Kontakt | Links | Impressum | Suche

Archiv ‘2012’ Kategorie

Zurück zu Bukumatula 2012

Bukumatula 1/2012

Zur Feier des Abschieds von Heiko Lassek

in Berlin am 13. Januar 2012
von
Jutta Gruber:

AIR / J.S. Bach

Liebe Sengül,
liebe Freunde und Wegbegleiter,
liebe Kollegen und Klienten,
liebe Schüler
von Heiko Lassek,

wir sind hier heute zusammen gekommen, um von einem Menschen Abschied zu nehmen, der mit Gewissheit ein besonderer Gast auf dieser Erde war. Ein Mensch, dem Viele Inspiration oder wegweisende oder vielleicht sogar lebensweisende Impulse zu verdanken haben. Ein Mensch, der Spuren hinterlassen hat.

1957 wurde Heiko Lassek in Barsinghausen als einziges Kind der Eheleute Ursula und Paul Lassek im Sternzeichen Fische geboren. „Fische ist sowieso das beste Sternzeichen“ sagte nur wenige Stunden vor Heikos Tod ein behördlicher Angestellter zu mir. In ganz anderem Zusammenhang wollte ich eigentlich nur eine Information einholen und musste ihm dafür ein Geburtsdatum nennen, das zufällig im Zeichen der Fische lag. Und er schob nach: „Insbesondere was die Freundschaft angeht.“

Freundschaft. Vielleicht gab es kaum einen höheren Wert für Heiko. Das Miteinander-verbunden-Sein als die vielleicht wesentlichste Qualität oder zumindest tiefste Sehnsucht unseres menschlichen Daseins.

Inniges Miteinander konnte Heiko zu Tränen rühren, und er scheute sich nicht, sie seinen Freunden auch zu zeigen. Freundschaft war Heikos vielleicht tiefster Wunsch. Der Wunsch in seiner Tiefe verstanden zu werden.

Und gleichzeitig hatte er Angst vor ihr. Vor echter Begegnung.

Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und
gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge
von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des
Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern
es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.
Rainer Maria Rilke

Bereits als Schüler fiel Heiko als besonderer Gast auf. Der hochbegabte Junge besuchte nach abgekürzter Grundschulzeit – er übersprang zwei Klassen – als Externer das Gymnasium von Bad Nenndorf, einer nahegelegenen Internatsschule mit besonders gutem Ruf. Sein Deutschlehrer Karl-Heinz Werner gibt Zeugnis für Heikos Tiefe in einem Brief von letzter Woche an dessen Lebensgefährtin Sengül:

„Ich werde nicht seine Deutsch-Aufsätze vergessen: Wenn alle Schüler schon ihre Arbeiten abgegeben hatten, bat Heiko bescheiden um eine Verlängerung seiner Arbeitszeit. Das war für mich ungewöhnlich, aber zu gern willigte ich ein. Schon als Schüler zeigte er eine große Belesenheit und Argumentationstiefe, die aufhorchen ließ. Kein Gleichaltriger hatte sich schon so intensiv mit Wilhelm Reich und griechischen Philosophen beschäftigt wie er. Immer wieder gab er mir Aristoteles zu lesen. Auch werde ich nicht vergessen, dass seine Deutschlehrerin aus der 11. Klasse mir sein voll geschriebenes Arbeitsheft mit der Bitte gab, es zu bewerten, weil sie sich außerstande sah, Heikos Ausarbeitungen zu verstehen – und das in der 11. Klasse! Schon früh also zeigte sich seine geniale Begabung, die ich bewunderte und schätzte.“

Jener Deutschlehrer hat Heikos Aufsätze bis heute aufbewahrt.

Heikos Tiefe war sehr tief. Ich vermute, dass alle, die hier heute zusammen gekommen sind, dies zumindest ahnen. Wenn auch kaum einer oder vielleicht sogar keiner von uns sie wirklich ermessen konnte.

„Es war mir ein tiefer Schmerz, dass ich Heiko nicht verstand,
weil ich intuitiv fühlte, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat.“

So ein gemeinsamer Freund.

Heikos Aussprache war in der Tat nicht immer die deutlichste. Mir kam es immer wieder einmal so vor, als ob er gerade das Allerwichtigste am undeutlichsten aussprach. Gerade so, als ob er es seinem Gegenüber ganz frei stellen wollte, zu hören oder nicht zu hören. Als ob er die Entscheidung, ob ihm ein Würdiger oder ein nicht Würdiger gegenüber sitzt, nicht sich selbst sondern einer weiseren Instanz überlassen wollte.

Weit öffneten wir unsere Ohren und Herzen, so weit wir nur konnten, wenn wir fühlten, dass er uns etwas mitteilen wollte.

Was geschehen ist, ist bereits geschehen.

Tiefste Verbundenheit konnte man mit Heiko vielleicht sowieso in den Momenten erleben, in denen Worte gar keine Rolle mehr spielten. Weil vielleicht gerade in solcher Zeitqualität das Sein, die Unendlichkeit, die Ewigkeit fühlbar werden konnte. Momente, die in Zeiten des Inkarniertseins eher selten sind. Wenn die kostbaren Momente tiefster Begegnung auch rar gewesen sein mögen, so gab es sie. Zumindest so ausreichend oft, dass sie Heiko immer wieder die Kraft gaben weiter zu leben. Daran zu glauben, dass es einen Sinn macht hier zu sein. Zumindest noch für einige Zeit. „Ich mache einfach mal noch ein bisschen weiter“ sagte er zu mir vor gut 10 Jahren, inmitten der vielleicht schmerzlichsten Krise seines Lebens. Eine Zeit, in der er sich oft fragte, ob er jetzt vielleicht verrückt wird. Eine Zeit in der er seine Lebensaufgabe, das Werk Wilhelm Reichs in Forschung und Lehre unter anderem in Berlin, Wien, Helsinki und Zürich vor der Vergessenheit zu bewahren, erfüllt hatte.

Eine Zeit, in der kaum etwas blieb von dem, was ihn zuvor getragen hat.

…denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm nur ein
Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Rainer Maria Rilke

Heiko wurde nicht verrückt, und es zeigte sich, dass auch sein Leben nicht am Ende war. Nach einigen Jahren des „ich mache einfach mal noch ein bisschen weiter“ traf er Sengül, mit der ihn für den Rest seines Lebens eine tiefe Liebe verband. Und er begegnete seinem Lehrer Lu Jin Chuan, dem Stammhalter der höchsten philosophischen Schule des Taoismus.

Das Wissen und die Erfahrungen, die Heiko von Meister Lu übertragen wurden, bewirkten, dass sein Leben und Wirken rund wurde. Heiko Lassek hatte ja nicht nur das Werk Wilhelm Reichs bereits in frühester Jugend für sich entdeckt und erkannt, sondern auch die Weisheiten des Lao Tse. So fand auch das Wissen des Taoismus und dessen hochenergetische Praktiken Eingang in Heikos Wirken als Arzt und Lehrer. Westliches und östliches Wissen vereinten sich zu einem neuen und hochwirksamen Therapieverfahren.

Ja, es wurde etwas rund in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Auf der privaten wie auf der beruflichen Ebene. Krönender Abschluss seines Wirkens ist vielleicht die Realisierung des Films „The Boundary Man“, der im Herbst in brillanter Besetzung in die europäischen Kinos kommt. Heiko war Mitinitiator dieses Filmprojekts über Leben und Lehre Wilhelm Reichs vor 7 Jahren und begleitete dessen Realisierung mit unermüdlichem Einsatz als wissenschaftlicher Berater.

Den Abschluss der Dreharbeiten im vergangenen Herbst und die daran anschließende Pressekonferenz in Wien konnte er selbst noch miterleben. In dieser Zeit sagte er: „Jetzt habe ich Alles erreicht, was ich erreichen wollte.“ Und, anders als 10 Jahre zuvor, hatte er die Gewissheit, dass jetzt wirklich Alles erreicht war, was für ihn hier zu tun war. Und dass es gut war. Dass etwas bleiben und weitergeführt wird. Etwas, von dem er wusste, dass es wesentlich ist.

Heiko hatte durchaus noch eine ganze Menge Zukunftsvisionen. Sie bezogen sich aber eher auf uns. Er selbst kam in diesen Zukunftsvisionen nicht vor, was zumindest mir nicht erst im Anblick seines Todes auffiel. Ja, und er hatte auch selbst noch Pläne… Gleich nach Weihnachten – sobald der erste schöne Tag anbricht – wollte er Sengül Warnemünde zeigen und im Februar eine neue Ausbildungsgruppe in Berlin beginnen. Dass er nach langer Zeit wieder in Berlin unterrichten wollte, begründete er mir so: „Das Reisen wird mir immer anstrengender, und ich fühle, dass ich in der letzten Zeit immer mehr in Berlin, als meinem Ort, ankomme.“

Lieber Heiko, reisen wirst Du in Deiner bisherigen Gestalt fortan gar nicht mehr müssen. Auf Deinem letzten Weg wirst Du nicht allein, sondern von so vielen Freunden begleitet sein, wie vielleicht noch nie zuvor. Ich wünsche Dir, lieber Heiko aus der Tiefe meines Herzens, dass Du jetzt, wo Du von uns gegangen bist, ganz, an Deinem Ort, ankommen wirst.

SLIP AWAY / David Bowie

Heiko Lassek liebte das Schöne. Schöne Frauen, schöne Autos, gutes Essen und guten Wein. Manchem mag dies oberflächlich erschienen sein.

Auch ich dachte einmal, dass Heiko jetzt doch ziemlich dick aufträgt. Das Objekt, an dem sich diese Erfahrung festmachte, war sein heißgeliebter Jaguar. Nicht der Jaguar an sich, sondern dessen Nummernschild. Es trug Heikos Initialen: B-HL. Das fand ich einfach zuviel des Guten. Doch meine Einschätzung wandelte sich mit der Zeit und irgendwann fand ich es sogar richtig gut. „Warum nicht“ dachte ich damals, „vielleicht ist gesundes Selbstbewusstsein ja doch besser als falsche Bescheidenheit“, und es reifte in mir der Gedanke: „Das mache ich bei meinem nächsten Auto auch!“ Heiko hatte ich meine Gedanken nicht erzählt. Dafür spielten sie sich viel zu hintergründig in mir ab.

Etwa ein Jahr nach dem ich meinen Entschluss gefasst hatte, schaffte ich mir tatsächlich ein neues Auto an. Als ich erfuhr, dass das Auto meiner Wahl bereits in Berlin zugelassen war und ich deswegen das bisherige Nummernschild übernehmen muss und die Anfertigung eines neuen Wunschnummernschildes Extrakosten verursachen würde, entschloss ich mich, meinen Plan in die Hände des Zufalls zu legen und die bisherigen Initialen zu übernehmen.

Es hätte ja immer noch sein können, dass das Auto die gewünschten Initialen bereits trägt. Aufgeregt schaute ich mit dem Autohändler in die Fahrzeugpapiere. Das Nummernschild lautete B-HL. In diesem Moment wäre ich vor Scham am liebsten im Boden versunken, und gleichzeitig wusste ich, dass mir gerade eine große Lehre bevor steht, auch wenn ich sie noch gar nicht recht verstand.

Schmunzelnd akzeptierte ich, in den nächsten Jahren ein Auto mit Heikos Initialen zu fahren, auch wenn die Menschen, die das bemerken, vielleicht von mir denken, dass auch ich jetzt zum „Fanclub Heiko Lassek“ gehören könnte, von dem er damals permanent umgeben war und mein Bekenntnis an ihn wohl kaum dicker auftragen könnte… Jedes Mal, wenn ich mein Nummernschild sah, erinnerte ich mich daran, meine Wünsche und Gedanken fortan klarer zu formulieren.

Da mein Vorhaben „nächstes Mal mache ich das auch“ so einen peinlich-ulkigen Ausgang hatte, offenbarte ich Heiko die Geschichte. Der ganz große Witz sollte aber erst noch kommen: Dass Heikos Jaguar dessen Initialen trug, war für ihn in keiner Weise bedeutsam, sondern reinster Zufall!

Ich glaube, dass Heiko das Schöne um sich herum jedoch nicht nur liebte, sondern brauchte. Ganz tief brauchte, um leben zu können. Um das Leben aushalten zu können. Um sich selbst halten zu können. Sich selbst und sein Wissen das er mitgebracht hatte, um es mit uns zu teilen.

„Mach Dich schön für Deine Freunde.“ Darum bat er nicht nur die anderen, auch er selbst lebte nach dieser Vorgabe. Wahrscheinlich ist allen, die Heiko in den vergangenen Monaten begegneten, aufgefallen, wie schön er war. Dies war nicht immer so in der letzten Zeit.

Heiko Lassek hatte schon in gesunden Jahren viele Gesichter. Oft staunte ich über die sichtbare Verwandlung seines Antlitzes, wenn er hungrig war und endlich eine warme, nährende Mahlzeit bekam.

Oft war keine Stelle an ihm sicher,
und er zitterte: Ich bin – – –
doch im nächsten Augenblicke glich er
dem Geliebten einer Königin.
Rainer Maria Rilke

Das Sich-Nähren fiel ihm schwer in den letzten Jahren. Schutz wurde zunehmend wichtig. Manch eine und manch einen schloss er in dieser Zeit aus seinem Leben aus. Nicht unbedingt aus mangelnder Zuneigung sondern aus der Wahrnehmung, dass die Begegnung ihn mehr Kraft kostete als ihm zur Verfügung stand. Dünnhäutig war er geworden, der Heiko.

Was geschehen ist, ist bereits geschehen.

Heiko schenkte gern. Seine Freude war die Freude der anderen. Das Gefühl, dass ein Geschenk nicht erfreute oder schlecht behandelt wurde, schmerzte ihn. So sehr er sich freuen konnte am innigen Miteinander und der Freude der anderen, so sehr schmerzte es ihn, wenn er sich nicht oder missverstanden fühlte, wenn sein Geschenk nicht gefiel.

Leider hat Heiko diesen Schmerz in seinem Leben recht oft erleben müssen. Er hat sich von ihm aber nie unterkriegen lassen und sein weit offenes, gefühliges Herz immer offen gelassen. Nur ein klein wenig mehr Schutz erlaubte er sich in seinen letzten Jahren, als sich zu jenem Schmerz die körperlichen Schmerzen dazu gesellten.

Schön wie selten zuvor sah ich Heiko im vergangenen November. Wir trafen uns in einem seiner Lieblingslokale. „Du bist sooo schön“ sagte ich immer wieder zu ihm. Und: „Ich muss Dich die ganze Zeit anschauen, ich kann ja gar nicht woanders hinschauen“. Und das war ganz wahr. Ich konnte kaum den Blick von ihm nehmen. Und ich freute mich so sehr. Und er freute sich auch. Und Sengül auch.

Vielleicht, so denken wir Zurückgebliebenen jetzt im Nachhinein… vielleicht hat er sich – mit seiner letzten Kraft – für uns wieder so schön gemacht. Für seine Freunde. So schön, dass wir kaum den Blick von ihm nehmen können. Damit wir ihn hier und heute, jetzt, beim Abschiednehmen und der Begleitung auf seinem letzten Weg, genau so: Schön in uns bewahren und vielleicht sogar etwas von dem, was wir von ihm geschenkt bekamen – in Worten oder ohne Worte – weiter in die Welt tragen. In Liebe, Dankbarkeit und Demut.

Johannes Heinrichs übernimmt die Trauerfeier mit der „großen Invokation“ der Theosophen, geleitet mit der Musik AIR / J.S. Bach die Menschen zum Grab und spricht dort ein Friedensgebet.

Jutta Gruber, Berlin Januar 2012

Zurück zu Bukumatula 2012

  • Kommentare deaktiviert für Buk 1/12 Zur Feier des Abschieds von Heiko Lassek
  • Kategorie: 2012
  • Buk 1/12 Heiko hat gelebt

    Zurück zu Bukumatula 2012

    Bukumatula 1/2012

    Heiko hat gelebt

    Interview mit Wolfram Ratz anlässlich des Ablebens von Heiko Lassek
    Beatrix Teichmann-Wirth:

    Beatrix: Lieber Wolfram, wie lange kanntest Du Heiko – und kannst Du Dich an Eure erste Begegnung erinnern?

    Wolfram: Heiko habe ich anlässlich einer Wilhelm Reich-Tagung im Jänner 1987 in Berlin das erste Mal getroffen. Am Abend vor meiner Heimfahrt sind wir in einem Gasthaus am selben Tisch gesessen und ins Reden gekommen. Er hat mich dann mit seinem Porsche in mein Quartier gebracht. Dass daraus eine über Jahrzehnte anhaltende Freundschaft und Zusammenarbeit werden wird, habe ich damals nicht geahnt.

    B: Ihr hattet ja eine ziemlich – könnte man sagen – intensive Beziehung, zumindest wenn Heiko bei Dir nächtigte Wie hat sich diese entwickelt?

    W: Im Jahr 2000 haben wir uns wieder einmal um den Weiterbestand des WRI Gedanken gemacht und unter dem Obmann Günter Hebenstreit den Beschluss gefasst, Heiko, der sich aufgemacht hatte, westliches und östliches Gedankengut zusammenzubringen, zu einer Ausbildung nach Wien zu holen. Er hat das Angebot angenommen. Im Herbst 2001 fand der erste Workshop zum Thema „Orgontherapie und chinesische Energiemedizin“ statt. 2002 startete die erste Ausbildungsgruppe.

    Heiko ist gerne nach Wien gekommen. Mit wenigen Ausnahmen übernachtete er bei mir, im „schönsten Hotel der Welt“. Meistens ist er am Donnerstag in der Früh mit einem riesengroßen, schwarzen Koffer angekommen und hat sich seinen gewohnten Platz in der Küche großflächig mit Laptop, Handy, Büchern, Zeitschriften, Zigarettenschachteln, etc. eingerichtet. Zum Frühstück waren Heiko Leberwurst und zwei weiche Eier wichtig. „An Deiner Küche darfst Du nie etwas verändern“ lautete sein Auftrag, während er aus meinem bestimmt dreißig Jahre alten Radio Nachrichten hörte.

    Als Gastgeschenk überreichte er mir meistens Bücher, die ihn selbst beschäftigten: „Du musst Dich immer weiterbilden, viel lesen – und Spuren hinterlassen“. Beim Abschiednehmen pflegte er stets zu fragen: „Magst Du mich noch?“ Einigermaßen ermattet sagte ich: „Ja, ja“ und habe ihn gedrückt. Das war Teil eines Rituals.

    B: Heiko hat ja sehr viel im Rahmen des WRI gemacht; die Seminare und Vorträge waren, glaube ich, stets gut besucht. Kannst Du ungefähr sagen, wie viele Veranstaltungen mit ihm in Wien stattgefunden haben?

    W: Heiko ist in den Jahren zwischen 2002 und 2008 an die fünfzig Mal nach Wien gekommen. Er war ja schon viele Jahre davor und auch danach immer wieder zu Vorträgen in Wien. Dem Beginn der ersten Ausbildungsgruppe ging der Vortrag „Westliche und östliche Konzepte der Lebensenergie“ voraus, den er im Neuen Institutsgebäude der Wiener Universität gehalten hat.

    Dort hat auch seine erste Begegnung mit Antonin Svoboda stattgefunden, die für seine folgenden Lebensjahre prägend wurde. Das war am 28. November 2002.- Ingesamt gab es drei Ausbildungsgruppen. Vor den Seminaren hat er jeweils am Donnerstagabend einen Vortrag gehalten, meistens im Amerlinghaus.

    B: Was war dabei Heikos Hauptanliegen, bzw. das Hauptthema? Welche Leute kamen zu den Veranstaltungen, und wie war die Resonanz?

    W: Sein Anliegen in diesen Jahren war die Verknüpfung von Lebensenergiemodellen der östlichen und westlichen Philosophie mit Schwerpunkt auf Taoismus und Wilhelm Reich. Heiko hat sich in Wien ein egenes `Feld´ aufgebaut und Schwung in die Wiener Szene gebracht; es sind auch etliche junge Mediziner, Psychologen, etc. dazu gestoßen. Die Veranstaltungen waren gut besucht.

    Heiko war rastlos – rastlos auch in seiner Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. „Augustinus erblickt das Licht der Wahrheit, indem er in intima sua einkehrt und mit dem Auge seiner Seele das unwandelbare Licht erschaut: wer die Wahrheit kennt, kennt es, und wer es kennt, der kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es.“ zitierte er mir einmal aus dem Buch „Über das Sein“ von Parmenides.

    Elfriede Kastenberger, Vorsitzende der AABP, hat in ihrem Beileidschreiben gemeint: „… Mit Heiko haben wir alle einen engagierten, unermüdlichen Forscher und Wegbereiter für wichtige therapeutische Pfade verloren, der sich für ein umfassendes Konzept von Heilung und für eine lebenswertere Welt eingesetzt hat.“

    In den letzten zehn Jahren ist es in der Reich-Szene sehr ruhig geworden. Heiko war es ein großes Anliegen, dass das Gedankengut Wilhelm Reichs erhalten bleibt, dass zumindest ein „kleines Lichtlein“ am Leben bleibt. Als Vorreiter und Protagonist wird uns Heiko in der Tat außerordentlich abgehen.

    B: Wie war Heiko für Dich als Mensch, als Freund?

    W: Großzügig, bescheiden, humorvoll, gesprächig; manchmal auch anstrengend, auch bestimmend.

    B: Die „Küchensitzungen“ bei Dir bis spät in die Nacht hinein waren ja legendär. Worüber wurde da gesprochen?

    W: Wir haben über Gott und die Welt geredet, und bei ausreichend Rotwein hatte das auch zeitlich kein Ende. Heiko war ein guter Redner, ich ein guter Zuhörer. Etliche Male war die „Reich-Küche“ – „die gemütlichsten acht Quadratmeter der Welt“ -, wie Heiko sie nannte, zu den „Hochzeiten“, gesteckt voll.

    Einige haben dann aus „Sicherheitsgründen“ gleich bei mir übernachtet. Am Morgen vor einem Workshop wusste ich gar nicht, wie viele Gedecke ich zum Frühstück auf den Tisch stellen sollte. Das waren schon sehr turbulente Zeiten, die ich aber nicht missen möchte.

    B: Wie hast Du von Heikos Tod erfahren? Wie und wann war Dein letzter Kontakt zu ihm, und wie hast Du sein Gehen verkraftet?

    W: Ich habe zufällig am Abend vor seinem Ableben noch mit ihm telefoniert. Er klang wie immer, hat sich auch nicht über Beschwerden geäußert. Zwei Tage später ruft mich Franz Robotka an und teilt mir mit, dass Heiko gestorben sei. Heiko war acht Jahre jünger als ich. Ich habe nie gedacht, dass er vor mir „seine Reise“ antreten würde.

    Die Nachricht über sein Ableben habe ich gut verkraftet – wir haben ja mehr als einmal über „das Leben danach“, über die Geburt in eine andere Existenz gesprochen, vor der er keine Angst zu haben schien. Beim letzten Abschiednehmen in Kreuzberg konnte ich ihn dann nicht mehr `drücken´.- Heiko hat schnell gelebt und ist schnell gestorben.

    B: Du hast bei der WRI-internen Gedenkfeier im Rahmen der letzten Generalversammlung einige Zitate von Heiko vorgelesen, die er in privatem Rahmen zum Besten gab. Kannst Du einige, für Dich wesentliche nennen?

    W: Ich möchte ein Zitat an dieser Stelle wiedergeben, das von A.S. Neill stammt und das ich inhaltlich mit Heiko in Verbindung bringe: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben; ich habe Angst davor, nicht zu leben.“

    __________________

    Zitiert aus Heikos Lieblings CD „Heroes“ von David Bowie:

    „I wish you could swim,
    like dolphins,
    like dolphins can swim.“

    Zurück zu Bukumatula 2012

  • Kommentare deaktiviert für Buk 1/12 Heiko hat gelebt
  • Kategorie: 2012
  • Buk 1/12 Der Grenzgänger

    Zurück zu Bukumatula 2012

    Bukumatula 1/2012

    Der Grenzgänger

    Gespräch mit Heiko Lassek über die Entstehung und Produktion des Filmes
    „The Boundary Man“ anfangs Dezember 2012.
    Thomas Harms:

    Thomas Harms: Heiko, die Dreharbeiten zum Film „The Boundary Man (AT)“ sind beendet. Was bedeutet es für dich, dass der Film jetzt Realität geworden ist?

    Heiko Lassek: Das ist ein ganz großer Traum, der hier für mich wahr wird. Dazu gehört gesagt, dass ich 2002 am Psychologischen Institut in Wien einen Vortrag gehalten habe und eine mir unbekannte Person mich angesprochen hat, ob es eine Möglichkeit gibt, mit mir über die Inhalte des Vortrags zu sprechen.

    Also habe ich ihn noch am selben Abend eingeladen, sich nach dem Vortrag in einem Restaurant mit mir, Freunden und Bekannten vom Wiener Reich Institut zu treffen. Er ist jedoch an diesem Abend dort nicht aufgetaucht. Ein zweites Mal sah ich ihn vier Wochen später in einer Fortbildungsgruppe, die ich damals in Wien angeboten habe.

    Als ich ihm dort begegnete, hatte ich den seltsamen Eindruck, dass es sich bei ihm – von der Erscheinung her – um einen rumänischen Tabakwarenhändler handeln würde (lacht). Er blieb dann in der Gruppe als Teilnehmer und erzählte mir, dass er etwas mit „Filmen machen würde“. Er reagierte in dem Seminar so überraschend, so durchlässig, wie ich das eigentlich bei keinem männlichen Teilnehmer in einer neuen Gruppe erlebt hatte.

    Und es hat dann sehr kurze Zeit gedauert, eigentlich wenige Monate, dass wir intensive Gespräche begonnen haben und Freunde wurden; gemeinsam auf Urlaub gefahren sind – später auch mit unseren Lebensgefährtinnen -, also eine sehr persönliche Freundschaft aufbauten und ich auch mehr und mehr seine Arbeit kennen gelernt habe. Er war damals und ist bis heute ein erfolgreicher Filmproduzent in Österreich.

    Die Idee eines Reich-Films kam auf einer ganz privaten Ebene, sozusagen aus dem NICHTS.- Es war früh morgens in einer – ich würde sagen `abgestiegenen´ Kneipe im Arbeiterviertel Simmering, wo Antonin Svoboda auf einmal sagte: „Ich hätte große Lust über all diese Themen einen Film zu drehen.“- Ich habe das damals gar nicht so ernst genommen, habe aber dann seine sehr seriöse Arbeit als Filmproduzent mitverfolgen können.

    Einige Jahre später gab es für uns die Möglichkeit, über EU-Fördermittel aus dem `Media Programm´ in die USA zu reisen, um insgesamt zwei Mal alte Lehrer und Freunde, die Familie Reich und ehemalige Mitarbeiter Wilhelm Reichs zu besuchen. Ich war sehr beeindruckt über das Detailwissen, das sich Antonin mittlerweile durch unendlich viele Gespräche in gemeinsamen Urlauben sowie Aufenthalten in Wien und Berlin als Basis angeeignet hatte.

    T: Geschah dies schon mit dem Ziel, dieses Filmprojekt in Angriff zu nehmen, oder war das damals noch nicht der Plan?

    H: Der Antrag beim Media-Entwicklungsprogramm lautete ganz konkret auf Entwicklung eines Spiel- und Dokumentarfilms. Das war zu meiner großen Überraschung schon alles organisatorisch geklärt worden, z.B. waren Anträge bei der Brüsseler Kommission für einen Dokumentarfilm bereits in die Wege geleitet worden.

    Durch den glücklichen Umstand, dass die Firma Coop99 schon sehr erfolgreiche Filme produziert hatte und dadurch in der Lage war, die erhaltenen Fördermittel komplett an die EU-Kommission zurückzuzahlen, bestand überhaupt erst die Chance, ein solches Außenseiterthema einzubringen.

    Tatsächlich bekamen wir nur eine minimale Förderung. Es war gerade genug, um die Kosten für Flüge, Mietautos, Hotels und Essen abzudecken. Aber mit dieser Starthilfe hatten wir in dieser Zeit – ich spreche von den Jahren zwischen 2003 und 2007 – die einmalige Gelegenheit, die Familie Reich – Eva Reich, Renata Reich, Peter Reich, Ilse Ollendorf-Reich und auch andere noch lebende Schüler Reichs zu besuchen und sie zu interviewen.

    T: Der bekannte Schauspieler Klaus-Maria Brandauer spielt in dem Film die Hauptrolle des „späten“ Reich. Er sagt ja von sich, dass dieser Film für ihn etwas ganz Besonderes sei. Er zeige einen bisher unbekannten Reich, einen Reich, den man nicht „googeln“ kann. Was kann man darunter verstehen?

    H: Das ist eine ganz interessante und brillante Aussage von Klaus-Maria Brandauer. Tatsächlich geht es im Zentrum des Films um die letzten zehn Jahre Wilhelm Reichs. Es geht um Reich als Forscher, aber auch um den Verfolgten und Gejagten, einem genialen und getriebenen Denker und Experimentator.

    Um einen, der eben ganz verschiedene Ebenen miteinander verband: Von der Niedrigstrahlung bei atomaren Experimenten über biologische Zerfallsprozesse bei schwersten Erkrankungen wie Krebs, den Einfluss der Atmosphäre auf den menschlichen Organismus und seinen Selbstregulationsprozessen, Möglichkeiten der Wetterbeeinflussung bis hin zu Flugobjekten unbekannter Identifikation.

    Also Gebiete, die scheinbar von außen her thematisch überhaupt nicht miteinander in Beziehung zu bringen sind, sondern nur durch den roten Faden in Reichs Forschungswerk – seiner Erforschung einer grundlegenden Energie des Lebendigen – verstehbar werden. Einer Lebensenergie, die nicht nur biologisch, organismisch-körperlich wirkt, sondern eben auch atmosphärische, meteorologische und sogar kosmische Dimensionen mit beinhaltet.

    T: Tatsächlich spricht Brandauer in einem seiner Interviews, dass Reich die Person sei, die die Kraft erforscht hätte, die den Menschen mit dem Kosmos verbindet.

    H: Klaus-Maria Brandauer sagte es so klar, dass er mich an etwas erinnerte: An meine Sehnsucht, die ich früher gehabt habe und dann vergessen habe. Er hat mich damit an etwas ganz Tiefes in mir wieder erinnert.

    T: Du meinst die Verbindung mit dem Kosmischen. Reich spricht ja von einer “kosmischen“ Sehnsucht.

    H: Ja, etwas, das uns mit der umgebenden Welt verbindet, aber eben nicht nur der für uns sinnlich wahrnehmbaren, sondern eines viel weiter gehenden Prinzips einer kosmischen Energie, von der wir vielleicht ein Teil sind, ein kleiner Wassertropfen in einem Ozean.

    T: Brandauer sowie auch alle anderen Schauspieler des Teams sind mit Hingabe an das Projekt herangegangen. Die Entstehung des Films scheint eine eigene Faszination entwickelt zu haben. Kannst du etwas dazu sagen, wie Brandauer sich persönlich auf die Person des Wilhelm Reich vorbereitet hat?

    H: Er hat sehr früh, schon vor Jahren in einem Interview erwähnt, dass ein junger Regisseur namens Antonin Svoboda ihn mit einem Drehbuch kontaktiert habe und er von diesem Drehbuch ganz fasziniert war, weil er der Hauptperson nah zu sein glaubte und auch mit dem Namen Wilhelm Reich einiges verbunden hat. Er hat dann das aktuelle Drehbuch gelesen, sich auch in das Spätwerk Reichs eingelesen und war höchst erstaunt, um nicht zu sagen schockiert – das hat er mir persönlich berichtet -, dass Freunde von ihm immer wieder gesagt haben: ja aber da ist doch der Reich verrückt geworden.

    Und wenn er aber bei seinen eigenen Freunden nachfragte, wie sie zu dieser Ansicht kämen, konnte es ihm niemand beantworten. Je mehr er nachfragte – also mit dem inzwischen erworbenen Wissen über das Drehbuch und durch seine eignen Recherchen -, umso mehr merkte er, dass selbst Freunde, die er für sehr intelligent und gebildet gehalten hatte, sich mit diesen Inhalten und Themen überhaupt nicht beschäftigt hatten. Also gar nicht wussten, worauf ihre Meinung eigentlich beruhte.

    Und das hat ihn fasziniert, dass da etwas ist, was man eben auch so schön ausgedrückt, nicht „googeln“ kann, was auch nicht zum Allgemeinwissen gehört. Und dass da ein ganz gigantisches Spätwerk eines genialen Forschers vorliegt. Von einem Menschen, den man auch als „verrückt“ bezeichnen kann, wie man ja viele Menschen immer wieder als verrückt bezeichnet hat, die über Grenzen gegangen sind. Darum heißt der Film im Arbeitstitel ja auch „The Boundary Man“.

    T: Und das scheint auch jener Teil zu sein, der Brandauer faszinierte: das Widerspruchsvolle und Unverstandene in dieser Figur Reich. Jener Aspekt der Persönlichkeit, in dem das Opponierende zum Vorschein kommt.

    H: Ja, Reich hat sicherlich die seltene Auszeichnung eines Wissenschaftlers, Arztes, Psychoanalytikers sowie biologischen und physikalischen Forschers, dessen Bücher gleich zweimal verbrannt wurden. Einmal im Nationalsozialismus und dann, 1957, in den USA unter Vernichtung aller Forschungsanlagen, Zerstörung von Laborinstrumenten und letztlich auch unter Vernichtung seiner physischen Existenz. Er wurde wegen nichts anderem als Missachtung des Gerichts, nur wegen Missachtung, zu zwei Jahren Haft verurteilt. Und zwei Wochen vor seiner Entlassung ist er – unter nicht obduzierten Umständen – im Gefängnis plötzlich verstorben.

    T: Wie kam es letztlich zum endgültigen Titel des Films? Wer hat ihn entwickelt?

    H: Die Idee kam ganz und gar von Antonin Svoboda. „The Boundary Man“ war der letzte einer Reihe von Titeln, die diskutiert wurden. Zuerst lief das Projekt unter dem Titel „Creation“. Das war jenes Buch, an dem Reich eineinhalb Jahre im Gefängnis gearbeitet hatte. Ein Werk über Antigravitation, von dem nicht eine Seite nach seinem Tod gefunden wurde. Ein anderer Titel, der in Erwägung gezogen wurde, war in Erinnerung an eine Hymne von Kate Bush, „Man with the Child in his Eyes“, ausgesucht worden. Erst ganz zum Schluss wurde es dann „The Boundary Man“.

    T: Reich hat das herrschende Paradigma auf vielfältigen Ebenen durchdrungen. An welchen Stellen des Filmes finden wir das Getriebene in der Figur des Wilhelm Reich, von der du am Anfang sprachst?

    H: Es ist die Suche nach der Energie der Triebe, es ist auch die Suche nach dem Beginn des Lebens. Das ist der rote Faden der sich durch sein ganzes Leben und durch seine Forschung zieht. Immer wieder hat er betont, auch in zahlreichen Interviews bis kurz vor seinem Tode, er habe gar nicht geahnt wohin ihn das alles führen würde, und wenn er es gewusst hätte, wäre er gar nicht weitergegangen. Aber er ist seinen Weg weitergegangen. Alleine und unbeirrbar. Dieser Punkt macht den „Grenzgänger“ so sehr aus.

    Was vielleicht Klaus Maria Brandauer so fasziniert hat – darüber haben wir gleich am Anfang unserer Freundschaft sehr viel gesprochen -, ist dieser gigantische Gegensatz im Verhalten von Galileo Galilei zu Wilhelm Reich. Das steht auch im Mittelpunkt des Films, worauf ich auch immer bestanden habe. Galilei hat sich gegenüber der Inquisition verleugnet, hat aber z.B. in der Brecht’schen Fassung von „Das Leben des Galilei“, die Klaus Maria Brandauer auch sehr viel bedeutet, eben Schüler unterrichten können. Und das ganze Stück endet dann darin, dass er zu seinen Schülern sagt: „Macht eure Notizen“. Das heißt, er hat geleugnet! Aber die Wahrheit konnte über seine Schüler weiterleben. Und er selbst konnte weiterleben – unter Hausarrest.

    Reich hat aber jeden Ausweg abgelehnt. Auswege wurden ihm durch Mitarbeiter, durch Bewunderer, selbst durch den ersten Richter, der dann später diese Position aufgegeben hat, weil seine Frau gestorben war, angeboten. All das hat er aber abgelehnt. So hätte er z.B. freigesprochen werden können, hätte keinerlei Verurteilung erfahren, wenn er sich nur für seine letzten zwei Lebensjahre für „paranoid“ hätte diagnostizieren lassen.

    Reich ist einen, wie ich meine, schwer nachvollziehbaren, aber in großen Teilen auch genialen Weg gegangen, indem er seine Forschung, seine Schriften durch eine Treuhänderstiftung im Rahmen der amerikanischen Gesetzgebung hat sichern lassen. Dass erst 50 Jahre nach seinem Tod diese Archive, als Bestandteil der Harvard Medical Library, geöffnet werden. Das ist im Jahr 2007 erfolgt. Das Material ist bis heute nicht vollständig gesichtet, und man weiß auch bis heute nicht, was darin alles verborgen ist. Aber viele Aspekte von Reichs Werk, die bisher als phantastisch erklärt wurden, haben sich als grundlegend wahr erwiesen, andere haben einer Korrektur bedurft.

    T: Es ist das erste Mal, dass ein Film über die Person und über das Werk Reichs als Spielfilm in die Kinos kommt. Welche Wirkung wird der Film haben, nachdem es gerade in den letzten 10 – 15 Jahren sehr ruhig um das Werk Wilhelm Reichs geworden ist?

    H: Ich denke es ist ein ganz weit gespannter, äußerst authentischer, ja fast mit rigider Perfektion gedrehter Film, der die Atmosphäre der 50er Jahre einfängt – der McCarthy-Ära mit ihrer Wegerklärung von Bedrohungen, die damals real waren, wie z.B. der Koreakrieg. Und es gab die Verkündung von Atomenergie als reiner, friedvoller Energie, obwohl alles so nicht stimmte. Hiroshima und Nagasaki waren verdrängt worden.

    Gleichzeitig liefen Experimente mit oberirdischen Atomexplosionen und die Erforschung der Wirkung der Atomenergie an Tausenden von Armeeangehörigen in den Wüsten von Arizona. Das alles wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Erst 30 Jahre später gab es massive Klagen wegen schwerster Erkrankungen wie Leukämien, Hodgkin-Lymphomen, die in einem sehr klaren Zusammenhang mit der Exposition der anwesenden Menschen bei den Atombombenversuchen standen.

    Ich denke, dass hier eine ganze Ära, eine Politik der Desinformation neu thematisiert wird. Strukturen, die damals wie heute in den USA wirkten und wirken. Hier geht es um das weltweite Operieren mit Falschinformationen, mit Verwirrungstaktiken, mit unklaren, widersprüchlichen, bewusstseinslöschenden Aussagen, die einfach stehenbleiben.
    Ich meine, dass sich ein machtvolles System gegen Informationen und Experimente mit sehr klaren Aussagen gewehrt hat. Dass es ein solches Wissen um eine Lebensenergie oder um Selbstregulationsprozesse nicht geben darf. Oder im Interesse einer bestimmten politischen und auch industriellen Ebene nicht auf die Bühne treten sollte.

    T: Ich stelle es mir schwierig vor, sich als Schauspieler in die Komplexität der Materie einzufinden. Insbesondere in die wissenschaftliche Welt Wilhelm Reichs. Wie wurde das konkret von Brandauer und den anderen Schauspielern angegangen?

    H: Das war ganz beeindruckend und wunderschön, ich möchte fast sagen: traumhaft. Es war Antonin ein großes Anliegen, dass alle Schauspieler möglichst viel an Hintergrundinformationen zu Reich bekommen. Und Klaus Maria Brandauer hat die zentralen Schauspieler zu sich nach Altaussee eingeladen. Einem für Brandauer bedeutenden Ort, wo er seit über 30 Jahren lebt. Übrigens nur zwei Straßen entfernt von dem Haus, wo er seine Kindheit verbrachte.

    Brandauer war ein perfekter Gastgeber. Von morgens bis abends gab es Unterricht, zu dem ich eigens eingeflogen war. Ob nun Therapiedemonstrationen, ob Reichs Herangehensweisen, ob Fragen, wie Eva Reich wirklich war, wie sie gesprochen hat, usw. Obwohl das erst einmal wenig mit dem originären Skript zu tun hatte, half es den Schauspielern, wie z.B. Julia Jentsch, die Eva Reich spielt, den Habitus der Figuren zu erfassen. Wir schauten uns gemeinsam Video-Vorträge von Eva Reich an. Ich zeigte, wie sie die Schmetterlingsmassage praktizierte, obwohl das alles im Film nicht vorkommt.

    Oder zum Beispiel Jeanette Hain, die Ilse Ollendorff-Reich spielt, erkundigte sich, wie das Verhältnis von Ilse nach der Diagnose ihres Gebärmutterhalskrebses zu Reich war. Wie war es, als er sie fortgeschickt hat? Das ging bis dahin, wie die Abendatmosphäre bei den Reichs war, welches Essen er am meisten schätzte. D.h. es ging um Hintergrundstimmungen, die gar nichts mit den konkreten Szenen und dem Text zu tun hatten.

    Der ganze Tag sollte für die Schauspieler von morgens bis nachts um 3:00 Uhr – wirklich: von 8:00-3:00 Uhr morgens am nächsten Tag! – erfüllt sein mit Hintergrunddiskussionen. Auch mit vielen wissenschaftlichen Gesprächen. Da ging es um die Reichschen Bionforschungen, die Orgonakkumulatoren bis hin zu den Strahlungsphänomen. Wir haben demonstriert, wir haben geatmet, wir haben Berührungen erforscht. Wir haben eine Unmenge an Materialien und ganz persönliche Informationen über die Familie Reich ausgetauscht. Es ging einzig darum, in einer ganz ernsthaften Atmosphäre das Gesamtgewebe so deutlich wie möglich herauszuarbeiten.

    T: Es klingt so, als sei ein Feld entstanden, das die Schauspieler Stück für Stück in sich aufgesogen haben, sozusagen als Voraussetzung, um ihre Rollen ganz zu erfassen.

    H: Myriaden von Informationen, die der Erfühlung der Rolle in ihrer historischen und auch persönlichen Dimension dienten. Es bestand der Wunsch, alles so perfekt wie überhaupt möglich zu machen. Vom Bild hinter Reichs originärem Schreibtisch in Orgonon, der Statue auf seinem Schreibtisch, der Jacke, die Reich am liebsten getragen hat bis hin zu seinem Lieblingsgericht und seiner Pianomusik am Abend. Whiskyflaschen und Zigarettenschachteln aus den 50er Jahren wurden besorgt. Auch das Auto, das per Schiff aus den USA kam, hatte exakt die gleiche Farbe und war das gleiche Modell, wie jener Wagen, den Reich gefahren hat. Alles wurde mit äußerster Präzision für das Gesamte rekonstruiert, um die entsprechende Hintergrundstimmung zu erzeugen.

    T: Aber es ist trotzdem mehr als ein Dokumentarfilm?

    H: Es ist ganz klar ein Spielfilm und dazu gehören – ich sage nicht zwei, sondern eineinhalb Modifikationen. Erstens eine sicherlich eingeführte Liebesgeschichte, die eben wirklich dramaturgisch begründet ist und eine nicht unwahrscheinliche, sogar vielleicht eher wahrscheinliche Vermutung über die wahre Rolle von Reichs letzter Lebensgefährtin und Geliebten, Aurora Karrer. Der Frau, die er nach seinem Gefängnisaufenthalt auch heiraten wollte.

    T: Diese Ebene ist im Film enthalten und wurde gespielt?

    H: Ich sage sehr bewusst, wir haben eineinhalb fiktive Ebenen drin’, aufgrund der Dramaturgie, die nötig ist. Die zweite Ebene ist die, dass Aurora Karrer eventuell eine Agentin der FDA oder einer anderen Regierungsbehörde war, die sich in Reichs Vertrauen in seiner zerrissendsten und verletzlichsten Phase eingeschlichen hat. Als Vertraute, um ihn zu manipulieren.

    T: Ist diese Ebene fiktiv oder gibt es eine empirische Basis für die Person der Aurora Karrer?

    H: Es gibt zahlreiche Indizien aber keine Beweise, dass hier Mechanismen gegriffen haben, um jemanden im Interesse von Behörden zu manipulieren. Aurora Karrer blieb trotz aller Recherchen seit 1957 bis heute unauffindbar. All ihr Wissen, Dokumente, Mikrofilme, etc. waren in keiner Art und Weise detektierbar, oder durch irgendeine Hinterlassenschaft eruierbar.

    T: Kannst du etwas darüber erzählen, wie der Film endet?

    H: Ich möchte jetzt nicht über das Ende des Films sprechen. Das soll eine schöne Überraschung bleiben.
    Ich möchte aber über ein Ende sprechen, das filmisch nicht verwirklicht wurde, aber vor vier, fünf Jahren noch im Entwurf stand. In der Schlussszene des Films, die ich sehr mochte, tritt ein Agent der Food and Drug Administration auf, der bezeichnenderweise von uns auch noch Klein genannt wurde.

    Dieser Herr Klein findet im Laufe seiner Recherchen immer mehr heraus, dass doch was dran ist an den von Reich entwickelten Instrumenten, z.B. am Orgonakkumulator. Er selbst erlebt an Leuten aus der Bevölkerung der nächstgelegenen Stadt und auch an Familienangehörigen, wie sie durch die Geräte Heilung erfahren. Und trotzdem ist er auf der Seite der FDA und bleibt seinem Auftraggeber treu, obwohl er ein zerrissenes, schlechtes Gewissen hat.

    Viele Jahre nach Reichs Tod geht er 1968 in New York in einen Zeitungsladen. Und in diesem Zeitungsladen liest er auf den Titelseiten von Massenprotesten, die in Chicago, London, Berlin, Frankfurt stattfinden. Von einer Studentenrevolution, von der er noch nie etwas gehört hat und die sich auf Wilhelm Reich beruft.

    Er steht staunend davor und kauft ganz viele Zeitungen. Dann tritt er auf die Straße und platzt in eine Demonstration von Jugendlichen hinein – und überall sind die Parolen Wilhelm Reichs auf Plakaten zu sehen. Fassungslos, beeindruckt, verwirrt aber auch fast lächelnd beobachtet er die Szene.

    Das war der Abschluss des ursprünglichen Skripts „Creation“, wie wir es genannt haben und hätte mit dem Satz „It can be done“ geendet – mit dem gleichen Satz, den Reich auch auf Plakaten in seinem Labor hängen hatte. Wir können es tun, also: es kann geschafft werden.

    Zurück zu Bukumatula 2012

  • Kommentare deaktiviert für Buk 1/12 Der Grenzgänger
  • Kategorie: 2012
  • Zurück zu Bukumatula 2012
    Bukumatula 2/2012

    Mein Weg mit Heiko Lassek – Eine Berlinerin in Wien

    Interview mit Tina Lindemann
    Beatrix Teichmann-Wirth:

    Im Vorzimmerbereich, in den Spiegel geklemmt, da ist ein Foto – Heiko und Tina, beide eine Kamera in der Hand und in verschiedene Richtungen blickend. Tina hat es hier nach Heikos Tod aufgehängt, weil es ausdrückt, was ihre Beziehung beschreibt: eng beisammen und doch mit unterschiedlicher Perspektive. Das erzählt sie mir an einem warmen Sommernachmittag, an dem wir einander treffen, um ein Gespräch über ihre Beziehung zu und ihre Erfahrungen mit Heiko und ihre Arbeit zu führen.

    Diese ihre Beziehung zu Heiko ist, so erscheint es mir, eine intensive, einander bereichernde gewesen – und eine komplizierte. Kennengelernt hat Tina Heiko, als ihr Vater sie zu einem Vortrag von Heiko mitgenommen hat und sie dann eine Orgontherapie-Ausbildung bei ihm begann. Sie erzählt, wie sie sich als Probandin zur Verfügung gestellt hat und Erfahrungen ihrer Lebendigkeit in Form von starken Vibrationen und Strömungsempfindungen machte. Heiko hat in dieser Ausbildung, die über vier Jahre ging, sein Wissen und seine Erfahrung weitergegeben, welche er selbst auf seinem Weg gemacht hat – dies sehr praktisch und sehr persönlich gefärbt.

    Ihre Beziehung war eine vielschichtige: Tina war Schülerin, Assistentin, Heiko in ihrer Praxis Untermieter, sie war Kollegin und Freundin, Unterstützerin in seinen Krisen, nur ein Liebespaar das waren sie nie.

    Im Jahre 2009 gab es dann das Projekt einer gemeinsamen Ausbildungsgruppe in Wien – ebenbürtig, auf Augenhöhe.- Hier wiederholte sich etwas, was ich selbst oftmals in Beziehungen mit charismatischen Männern erlebt habe: Dass es solange gut geht, solange die Frau die unterstützende, lernende, vielleicht bewundernde und assistierende ist und dass dann, wenn Ebenbürtigkeit gelebt werden will, die Beziehung schwierig wird und diese Schwierigkeiten bis zum Kontaktabbruch gehen.- So war es dann auch schwierig. Es war nicht möglich, miteinander genaue Vereinbarungen zu treffen, und Tina begann alleine die Ausbildung zu führen.

    Es folgten unangenehme Anschuldigungen – und dennoch schickte ihr Heiko weiterhin Klienten. Was das Fachlich-Sachliche betraf, galt eine Art Nicht-Angriffspakt. Ein Jahr später schickte ihm Tina dann einen langen Brief mit ihrer Sicht der Dinge und gestand darin auch eigene Versäumnisse ein. Ein knappes SMS war die Antwort: „Und was nun?“- Kein weiteres Gespräch folgte, und erst nach Heikos Tod erfuhr Tina, dass er ihren Brief verstanden und sehr geschätzt hat. Das tat gut. Tina spricht über Heiko mit großer Wertschätzung und Dankbarkeit. Heiko fehlt ihr als Lehrer und als Freund.

    Als ich sie zum Schluss frage, was das Wichtigste an ihrer Begegnung mit Heiko war, meint sie zuallererst, dass Heiko „nie lieb war“, dass er die Menschen nicht in Ruhe gelassen hat, dass er eine beständige Herausforderung war, den Finger immer auf die wunden Punkte gelegt hat. Seine Neugierde und seine Begeisterungsfähigkeit waren enorm ansteckend; er ermutigte, sich nicht bequem niederzulassen, sondern dem eigenen Gefühl zu vertrauen. Heiko war anstrengend, sehr inspirierend und äußerst geistreich und witzig. Es mag erstaunen, aber er schätzte es, dass sie es wagte, ihn zu kritisieren.

    Unser Gespräch war sehr kurzweilig. Dann zu Hause, als ich mich daran machte es zu Papier zu bringen, fiel mir ein Interview*) in die Hände, das Christian Bartuska 2004 mit Heiko geführt hat, und ich entschied mich zu einigen dieser Fragen auch die Tina-Perspektive zu Wort kommen zu lassen.

    Beatrix: Wie bist du mit den Arbeiten Wilhelm Reichs in Kontakt gekommen?

    Tina: Abgesehen von meinen ersten Erlebnissen als Kind mit dem Orgonakkumulator (ORAC) meines Vaters, bin ich erst während meiner Studienzeit durch Vorträge von Heiko und durch die Orgontherapie-Ausbildung auf Wilhelm Reich gestoßen. Von Reich als Person wusste ich damals noch nicht viel. Ich bin wirklich über die Praxis, also über persönliche Erfahrung von Pulsation und Strömen dazu gekommen – und durch Heikos Begeisterung für die Sache.

    Dann aber auch durch meine eigene Erkrankung mit einer Krebsvorstufe und die darauf folgenden Behandlungen bei Heiko und mit dem ORAC, den ich damals von ihm geliehen bekam. Ich war zur Überraschung meiner Ärztin und meiner eigenen sehr schnell wieder „gesund“, und im weiteren Verlauf hat sich meine komplette energetische Reaktionsweise sehr geändert, stabil, bis heute. Die Literatur zu studieren habe ich erst danach so richtig begonnen. Eigentlich bin ich zu allem, was für meine Arbeit von Bedeutung ist über meine eigene Erfahrung gekommen: Über Heiko zur Orgontherapie bzw. zum brasilianischen Schamanismus, den Ilse Korte gelehrt hat und zu dem er mich zum ersten Workshop mitgenommen hat – eher um sie kennenzulernen, als um damit zu arbeiten.

    Aber es kam anders. Genauso ging es mir mit der Taoistischen Energiemedizin, als Heiko mit uns die „Spontanen Bewegungen“ zu üben begonnen hat und das Erleben so intensiv war, dass ich mehr wissen wollte.- Meine Kenntnisse über Chinesische Medizin und Akupunktur verdanke ich meinem ehemaligen Chefarzt in meiner orthopädischen Ausbildung. Und „Reconnective Healing“ den Empfindungen, die ich hatte, als Renate Wieser einer kleinen Gruppe den Film „The Living Matrix“ vorgestellt hat.

    Ich habe mich dann zwar zum Seminar angemeldet, aber im Grunde ging das schon vorher in meine Arbeit ein, einfach weil sich die Wahrnehmung in meinen Händen sofort intensiviert hat. Mein Weg zur Schulmedizin war im Grunde nicht anders. Ich bin über den Sanitätsdienst dort gelandet. Meine Neugier war geweckt, und dann ging es einfach weiter. Das Gedankengut Reichs ist bis heute Hauptbestandteil meiner Arbeit, und nichts, was ich später dazu gelernt habe, widerspricht dem in den Grundannahmen. Nur die Schwerpunkte bzw. Begrifflichkeiten sind andere.

    B: Rund um Heiko hat sich ja ein großes Netzwerk gesponnen, wozu auch du gehörtest. Welche Personen waren, bzw. sind da für dich besonders wichtig?

    T: Heike Buhl ist mir als Kollegin und Freundin ganz wichtig; und natürlich die anderen Mitglieder der Wilhelm Reich-Gesellschaft und des WRI. Dann Therapeuten, die Heiko zu Seminaren nach Berlin eingeladen hat wie Myron Sharaf, Richard Blasband, Björn Blumenthal und andere. Ebenso Digne Meller-Marcovicz, die Filmemacherin, und viele, viele andere, ich bekäme sie nie alle zusammen.

    Ich habe in den letzten 18 Jahren ziemlich viel Zeit mit Heiko und anderen Menschen an Tischen und in Seminarräumen verbracht, und die Gespräche gingen meist um „Etwas“. Auch wenn viel gescherzt und gelacht wurde, war Heiko oft wieder ganz plötzlich bei einem Thema, das ihm wichtig war, und es gab immer etwas zu lernen. Ich denke, das hat mich eher in seiner Gesamtheit geprägt, als dass einzelne Personen besonderen Einfluss auf mich gehabt hätten.

    B: Inwieweit hast du Kontakt zu den Leuten vom Reich-Museum in Orgonon?

    T: Ich war 2008 anlässlich der jährlich stattfindenden „Sommerkonferenz“ dort. Mit einigen Teilnehmern habe ich noch Kontakt, besonders mit Phil Bennett, den ich, wie Kevin Hinchey, 2007 in Wien anlässlich der Ausstellung zu Reichs fünfzigstem Todestag im Jüdischen Museum kennen gelernt habe.- Mit den Leuten vom Reich-Museum selbst habe ich zur Zeit keinen Kontakt.

    B: Wie war dein Kontakt zu Eva Reich?

    T: Als ich meine Ausbildung bei Heiko begann, war Eva Reich leider schon zu krank, um nach Berlin zu kommen. Ich habe natürlich viel von Heiko über sie gehört und auch ihre „Babymassage“ gelernt. Und 2007 habe ich in Wien ihre Tochter Renata anlässlich der Vorführung des Films „Ich bin ein Doktor auf Expedition“ im Hebammenzentrum in Nußdorf kennengelernt.

    Bei meinem Aufenthalt in Maine, 2008, hat mich Renata eingeladen in Evas Haus zu übernachten. Ich kam mir etwas seltsam vor, wie eine „Idol-Touristin“, aber Renata war einfach sehr nett, und ich wusste, so schnell komme ich nicht wieder in diese Gegend. Bei meiner Ankunft lag Eva, wie schon seit langem, in ihrem Krankenbett; eine Pflegerin war da, und Eva schlief. Nach einer Weile wurde sie wach. Renata stellte mich vor, und dann begann eine Unterhaltung, die sich hauptsächlich um ihren Vater, um Heiko und um Deutschland drehte. Sie hatte lange kein Deutsch mehr gehört und es schien sie sehr zu beruhigen, dass mit mir so etwas wie eine „nachwachsende Generation“ zu Besuch war. Ich hatte das Gefühl, dass sie am liebsten immer noch weiterarbeiten würde, damit ihre und die Arbeit ihres Vaters nicht verlorengehen.

    Zeitweise wirkte sie schon recht verwirrt und wurde schnell müde. Sie erzählte uns wiederholt, was ihr zu einem Bild, das neben ihrem Bett stand, einfiel, auf dem eine ältere Frau und zwei Männer abgebildet waren; alle sahen recht glücklich aus, und sie ließ sich immer neue Varianten einer Geschichte dazu einfallen. Bei aller Krankheit und Erschöpfung strahlte sie jedoch aus jedem Knopfloch, ohne dabei Schmerzen und Sorgen zu überspielen. Sie wirkte auf mich wunderschön und ich kann mir ansatzweise vorstellen, wie sie gewesen sein muss, als sie noch bei vollen Kräften war.

    Zwei Wochen später ist sie gestorben. Ich war wieder zurück in Wien und war so betroffen, als hätte ich eine gute Freundin verloren.

    B: In der Reichschen Therapie stellt sich ja immer die Frage, welche Grundorientierung besteht, vereinfacht gesagT: Charakter, Emotion, Pulsationsarbeit …. wenn du diesbezüglich deine Arbeit ansiehst, was ist da vorrangig?

    T: In der Orgontherapie nach Reich/Lassek ist sicher die Pulsationsarbeit die Basis, zusammen mit den drei verschiedenen energetischen Reaktionstypen, die jeweils in ihrer stärksten Ausprägung mit bestimmten Erkrankungen einhergehen. In der Praxis – und meiner Überzeugung und Erfahrung nach – sind Körper, Geist und Emotionen schlicht nicht zu trennen. Das heißt, die funktionelle Identität, die Reich beschrieben hat, ist immer präsent und eine nicht weg zu denkende Grundlage.

    Ich bin keine Psychotherapeutin und auch keine Charakteranalytikerin, aber das Gespräch und mein Wissen um diese Herangehensweise fließen genauso in die Arbeit ein, wie alle anderen Erfahrungen, die ich im Laufe der Zeit gesammelt habe und weiter täglich mache. Für mich ist letztlich nicht die Charaktertypisierung oder der Energietyp ausschlaggebend, auch nicht die schulmedizinische Diagnose, sondern die ganz individuelle Konstellation, die jeder Einzelne mitbringt.

    Das Ziel der Therapie ist für mich die weitestmögliche Herstellung der Selbstregulation und des freien Energieflusses im Körper, genauso wie der freie Ausdruck der Emotionen, sowie eine Verankerung des Individuums in sich selbst. Die meisten Menschen, die zu mir kommen sind im Grunde durch Erfahrungen in ihrem, meist frühen Erleben sozusagen „außer“ sich. Wenn es gelingt über die körperlichen und energetischen Erfahrungen – und ebenso durch die wiedererlangte Selbstwahrnehmung im Gespräch wieder zu sich zu kommen, ist eine weitere Entwicklung bzw. Heilung meist um Vieles leichter.

    B: Wie und bei welchen Patienten setzt du den Orgonakkumulator ein? Wann findest du die Anwendung von Orgon-Decken angebracht und wann kontraindiziert?

    T: Ich habe einen Orgonakkumulator in der Praxis und drei andere zum Verleihen an Patienten, die sich entweder keinen leisten können, oder ihn erst ausprobieren möchten. Orgondecken stelle ich selbst her, wenn Patienten eine für zu Hause haben möchten. Grundsätzlich setze ich beides bei Patienten mit einem Mangel an Energie ein, oder bei jenen, die nach entsprechend langer Körpertherapieerfahrung genug „durchlässig“ sind, um mit einer erhöhten Ladung umzugehen.

    Das sind insbesondere Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen oder Krebsvorstufen. Kontraindiziert sind sowohl Decke als auch ORAC bei Leukämie und Metastasen an bestimmten Stellen, sowie bei Hirntumoren, da es zu Ödemen kommen kann. Relativ kontraindiziert ist beides bei Bluthochdruck, Asthma und akuten Entzündungen.
    Da es dazu praktisch keine Studien mit hohen Fallzahlen und zu vielen Erkrankungen auch keine Erfahrungen gibt, ist jede Behandlung eines erkrankten Menschen eine Einzelentscheidung.

    Ich habe schon öfters erlebt, dass Menschen mit Kontraindikationen sich selbst und ohne Beratung einen ORAC besorgt und benutzt haben und zuerst, wie zu erwarten war, Nebenwirkungen hatten, aber dann eine deutliche Besserung spürten und erst danach zu mir kamen. Als Ärztin kann ich das natürlich nicht guten Gewissens empfehlen, denn der ORAC wirkt und wirkt stark. Aber wenn jemand auf eigenes Risiko eine Behandlung probiert und Erfolg hat, ist das eine sehr wertvolle Information. Ich freue mich immer über Rückmeldungen, weil ich nur so mit der Zeit zu besseren Prognosen kommen kann.

    Ich weiß zwar, dass negative Effekte auftreten können, wenn man in der Nähe eines ORACs ein Fernsehgerät stehen oder Energiesparlampen im Haushalt hat, oder gar ein Röntgengerät im gleichen Haus, aber bei korrekter Aufstellung habe ich bisher keine negativen Berichte erhalten. Gesunde Menschen können den ORAC gefahrlos ausprobieren. Die meisten berichten dann sehr schön, je nach Reaktionstyp, immer über ähnliche Erfahrungen. Menschen, die ohnehin über genug Energie verfügen und eher ein Stauungsproblem haben, hören meist schnell von alleine auf ihn zu benutzen.

    Wichtig ist, dass man den Leuten vermittelt, dass nicht „je länger, je besser“ gilt, sondern „solang es sich gut anfühlt“. Für z.B. an Krebs erkrankte Menschen gilt allerdings, dass es eine Weile dauern kann, bis sie überhaupt etwas spüren, da sie erst langsam an ihre Ladungsgrenze kommen und anfangs oft vermeiden, sich überhaupt darauf einzulassen. Meine Patienten mögen ORAC und Orgondecke jedenfalls meist sehr gern und profitieren davon, wenn sie zum Beispiel am Ende der Behandlung, in der Entspannungsphase, noch eine Weile unter der Decke „nachladen“ können. Meine persönlichen Erfahrungen mit dem ORAC waren und sind sehr gut. Was z.B. die Wundheilung angeht, gibt es wohl wenig so Effektives und auch Kostengünstiges wie einen Shooter oder ein Orgon-Kissen. Auch mit diabetischen Ulcera und Decubitus gibt es sehr vielversprechende Erfahrungen.

    B: Arbeitest du mit dem Reichschen Bluttest?

    T: Der Bluttest interessiert mich sehr. Vor 2 Jahren war ich bei Peter Jones in England und habe einen ersten Eindruck bekommen. Der Test ist sehr zeitaufwändig und braucht auch viel Erfahrung, daher wende ich ihn derzeit nicht an. Außerdem fehlt mir das Budget, um entsprechende Instrumente wie Mikroskop, etc. anzuschaffen. Ich würde mir eine Arbeitsgruppe wünschen, wie sie Heiko früher gehabt hat, als er intensiv mit terminalen Krebspatienten arbeitete oder die Bionversuche nachvollzog. Dabei könnte man bei bestimmten Patienten wertvolle Zusatzinformationen bekommen. Zum Beispiel kann man recht gut vorhersehen, wann eine Akkumulatorpause wegen Überladung, bzw. T-Zell-Reaktion im Blut notwendig wird.

    B: Heiko war ja auch in der Forschung tätig, bist du da auch engagiert?

    T: Leider ist bisher keines der Projekte, die ich im Kopf habe, wirklich umsetzbar gewesen, vor allem aus Ressourcen-Mangel, also personell und finanziell. Es gäbe da viele spannende Dinge, die zu erforschen nützlich wären. Zum Beispiel Selbsthilfe-Gruppen von Diabetikern anzusprechen, ob sie nicht Orgon-Kissen für die Wundheilungsförderung bei nicht heilenden Ulcera ausprobieren möchten. Nach allen Erfahrungen die wir haben, funktioniert das sehr gut.

    B: Reich und auch Heiko Lassek haben ja viel mit Krebserkrankten gearbeitet. Zählt dies auch zu deinem Arbeitsschwerpunkt? Heiko hat das ja sehr differenziert gesehen, wann und wie der Orgonakkumulator zum Einsatz kommen soll, ebenso wie die Orgontherapie. Wann findest du Orgontherapie indiziert, und wie sieht es mit anderen Behandlungsmaßnahmen aus – Heiko spricht zum Beispiel von Aloe Vera oder dem Lomi-Saft aus Hawai, Akupunktur, chinesischer Kräutertherapie, etc.?

    T: Da bin ich ganz bei Heiko. Man muss individuell entscheiden, und vor allem muss der Patient entscheiden, was für ihn das Mittel der Wahl ist – mit entsprechender Information und Beratung natürlich. Die Körpertherapie halte ich jedenfalls für sinnvoll, und der ORAC ist je nach Fall-Lage indiziert. Viele meiner Patienten haben für sich ein buntgemischtes Spektrum an Heilmethoden ausgesucht, mal mit Schulmedizin dabei und mal ohne.

    Sie haben „Heiler“, stellen ihre Ernährung um, nehmen Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel; sie vertrauen auf die Chinesische Medizin, Homöopathie und vieles andere – kombiniert mit der Orgontherapie und gegebenenfalls mit dem ORAC. Ich kann nur sagen, dass es meiner Erfahrung nach nicht DIE richtige Therapie gibt, sondern nur die richtige Kombination von Patient, Erkrankung, Therapie, von Zeit und Ort und Situation, die gemeinsam im Idealfall Heilung ermöglichen. Und das ist gar nicht so selten.

    B: Hast du an der Kirlian-Forschung mitgewirkt?

    T: Wir haben in Berlin ein paar Mal moderne Geräte ausprobiert, zum Beispiel aus Russland. Gegenüber invasiven Methoden, also wenn sehr schwacher Strom in den Körper geleitet wird, um an den Fingern Kirlian-artige Bilder ableiten zu können, die über den Zustand in den Meridianen entsprechend der Chinesischen Medizin Auskunft geben, bin ich sehr kritisch, auch wenn die Ergebnisse eine Diagnostik erleichtern können. Obwohl man davon eigentlich nichts spüren sollte, habe ich mich danach noch über längere Zeit im Gefühl meiner Hände beeinträchtigt gefühlt.

    Nun bin ich da vielleicht sehr sensibel, aber nur weil andere nichts spüren, heißt das ja nicht, dass es da keinen Effekt gibt. Ich arbeite jedenfalls am liebsten mit meinen Händen, ohne Geräte, maximal mit Akupunkturnadeln. Sehr spannend war ein Tagesseminar mit Dr. Schlebusch, der hochauflösende Infrarot-Kameras einsetzt, um Prozesse und Energiebahnen im Körper sichtbar zu machen. Da dies nicht invasiv ist und sehr interessante Ergebnisse zeigt, würde ich eher in diese Richtung weitergehen wollen. Diese Geräte sind allerdings sehr teuer.

    B: Wie beziehst du die Chinesische Medizin in deine Arbeit ein?

    T: Zum Einen habe ich eine Akupunkturausbildung, so dass mir häufig in den Gesprächen mit den Patienten Zusammenhänge zwischen Emotionen und Organ-Kreisläufen aus der Chinesischen Medizin auffallen, die sehr hilfreich sein können. Vereinfacht gesagt schlägt sich zum Beispiel nach dem chinesischen Konzept starke, ungelebte Trauer auf der Lunge nieder. Wut oder Ärger, die nicht ausgedrückt werden können, betreffen zunächst Leber und Galle.

    Das Ganze ist komplizierter, aber es kann dem Patienten und mir helfen, der Schulmedizin unerklärliche oder unzusammenhängende Symptome dem Gesamtprozess zuzuordnen, beziehungsweise auch ermöglichen, dem Ausdruck von Emotionen mehr Sinn zu geben, als „nur mal zu weinen“, weil ich sage, „dass das halt raus muss“, weil gestaute Emotionen sonst anfangen ein Eigenleben zu entwickeln. Da bin ich wieder ganz bei Reich: Die Energie geht dann Umwege, die sehr unangenehm sein können, wenn sie nicht den ursprünglichen Ausgang finden darf, egal wie gut die Gründe für ein Zurückhalten sind. Oft wird dann sofort eine Linderung der Beschwerden spürbar, sozusagen über selbstgemachtes, geräteunabhängiges Biofeedback.

    Zum Zweiten habe ich auch einen Teil der Ausbildung in Taoistischer Energiemedizin bei Prof. Lu Jin Chuan mitgemacht, bis zum Qi Dao III. Das bedeutet, dass man sozusagen energetisch spüren kann, wo gestörte Felder liegen und man in bestimmtem Maße auch Energie ableiten oder zuführen kann, ohne den Patienten zu berühren. Leider ist es durch die sprachlichen und kulturellen Barrieren sehr schwer dieses Heilsystem voll zu erfassen und anzuwenden, so dass ich meist auf praktikablere Methoden zurückgreife.

    B: Wie hast du die Wandlung bei Heiko durch seine Begegnung mit Prof. Lu Jin Chuan erlebt?

    T: Heiko hat sehr intensiv mit Lu gearbeitet. Und das hatte für ihn persönlich viele Effekte, weil er lange davor sozusagen ohne „Lehrer“ war und weil ihn die Praxis energetisch sehr bewegt hat. Auch aber, weil er sofort die Ähnlichkeiten und Verbindungen des taoistischen Qi-Konzepts mit Reichs Orgonomie erkannt und in seine Arbeit aufgenommen hat. Es war für ihn in den letzten zwölf Jahren ein großes Anliegen, diese Verbindung deutlich zu machen und damit zu arbeiten – auch weil die Ähnlichkeit der energetischen Denksysteme aus zwei so unterschiedlichen Kulturen natürlich eine Bestätigung für beide ist.

    Für mich waren es auch immer Schlüsselmomente, wenn sich auf meinem Weg die schulmedizinische Grundlage, die Akupunktur, das Qi des Taoismus und die Orgonomie gegenseitig bestätigten und die jeweiligen Lücken füllten. Und das geschieht im Grunde eigentlich ständig. Das kann auch nur so sein, wenn man mit offenen Sinnen das Energie-Körper-Seele-Wesen „Mensch“ betrachtet, denn wenn die einzelnen Systeme „Wahrheit“ enthalten, können sie sich nicht wirklich widersprechen.

    Heiko hat das erkannt. Ich mache es in meiner Arbeit nicht anders. Die Systeme schließen sich nur dann aus, wenn eines „falsch liegt“, und das muss meiner Meinung nach neugierig machen, anstatt eines der Systeme auszuschließen. Es kann nicht heißen: „Ich habe Recht, die anderen irren sich!“, sondern: „Wer hat Recht, und wo liegt der Schlüssel?“. Das ist sehr nach Reich, denke ich.

    B: Heiko zitiert Reich: „Je weniger der Patient spricht, umso besser“. Wie siehst du das in deiner Arbeit?

    T: Es gibt hundert und mehr Wege Veränderungen in unserem Leben auszuweichen, egal wie gern wir sie erleben würden. Unsere Sicherheitsmechanismen funktionieren oft einfach zu gut. Viel Sprechen in der Therapie kann ein Weg sein, der Angst machenden Körper- und Emotionserfahrung auszuweichen. Andererseits sind Gespräche natürlich wichtig, um das Erlebte zu integrieren und zu verstehen und hilft so über manchen Widerstand hinweg. Es kommt für mich also sehr darauf an zu erkennen, mit welcher Art von Sprechen ich es gerade zu tun habe und meinen Eindruck auch mitzuteilen.

    Ich meine aber auch, dass Druck auszuüben da keinen Sinn macht, sondern nur Erkenntnis und Erleben. Und das braucht seine Zeit. Jeder hat das Recht der Angst solange auszuweichen, bis der Mut zur Veränderung groß genug ist. Und es ist wichtig, dass er weiß, dass ich weiß, wo er gerade steht, weil das Sicherheit geben kann. Man muss genau schauen, wann das Sprechen ein Ausweichen ist und wann es im wirklichen Kontakt mit sich und dem Gegenüber stattfindet. Beides ist ok, wenn es bewusst gemacht werden kann.

    B: Kannst du etwas über den Einfluss von Will Davis’ „Instroke-Outstroke“-Ansatz in deiner Arbeit sagen?

    T: Ich habe nur an zwei Wochenendseminaren mit Will Davis teilgenommen, weil Medizinstudium und Heikos Ausbildung damals einfach genug auf einmal waren. Mein Eindruck war sehr positiv. Der Instroke kommt aber auch in Heikos Orgontherapie vor, nicht so zentral, aber die Arbeit in Bauchlage zum Beispiel ist eine sehr intensive Instroke-Arbeit – also das Leiten der Energie nach Innen, was zu einem intensiveren Kontakt mit dem energetischen Kern führt – im Gegensatz zum Ausagieren.

    B: Fragen zum Setting: Da gibt es ja „Das Stehen an der Wand“ aus der taoistischen Tradition, die Lassek´sche Bauchlage und die Reich´sche Rückenlage. Mit welcher dieser Positionen arbeitest du bevorzugt, bzw. wann hältst du welche für indiziert?

    T: Die stehende Position war ja schon vor der Taoismus-Erfahrung ein zentraler Bestandteil der Orgontherapie. Sie kommt zum Beispiel auch im Qi-Gong als Position vor. Heiko sagte in den Ausbildungen gern: „ A, B und C stellen sich als Opfer an die Wand, X, Y und Z als Täter davor … er hatte schon eine besondere Art, die Atmosphäre aufzulockern.
    Welche Position ich in der Therapie anwende, hängt vom Reaktionstyp des Patienten und von der aktuellen Situation ab. Die stehende Position eignet sich gut zum Mobilisieren der Energie, um Entladungskanäle zu öffnen.

    Zudem fühlt sich der Patient im Stehen häufig sicherer, als in der Rücken- oder Bauchlage. Sie ist ein guter Einstieg und auch gut als Diagnostik, also um zu sehen, welche Kanäle offen und welche blockiert sind. Die Bauchlage wiederum ist gut zum Aufladen, um Entladungen zu unterbinden und Energie nach innen zu leiten, um ein „Erglühen“ des Kerns zu erreichen. Für jemanden, der mich noch nicht kennt, ist es natürlich seltsam, mich nicht sehen zu können und mich sehr nah über sich zu spüren, so dass es da erstmal ein Vertrauensverhältnis braucht. Sie ist aber für viele Krebspatienten, die mehr Ladung brauchen die beste Position, um gesund werden zu können.

    Die Rückenlage ist sozusagen das „Ziel“ und für manche auch der Anfang der Orgontherapie. Gut, um segmental zu arbeiten, Energie nach oben wie nach unten im Körper zu leiten und auch nach Außen oder Innen. Statisch gesehen befindet man sich in Rückenlage natürlich in einer recht sicheren und halbwegs entspannten Position, weil man nicht „noch tiefer“ fallen kann, auch wenn das als Angst mal auftauchen kann.

    Ich arbeite in allen Positionen. Die meisten Stunden enden in Rückenlage und gehen in eine Entspannungsphase über – manchmal ist es aber auch sinnvoll, mit wackligen Knien aus der stehenden Position direkt loszugehen.

    B: Kannst du dich an deine ersten Erfahrungen mit dem Drücken der Energiepunkte erinnern, und bist du bisweilen noch überrascht über die Reaktionen deiner Patienten?

    T: Meine erste Erfahrung war sehr eindrücklich. Nach wenigen tiefen Atemzügen und den ersten von Heiko sehr präzise gedrückten Punkten, habe ich gezittert wie Espenlaub. Ich war einfach erstaunt, wozu mein Körper fähig ist, auch wenn ich bald feststellen musste, dass das daher kam, dass ich einfach wenig Energie in mir halten konnte und ich zu durchlässig war. Mit zunehmender Haltekapazität wurden auch die Empfindungen intensiver und der Entladungsdruck weniger.

    Alles in allem eine sehr lustvolle Erfahrung, wenn auch oft erstaunlich anstrengend.- In der Ausbildung wurde mir durch die Erfahrung mit verschiedenen „Behandlern“ im Vergleich zu Heiko immer mehr bewusst, wie wichtig die Berührungsqualität für den Effekt und für das Sich-Einlassen-Können ist. Darin war Heiko einfach besonders gut. Über meine eigene Erfahrung habe ich eine hohe Achtsamkeit für mein Berühren des Anderen gelernt, und es freut mich immer wieder, wenn das von meinen Patienten auch so wahrgenommen wird.

    B: Wie siehst du die Arbeit mit den drei Energietypen? Hast du diesbezüglich neue Erkenntnisse, die über das von Heiko vermittelte Wissen hinausgehen?

    T: Im Grunde orientiere ich mich nach wie vor an den Energietypen, besser gesagt „Reaktionstypen“. Ich habe schon viele Menschen behandelt, und mir ist klar, dass es unendlich viele individuelle Ausprägungen gibt. Trotzdem ist es so, dass bei Menschen, die bereits physisch erkrankt sind, der Reaktionstyp die Behandlungsrichtung bestimmt. Das Ziel ist immer das selbe: Ausreichend Energie zu haben, die sich frei bewegen kann.

    B: Heiko war ja ein Vielreisender in Sachen „Orgonomie“. Welche Städte sind deine hauptsächlichen Wirkplätze und Heimatorte?

    T: Im Augenblick ist Wien für mich Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Nach Heikos Ableben gab es Anfragen aus Zürich und Helsinki, wo ich in näherer Zukunft wahrscheinlich Seminare halten werde. Ich war in letzter Zeit als Vortragende auch in Innsbruck und Würzburg; auch dort gibt es Interesse an weiterer Zusammenarbeit. Es wird in Zukunft eine Umstellung geben müssen.

    Denn wenn es mit der Orgontherapie weitergehen soll – und das ist mir ein großes Anliegen -, dann werde ich Ausbildungen anbieten und einen Teil dessen, was Heiko angefangen hat, weiterführen. Natürlich bin ich anders als Heiko, und auch die Therapie hat sich weiterbewegt. Es wird ein spannendes Projekt, Menschen die sich dafür interessieren, auf ihrem individuellen Weg zu begleiten und das Wertvolle dieser Arbeit effektiv weiterzugeben. Ein weiterer Ort, wo ich gerne arbeiten würde ist Griechenland.

    B: Veröffentlichst du auch, bist du eine Schreibende?

    T: Bisher kaum. Dieses Interview macht aber Lust darauf. Auf Fragen weiß ich sofort eine Antwort, aber ein leeres Blatt ohne Deadline ruft eigentlich nichts in mir hervor.

    B: Heiko hat dich in dem Interview von Christian Bartuska einige Male sehr wertschätzend erwähnt. Hat er die Wertschätzung dir auch persönlich ausgedrückt?

    T: Er hatte die Angewohnheit, mir das nicht direkt zu sagen, eher beiläufig im Beisein von anderen; irgendwann ist das aber auch bei mir angekommen. Zudem hat er mir in den letzten Jahren, in denen wir keinen direkten Kontakt hatten, Patienten geschickt, und das war ein deutliches Zeichen seiner Wertschätzung für mich und meine Arbeit. Mit seiner Eigenschaft, den Finger immer wieder auf wunde Punkte zu legen, hat er mich einerseits sehr geschult bei der Selbstreflektion zu bleiben, aber auch dazu beigetragen, positive Seiten zu sehen.

    B: Wie war Heiko als Lehrer, als Therapeut, als Mensch in der Beziehung zu dir?

    T: Heiko war als Lehrer, Therapeut und als Mensch eine ständige Herausforderung. Gebend, begrenzend, fordernd, unberechenbar, einfach schwierig. Manchmal war es schwer, zwischen der Wahrheit und seiner Meinung dazu einen eigenen Weg zu finden. Das Besondere an ihm war, dass er spüren konnte, ob man wirklich „bei sich war“. Dann hörte er sofort damit auf, einen auf die Probe zu stellen. Man konnte ihm nichts vormachen. Für mich war das ein großes Geschenk und eine große Hilfe.

    B: In Bartuskas Interview mit Heiko, 2004, standen viele Projekte im Raum: Forschung, Lehre, Veröffentlichungen. Kannst du etwas über die Entwicklung von Heikos Arbeit in den Jahren von 2004 bis 2011 sagen? Wo lagen da die Schwerpunkte?

    T: In diesen Jahren war ihm hauptsächlich das Filmprojekt über Wilhelm Reich mit seinem Freund und Regisseur Antonin Svoboda ein Anliegen, das er als wissenschaftlicher Berater begleitete. Der Film „The Strange Case of Wilhelm Reich“ wurde im Oktober bei der „Viennale“ uraufgeführt und wird im Jänner kommenden Jahres im Kino zu sehen sein. Kurz nach den Drehschlussarbeiten ist Heiko gestorben. Ich glaube, dass ich nicht die Richtige bin, viel mehr dazu zu sagen, weil wir seit 2009 nicht mehr miteinander gesprochen haben.

    Heiko hat enorm viel hinterlassen, das zu erkunden und zu erforschen bleibt. Mir ist mit seinem Gehen die Aufgabe geblieben, die Orgontherapie, die Lebensenergiemedizin, gemeinsam mit Kollegen und Kolleginen weiterzutragen. Es ist mir wichtig, den Kern der Arbeiten von Reich, Heiko und anderen in die sich bereits abzeichnende Zukunft zu tragen, also die Lebendigkeit und die Wahrnehmung, den Kontakt an sich, als Wert in eine sich wandelnde Gesellschaft implementieren zu helfen.

    Gerade in Zeiten, die sich für viele nach Umbruch und Niedergang anfühlen und unterschwellig Angst machen, ist die Fähigkeit mit sich und anderen in Kontakt bleiben zu können, immens wichtig.- Bei all der Angst, die Heiko selbst vor der einen oder anderen Situation hatte, war er doch unglaublich gut darin, andere über ihre Ängste hinweg zu bringen. Und das können wir heute gut gebrauchen!

    B: Danke für das Gespräch, liebe Tina!
    _______________________________

    *) erschienen in: „Zeitschrift für Körperpsychotherapie“, #38/2004
    (Hrsg.: Gabriele und Christian Bartuska)

    Zurück zu Bukumatula 2012

  • Kommentare deaktiviert für Buk 2/12 Mein Weg mit Heiko Lassek – Eine Berlinerin in Wien
  • Kategorie: 2012
  • Buk 2/12 Ist Selbsterfahrung politisch?

    Zurück zu Bukumatula 2012

    Bukumatula 2/2012

    Ist Selbsterfahrung politisch?

    Später Versuch einer Antwort an Monika Seifert*)
    von
    Wolf Büntig:

    Hintergrund

    1967/68 ging ich mit Frau und drei Kindern als Austauschforscher nach Buffalo, New York, um ein Labor in Gang zu halten, dessen Inhaber sein Sabbatjahr in München verbrachte. Tagsüber saß ich über eine narkotisierte Ratte gebeugt und untersuchte mithilfe von Mikropunktion einzelner Nierenkanälchen die Harnproduktion. In meiner Freizeit hing ich jedoch oft auf dem Campus herum, beobachtete Studenten, wie sie Kommilitonen zur Wehrdienstverweigerung motivierten und hörte Civil Rights Aktivisten wie Leslie Fiedler, Timothy Leary und den Komiker Dick Gregory eine neue Gesellschaftsordnung propagieren.

    Von Martin Luther Kings Rede – ich glaube, es war Warum wir nicht warten können –, ist mir besonders in Erinnerung, dass er sagte, sie, die Schwarzen, könnten die Weißen nicht zwingen, sie zu lieben, doch dazu bewegen, dass sie sich (menschlich) benehmen. Nach seiner Ermordung ging ich mit der ganzen Familie in die Southern Baptist Church zum Gedenkgottesdienst und ließ mich, beziehungsweise uns, von den Kollegen im Labor für verrückt erklären dafür, dass wir es gewagt hatten, uns zu Zeiten brennender Ghettos als Weiße downtown sehen zu lassen.

    In San Francisco, wo ich für das Cardiovascular Research Institute, University of California San Francisco, ein Mikropunktionslabor aufbaute, diskutierten wir lange Abende mit jungen Dozenten vom benachbarten City College den Vietnamkrieg, faschistische Tendenzen im amerikanischen Alltag, die Anerkennung von Kommunismus als weltanschaulichen Grund für Wehrdienstverweigerung durch den Supreme Court, die Studentenunruhen und die vierwöchige Ausgangssperre in Berkeley anlässlich des War of People‘s Park; ich hörte Pete Seeger Dust Bowl Ballads, von Woody Guthry und Buffy Sainte-Marie The Universal Soldier singen, ging zu fund-raising dinners zugunsten von Freunden, die, weil sie Kinder knüppelnde Polizisten gefragt hatten, was sie da täten, wegen Anstiftung zum Aufruhr, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung eines Polizisten und Missachtung des Gerichts angeklagt waren, und marschierte mit hunderttausenden Friedliebenden im Golden Gate Park gegen den Einmarsch von amerikanischen Bodentruppen in Kambodscha.

    Humanistische Psychologie

    In San Francisco kamen wir mit der Humanistischen Psychologie in Kontakt. Wir erfuhren von Aldous Huxley und seiner Entdeckung des menschlichen Potentials in LSD Experimenten und von Karen Horney, die Freuds Vorstellungen von weiblicher Sexualität in Frage gestellt und Aggression als Leben unterstützende Bewegung – auf das hin, was nährt und nützt, von dem weg, was schadet, und gegen das, was Integrität bedroht – beschrieben hatte.

    Wir erfuhren durch Carl Rogers von den Möglichkeiten der Entwicklung zur authentischen Person und durch Erich Fromm von der menschlichen Neigung, lieben zu lernen; durch Rollo May, dass Menschen jenseits ihrer konditionierten Reaktionen und jenseits der Übertragung ihrer früh geprägten Beziehungsmuster eine Wahl haben und zu Absicht und Entscheidung fähig sind; durch Viktor Frankl, dass wir Menschen die Gabe haben, über uns selbst hinauszuwachsen und Sinn zu finden; und durch Roberto Assagioli, dass wir eine Neigung zur Spiritualität haben und Willen entwickeln können.

    Ein richtungsweisender Theoretiker der Humanistischen Psychologie war Abraham Maslow. Er ging der Frage nach, was das eigentlich Menschliche am Menschen sei. Dafür studierte er die Lebensweise und das Erleben von besonders gesunden Menschen, die in ihrem Umfeld als beispielhaft menschliche Personen hohes Ansehen genossen. Aufgrund der Beobachtung, dass die konfliktfrei und selbstverständlich erlebte Befriedigung der Primärbedürfnisse oder Säugetiertriebe Voraussetzung war für die stabile Aktualisierung von spezifisch menschlichen, sogenannten höheren oder Metabedürfnissen, formulierte er die Hierarchie der Bedürfnisse, die sich hierzulande in Wirtschaft und Pädagogik gut durchgesetzt hat, in der Psychologie jedoch weitgehend unbeachtet blieb.

    Nach Maslow haben die höheren Bedürfnisse oder Notwendigkeiten – die Freude am Wahren, Schönen und Guten, das Mitgefühl, die Würde, der Dienst an der Gemeinschaft und schließlich die Selbstverwirklichung – Instinktnatur wie die Primärbedürfnisse. Sie sind inbildhaft als Potential angelegt und werden als Wert an einem Vorbild erkannt, als Bedürfnis, als Notwendigkeit und als Auftrag zur Verwirklichung erlebt und durch Übung im Alltag verwirklicht. Da sie von schwächerer Durchsetzungskraft als die Primärbedürfnisse sind, bedarf ihre Verwirklichung der bewussten Entscheidung und des nachhaltigen Wollens.

    Maslow postulierte – im Widerspruch zu Freud – aufgrund seiner Beobachtungen an gesunden Menschen, dass Menschen differenzierte Menschlichkeit und Kultur nicht durch Triebunterdrückung, sondern durch bewussten und freiwilligen Triebverzicht entwickeln. Die Verwirklichung der höheren Bedürfnisse kann in dem Maß als Notwendigkeit, als Auftrag und als Wert erlebt werden, in dem die Grundbedürfnisse der Person nicht durch Konditionierung verbogen wurden und deren Befriedigung infolgedessen – frei von Reaktionen auf von Mangel und Trauma geprägte Vergangenheit – als selbstverständlich erlebt wird.

    Ein weiterer wesentlicher Beitrag Maslows zum Verständnis vollen Menschseins war sein Studium der peak experiences (Gipfelerlebnisse). Die besonders gesunden Menschen, die er studierte, berichteten gehäuft über Durchbrüche in eine Wirklichkeit, welche die durch Konsens konstruierte Alltagsrealität gleichzeitig überstieg und umfasste. Diese den von Graf Dürckheim beschriebenen Seinsfühlungen entsprechenden Momente stiller Ekstase waren verbunden mit dem Erleben von Weite und Befreiung von Bedingtheit, mit Erweiterung des Bewusstseins, mit Verbundenheit mit allen Menschen und allem Leben und mit Gefühlen von Glückseligkeit. Maslow beobachtete auch, dass die sogenannten neurotischen Menschen dazu neigen, Gipfelerlebnisse in dem Maß zu leugnen, in dem sie in unbewusster Reaktion auf Vergangenheit beziehungsweise Übertragung früher Erfahrung in die Gegenwart hinein befangen waren.

    Fazit: Für Maslow stehen Ästhetik, Geistigkeit, Dienst an der Gemeinschaft und Spiritualität nicht im Widerspruch zur Natur, sondern sind wesentlicher Ausdruck menschlicher Natur: Des Menschen eigentliche Natur ist seine Menschlichkeit.

    Der Vorwurf

    Die Begegnung mit der Humanistischen Psychologie veränderte mein Leben. Ich hängte meine Karriere als Physiologe an den Nagel, absorbierte in San Francisco und Umgebung in knapp einem Jahr etwa 600 Stunden Vorträge, Seminare und Selbsterfahrung in unterschiedlichen Methoden und legte so einen Grundstock für meine spätere Arbeit als Psychotherapeut.

    Als wir 1970 nach München zurückkamen, fanden wir Deutschland grundlegend verändert: Wir sahen Polizisten mit Bärten, Postboten ohne Schlips, im Park Fußball spielende Arbeiter, die notfalls ganz regelwidrig die Hände zu Hilfe nahmen, und ein Pärchen, das leidenschaftlich Ping-Pong spielte – ohne Netz. Wir wurden Zeugen von Straßenschlachten, die zur Einstellung von Polizeipsychologen führten, wir lasen Wilhelm Reich und wir versuchten, unsere Kinder nach den Prinzipien von Summerhill zu erziehen.

    Bevor wir uns für ZIST entschieden, stand für eine kurze Zeit zur Diskussion, ob ich mich Hartmut von Hentigs Team für den Aufbau der Laborschule Bielefeld anschließe und studierte ein paar Semester Pädagogik. Im Seminar von Professor Schiefele fiel mir auf, dass revolutionsbegeisterte Kommilitonen, während sie über die Würde von Putzfrauen diskutierten, ihre Zigarettenkippen auf dem Fußboden austraten und erleichtert waren, wenn sie vom studentischen Mitfahrdienst nicht an Proletarier vermittelt wurden, weil sie mit denen nicht zu kommunizieren verstanden. Da begriff ich mein Unbehagen angesichts des wilden Gehabes um mich herum etwas besser: von derart Unfreien wollte ich lieber nicht befreit werden.

    Als von Hentig mir absagte, setzte ich meine psychotherapeutische Weiterbildung fort, ließ mich in freier Praxis nieder, begann Selbsterfahrungsgruppen zu leiten und baute mit meiner Frau Christa und vielen Helfern das Seminarzentrum ZIST Penzberg auf.

    Anfang der 70er Jahre gingen viele der 68er Linken in Selbsterfahrungsgruppen. Sie waren freiwillig arbeitslos und lebten sehr bescheiden, um Zeit und Geld für die Gruppen zur Verfügung zu haben. Sie vermuteten, dass der Grund für das von ihnen als Scheitern erlebte Abflauen der Revolution der subjektive Faktor war. Sie ahnten oder begriffen, dass sie die Massen nicht befreien konnten, solange sie selbst – in Reaktion auf eine von Mangel und Trauma geprägte Sozialisierung – gefangen waren in eingefleischten Mustern von Wahrnehmung, Fühlen, Denken und Handeln. In der Arbeit mit ihnen waren nicht selten für diese Klientel typische Widerstände gegen Veränderung zu beobachten.

    Zum einen fürchteten manche, dass ihnen der revolutionäre Dampf ausgehen könnte, wenn sie sich auf Selbsterfahrung einließen. Andere hatten, wenn sie in Selbsterfahrungsgruppen oder gar in Einzeltherapie gingen, ein schlechtes Gewissen und fürchteten, als unpolitisch abgekanzelt zu werden und damit die Zugehörigkeit zu der Gruppe, der sie angehörten, zu gefährden. Eine streng gläubige Kommunistin, die aus gutem Grund zu mir in Einzeltherapie kam, musste jede Sitzung vor einem Tribunal der Roten Zelle, der sie angehörte, rechtfertigen, was sie als regelrechten Psychoterror erlebte, wodurch die therapeutische Arbeit erheblich erschwert, aber auch vertieft wurde.

    „Du bist ja völlig unpolitisch!“ war in den 70er Jahren ein so häufig vorgebrachter wie schlimmer Vorwurf. Das hatte vermutlich weniger mit Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen zu tun als mit Klassenkampf und Bewusstseinsveränderung der Massen. Wie auch immer: Selbsterfahrung galt, wie Psychotherapie, als unpolitisch. Meine Arbeit, die ich liebte, deren Entwicklung ich mich mit Leidenschaft widmete und für die sich namhafte Angehörige des Münchener psychoanalytischen Establishments interessierten, galt in den Augen derer, zu denen ich gehören wollte, als individualistisch, konformistisch und damit unpolitisch.

    In San Francisco war ich Teil des human potential movement gewesen, einer Bewegung, in der soziales Engagement und Bewusstseinserweiterung in lebendiger Wechselwirkung standen, wenn nicht einander bedingten. Wieder zu Hause musste ich mich entscheiden, so schien es mir, zwischen der Zugehörigkeit zum psychotherapeutischen Establishment einerseits und der Bewegung der Zeit andererseits. Ich entschied mich – eher unbewusst – dafür, mich nicht parteilich zu entscheiden, sondern der Bewusstseinserweiterung beider Parteien zu dienen. Doch der Vorwurf, unpolitisch zu sein, beschäftigt mich bis heute.

    Wie macht Ihr das?

    Eines Tages fand ich frühmorgens Monika Seifert*) versonnen im Dämmerlicht des unbeleuchteten Speisesaals von ZIST stehend. Als ich sie fragte „Was machst denn Du hier so früh am Tage?“, antwortete sie, eher fragend: „Ihr produziert hier doch Mehrwert? („So kann man das sehen“, sagte ich.) Und man merkt das nicht in den Beziehungen. („Das freut mich, dass Du das so siehst.“) … Wie macht Ihr das?“ („Das ist eine gute Frage“, antwortete ich.)

    „Wie macht Ihr das?“ ist wirklich eine gute Frage, die seither immer wieder einmal auftaucht und der ich hier und heute nachgehen will: Wie kann man das kapitalistische System mit Darlehen und Kapitaldienst (was für ein verräterisches Wort!) nutzen, um ein Zentrum für Bewusstseinserweiterung aufzubauen, ohne davon bestimmt zu werden – ohne dem Mammon zu dienen? Wie kann man einen kommerziellen Betrieb leiten und für sich selbst und andere als Mitmensch wahrnehmbar bleiben?

    Wie kann man Autorität wirken lassen ohne autoritäre Strukturen? Wie kann man führen, das heißt anderen vorausgehen, ohne sich über sie zu erheben? Wie kann man Kompetenz einbringen, ohne sich besser als andere zu wähnen. Wie kann man (in der Sprache der östlichen Traditionen bis hin zu Jesus von Nazareth) in dieser Welt, in der wir leben, wie kann man in der bedingten Realität funktionieren, ohne die Verbindung zur unbedingten Wirklichkeit – zu der Welt, aus der wir kommen – ganz zu verlieren?

    Wie macht man das? Indem man es tut. Das ist einfach und doch sehr schwer – wie alles Einfache. Die Antwort ist jeweils im zweiten Teil der Frage enthalten – siehe unten am Ende des Beitrags.

    Potentialorientierte Selbsterfahrung

    Therapeutische Selbsterfahrung zielt auf Linderung oder Überwindung von Leiden mit Krankheitswert, wie es im Jargon der Krankenkassen heißt.

    Umfassender dient Selbsterfahrung der Einsicht ins eigene Gewordensein, das heißt in die Prägung durch Geschichte, mittels der fühlenden Erkundung und geistigen Reflektion des eigenen Erlebens und der meist unbewussten Motivation des Handelns insbesondere in kritischen Situationen: „Warum sehe ich mich selbst anders als andere, warum werde ich nicht verstanden, warum verhalte ich mich anders als ich will? Wie kommt es, dass ich unter Druck automatisch und eingefahren reagiere statt der Situation angemessen zu handeln? Warum benehme ich mich gegenüber der Person, die ich zu lieben glaube und behaupte, oft so hässlich?“

    Das Bedürfnis nach Selbsterfahrung kann aber auch durch eine Grenzerfahrung ausgelöst werden, die zur Hinterfragung der vertrauten Muster in Wahrnehmung, Fühlen, Denken und Handeln führt: „Wer bin ich, wenn ich – ergriffen von der Schönheit eines Bildes oder eines Musikstücks; im Herzen berührt durch das Lied einer Amsel; allein und doch aufgehoben in der Stille des Waldes oder auf dem Gipfel eines Berges; hingegeben an eine Liebe – mich nicht mehr kenne wie gewohnt, mich unerwartet frei von Angst und Groll, weit, still, klar und glücklich fühle?“ und schließlich „Wie muss ich leben, um bereit zu sein für ein Sein in jener die Alltagsrealität übersteigenden und umfassenden Wirklichkeit?“

    Gebunden durch die im Charakter eingefleischte Abwehr von Erinnerung leben wir im ständigen inneren Konflikt. Einerseits verlangt die Kinderseele, die mit Mangel und Trauma mithilfe von Verleugnung, Verdrängung, Abspaltung und Depression fertig zu werden gelernt hat, endlich Beachtung, Anerkennung und Genugtuung. Andererseits unterdrücken wir uns selbst mit den verinnerlichten familiären und gesellschaftlichen, Über-Ich genannten Kontrollinstanzen. Wir warnen, mahnen, drohen, kritisieren, verfolgen, verklagen und verurteilen uns selbst, treiben uns an und machen uns klein oder aber loben und idealisieren uns selbst und blasen uns auf – und drücken uns so vor der Verantwortung für die Entfaltung unseres Potentials zu persönlicher Eigenart.

    Tiefenpsychologisch orientierte, auf Verständnis der in der Kindheit geprägten Psychodynamik ausgerichtete Selbsterfahrung kann tiefe Gefühle reaktivieren und heftige Emotionen auslösen, die lange verdrängt und abgespalten worden beziehungsweise unterdrückt waren. Die „Regression“ genannte emotionale Entladung wird nach anfänglichem Widerstand als entlastend erlebt und kann zur Lösung von eingefleischten Mustern führen. Sie wird allerdings heutzutage oft vermieden aus Angst vor der sogenannten Retraumatisierung.

    Sowohl klinische Erfahrung als auch Hirnforschung deuten darauf hin, dass unbewusst emotional vollzogene Erinnerung an traumatisierende Erfahrung vom Organismus so verarbeitet wird, als habe man sie tatsächlich noch einmal erlebt und so zu einer Bestätigung der defensiven Strukturen führt. Potentialorientierte Psychotherapie begegnet den in der Übertragung mobilisierten schmerzlichen Beziehungserfahrungen der Vergangenheit und den damit verbundenen Befürchtungen, diese könnten sich in der Gegenwart der Selbsterfahrungsgruppe wiederholen, indem die therapeutische Beziehungsperson beharrlich zur Wahrnehmung der veränderten Gegenwart einlädt.

    Dann nämlich, und nur dann, dient die emotionale Mobilisierung einer vertieften Einprägung der neuen, ergänzenden und damit heilsamen Erfahrung. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Fühlen zu. Fühlen ist etwas anderes als die Wahrnehmung von Gefühlsreaktionen auf unspezifische Reize, denen wir, wiederum in der Regel unbewusst, eine alte, einer fernen Vergangenheit entsprechende Bedeutung geben.

    Fühlen ist die besonnene, der gegenwärtigen Situation gemäße Deutung eines mit Sinnen wahrgenommenen Reizes. Fühlen ist eine Wertungsfunktion, die uns informiert, ob wir unsere Muskulatur für Annäherung, Kampf oder Flucht mobilisieren sollen. Fühlen ist der erste und entscheidende Schritt der Überwindung vertrauter Selbst- und Weltbilder. Beharrliches Fühlen mobilisiert zunächst Erinnerung und entsprechende emotionale Abreaktion, dann die Wahrnehmung einer bergenden Beziehungsumgebung, dann die Entdeckung unbekannter Bewusstseinsräume und schließlich die Bereitschaft zur Hingabe an das Leben in einer sich ständig wandelnden Gegenwart und damit zur Selbsttranszendenz.

    Ein Beispiel: Eine ebenso kraftvolle wie emotional zurückhaltende Frau, die erstmals an einer Selbsterfahrungsgruppe teilnimmt, erlebt die Erregung angesichts der neuen Situation zunächst reaktiv als Angst. Bei näherem Hinspüren deutet sie diese neu und der Situation gemäß als Neugier. In ihrer Kindheit war Neugier von den emotional beschränkten Eltern mit Missbilligung und Strafe geahndet worden. In der gegenwärtigen Situation erlebt sie die Gruppe als interessiert, mitfühlend und unterstützend.

    Sie lässt sich auf vertieftes Fühlen ein und entdeckt in sich einen Raum, der größer ist als der durch ihre Haut begrenzte. Durch weiteres fühlendes Erkunden dieses inneren Raumes entdeckt sie Stille, Klarheit, Stärke, Wahrheit, Schönheit, ein inneres Zuhause, Verbundenheit mit allen Menschen, also Mitmenschlichkeit, und ein Gefühl der Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebens im Dienst des Lebens insgesamt.

    Ist nun Potentialorientierte Selbsterfahrung politisch? Ich glaube ja, insofern sie über die Restauration von Beziehungs- und Leistungsfähigkeit hinaus auf den Abbau autoritärer Strukturen sowohl bei den Tätern wie bei den Opfern abzielt, die Entfaltung als Potential angelegter menschlicher Qualitäten wie Autonomie und Mitgefühl fördert und letztlich Selbstverwirklichung im Dienst an der Gemeinschaft anregt und unterstützt.

    Durch Potentialorientierte Selbsterfahrung können wir als Mitmenschen wahrnehmbar bleiben lernen, indem wir uns selbst annehmen, sein lassen und zeigen, wie wir sind. Wir können uns unseren sogenannten Existenzängsten stellen und mit Scheitern und Schuld leben lernen. Wir können unsere eigenen autoritären Muster – als Täter wie als Opfer – wahrnehmen lernen. Wir können aufhören, uns zu vergleichen und zu konkurrieren und stattdessen lernen, einander zu unterstützen in unserer spirituellen Entwicklung.

    Wir können miteinander die Erinnerung an Momente der Einheit mit allem Sein pflegen; die Muster in Wahrnehmung, Fühlen, Denken und Handeln hinterfragen, die uns dieser Einheit entfremden; unser Leben so gestalten lernen, dass wir offen bleiben für die unbedingte Wirklichkeit und unseren Alltag auf sie gerichtet gestalten. Und wir können erkennen, dass wir – ob Männer oder Frauen, Arme oder Reiche, Gestrandete oder Erfolgreiche, Europäer oder Afrikaner, Maori oder Inuit – in unserem Wesen von der gleichen menschlichen Natur sind und uns nur durch unsere kulturellen Bräuche und durch unsere Sozialisierung geprägte, geformte oder verformte Individualität unterscheiden.

    Dessen eingedenk können wir – jeder an seinem Platz und oft nur in kleinen Schritten – im Alltag darauf hinarbeiten, dass wir uns selbst und einander unsere Beschränktheit vergeben, unsere Stärken würdigen, Verständnis für einander entwickeln und so einen bescheidenen Beitrag zur Entfaltung der Menschlichkeit leisten.
    _________________________

    *) Monika Seifert (1932–2002), Tochter der Psychoanalytiker Alexander und Melitta Mitscherlich, war seinerzeit als Mutter der antiautoritären Kinderläden eine prominente Linke. Nachdem sie am Institut für Sozialforschung in Frankfurt über Gaststudenten aus den USA die Schriften Wilhelm Reichs und bei einem Studienaufenthalt in England Alexander S. Neill, den Gründer von Summerhill, kennengelernt hatte, gründete sie in Frankfurt den Verein für angewandte Sozialpädagogik und initiierte die Wiederentdeckung von Wilhelm Reich. Reichs Bücher waren (damals noch als Raubdrucke) bald Bestseller unter Studenten und Linken. Aufgrund seiner Hypothesen zur Funktion der menschlichen Sexualität für die Gesellschaft wurde Reich zum theoretischen Vordenker der sexuellen Revolution. Vor allem aber hat er (auch über Neill) wegen des Prinzips der Selbstregulierung bis heute nachhaltigen Einfluss auf die Pädagogik. Kinder jeden Alters sollten danach ihre Bedürfnisse frei äußern und selbst steuern können.

    Zurück zu Bukumatula 2012

  • Kommentare deaktiviert für Buk 2/12 Ist Selbsterfahrung politisch?
  • Kategorie: 2012