnlich gebaut wie das Haus, also aus den gleichen Materialien. Sie liegt düster im Wald, ein bißchen mystisch. Daneben steht ein Modell eines Cloudbusters.
    Das Empfangsgebäude war voll von Flohmarktsachen, was offenbar zum Erhalt des Museums beizutragen hilft – wir haben die Auktion gerade um einen Tag versäumt.

    Interessant war die einseitige Berichterstattung: Wilhelm Reich wurde immer wieder als Opfer, als zu unrecht Beschuldigter dargestellt. In vieler Hinsicht war er ein Vorreiter, und in vielen Dingen ist er auch falsch gelegen. Das ist meine Ansicht.

    Ich hatte beim Besuch des Museums das Gefühl, dass wir eine Kultstätte besuchten. Das wurde auch im Video so gebracht: Reich war das mißverstandene Genie, das schlußendlich im Gefängnis gestorben ist. In mir entstand das Gefühl einer unkritischen Verehrung. Wahrscheinlich charakterisiert das auch seine Persönlichkeit, weil er zu seiner Zeit nichts bzw. niemanden gelten hat lassen, der nicht seiner Meinung war.

    Unsere Führerin hat z.B. gesagt, dass Dr. Reich die Existenz der Orgonenergie bewiesen hat. Ich habe daraufhin gefragt, wie er das bewiesen hat. Und sie hat gesagt mit diesem Gerät, und dann war in diesem Film auch eine Aufnahme eines Akkumulators zu sehen, und sie meinte: „Das sieht man hier, das mißt die Orgonenergie“. Das war für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.

    In dem Raum, wo auch die Zeitungsausschnitte zu seiner gerichtlichen Verfolgung zu sehen waren, hat jemand mit Handschrift draufgeschrieben: Schmiere!- Reich war strikt dagegen, daß sich jemand in seine Untersuchungen einmischt und hat sich dadurch mit der FDA (Anmerkung des Hrsg.: „Food and Drug Administration“)an-gelegt. Ich kann mir vorstellen, daß die FDA damals schon ein Problem mit ihm gehabt hat. Wenn man Geräte wie den Akkumulator z.B. zur Heilung von krebskranken Menschen einsetzt, ist das auch in keinem anderen Land erlaubt, ohne daß man tonnenweise Studien dazu vorlegt.

    Ich habe eine objektive Sichtweise vermißt. Auch was von Reichs Arbeiten objektiv übergeblieben ist, hat mir gefehlt, auch z.B. was die Psychotherapie betrifft. Alle Vorreiter werden angefeindet, aber das Ganze wird unglaubwürdig durch eine einseitige Berichterstattung.

    Wenn man Reich jetzt noch verteidigen muß für seine Leistungen, dann erniedrigt ihn das, weil keiner mehr glauben kann, daß er wirklich etwas geleistet hat, was für die Nachwelt wertvoll ist. Das finde ich schade.

    Die mystische Stimmung, die ganze Atmosphäre, hat mich sehr an die Rudolf Steiner Kultstätten erinnert. Ich habe dort die gleiche Enge gespürt. Ich habe auch nachgefragt, ob Reich den Steiner gekannt hat; das konnte mir aber niemand beantworten, niemand wußte, wer Rudolf Steiner war. Mich würde das jetzt noch interessieren, weil mich auch die Bilder, die Reich gemalt hat an die Steiner-Bilder erinnert haben, viel Orange, weiche Linien, typische Waldorf-Bilder eben. Es gibt dort auch einen Souvenirshop mit einem Buchladen.

    Ich habe mich darin umgesehen und dann gefragt, ob sie die Reich-Biografie von Myron Sharaf haben, und die Dame hat gesagt „Ach so, das gibt´s? Die kenne ich gar nicht.“ Die Biografie Sharafs ist ja nicht unkritisch, vielleicht war es nur ein Zufall, aber ich habe mir gedacht, das ist irgendwie bezeichnend, daß sie das nicht haben.

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    Bukumatula 4/2006

    Askov war eine Reise wert

    Bericht vom 10. EABP-Kongress zum Thema: „Liebe und Sexualität, Arbeit und Spiel, Wissen und Wissenschaft“
    von
    Elfriede Kastenberger:

    Der 10. Kongress der EABP fand vom 21. bis 24. September 2006 in Askov statt, auf dem wunderschönen, großzügig ange-legten Areal einer der ältesten dänischen Volkshochschulen, mit weiten Rasenflächen, riesigen, uralten Bäumen und übers ganze Gelände verstreuten Unterkünften. Zentral gelegen waren die Tagungsräume und der Festsaal. In den dänischen Volkshoch-schulen leben junge Menschen für zwei bis drei Monate, sie sind so etwas wie Volksuniversitäten, die großen Wert auf ganzheitli-che Erziehung legen und Menschen dazu anleiten, sich bewusst zu werden, was ihre eigenen Werte sind und was es bedeutet, demokratisch gesinntes Mitglied einer Gesellschaft zu sein. As-kov selbst ist ein kleiner Ort und liegt ungefähr 250km westlich von Kopenhagen.

    Ungefähr 250 TeilnehmerInnen aus ganz Europa – von Spanien bis Griechenland, von Russland bis Südfrankreich – bevölkerten die Gebäude, hörten die Vorträge, trafen einander zwischen-durch beim Essen und in den Pausen. Es gab viele Gelegenheiten zu Diskussion, Austausch und Kennenlernen. Wir feierten ein großes Fest mit Gala-Diner anlässlich der Gründung der EABP vor zwanzig Jahren und des zehnten EABP-Kongresses. Malcolm Brown, einer der drei Initiatoren der Gründung der EABP, hielt eine sehr besinnliche Festrede. Eine Capoeira-Gruppe trommelte uns auf und brachte heiße Stimmung in den Saal, und mit Sket-ches und Tanzmusik wurde bis in den Morgen hinein gefeiert.

    Die EABP-Generalversammlung gehörte zum weniger lustvollen Teil des Kongresses; wichtig ist zu berichten, dass die Vorschläge für neue „Membership-Criterias“, die eine ziemliche Erhöhung der Anforderungen für die Aufnahme in die EABP gebracht hät-ten, zurückgezogen wurden und nochmals überarbeitet werden, und dass neue Ethik-Richtlinien angenommen wurden. Joop Val-star (Niederlande) wurde zum neuen EABP-Präsidenten gewählt.

    Die Hauptvorträge wurden gehalten von:

    GUSTL MARLOCK: Love and Sexuality

    Marlocks Beitrag – er ist Co-Autor des „Handbuchs für Körper-psychotherapie“ – war ein eher philosophischer, mit Filmaus-schnitten untermauerter Vortrag über die zeit-geistigen Verände-rungen von Beziehung, Liebe und Sexualität.

    GEORGE DOWNING: The Developmental Roots of Work and Play

    Ein sehr interessanter, eindrucksvoller und berührender Vortrag. Downing ging zuerst auf die „körperlichen Mikropraktiken“ („Body micropractices“) ein, die sich bei jedem Säugling indivi-duell und einzigartig entwickeln – in einem andauernden Dialog mit und in Reaktion auf seine Bezugspersonen. Er hat diese dann anhand von Videos aus zweien seiner Projekte erläutert. In die-sen Projekten wurden psychisch bzw. psychiatrisch erkrankte Mütter mit ihren Säuglingen aufgenommen und betreut. Dabei wird – zusätzlich zu verschiedenen Therapie-Angeboten – mit Videos in Zeitlupe gearbeitet.

    Das erste Video zeigte eine schizophrene Mutter beim Wickeln ihres Babys, weitgehend ohne Interaktion, und auch die Reaktion des Babys, das minimal in Kontakt gehen kann (da es ja nicht ankommt) und vage im Raum umherlächelt.- Ein weiteres Video nach drei Monaten stationärer Therapie zeigt deutlich mehr Inter-aktions- und Kommunikationsangebote beim Wickeln von Seiten der Mutter – und das Kind sehr viel mehr in Kontakt mit ihr.

    Das zweite Video zeigte eine Mutter, die mehrfach schwerste Traumatisierungen erlebt hatte, in Interaktion mit ihrem Baby. Downing hat betont, dass sie ihr Kind liebt. Das Video lässt in der Zeitlupe immer wieder während der spielerischen Zuwen-dung zum Kind die Ambivalenz und den Ekel der Mutter aufblit-zend sichtbar werden.

    Gleichzeitig zeigt es die emotionale Kom-petenz des ca. 5 Monate(!) alten Kindes: Während der unange-nehmen Phasen wendet es seine Aufmerksamkeit ab und be-schäftigt sich intensiv mit seiner Decke, leitet dann aber selbst eine zärtliche Interaktion ein, auf die die Mutter eingehen kann.

    In der therapeutischen Arbeit werden die Videos mit den Müttern besprochen und ihnen so die Gelegenheit geboten, sich selbst von außen wahrzunehmen. Durch die gleichzeitig erfolgende Körperpsychotherapie, die die Selbst-Wahrnehmung im Inneren verbessert, und andere Therapieangebote kann eine deutliche Verbesserung der Mutter-Kind Beziehung erreicht werden.

    George Downing, Ph.D. ist Psychologe und Leiter der Kinder-psychiatrischen Abteilung und Mitglied des klinischen Lehrkörpers der Salpétrière, Paris. Als Professor für Klinische Psychologie lehrt er an der Universität Klagenfurt und ist Lehrbeauftragter im Eltern-Kind-Programm der Freud-Gesellschaft, New York, sowie Forschungsberater des Fachbe-reichs Psychiatrie an der Universität Heidelberg und der Abteilung für Entwicklungspsychologie an der Universität Bologna. Er ist Autor von Körper und Wort in der Psychotherapie (Kösel-Verlag) und Co-Autor von Postpartale psychische Störungen: Ein interaktionszentrierter Therapieleit-faden.

    KERSTIN MOBERG: Love, Touch and Oxytocin

    Kerstin Moberg ist es vom ersten Moment des Vortrags an gelun-gen, ihr Auditorium in “Oxytocin-Stimmung” zu versetzen: Trotz des hohen wissenschaftlichen Niveaus herrschte eine warme und verbundene Atmosphäre (da schau: unsere oder vielleicht auch nur meine Erwartung an „wissenschaftlich“!). Sie erzählte, dass sie früher, so wie es in der Physiologie modern war, über Stress und den Darm geforscht habe. Nach der Geburt ihrer Kinder hätte sie aber viel mehr interessiert, was sich da im Körper ab-spielt und wie die tiefe Bindung zwischen Mutter und Kind auf physiologischer Ebene beeinflusst bzw. hergestellt wird. Oxytocin ist schon lange bekannt als das Hormon, das nach der Geburt dazu führt, dass sich die Gebärmutter wieder zusammen-zieht und die Milchproduktion in Gang gesetzt wird.

    Erst in den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass es eine ganz wesentli-che Bedeutung für die Bindung zwischen Mutter und Kind – und auf Bindungen überhaupt – hat; außerdem wirkt es auf weitge-hend alle physiologischen Parameter (Blutdruck, Pulsrate, Haut-temperatur, Muskelspannung, etc.) entgegengesetzt zu den Stresshormonen und führt zu einer freundlich-entspannten Stimmung, die Vertrauen und auch Neugier-Verhalten fördert; Frau Moberg bezeichnet es als „körpereigene Valium“ Es wird nicht nur nach der Geburt und beim Stillen, sondern auch bei zärtlicher Berührung, Massage (besonders an der Vorderseite des Körpers) und anderen Formen von Körperkontakt ausgeschüttet. Wenn genügend Oxytocin in der Säuglingszeit vorhanden war, kann im späteren Leben die Oxytocin-Physiologie mit geringen Dosen wieder erreicht werden.

    Dr. Kerstin Uvnas-Moberg ist Professorin für Physiologie an der Universi-tät für Agrikulturwissenschaften in Uppsala, Schweden. Darüber hinaus forscht sie in der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie am Karo-linska Institut, Stockholm. Sie hat mehr als 400 Beiträge geschrieben und in den letzten 20 Jahren das Hormon `Oxytocin´ bei Ratten und Menschen erforscht. Darüber hinaus hat sie Promotionen in so verschiedenen Berei-chen wie Psychologie, Gynäkologie, Veterinärwissenschaft, Physikalischer Therapie und Geburtshilfe betreut. 1990 gewann sie einen Preis für `Kar-riere-Entwicklung´ des Schwedischen Rats für Medizinische Forschung.- Ihr letztes Buch hat den Titel The Oxytocin Factor: Tapping the Hormone of Calm, Love and Healing (Merloyd Lawrence Books). Es beschäftigt sich mit den entspannenden und heilenden Effekten von Oxytocin auf den Kör-per als direkte Folge von Berührung.- Kerstin Moberg hat vier Kinder und lebt in Djursholm, Schweden.

    JOACHIM BAUER: Er hielt einen interessanten Vortrag über „Spiegelneuronen“, die möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Gegenübertragung spielen.

    Und:

    KENNETH PURVIS: Er hielt einen sehr witzigen und geschei-ten Vortrag mit dem Titel „Orgasm Revisited“, der sich mit dem männlichen und weiblichen Orgasmus befasste.

    Des Weiteren gab es eine Reihe von Workshops von unter-schiedlichster Qualität und vier Podiumsdiskussionen. Wir ge-dachten auch Gerda Boyesens mit einer Veranstaltung und es wurde ein sehr berührender Film mit und über Eva Reich „Ich bin ein Doktor auf Expedition“ von Heidrun Mössner gezeigt.

    Alles in allem: Askov war eine Reise wert!

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  • Buk 4/06 Spendenaufruf für Dr. Eva Reich

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    Bukumatula 4/2006

    Spendenaufruf für Dr. Eva Reich

    Die Tochter von Wilhelm Reich, die jetzt in Not ist
    von
    Heike Buhl:

    An alle, die sich auf Wilhelm Reich beziehen, innerlich, äußerlich, oder in ihrer Arbeit, also z.B. ihr Geld mit der Anwendung von Reichs Forschungen verdienen.

    Liebe Mitglieder des WRG,

    anbei ein Text von Renata Moise, Eva Reichs einziger Tochter, zur aktuellen Situation von Eva Reich.

    Viele Menschen arbeiten mit den Methoden von Wilhelm Reich, beziehungsweise mit dem von Wilhelm Reich erarbeiteten Wissen und es wäre schön, wenn wir mit einem kleinen Teil unseres Einkommens dafür sorgen könnten, seiner Tochter einen würdigen Abschied zu ermöglichen. Wer sich von dem Text zu Evas Situation angesprochen fühlt, ist herzlich eingeladen, seinen Beitrag auf das u.a. Konto zu überweisen. – nach Möglichkeit in Form eines Dauerauftrags, oder auch eines größeren Beitrags auf einmal. Wenn wir 100 Personen aktivieren könnten, die auch nur 10 EUR im Monat spenden würden, dann könnten wir Renata – und damit Eva Reich – einen entscheidenden Schritt weiter helfen.

    Von der WRG wurden aktuell 2.000$ überwiesen, das ist Geld, das sich in den letzten zwei Jahren auf dem internen Spenden-Konto für Eva Reich gesammelt hatte. Eine gute Unterstützung, doch es fehlen jede Woche ca. 300$. Unten der Brief von Renata, Evas Tochter, mit dem sie sich für diese erste Spende bedankt.

    Hier die Konto-Daten:

    Kontoinhaber: Wilhelm Reich Gesellschaft
    Verwendungszweck: Eva Reich
    Apotheker- und Ärztebank, BLZ: 10090603
    Kontonummer: 0005490340
    IBAN: DE40 3006 0601 0061 8815 58; BIC: DAAEDEDD

    Da es sich um eine Unterstützung einer Privatperson handelt, kann es für den Beitrag keine Spendenquittung geben.

    Danke für Deine Bereitschaft und Anteilnahme an Eva Reichs Not, auch mit der Bitte um Deine Unterstützung!

    Ganz herzliche Grüße,

    Heike Buhl und Manfred Dlouhy
    im Namen des Vorstands der Berliner Wilhelm Reich Gesellschaft

    Brief von Renata Moise an Heike Buhl:

    Thank you so much for all of your efforts on Eva`s part. The money arrived this week, and I am realy touched. I will use it to some repairs on Eva`s inside of her house (the water has been dripping down into her kitchen), and to help pay for heating her house and some of the costs of taking care of here.
    I will tell her about your wonderful gift – sometimes she even remembers small details, so it is worth telling her, even if she forgets again.

    Much love to all
    Renata

    Hancock, 2. November 2006

    Liebe Freunde,

    vor fünf Jahren, am Neujahrsabend 2001, erlitt meine Mutter Eva Reich einen schweren Schlaganfall des Rückenmarks. Es begann als Rückenschmerz nach einem Sturz auf dem Eis. Innerhalb von zwölf Stunden war sie vollständig gelähmt, bis auf ihre Ellbogen und Kopfbewegung/Sprechen/Denken/Atmen. Die Ärzte waren sicher, dass sie sterben würde – und Eva selbst hat nie lebensverlängernde Maßnahmen gewollt.

    Erstaunlicherweise starb sie nicht, und während der 3-monatigen Reha im Krankenhaus konnte sie die Kontrolle über ihren Oberkörper und sogar ein wenig Bewegung in den Beinen wiedererlangen. Zu dem Zeitpunkt war sie 78 Jahre alt – bis zu dem Schlaganfall ging sie Skilanglaufen, versorgte einen großen Garten und machte viele Wanderungen. Ihre Vortragsreisen hatte sie einige Jahre vorher beenden müssen, nachdem eine Reihe kleinerer Schlaganfälle sie teilweise erblinden ließen und sie näher an ihrem Zuhause bleiben musste.

    Als ihr einziges Kind hatte ich nun über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. Das Krankenhaus ging davon aus, dass sie in ein Altenpflegeheim kommen würde. Sie konnte nur mit fremder Unterstützung stehen und brauchte umfassende Hilfe bei der Körperpflege.

    Ihre Stärke und Entschlossenheit hatten alle verblüfft – sie hatte es sich erkämpft, mit Unterstützung wieder ein paar Schritte mit einem Gehwagen gehen zu können – etwas, dass sich keiner hätte träumen lassen! Ich wohne ihr gegenüber auf der anderen Seite der Landstraße. Ich entschied, dass ich es ihr ermöglichen wollte, den Rest ihres Lebens in ihrem eigenen Heim zu verbringen – in der alten Farm, in der sie 50 Jahre lang gelebt hatte. Ehrlich gesagt sah es (damals) auch so aus, als ob sie nicht mehr lange zu leben hätte, aber ihr Geist war noch sehr klar.

    Meine Erfahrung mit Pflegeheimen in den USA war zudem sehr deprimierend, und ganz bestimmt gäbe es dort keine Biolebensmittel oder jemanden, der ihr die Orgondecke auflegen würde. In einem Altenheim versorgt ein Pfleger 10 Patienten! Da Eva ohne Ersparnisse war, hatte sie Anspruch auf eine kleine staatliche Zuzahlung für ihre Pflege zuhause. Ich gründete einen eigenen Pflegedienst, um besondere Helfer für sie auszubilden und zu engagieren (da wir sonst keinen Einfluss darauf gehabt hätten, wer zu ihr gekommen wäre, und die örtlichen Pflegedienste konnten nie versprechen, ob jemand wirklich erscheinen würde).

    Ich bezahlte ihnen einen Lohn, der den Lebensunterhalt deckt statt dem für Pfleger üblichen Mindestlohn. Doch ich kann ihnen keine Krankenversicherung geben und alle arbeiten Teilzeit. Der Staat verlangt verrückte Dinge – so muss ich jedes Jahr 1.500$ an eine Versicherung bezahlen, damit mein Patient (Eva, meine Mutter) meine Agentur nicht verklagt! Man muss auch eine Berufsunfallversicherung bezahlen, die eine gute Sache ist, denn wenn ein Helfer sich bei der Pflege von Eva verletzt, bezahlt sie für deren Behandlung. Diese kostet inzwischen 3.000$ im Jahr. Aber weil ich die Helfer so gut wie irgend möglich behandle, arbeiten sie lange für uns und lieben Eva wirklich.

    In den Jahren ihrer Erkrankung haben wir tolle Sachen gemacht, damit sie draußen in der Natur sein kann, die sie so liebt: Wir haben sie ins Gras gelegt zum Preiselbeeren pflücken, sie auf dem Schlitten über den Schnee gezogen (das machte ihr Angst), und vor zwei Jahren haben wir sie in einen Zweier-Kajak gehievt und sie in einer ruhigen Meeresbucht herumgepaddelt. Letzte Woche hatten wir ein kleines Abenteuer, als die Elektrizität wegen eines Sturmes für zwei Tage ausfiel (es wird jetzt Winter hier in Maine): Ich machte Feuer in ihrem kleinen Holzofen, wir zündeten Kerzen an und türmten Decken auf ihr Bett! Im Lauf der Jahre hat sich Evas Gesundheitszustand langsam verschlechtert.

    Das ist normal für eine betagte Dame mit einer so massiven Verletzung. Zurzeit heben wir sie vorsichtig einmal am Tag in den Rollstuhl, damit sie für etwa eine Stunde in der Sonne sitzen kann – mehr macht der Kreislauf nicht mit und sie muss sich wieder hinlegen. Sie kann noch über solche Themen wie die Bedeutung des Lebens nachdenken und sprechen – und weiß, dass sie viele Jahre hart gearbeitet hat, so dass es in Ordnung ist, nun bettlägerig zu sein – sie hat alles getan, um der Welt zu helfen. Derzeit genehmigt der Staat ihr 57 Stunden Pflege die Woche. Sie bekommt 700$ Sozialfürsorge im Monat, was für Essen, Windeln, Elektrizität und Telefon reicht sowie für einen Teil der Heizkosten.

    Sie benötigt (und ich bezahle) mehr als 57 Wochenstunden Pflege – denn wenn sie alleine ist, vergisst sie, das Glas Wasser an den Mund zu führen oder auch nur die Decken über ihre Schultern zu ziehen, wenn ihr kalt ist. Es ist eine merkwürdige Situation, denn obwohl sie sich bei Durst oder Kälte nicht mehr selber zu helfen weiß, liebt sie es, sich Videos über den Planeten Erde oder das Universum anzusehen! Ihr altes Haus muss repariert werden; die Rohrleitungen im Obergeschoss sind undicht und das Dach muss nächstes Jahr gedeckt werden. Die Heizkosten betragen derzeit jeden Winter mehrere tausend Dollar.

    Ich frage mich langsam, wie es mit dieser Idee, sie zuhause zu behalten, weitergehen soll. Eva weiß, dass es etwas Besonderes ist, zuhause zu sein und nicht im Pflegeheim, aber sie hat natürlich keine Ahnung, wie teuer und schwierig die Situation ist. Ich bin ganz glücklich, wenn ich sie glücklich eingemummelt in ihrem eigenen Bett weiß (sie kann nachts alleine im Haus bleiben). Jeden Abend gehe ich zu ihr, mache ihr „Deutsche Pfannkuchen“ mit Apfelmus und Kräutertee; ich wechsle ihre Windeln; wir sitzen zusammen und sie fragt mich, wie mein Leben so läuft (manchmal fragt sie mich wieder und wieder). Doch sie macht mir Mut bei meinen Problemen, sagt mir, dass sie sich sehr glücklich und gut versorgt fühle. Sie hat viele Ideen – so hat sie es irgendwie fertig gebracht, Schilder für Demonstranten anzufertigen, auf denen steht „Überarbeitete Hebammen“, als mein Krankenhaus nicht genug von uns für die Geburten angestellt hatte. Sie sagte: „Du kannst doch streiken“!

    Ich bin so dankbar für alle Freunde von Eva in Europa, die in diesen Jahren für ihre Versorgung gespendet haben. In Zeiten großen Zweifels kam Unterstützung in Form von Worten oder Taten, die mich haben weiter machen lassen, die mich in dem Glauben gestärkt haben, dass ich Eva weiter zuhause behalten kann, wo sie so glücklich ist – wo sie die Wolken beobachten kann und die Eichhörnchen beim Futtern und die Verfärbung der Blätter. Da ihr Herz schwächer wird, ist es schwer zu sagen, ob sie noch ein Jahr leben wird – aber mit Liebe, dem Akkumulator und gesunden Lebensmitteln hat sie alle bisherigen Erwartungen übertroffen! Seltsamerweise, fühle ich mich gesegnet, dass ich diese Verantwortung übernehmen durfte – einen Menschen zu versorgen, der nicht mehr für sich selber sorgen kann, bringt einen zum elementaren Sinn des Lebens: Liebe.

    Mit einem herzlichen Dankeschön

    Renata Moise, Eva Reichs Tochter

    (Übersetzung aus dem Englischen: Heike Buhl)

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