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Bukumatula 4/2008

Die Wahrheit wird euch frei machen

Buchbesprechung
Christian Rieder:

Sexuelle Gewalt im kirchlichen Bereich und anderswo
Prävention, Behandlung, Heilung

Die Wahrheit wird euch frei machen

Autor: Rotraud A. Perner
Verlag: Gezeiten Verlag, Wien; 2006
Gebundene Ausgabe: 292 Seiten
Preis: 21,50 €
ISBN-13: 978-3-9502272-0-8

Rotraud Perner gilt als eine der renommiertesten Gewalt- und Sexualforscherinnen des deutschen Sprachraums. In den späten 80er Jahren gründete sie mit einigen KollegInnen die erste (und später zweite) Wiener Sexualberatungsstelle seit Wilhelm Reich.

Mit ihrem, im Gezeiten-Verlag veröffentlichten Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ gelingt es Perner praxisnahe ein bis heute tabuisiertes Thema zu vermitteln: Sexuelle Gewalt, insbesondere im kirchlichen Bereich. Im Zuge der von ihr geleisteten Dekuvrierung der Spirale der Macht, Gewalt und Sexualität stellt sie u.a. folgende Thesen auf:

  1. Nicht der Zölibat ist schuld an sexuellen Übergriffen von Geistlichen, sondern mangelndes Wissen über Sexualität (vor allem über jene von Kindern und Jugendlichen) UND die Unfähigkeit, richtig mit sexueller Energie umzugehen.
  2. Geistliche sind nicht nur Täter, sondern auch Opfer von sexueller Gewalt: Dazu zählt immer häufiger Stalking, aber auch das gezielte Vorenthalten von Informationen über „das Sexuelle“ (im Gegensatz zu „Sexualität“). Deklariert zölibatär lebende Menschen werden oft zur Projektions- und Angriffsfläche der sexuellen Fantasien anderer Menschen.
  3. Jenseits der von Sigmund Freud beschriebenen Phasen der psychosexuellen Entwicklung zur so genannten `genitalen Reife´ gibt es weitere Entwicklungsphasen hin zu einer spirituellen Sexualität. Dieses Wissen findet sich sehr wohl in östlichen Religionen; im heutigen Christentum wird es jedoch den Gläubigen vorenthalten.
    Wissen und Können sind die Grundpfeiler jeder Prävention: Wissen über „das Sexuelle“ und „Sexualität“ (inklusive Gender-Sichtweisen, Antidiskriminierung und Gewaltverzicht) sowie die Fähigkeit, Sexualenergie zu lenken, daher auch zurückhalten zu können.
  4. Das Werk zeichnet sich insbesondere durch die Analyse von Tätertypologien und Gewaltmechanismen aus, bietet aber auch Hilfestellung zur Heilung erlittener Verletzungen. Ohne Scheu bringt die erfahrene Autorin die Wahrheit auf den Punkt, von der sie sagt, dass sie alleiniges Heilmittel sei.

Eine durchaus empfehlenswerte Lektüre also, nicht nur für in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialberufen Tätige. Vielmehr ist dieses „Aufklärungsbuch“ generell für all jene kritischen Zeitgeister unter uns interessant, die sich mit dem brisanten Problem der sexuellen Gewalt näher auseinandersetzen möchten.

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Wilhelm Reich Revisited

Hrsg.: Birgit Johler
Verlag: Verlag Turia + Kant, Wien; 2008
Engl. Broschur: 21 x 28 cm, 199 Seiten
Preis: 29 €
ISBN: 978-3-85132-501-0

Ein halbes Jahrhundert nach dem Tod Reichs und rund 40 Jahre nach der „sexuellen Revolution“ wurde dank einer Kooperation mit dem Wilhelm Reich-Infant Trust „Wilhelm Reich. Sex!Pol!Energy!“, die erste umfassende Ausstellung zu Leben und Werk Reichs mit bislang nur im Orgonon-Museum zugänglichen Originalobjekten ins Leben gerufen. Schauplatz war das Jüdische Museum Wien. Hauptsächlich schriftliche Zeugnisse wissenschaftlicher und privater Art, sowie technische Geräte aus der Forschungsarbeit waren dort vom 16.11.2007 bis 2.3.2008 zu sehen.

Ebenso wie die Ausstellung, wird auch deren Begleitband „Wilhelm Reich Revisited“ aus dem Hause Turia + Kant der schillernden Persönlichkeit Wilhelm Reich gerecht. Der große Psychoanalytiker, Wissenschaftler, Kommunist, Reformer, Widerständler und Einzelkämpfer vermochte bereits zu Lebzeiten heftige Polemiken hervorzurufen. Bis heute leidet sein Ruf unter allzu simplifizierenden Darstellung seiner Forschungsergebnisse.

Neben zahlreichen Abbildungen beeindruckt der Katalog insbesondere durch seine vielschichtigen und äußerst aufschlussreichen Beiträge, verfasst unter anderem von Birgit Johler (Wien), Christiane Rothländer (Wien), Jim Strick (Washington DC), Karl Fallend (Wien) und Robert Pfaller (Linz).
Insbesonder sei an dieser Stelle Pfallers Artikel „Gegen die Diffamierung der Beute. Zur Aktualität der Theorie Wilhelm Reichs“empfohlen. Sie ahnen schon: Aus meiner Sicht haben wir es hier mit einer „Pflichtlektüre“ für alle am Leben und Werk Reichs Interessierten zu tun.

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