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Bukumatula 2/1993

Die Technik von Points and Positions – Teil 1

Will Davis – Skizze einer neo-reichianischen Methodologie
Übersetzung: Monika Urbach

Ich fing 1984 an, die Points-and-Positions Arbeit zu entwickeln. Zuerst war sie für mich eine einfache Technik zur Mobilisierung energetischer Prozesse, ähnlich wie Atem-Techniken, willkürliche Übungen, Bildarbeit, etc. Sie kann in diesem begrenztem Maß benutzt werden, indem sie der Standard-(Neo)-Reichianischen Körperarbeit angepaßt wird. Aber als sich die Technik entwickelte und sich die Arbeit vertiefte, erkannte ich, daß diese Herangehensweise mehr anbot. Die Behandlungstechnik der „Points and Positions“ erlaubte mir, das nachfolgend beschriebene Verständnis zu entwickeln. Die Technik selbst wurde zweitrangig in Bezug auf die Methodologie, die sich aus ihr entwickelte.

URSPRÜNGE

Die Technik der „Points and Positions“ ist eine Art direkter Manipulation, die die spontane bioenergetische Koordination des Organismus wiederherstellen soll. Sie hat ihren Ursprung in den energetischen Konzepten von Wilhelm Reich und einer zuerst von Lawrence Jenen, einem amerikanischen Osteopathen, entwickelten Behandlungstechnik, sowie von einigen Ideen aus meiner eigenen Arbeit.

Konzeptionell basiert „Points and Positions“ auf Reichs Beschreibungen vom Wirken der Lebenskraft in der Natur und wie diese sich in die Abläufe menschlicher Funktionen transformieren.

Obwohl sie sich schwerpunktmäßig von Reich herleitet, ist die Points-and-Positions-Arbeit keine klassische Reichianische Arbeit, so wie sie von den meisten Körperpsychotherapeuten praktiziert wird. Sie benutzt stattdessen Reichs späteres Verständnis vom Ablauf der funktionalen Orgonomie, welche sich von den emotionalen, strukturellen und psychologischen Modellen zum Verständnis menschlicher Funktionen wegbewegte. Sie betont daher den energetischen Ablauf, aber eben nicht über das übermäßig genutzte und mißverstandene kathartische Modell. Kathartische Befreiungsarbeit wird fälschlicherweise als „energetischer“ und/oder physischer Teil der Arbeit angesehen. Danach müsse dann unbedingt psychologisch, historisch usw. gearbeitet werden.

Dieses begrenzte Verständnis von „Energetik“ verstärkt die bestehende Geist-Körper-Spaltung. Eine funktionale energetische Herangehensweise schließt notwendigerweise Emotionen, physikalische Strukturen und psychische Konstruktionen ein, ohne sie berühren oder mit ihnen per se arbeiten zu müssen. Sie sind nicht irrelevant, aber funktionell gesehen sind sie Sichtweisen, Nebenproduktsyptöme und Manifestationen eines tieferen Prozesses. Sie haben selbst keinen wirklich Wert.

Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen, die Reich gefolgt sind. Sie können in drei Kategorien unterschieden werden: Körperpsychotherapie, psychosomatische Arbeit und eine funktionelle Herangehensweise.

In der Körperpsychotherapie gibt es eine Psyche, die einen Körper hat, aber primär wird damit gearbeitet, Erfahrungen durch den „mind“ (Verstand/Geist/Bewußtsein) in den Prozeß zu bringen. Lowens Bioenergetik ist psychoanalytische Charakterarbeit, die den Körper benutzt. Auch Hakomi und sogar Gestaltarbeit gehören zu dieser Gruppe. Sie sind alle aus Reichs Charakteranalyse-Periode hervorgegangen.

Psychosomatische Arbeit will die Beziehung zwischen Psyche und Soma verstehen und mit ihr arbeiten: wie beeinflußt das eine das andere. Die Orgonomie der New Yorker Schule ist ein Beispiel für diese Herangehensweise. Verallgemeinernd gesprochen geht es immer um Reichs „Funktion des Orgasmus“.

Funktionelle Arbeit ist ein Verständnis der energetischen Abläufe im Menschen. Sie beschäftigt sich nicht mit der Beziehung zwischen Psyche und Soma, sondern mit deren Verhältnis zu energetischen Abläufen. Es geht ihr nicht um den Strom des Bewußtseins (z.B.), sondern um das Strömen von Energie, die sich in einem Bewußtseinsstrom oder -inhalt manifestieren kann … oder auch nicht. Es ist irrelevant, ob sie es tut oder nicht. Bewußtsein und Inhalt sind hochentwickelte Manifestationen energetischer Funktionen. Es gibt nichts außerhalb von natürlichen (energetischen) Abläufen. So werden in dieser Herangehensweise alle physischen und psychischen Strukturen eingeschlossen. Den ursprünglichen energetischen Ablauf beeinflussen heißt, alles auf eine Weise beeinflussen.

GEGRUENDET AUF ENERGIE

Points-and-Positions Arbeit interessiert sich in erster Linie für zwei Abläufe des Orgons: dem spontanen Weiterfluß der Energie und der Pulsation, sowohl beim „instroke“ (dem nach innen gerichteten Fluß der Pulsation) als auch beim „outstroke“. Meistens wird bei der Arbeit im Reichianischen Stil die sogenannte „Ausdehnungsphase“ der Pulsation betont.

Die Points-and-Positions Arbeit will den Organismus mobilisieren. Einige Klienten fangen dabei an, nach außen zu fließen – hin zum Ausdruck – einige andere fließen spontan nach innen – hin zum Eindruck. Beides ist heilend. Der blockierte Pulsationsfluß wird vollendet und nun ist bio-energetische Koordination – d.h. vegetatives Ausbalancieren – möglich. Wir definieren den nach innen gerichteten Fluß der Pulsation nicht unbedingt als Kontraktion und den nach außen gerichteten Fluß nicht unbedingt als Expansion. Der qualitative Aspekt beider Bewegungen muß zuerst ausgewertet werden, um zu bestimmen, ob sie nützlich sind – wir müssen eine ‚funktionale Auswertung“ vornehmen.

Das grundlegend Verständnis von „Ausdehnung“ und „Kontraktion“ ist weiterentwickelt worden, wie durch die folgende Auflistung deutlich wird:

  • Expansion – Kontraktion
  • Expansion – Sammlung
  • Expansion – Organisierung
  • Expansion – Konzentration
  • Explosion – Kontraktion
  • Explosion – Sammlung
  • Zerstreuung – Sammlung
  • Zerstreuung – Organisierung

Die am besten beschreibenden und neutralsten Begriffe hierfür sind „instroke“ und „outstroke‘. Sie beschreiben den spontanen, natürlichen und wünschenswerten Fluß der Energie vom Kern zur Peripherie und wieder zurück. „Kontraktion“ hat eine negative Bedeutung, was die Haltung spiegelt, daß dies „schlecht“ oder bestenfalls nicht so wichtig ist (siehe „Die Arbeit mit dem Instroke“, BUKUMATULA 2/88).

Kelemans Begriff der ‚Sammlung“ oder der ‚Organisierung“ ist eine ausgewogenere Herangehensweise. ‚Explosion“ ist der Entladungsprozeß der ‚Expansion“ aber nicht synonym mit ihr. Wenn wir Expansion eine negative Bedeutung geben, bekommen wir ‚Zers’treuung“, eine unorganisierte, unproduktive Bewegung nach außen. Eine Expansion ist ein koordinierter Fluß vom Zentrum zur Peripherie und sogar darüber hinaus. Eine Explosion ist ein Stoß nach außen, gegen etwas, im Versuch, es zu überwinden (entweder einen inneren Blockierungsprozeß oder einen äußeren Widerstand). Eine Zerstreuung ist ein Versuch der Vermeidung, ein Weggehen aus dem Kontakt, kein Ausbrechen. Sie ist unproduktiv, ohne Richtung, nicht mit dem Kern verbunden oder vereinigt. Sie ist Ausagieren anstelle von wirkungsvollem Agieren.

Nicht jeder nach innen gerichtete Fluß der Energie ist zusammenziehend (kontrahierend). Zentrieren, Fokussieren, Sammeln und Konzentrieren sind alles Bewegungen auf etwas zu. Eine Kontraktion ist eine Bewegung von etwas weg, sie ist eine Vermeidung, ein Festhalten an „Nicht-Erfahrung“ wie in Kelleys „Gegen-Pulsation“ und Boadellas „Übertragungs-Muster“.

Kontraktion bietet der nach innen gerichteten Pulsation das gleiche Resultat an wie Zerstreuung der nach außen gerichteten Pulsation – eine Vermeidung tieferen Kontaktes von außen oder innen.

BEWUSSTSEIN: VON DER VERGANGENHEIT ZUR GEGENWART

Das Erleben und Erfahren des gegenwärtigen Momentes ist der Haupt-Fokus meines Ansatzes. Funktionell gesehen gibt es keinen Gegensatz zwischen Vergangenheit und Gegenwart; sie sind funktionell identisch, genauso wie Psyche und Soma identisch sind. Auch die Gestalt-(Therapie) betont die Wichtigkeit des gegenwärtigen Moments. Die Vergangenheit lebt in der Gegenwart, oder sie ist abwesend und von daher unwichtig für den Heilungsprozeß.

Eine funktionale Herangehensweise schließt die geschichtliche Vergangenheit mit ein, aber es geht nicht darum, in die Vergangenheit zu regredieren. Eher heißt es, die Vergangenheit im Funktionieren des gegenwärtigen Momentes sein zu lassen. Kindheitserfahrungen, Erinnerungen, Träume werden in der Gegenwart als Erwachsener erfahren, wo Bewußtsein und Bewußtheit betont sind und deshalb für sie Verantwortung übernommen werden kann. Hier gilt Reichs Verständnis des ursprünglichen Motivs und der übergeordneten Funktion des VerteidigungsSystems, wobei die Bedeutung von „was mir in der Vergangenheit von anderen getan wurde“ zu “ was ich jetzt selbst tue“ übergeht (vgl. intrapsychisch/inter-psychisch).

Die Idee ist: nicht die Vergangenheit verändern, eine ohnehin nutzlose Angelegenheit, sondern meine Beziehung zu mir selbst in der Gegenwart verändern. Wir haben kaum etwas davon, die Vergangenheit wiederzuerleben, aber sehr viel, sie im gegenwärtigen Moment als verantwortlicher, bewußter, betroffener Erwachsener wiederzuerfahren. Diese Konzepte beziehen sich auf die Radix-Arbeit mit den Augen und auf Boadellas Verständnis der Kommunikation von Erfahrung.

DAS LEBENS-MODELL UND DAS ENTLADUNGS-MODELL

Trotz ihrer starken Betonung des Energetischen benutzt die Points-and-Positions-Arbeit kein entladungs-kathartisches Modell. Wir etablieren -Fähigkeit“ für vegetative Entladung neu, so wie von Reich und anderen beschrieben. Aber es ist kein Arbeitsmodell, weil Entladung kein Modell für das Leben ist, für das Leben von Tag zu Tag. Das Leben ist kein ständiger Orgasmus. Die Jahreszeiten explodieren nicht eine in die andere, die Nacht nicht in den Tag, die inneren biologischen Rhythmen von Verdauung, Kreislauf, Gehirnwellen etc. arbeiten nicht in einem explosions-kathartischen Modell. Sie fließen und pulsieren.

Entladung erfordert einen „Verlust des Bewußtseins“, das Überwältigt-Sein, ein „Reiten der Stromschnellen“, eine generelle Einschränkung des Bewußtseins und des Verantwortungsnehmens. Nach der Explosion müssen wir die Teile aufsammeln und integrieren, interpretieren und einen Sinn daraus entnehmen. Das ähnelt dem hysterischen Lebensstil: explodieren und wieder organisieren. Nicht sehr ökonomisch.

Ein Lebensmodell für energetisches Funktionieren zu benutzen erweitert bzw. klärt, was es heißt, energetisch zu arbeiten. Wir konzentrieren uns auf den pulsatorischen Fluß nach innen und außen, was dichter an den natürlichen Ablauf heranreicht. Leben ist kein Sturm oder eine Krise. Es gibt diese Vorfälle im Leben, man muß deshalb die Fähigkeit zur Entladung besitzen. Wenn sich das Entladungsmodell also weder dem Leben noch essentiellen natürlichen Abläufen annähert, warum sollten wir es dann bei unseren Klienten benutzen, wenn wir versuchen, deren Verbindung mit ihrem natürlichen energetischen Fluß zu vertiefen?

Nach zehn Jahren der Erforschung des nach innen gerichteten Energieflusses („instroke“) sehe ich den Entladungsprozeß in einem anderen Licht. Es könnte sein, daß das Bedürfnis nach Entladung in direktem Verhältnis zum Ausmaß der Blockierung steht und daß Entladung für gesundes energetisches Funktionieren nicht notwendig ist. Das Bedürfnis nach Entladung hängt davon ab, wie blockiert das energetische System ist. Wenn es nicht blockiert ist, ist Entladung nicht notwendig. Pulsation ist nötig für gesundes Funktionieren und Entladung kann, aber muß nicht wesentlich sein für diesen Prozeß.

Diese Sichtweise steht in direkter Gegenaussage zu Reichs energetischem Verständnis, daß die Vier-Takt-Formel von Spannung-Ladung-Entladung-Entspannung universell ist und wesentlich für energetisches Funktionieren. Denn im Laufe der vergangenen Jahre zeigte sich, daß eine Erleichterung der Vervollständigung des „instroke“ dieselbe oder sogar eine effektivere Veränderung in einer Person bewirkte, wie es die Aktivierung des entladenen „outstroke“ tut. Man könnte also argumentieren, daß es auch beim „instroke“ eine Entladung gibt. Ich bevorzuge jedoch eine andere Erklärung.

Die Vier-Takt-Formulierung Reichs ist das grundlegende Verständnis davon, wie alle pyhsikalischen Energien operieren. Weil aber Orgon keine „Energie“ in diesem Sinne ist, gibt es keinen Grund, warum es diesen mechanischen Gesetzen folgen sollte. Orgon wirkt nicht direkt im mechanischen Bereich, sondern in transformierten Zuständen. Es manifestiert sich sowohl als elektrische Energie als auch als Gefühle, Bewegungen und Gedanken. Diese transformierten Zustände – Orgon in elektrischer Energie oder Gefühlen – müssen mechanischen Gesetzen folgen.

Da es einmal transformiert wird und in der
physischen Welt als mechanische Energie funktioniert, hält sich die Vier-Takt-Formulierung und Entladung ist notwendig.

Aber wenn man mit der ursprünglichen Quelle arbeitet, dem untransformierten inneren Fluß, wird die Notwendigkeit von Entladung nicht länger gebraucht, weil sich auf dieser Ebene solche Gesetze nicht anwenden lassen. Die Pulsation direkt zu mobilisieren ist genug.

Deshalb müssen wir nicht länger an der Befreiung von Blockaden und Widerständen arbeiten. Wir müssen muskuläre Blockierungen nicht befreien, indem wir alte Gefühle entladen oder ihr psychisches äquivalent, die Vergangenheit, verstehen und interpretieren. Wir können „unter“ dieser Ebene direkt mit der mehr ursprünglichen organismischen Pulsation arbeiten. Dies ist eine Ebene bevor sie sich in Gefühlen, Gedanken, Bewegungen, Erinnerungen, etc. manifestiert.

KEIN ENGAGEMENT DER VERTEIDIGUNGSSYSTEME

Deshalb arbeiten wir auch nicht mit der Verteidigung. Wir vermeiden, daß die Verteidigungen in irgendeiner Art aktiviert werden. Dies schließt Symptome, Störungen, Probleme, Ausagieren, zweitrangige Manifestationen oder Erfolge, Panzer, Gefühle aus dem Panzer, Übertragungen, Projektionen, Widerstände, Vermeidung etc. ein. Alls Regel: trenn vir irgendeine von diesen Verhaltensweisen im Klienten erwecken, müssen wir uns fragen, vas vir falsch gemacht haben. Im allgemeinen können Verteidigungsmuster entweder berührt, aktiviert und dann herausgearbeitet werden oder aber berührt, aber nicht aktiviert oder alles zusammen vermieden werden. Diese Methode achtet darauf, jeglichen Kontakt mit und jede Aktivierung von Verteidigungsmustern zu vermeiden.

Wir wollen den Kern erwecken und nicht die Verteidigung provozieren, die natürlichen Heilungs- und Wachstumsprozesse unterstützen, mit Leuten arbeiten, nicht gegen ihre Verteidigungsmuster. Wir unterscheiden zwischen unfähig und unwillig, zwischen schützend und verteidigend.

AUSDRUCK UND ERFAHRUNG

Der Schwerpunkt verlagert sich vom Ausdruck hin zur Erfahrung. ‚Ausdruck‘ orientiert sich auf etwas hin: Blockaden überwinden, vergangene Erfahrungen, zwischenmenschliche Beziehungen, Entladung und Deutung, etc. Die ‚Erfahrung‘ ist dagegen auf etwas konzentriert: die Gegenwart, neue Erfahrungen machen, die Beziehung zum Selbst, Bewußtheit, Pulsation nach innen und außen und in Zuständen sein, sodaß, wie Joseph Campbell schreibt, „…unser Leben Erfahrungen auf der rein physischen Ebene macht, die Resonanzen in unserem eigenen innersten Sein haben werden…, so daß wir tatsächlich den Raub von Lebendigkeit spüren“.

DAS LERNMODELL

Die Arbeit ist klienten-zentriert und ein „Lern-Modell“ im Gegensatz zu einem medizinischen oder pathologischen Modell. Es ist kein erzieherisches Modell, wir lehren die Klienten nicht so viel, wie wir sie für sich selbst lernen lassen. Das medizinische oder therapeutische Modell basiert auf der, um mit Freud zu sprechen „Empfänglichkeit für äußeres Eingreifen“. Im medizinischen Modell „tut“ der Arzt etwas mit dem Patienten, er operiert, spritzt Arzneien etc. Dieses von außen erhaltene Stimulans ist verantwortlich für den Heilungsprozeß genauso wie es die Intervention des Therapeuten ist, ob er als Projektionsfläche dient oder Blockaden befreit. Das im Gegensatz zur homöopathischen Herangehenswelse, wo das, was man von außen erhält, etwas bereits in einem vorhandenen stimuliert. Und darin besteht der Heilungsprozeß. Meine Arbeit steht daher der Homöopathie näher als der Medizin oder der traditionellen Therapie:

Betont wird die Lernmethode von Versuch und Irrtum, einer unperfekten Suche nach Perfektion. Betont wird weiterhin, „richtiges“ Verhalten im funktionellen Sinn zu erlernen und sich nicht auf die „falschen“ oder unangemessenen Verhaltensweisen zu konzentrieren oder sie verstehen zu wollen, es geht um ein Nähren der Stärken und nicht um ein Auflichten der Schwächen.

HUMANISTISCH ORIENTIEREN

Wenn man Reichs Verständnis des energetischen Funktionierens hernimmt und es in psychologische Konzepte übersetzt, kommen die grundlegenden Inhalte der humanistischen Psychologie heraus. Aus diesem Grund ist die Arbeit im psychologischen Bereich auf eine existentiell humanistische Herangehensweise hin orientiert.

MIT BESTEHENDEN ENERGIEN ARBEITEN

Es gibt das Verständnis, dass, wenn es einen Panzer gibt, etwas im Zustand der Blockierung ist. Dieses „Etwas“ kann ein Gedanke, eine Erinnerung, ein Gefühl und/oder eine Bewegung sein. Sie alle haben die Qualität des „Zuvielseins“ der blockierten Erfahrungen gemeinsam.- Der Organismus kann es nicht ordnungsgemäß weiterverarbeiten; energetisch ist es ein „zuviel“. Da der Organismus ohnehin an seinen Grenzen ist, arbeiten wir mit bestehenden Energieebenen und bewirken keine weitere Aufladung, weder physisch noch psychisch. Es gibt keinen Bedarf nach Aufladung. Das Problem kann funktional als zuviel Ladung im Gefühl, der Erinnerung etc. definiert werden. Warum also noch mehr hinzufügen?

Also, es gibt keine „zu wenig geladenen“ Menschen. Jeder hat genug Energie für sich selbst; es gibt kein Bedürfnis, mehr hinzuzufügen. (Deprimierte Menschen unterdrücken etwas und sie brauchen eine Menge Energie, um dieses „Etwas“ unten zu halten.)

Es geht also darum, die bestehende Energie zu mobilisieren und nicht darum, sie weiter aufzuladen.

Mit der Points-and-Positions-Arbeit können wir die bestehende Energie direkt und sicher mobilisieren. Sie holt hervor, sie leitet nicht ein, sie kommt von innen, nicht von der Peripherie oder von außen.

Die Verteidigung wird nicht aktiviert. Alle Verteidigungen, physische und psychische, sind energetische Prozeß-Portionen aufgesaugter Energie. Nun wird der Nachteil des „Aufladens“ offensichtlich (das Aufladen ist nicht begrenzt auf das Konzept von Atem- oder Körperübungen, denn auch Bildarbeit, das „Füttern mit Sätzen“, Rollenspiele, das Fördern von Projektionen, etc., laden alle den Organismus auf). Wenn man dem Organismus Ladung hinzufügt, fügt man Ladung im gleichen Verhältnis der Verteidigung hinzu. Das Verhältnis bleibt das gleiche. Man kann nicht nur den Kern aufladen.

INNER-PSYCHISCH UND ZWISCHEN-PSYCHISCH

Die erste Beziehung, die wir haben, ist nicht, wie üblicherweise gedacht wird, die mit der Mutter. Deswegen arbeiten wir inner-psychisch. Die erste Beziehung ist die mit uns selbst- In der Gebärmutter und mährend der ersten paar Monate des Lebens, wenn der Organismen in einem undifferenzierten Zustand ist, kennt er nur sich selbst. Er ist sich nur der Erfahrung seiner selbst bewußt. Er differenziert nicht zwischen sich selbst und dem Rest der Welt, ein omnipotenter Zustand. Von der Empfängnis bis zu den ersten Lebensmonaten außerhalb der Gebärmutter hat er über ein Jahr damit verbracht, eine Persönlichkeit zu „entwickeln“, die er dann in allen weiteren Beziehungen zum Tragen kommen läßt, angefangen gewöhnlich bei der Mutter. Trotz allem Wissen über die Erfahrungen des Kindes im Mutterleib und während der Geburt, gibt es keine Information, die Freuds ursprünglicher Erkenntnis widerspricht, daß

…wir bestimmt nicht von vornherein annehmen sollten, daß der Fötus irgendeine Art von Wissen hat, das in Gefahr ist, geleugnet zu werden; der Fötus kann nur eine Störung im großen fühlen, die die Ökonomie seiner narzißtischen Libido angeht!“ (Hinsic and Campbell: Psychiatrie Dictionary, 4th Edition., Oxford University Press, N.Y., 1970).

Die Points-and-Positions-Arbeit konzentriert sich auf das Individuum und seine Beziehung zu sich selbst. Wir befassen uns zuerst mit der Erfahrung des Menschen mit sich selbst und nur zweitrangig mit seiner Beziehung zu anderen. Wenn man seine Beziehung zu sich selbst ändert, ändern sich alle Beziehungen dementsprechend. Dies ist ein inner-psychisches Modell (innerpersönlich) im Gegensatz zu einem zwischenpsychischen Modell (zwischen-persönlich). Die Beziehung zwischen Klient und Therapeut wird soweit wie möglich auf ein Minimum eingeschränkt. Die therapeutische Beziehung ist nicht länger – um Freuds Ausdruck zu gebrauchen – das „Schlachtfeld“, auf dem Veränderungen, geschehen.

Die meinten Probleme, die sich in zwischenmenschlichen Beziehungen niederschlagen – mit Freunden, Partnern, Eltern, Therapeuten – sind eigentlich Probleme, die der Klient mit sich selbst hat. Zum Beispiel ist ein sexuelles Problem – organische Probleme ausgenommen – in seiner Essenz ein Problem, das die Person damit hat, das, eigene Potential zu leben. Sexuelle Probleme treten auf, wenn man das Herz nicht öffnen oder das Herzzentrum nicht mit dem genitalen Zentrum verbinden oder nicht genug vertrauen kann. Diese Probleme hat man auch beim Erfüllen des eigenen Potentials. Es sind keine Probleme, die man mit einer anderen Person hat. Sie manifestieren sich nur in Begriffen von Verlust Und Kontakt mit einem selbst und der anderen Person.

Der zweite Grund der Betonung des innerpsychischen Modells geht auf Reichs klares Verständnis von der Entwicklung und Aufrechterhaltung des Verteidigungs-Systems zurück. Wie früher schon erwähnt, unterscheidet Reich zwischen dem ursprünglichen Motiv für ein Verteidigungssystem und seiner Hauptfunktion. Das ursprüngliche Motiv für den Organismus, eine Verteidigung zu et wickeln, ist, sich vor einem „Angriff“ von „außen“ zu schützen. Die Verteidigung hat ihren Ursprung in der geschichtlichen Vergangenheit und dem, was dem Organismus von anderen angetan wurde. Reichs Hauptbeitrag ist jedoch die „Hauptfunktion der Verteidigung“» Was tut der Organismus -jetzt‘ mit sich selbst, um sich vor dem zu schützen, was von sinnen‘ aufsteigen könnte. Mein Vater z.B. hat mich mit seinem ungerechtfertigten Ärger verletzt, als ich versuchte, mich selbst zu behaupten. Ursprünglich habe ich mich vor seinem Arger geschützt. Er ist jetzt nicht mehr da, sodaß es keinen „Grund“ gibt, mich weiterhin zu schützen und doch mache ich damit weiter. Der Grund: ich bin jetzt im Haupt-Funktions-Modus, da das ursprüngliche Motiv – mich vor dem ärger meines Vaters zu schützen – nicht länger anwendbar ist. Ich „schütze“ mich jetzt vor meinem eigenen emotionalen Schmerz und vor dem ärger auf meinen Vater, der ja in der Vergangenheit bestraft wurde (in psychologischen

Begriffen Introjektion und/oder Identifikation). Genauso blockiere ich meine ursprünglich gesunde Aggression. Nun gibt es zwei wirksame Komponenten: Ich schneide meinen natürlichen Impuls, mich in der Welt einzurichten, ab.

Ich blockiere die gesunden, angemessenen Gefühle, die wegen der Unterdrückung des ursprünglichen Impulses entstanden. Im gegenwärtigen Moment halte und blockiere ich mich also wegen etwas, das in meiner geschichtlichen Vergangenheit geschah. Es ist nicht länger etwas, was mir in der Vergangenheit von einem anderen angetan wurde. Es ist etwas, das ich mir in der Gegenwart selbst antue. Ich schaffe mir ein Problem für mich selbst, ganz ich selbst zu sein. Es ist jetzt ein inner-psychisches Problem, kein zwischenmenschliches.

Wir können nun klarer zwischen „schützen“ und „verteidigen“ unterscheiden. Verteidigung ist das verdrehte Reagieren der Hauptfunktion des Verteidigungssystems; es ist nicht im Kontakt mit der Realität des gegenwärtigen Moments.

QUALITÄT UND QUANTITAT

Wir konzentrieren uns auf die Qualität der
Erfahrung, nicht auf die Quantität des Ausdrucks oder Inhalts. Ein schmaler offener Fluß ist heilsamer als eine angestrengte, kontrahierte Explosion. Wir schauen auf Bewegung und vermeiden Anstachelung; wir unterscheiden zwischen schützen und verteidigen, zwischen unfähig und unwillig. Die Qualität bestimmt die Erfahrung.

ZIELE

Kurzgefaßt ist das Ziel der Arbeit, den Organismus zu mobilisieren: wahre Bewegung in jede Richtung, sowohl nach innen wie nach außen. Energetisch gesprochen hilft dies dem Organismus, über seine gewöhnlich beschränkenden Grenzen hinaus zu pulsieren. Wie sehr oder wie schnell, ist nicht wichtig. Auf Dauer soll sich der verlorengegangene, natürliche Zustand bioenergetischer Koordination wieder einrichten können. Physisch repräsentiert sich dies in freien, spontanen, dem Leben zugewandten Bewegungen, offener Empfindung und offener Emotion. Psychisch ist eine Klarheit des Gedankens, Einsicht, charakterliche Flexibilität und Intuition vorhanden. Wir wollen die Toleranz-Ebenen der energetischen Erfahrung anheben. Wir wollen der Person helfen, diese Kapazität zu verstärken, höhere und noch höhere Ebenen von Intensität in der eigenen energetischen Erfahrung anzunehmen. Funktional und energetisch gesprochen heißt das „Problem“ nicht Mutter oder Vater, Sexualität oder Vertrauen, blockierter ärger oder daß man eine phallische Struktur ist. Dies sind alles Symptome von Ausrichtungen auf ein ursprünglicheres Problem. Sie sind im physischen Bereich von Psyche und Soma Manifestationen einer tieferen Ursache.

In Wirklichkeit besteht das Problem nicht darin, biophysisch in der Lage zu sein, die ganze Fülle der eigenen energetischen Erfahrung auszuhalten. Das Problem ist für uns alle das gleiche: das „Zuviel-sein“ von all dem auf der funktionalen Ebene. Dies ist der funktionale Zugang: Wie organisiert der Organismus seine eigene Energie? Nicht warum, sondern „wie“?.

FORTSETZUNG IN Bukumatula 2/93

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