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Bukumatula 1/2006

Nachruf auf die „Mutter der Körperpsychotherapie“

Gerda Boyesen 1922 – 2005
von
Manuela Zachhuber:


Gerda Boyesen, verstorben am 29. Dezember 2005 in den Armen ihrer erstgeborenen Tochter Ebba, ist nach einem erfüllten Leben heimgekehrt.

Ihr war immer die Arbeit mit und am Menschen wichtig – soweit derjenige auch bereit war, sich auf die Suche nach dem Eigenen zu begeben. Sie weckte in uns die Neugier, näher hinzuschauen, wer wir sind, was wir in uns tragen, so dass wir selbst ES auch sehen können, um dann, wenn ES integriert ist, aus diesem Potential zu schöpfen, um für uns selbst Entscheidungen zu treffen, um den eigenen Weg zu gehen – wie auch immer dieser aussehen mag.
Gerda Boyesen war selbst immer auf der Suche nach dem eigenen Weg und ist ihn auch bis zum Schluß mit Freude, Lachen und ohne Angst gegangen. Sie hat nach dem gelebt, was ihr in die Hände gegelegt wurde – und sie hatte wirklich „heilende Hände“.

Aus ihrer Schule gingen viele hervor, die heute selber lehren, oder auch vor dem Hintergrund der Biodynamik eigene Schulen gegründet haben, wie zum Beispiel David Boadella, um nur einen zu nennen.
Freude und Lebendigkeit waren Gerda stets wichtig: „sitze vergnügt“ war in ihren Gruppen-Runden ein Ausspruch. Die Stunden in der Gruppe waren oft gespannt vor Neugier, wenn sie mit einem ihrer Schüler arbeitete. Das Ergebnis war ein wahrer Schatz und oft von einer Klärung im Hier und Jetzt gezeichnet.

Gerda Boyesen, geboren 1922 in Norwegen, Psychologin, Physiotherapeutin, Entdeckerin der „Psychoperistaltik“, ist nicht mehr. Ich danke ihr an dieser Stelle für das Erbe, das sie uns hinterlassen hat, um Menschen auf deren eigenen Weg zu führen.

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Manuela Zachhuber

Mein persönlicher Weg zur Biodynamik:

Da stand ich, 22 Jahre jung, hatte einen guten Job, einen Lebens-partner an der Seite und eine erste kleine Wohnung. Eigentlich hätte ich mich gut fühlen können. Tat ich auch für’s Erste. Trotzdem fehlte mir etwas, aber ich konnte es nicht benennen. Ein Kind – nein, dafür fühlte ich mich nicht „gut genug“ – ich fühlte nicht, dass ich mich schon auf meinem eigenen Weg befand.

Durch eine Arbeitskollegin wurde ich neugierig: sie machte eine Ausbildung in Körperpsychotherapie. Immer wieder lauschte ich ihren Erzählungen über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen.

Die Jahre vergingen. Nach Heirat und Umzug bin ich wieder angekommen bei der Suche nach meinem persönlichen Lebensweg. Ich ging durch eine tiefe Krise, die Gefühle spielten verrückt, mein Leben war ein großes Durcheinander. Ich fühlte mich körperlich unpassend und ohne Orientierung.

Meine frühere Arbeitskollegin bat mich einen Vortrag zum Thema „Biodynamik nach Gerda Boyesen“ Korrektur zu lesen.- Das war es! Ich war fasziniert vom Inhalt und über die Beschreibung der Biodynamischen Arbeit, und ich machte mich auf die Suche nach einem Therapeuten. So begann meinWeg, der ab diesem Zeitpunkt Form angenommen hat und dies bis heute tut. In der Zwischenzeit arbeite ich selbst als Biodynamische Therapeutin und organisiere für die E.S.B.P.E. Seminare und Ausbildungsgruppen.

Die Gerda Boyesen-Methode – Die Heilende Berührung des Unbewußten

In ihren Ausbildungskursen betonte Gerda Boyesen immer wieder, daß sie verschiedene „Koffer“ psychotherapeutischer Methoden ent-wickelt habe, um der Komplexität und Verschiedenheit der Klientinnen gerecht zu werden. Berühmt wurde die norwegische Psychologin und Krankengymnastin durch ihre Entdeckung der „Psycho-Peristaltik“ und psychotherapeutisch wirksamer Massagebehandlungen, der „Biodynamischen Psychologie“. Psychotherapie durch Massage? Das klingt merkwürdig und bedurfte einer neuen Theorie über die Vermittlung körperlicher und seelischer Prozesse.

„Peristaltik“ nennt die Medizin bekanntlich die Bewegungen des Darmkanals, der sich in Teilstücken ausdehnt und zusammenzieht und dadurch die Nahrung transportiert. Die mit Flüssigkeit gefüllten Darmwände haben jedoch noch eine andere Funktion: ihre gurgelnden Eigenbewegungen regulieren den Abbau nervöser Spannungen. Sie werden durch das vegetative Nervensystem gesteuert und entfernen durch minimale Veränderungen des Flüssigkeitsdrucks Reste biochemischer Stoffe aus dem Muskel- und Körpergewebe, die bei vorausgegangenen Erregungen, bei Schreck oder Streß ausgeschüttet wurden.

Wenn wir etwa plötzlich einen lauten Knall hören, halten wir instinktiv den Atem an. Wir ziehen den Kopf ein und spannen die Beugemuskeln an, um Kraft zum Treten, Schlagen oder Wegrennen zu haben. Verdauung und Peristaltik setzen aus – im Extremfall bis zum spontanen Durchfall – damit alle verfügbare Energie in die Körperperipherie, in Arme, Beine und Kopf strömen kann. Diese „rote, aufsteigende, anspannende Energie“, wie Gerda Boyesen sie nennt, manifestiert sich auch als Blutandrang im Kopf („roter Kopf“, „rot sehen“).

Sie dient dem Gefühlsausdruck durch Mimik, Weinen oder Schreien. Wenn situationsgemäßes Handeln und Gefühlsausdruck möglich sind, wird die „rote Energie“ restlos verbraucht. Ist der Schreck, die Gefahr oder die Aufregung vorüber, setzt normalerweise eine Erholungs- und Entspannungsphase ein. „Das muß ich erst einmal verdauen“, sagen wir. Das heißt, ich habe das Bedürfnis, mich auszuruhen und mir Zeit zu nehmen, meine Fassung wiederzugewinnen und die Ereignisse zu verarbeiten – sei es durch Gespräche mit anderen, durch Nachdenken, Aufschreiben, Klavierspielen, ein heißes Bad oder was immer.

Körperlich geschieht dabei folgendes: die zuvor angespannten Muskeln erschlaffen, der Atem normalisiert sich. Wir atmen tief aus, seufzen vielleicht und das rote Gesicht gewinnt seine normale Farbe zurück. In der Entspannung setzen psychoperistaltische Darmbewegungen ein und befördern die Ausscheidung der emotionalen Streßprodukte. Das Gurgeln in den Darmwänden ist manchmal mit bloßem Ohr zu hören und oft mit leiblichen Empfindungen strömender Wärme und einer gelösten, friedvollen Stimmung verbunden. Gerda Boyesen nennt das die „absteigende, entspannende, blaue Energie“. Sie vollendet den zugleich emotionalen und körperlichen Zyklus von Anspannung und Entspannung und gibt uns die elastische Frische zurück.

Von rot zu blau – die Energie nutzen

Leider sind solche vollständige Zyklen in unserer Kultur eher die Ausnahme als die Regel. Der physiologisch vorgesehene Ausdruck von Gefühlen wird zu oft durch Drohungen, Beschämungen oder Liebesentzug seitens der Bezugspersonen unterbrochen und verhindert. Wenn ein kleines Mädchen immer wieder seine Wut als ein unannehmbares Gefühl gespiegelt bekommt, sorgt sein Körper durch unbewußte, minimale Muskelanspannungen dafür, daß es verlernt, Wut zu äußern und überhaupt zu empfinden. Schwere seelische Erkrankungen entstehen vor allem durch ein chronisch verletzendes, bedrohliches und entwertendes Klima in abgeschotteten Kleinfamilien, das keinen Ausweg, keine Entspannung, kein tiefes Durchatmen erlaubt.

Wird die Gefühlsenergie nicht durch angemessenen Ausdruck und Aktion verbraucht, bleiben Stauungen und Restspannungen im Körper zurück. Sie verhindern die psychoperistaltische Entspannung und Selbstreinigung. Auf Dauer gestellt, können sie sich zu Haltungsveränderungen verfestigen: leicht hochgezogene Schultern, ein „Kloß“ im Hals oder ein „Zornesfalte“ auf der Stirn. Auch Bluthochdruck, Verstopfung, Unruhe in den Beinen, flache Atmung und viele andere psychosomatische Symptome können die Folge sein.

Durch Muskelverspannungen und veränderte Atemmuster können wir unsere Gefühle „unten halten“ und ins Unbewußte verdrängen. Die Alltagssprache weiß um diese Zusammenhänge. „Nun halt mal die Luft an!“ sagen wir, um einen verpönten Gefühlsausbruch zurückzuweisen. Im neurotischen oder süchtigen Erleben und Verhalten verschaffen sich die verdrängten, „unannehmbaren“ Erfahrungen und Gefühle am Bewußtsein vorbei als irrationale, zwanghafte Symptome Gehör.

Massage als Therapie

Die Therapie setzt nun vorzugsweise körperlich, durch spezielle Massagebehandlungen an, die Gerda Boyesen „Deep Draining“ nennt. Sie induzieren eine tiefe Entspannung und reaktivieren gleichzeitig die energetisierten Flüssigkeitsstaus und Spannungspunkte in Gewebe, Muskeln und Knochen. Das bedeutet: sie setzen die erstarrte Psychoperistaltik wieder in Gang. Die mittels eines Stethoskops abgehörten Darmgeräusche geben dem Therapeuten eine unmittelbare Rückmeldung über die Wirkung der Massage.

Die zugleich materiellen und energetischen Entsprechungen der abgekapselten Gefühle und Erinnerungen werden so entweder durch psychoperistaltische Entladungen aus dem Organismus herausgereinigt oder durch erneutes emotionales Durchleben im schützenden und unterstützenden therapeutischen Raum abgebaut. In diesen Prozessen wird natürlich auch gesprochen, aber in einer emotional „verwurzelten“ Weise, wie Gerda Boyesen immer wieder betont.

Langsam, als wenn wir die Schalen einer Zwiebel abziehen, lösen sich energetische Verpanzerungen des Körpers. Unvollendete emotionale Zyklen schließen sich. Die Fähigkeit, sich tief zu entspannen – auch außerhalb der Therapie – nimmt zu und damit das allgemeine Wohlbefinden. Eine „unthematische Lebensfreude“ kehrt zurück, wie es eine Frau beschrieb, als sie sich dabei ertappte, nach Monaten der Depression auf einmal auf dem Weg zur U-Bahn wieder zu singen, grundlos, einfach so.

Wenn Sie sich auf die Suche nach einer Gerda-Boyesen-Therapeutin oder einem Therapeuten begeben möchten, beachten Sie bitte, daß der hier beschriebene theoretische und praktische Rahmen in erster Linie für die von Gerda Boyesen selbst Ausgebildeten TherapeutInnen gilt, deren Zertifikate von ihr persönlich ausgestellt wurden. Gerda Boyesens Töchter Ebba und Mona-Lisa sowie andere BiodynamikerInnen haben die Methode mit anderen Akzentsetzungen weiterentwickelt. Innerhalb des Dachverbandes der Biodynamikerinnen (E.S.B.P.E), der auch ein bundesweites TherapeutInnenverzeichnis führt, nennt Gerda Boyesen deshalb ihre Schule die „Gerda-Boyesen-Methode“.

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Literatur:

  • Gerda Boyesen: Über den Körper die Seele heilen – Biodynamische Psychologie und Psychotherapie. Kösel Verlag, München 1987.
  • Gerda Boyesen: Biodynamik des Lebens. Die Gerda Boyesen- Methode.Synthesis Verlag, Essen 1987.
  • Gerda Boyesen: Von der Lust am Heilen. Kösel Verlag, München 1995.
  • Hadassa K. Moscovici (Hrsg.): Vor Freude tanzen, vor Jammer halb in Stücke gehen – Pionierinnen der Körpertherapie. BACOPA-Verlag, Schiedlberg 2005.

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