Zurück zu Bukumatula 2012

Bukumatula 1/2012

Zur Feier des Abschieds von Heiko Lassek

in Berlin am 13. Januar 2012
von
Jutta Gruber:

AIR / J.S. Bach

Liebe Sengül,
liebe Freunde und Wegbegleiter,
liebe Kollegen und Klienten,
liebe Schüler
von Heiko Lassek,

wir sind hier heute zusammen gekommen, um von einem Menschen Abschied zu nehmen, der mit Gewissheit ein besonderer Gast auf dieser Erde war. Ein Mensch, dem Viele Inspiration oder wegweisende oder vielleicht sogar lebensweisende Impulse zu verdanken haben. Ein Mensch, der Spuren hinterlassen hat.

1957 wurde Heiko Lassek in Barsinghausen als einziges Kind der Eheleute Ursula und Paul Lassek im Sternzeichen Fische geboren. „Fische ist sowieso das beste Sternzeichen“ sagte nur wenige Stunden vor Heikos Tod ein behördlicher Angestellter zu mir. In ganz anderem Zusammenhang wollte ich eigentlich nur eine Information einholen und musste ihm dafür ein Geburtsdatum nennen, das zufällig im Zeichen der Fische lag. Und er schob nach: „Insbesondere was die Freundschaft angeht.“

Freundschaft. Vielleicht gab es kaum einen höheren Wert für Heiko. Das Miteinander-verbunden-Sein als die vielleicht wesentlichste Qualität oder zumindest tiefste Sehnsucht unseres menschlichen Daseins.

Inniges Miteinander konnte Heiko zu Tränen rühren, und er scheute sich nicht, sie seinen Freunden auch zu zeigen. Freundschaft war Heikos vielleicht tiefster Wunsch. Der Wunsch in seiner Tiefe verstanden zu werden.

Und gleichzeitig hatte er Angst vor ihr. Vor echter Begegnung.

Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und
gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge
von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des
Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern
es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.
Rainer Maria Rilke

Bereits als Schüler fiel Heiko als besonderer Gast auf. Der hochbegabte Junge besuchte nach abgekürzter Grundschulzeit – er übersprang zwei Klassen – als Externer das Gymnasium von Bad Nenndorf, einer nahegelegenen Internatsschule mit besonders gutem Ruf. Sein Deutschlehrer Karl-Heinz Werner gibt Zeugnis für Heikos Tiefe in einem Brief von letzter Woche an dessen Lebensgefährtin Sengül:

„Ich werde nicht seine Deutsch-Aufsätze vergessen: Wenn alle Schüler schon ihre Arbeiten abgegeben hatten, bat Heiko bescheiden um eine Verlängerung seiner Arbeitszeit. Das war für mich ungewöhnlich, aber zu gern willigte ich ein. Schon als Schüler zeigte er eine große Belesenheit und Argumentationstiefe, die aufhorchen ließ. Kein Gleichaltriger hatte sich schon so intensiv mit Wilhelm Reich und griechischen Philosophen beschäftigt wie er. Immer wieder gab er mir Aristoteles zu lesen. Auch werde ich nicht vergessen, dass seine Deutschlehrerin aus der 11. Klasse mir sein voll geschriebenes Arbeitsheft mit der Bitte gab, es zu bewerten, weil sie sich außerstande sah, Heikos Ausarbeitungen zu verstehen – und das in der 11. Klasse! Schon früh also zeigte sich seine geniale Begabung, die ich bewunderte und schätzte.“

Jener Deutschlehrer hat Heikos Aufsätze bis heute aufbewahrt.

Heikos Tiefe war sehr tief. Ich vermute, dass alle, die hier heute zusammen gekommen sind, dies zumindest ahnen. Wenn auch kaum einer oder vielleicht sogar keiner von uns sie wirklich ermessen konnte.

„Es war mir ein tiefer Schmerz, dass ich Heiko nicht verstand,
weil ich intuitiv fühlte, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat.“

So ein gemeinsamer Freund.

Heikos Aussprache war in der Tat nicht immer die deutlichste. Mir kam es immer wieder einmal so vor, als ob er gerade das Allerwichtigste am undeutlichsten aussprach. Gerade so, als ob er es seinem Gegenüber ganz frei stellen wollte, zu hören oder nicht zu hören. Als ob er die Entscheidung, ob ihm ein Würdiger oder ein nicht Würdiger gegenüber sitzt, nicht sich selbst sondern einer weiseren Instanz überlassen wollte.

Weit öffneten wir unsere Ohren und Herzen, so weit wir nur konnten, wenn wir fühlten, dass er uns etwas mitteilen wollte.

Was geschehen ist, ist bereits geschehen.

Tiefste Verbundenheit konnte man mit Heiko vielleicht sowieso in den Momenten erleben, in denen Worte gar keine Rolle mehr spielten. Weil vielleicht gerade in solcher Zeitqualität das Sein, die Unendlichkeit, die Ewigkeit fühlbar werden konnte. Momente, die in Zeiten des Inkarniertseins eher selten sind. Wenn die kostbaren Momente tiefster Begegnung auch rar gewesen sein mögen, so gab es sie. Zumindest so ausreichend oft, dass sie Heiko immer wieder die Kraft gaben weiter zu leben. Daran zu glauben, dass es einen Sinn macht hier zu sein. Zumindest noch für einige Zeit. „Ich mache einfach mal noch ein bisschen weiter“ sagte er zu mir vor gut 10 Jahren, inmitten der vielleicht schmerzlichsten Krise seines Lebens. Eine Zeit, in der er sich oft fragte, ob er jetzt vielleicht verrückt wird. Eine Zeit in der er seine Lebensaufgabe, das Werk Wilhelm Reichs in Forschung und Lehre unter anderem in Berlin, Wien, Helsinki und Zürich vor der Vergessenheit zu bewahren, erfüllt hatte.

Eine Zeit, in der kaum etwas blieb von dem, was ihn zuvor getragen hat.

…denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm nur ein
Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Rainer Maria Rilke

Heiko wurde nicht verrückt, und es zeigte sich, dass auch sein Leben nicht am Ende war. Nach einigen Jahren des „ich mache einfach mal noch ein bisschen weiter“ traf er Sengül, mit der ihn für den Rest seines Lebens eine tiefe Liebe verband. Und er begegnete seinem Lehrer Lu Jin Chuan, dem Stammhalter der höchsten philosophischen Schule des Taoismus.

Das Wissen und die Erfahrungen, die Heiko von Meister Lu übertragen wurden, bewirkten, dass sein Leben und Wirken rund wurde. Heiko Lassek hatte ja nicht nur das Werk Wilhelm Reichs bereits in frühester Jugend für sich entdeckt und erkannt, sondern auch die Weisheiten des Lao Tse. So fand auch das Wissen des Taoismus und dessen hochenergetische Praktiken Eingang in Heikos Wirken als Arzt und Lehrer. Westliches und östliches Wissen vereinten sich zu einem neuen und hochwirksamen Therapieverfahren.

Ja, es wurde etwas rund in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Auf der privaten wie auf der beruflichen Ebene. Krönender Abschluss seines Wirkens ist vielleicht die Realisierung des Films „The Boundary Man“, der im Herbst in brillanter Besetzung in die europäischen Kinos kommt. Heiko war Mitinitiator dieses Filmprojekts über Leben und Lehre Wilhelm Reichs vor 7 Jahren und begleitete dessen Realisierung mit unermüdlichem Einsatz als wissenschaftlicher Berater.

Den Abschluss der Dreharbeiten im vergangenen Herbst und die daran anschließende Pressekonferenz in Wien konnte er selbst noch miterleben. In dieser Zeit sagte er: „Jetzt habe ich Alles erreicht, was ich erreichen wollte.“ Und, anders als 10 Jahre zuvor, hatte er die Gewissheit, dass jetzt wirklich Alles erreicht war, was für ihn hier zu tun war. Und dass es gut war. Dass etwas bleiben und weitergeführt wird. Etwas, von dem er wusste, dass es wesentlich ist.

Heiko hatte durchaus noch eine ganze Menge Zukunftsvisionen. Sie bezogen sich aber eher auf uns. Er selbst kam in diesen Zukunftsvisionen nicht vor, was zumindest mir nicht erst im Anblick seines Todes auffiel. Ja, und er hatte auch selbst noch Pläne… Gleich nach Weihnachten – sobald der erste schöne Tag anbricht – wollte er Sengül Warnemünde zeigen und im Februar eine neue Ausbildungsgruppe in Berlin beginnen. Dass er nach langer Zeit wieder in Berlin unterrichten wollte, begründete er mir so: „Das Reisen wird mir immer anstrengender, und ich fühle, dass ich in der letzten Zeit immer mehr in Berlin, als meinem Ort, ankomme.“

Lieber Heiko, reisen wirst Du in Deiner bisherigen Gestalt fortan gar nicht mehr müssen. Auf Deinem letzten Weg wirst Du nicht allein, sondern von so vielen Freunden begleitet sein, wie vielleicht noch nie zuvor. Ich wünsche Dir, lieber Heiko aus der Tiefe meines Herzens, dass Du jetzt, wo Du von uns gegangen bist, ganz, an Deinem Ort, ankommen wirst.

SLIP AWAY / David Bowie

Heiko Lassek liebte das Schöne. Schöne Frauen, schöne Autos, gutes Essen und guten Wein. Manchem mag dies oberflächlich erschienen sein.

Auch ich dachte einmal, dass Heiko jetzt doch ziemlich dick aufträgt. Das Objekt, an dem sich diese Erfahrung festmachte, war sein heißgeliebter Jaguar. Nicht der Jaguar an sich, sondern dessen Nummernschild. Es trug Heikos Initialen: B-HL. Das fand ich einfach zuviel des Guten. Doch meine Einschätzung wandelte sich mit der Zeit und irgendwann fand ich es sogar richtig gut. „Warum nicht“ dachte ich damals, „vielleicht ist gesundes Selbstbewusstsein ja doch besser als falsche Bescheidenheit“, und es reifte in mir der Gedanke: „Das mache ich bei meinem nächsten Auto auch!“ Heiko hatte ich meine Gedanken nicht erzählt. Dafür spielten sie sich viel zu hintergründig in mir ab.

Etwa ein Jahr nach dem ich meinen Entschluss gefasst hatte, schaffte ich mir tatsächlich ein neues Auto an. Als ich erfuhr, dass das Auto meiner Wahl bereits in Berlin zugelassen war und ich deswegen das bisherige Nummernschild übernehmen muss und die Anfertigung eines neuen Wunschnummernschildes Extrakosten verursachen würde, entschloss ich mich, meinen Plan in die Hände des Zufalls zu legen und die bisherigen Initialen zu übernehmen.

Es hätte ja immer noch sein können, dass das Auto die gewünschten Initialen bereits trägt. Aufgeregt schaute ich mit dem Autohändler in die Fahrzeugpapiere. Das Nummernschild lautete B-HL. In diesem Moment wäre ich vor Scham am liebsten im Boden versunken, und gleichzeitig wusste ich, dass mir gerade eine große Lehre bevor steht, auch wenn ich sie noch gar nicht recht verstand.

Schmunzelnd akzeptierte ich, in den nächsten Jahren ein Auto mit Heikos Initialen zu fahren, auch wenn die Menschen, die das bemerken, vielleicht von mir denken, dass auch ich jetzt zum „Fanclub Heiko Lassek“ gehören könnte, von dem er damals permanent umgeben war und mein Bekenntnis an ihn wohl kaum dicker auftragen könnte… Jedes Mal, wenn ich mein Nummernschild sah, erinnerte ich mich daran, meine Wünsche und Gedanken fortan klarer zu formulieren.

Da mein Vorhaben „nächstes Mal mache ich das auch“ so einen peinlich-ulkigen Ausgang hatte, offenbarte ich Heiko die Geschichte. Der ganz große Witz sollte aber erst noch kommen: Dass Heikos Jaguar dessen Initialen trug, war für ihn in keiner Weise bedeutsam, sondern reinster Zufall!

Ich glaube, dass Heiko das Schöne um sich herum jedoch nicht nur liebte, sondern brauchte. Ganz tief brauchte, um leben zu können. Um das Leben aushalten zu können. Um sich selbst halten zu können. Sich selbst und sein Wissen das er mitgebracht hatte, um es mit uns zu teilen.

„Mach Dich schön für Deine Freunde.“ Darum bat er nicht nur die anderen, auch er selbst lebte nach dieser Vorgabe. Wahrscheinlich ist allen, die Heiko in den vergangenen Monaten begegneten, aufgefallen, wie schön er war. Dies war nicht immer so in der letzten Zeit.

Heiko Lassek hatte schon in gesunden Jahren viele Gesichter. Oft staunte ich über die sichtbare Verwandlung seines Antlitzes, wenn er hungrig war und endlich eine warme, nährende Mahlzeit bekam.

Oft war keine Stelle an ihm sicher,
und er zitterte: Ich bin – – –
doch im nächsten Augenblicke glich er
dem Geliebten einer Königin.
Rainer Maria Rilke

Das Sich-Nähren fiel ihm schwer in den letzten Jahren. Schutz wurde zunehmend wichtig. Manch eine und manch einen schloss er in dieser Zeit aus seinem Leben aus. Nicht unbedingt aus mangelnder Zuneigung sondern aus der Wahrnehmung, dass die Begegnung ihn mehr Kraft kostete als ihm zur Verfügung stand. Dünnhäutig war er geworden, der Heiko.

Was geschehen ist, ist bereits geschehen.

Heiko schenkte gern. Seine Freude war die Freude der anderen. Das Gefühl, dass ein Geschenk nicht erfreute oder schlecht behandelt wurde, schmerzte ihn. So sehr er sich freuen konnte am innigen Miteinander und der Freude der anderen, so sehr schmerzte es ihn, wenn er sich nicht oder missverstanden fühlte, wenn sein Geschenk nicht gefiel.

Leider hat Heiko diesen Schmerz in seinem Leben recht oft erleben müssen. Er hat sich von ihm aber nie unterkriegen lassen und sein weit offenes, gefühliges Herz immer offen gelassen. Nur ein klein wenig mehr Schutz erlaubte er sich in seinen letzten Jahren, als sich zu jenem Schmerz die körperlichen Schmerzen dazu gesellten.

Schön wie selten zuvor sah ich Heiko im vergangenen November. Wir trafen uns in einem seiner Lieblingslokale. „Du bist sooo schön“ sagte ich immer wieder zu ihm. Und: „Ich muss Dich die ganze Zeit anschauen, ich kann ja gar nicht woanders hinschauen“. Und das war ganz wahr. Ich konnte kaum den Blick von ihm nehmen. Und ich freute mich so sehr. Und er freute sich auch. Und Sengül auch.

Vielleicht, so denken wir Zurückgebliebenen jetzt im Nachhinein… vielleicht hat er sich – mit seiner letzten Kraft – für uns wieder so schön gemacht. Für seine Freunde. So schön, dass wir kaum den Blick von ihm nehmen können. Damit wir ihn hier und heute, jetzt, beim Abschiednehmen und der Begleitung auf seinem letzten Weg, genau so: Schön in uns bewahren und vielleicht sogar etwas von dem, was wir von ihm geschenkt bekamen – in Worten oder ohne Worte – weiter in die Welt tragen. In Liebe, Dankbarkeit und Demut.

Johannes Heinrichs übernimmt die Trauerfeier mit der „großen Invokation“ der Theosophen, geleitet mit der Musik AIR / J.S. Bach die Menschen zum Grab und spricht dort ein Friedensgebet.

Jutta Gruber, Berlin Januar 2012

Zurück zu Bukumatula 2012