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Bukumatula 3/2008

Nachruf auf Dr. Eva Reich

mit Beiträgen von
Ingeborg Hildebrandt, Johanna Sengschmid, Tina Lindemann und Heiko Lassek.:

Ingeborg Hildebrandt
In der Rastlosigkeit ihrer Mission …

1980 kam Eva auf Einladung von Dr. Peter Bolen zu einem Workshop nach Wien. Bei der Arbeit mit Vegetotherapie nach Wilhelm Reich lernte ich sie also hier kennen.

Sie hatte diese Technik um ihre eigenen Aspekte weiterentwickelt und bezeichnete sie als „Sanfte Bioenergetik“; dabei widmete sie ihre Arbeit den Anfängen des menschlichen Lebens, d.h., Schwangerschaft, Geburt und Säuglings- bis Kleinkindalter. Aus Gesprächen, die sie mit ihrem Vater geführt hatte, ging hervor, dass es bereits von Wilhelm Reich tendiert war, diese Entwicklungszeiträume in seine Arbeit einzubeziehen. Eva tat dies, indem sie bioenergetische Methoden sowie Babymassage, Craniosakralarbeit und Polarity mit einbezog. Dies waren die Methoden, die sie in den Jahren davor kennen gelernt und in ihre Arbeit integriert hatte.

Nach diesem ersten Seminar in Wien lud mich Eva im Sommer 1980 zu sich nach Maine ein, und aus diesem Besuch entwickelte sich eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit. In den Jahren bis zu ihrem ersten Schlaganfall 1992, war sie ein- bis zweimal jährlich in Wien und ich mehrere Male bei ihr in den USA. Bei meinen Besuchen bei Eva und bei ihren Aufenthalten in Wien führten wir auf langen Spaziergängen oft vertiefende Gespräche über unsere persönlichen Lebenswege und machten uns Gedanken über die Weiterentwicklung ihrer und auch meiner Arbeit.

Bei meinen Aufenthalten in Maine lernte ich einige ihrer Freunde kennen, sowie ihre Gedanken und Experimente zu gesunder Ernährung – die Pflege ihres Gemüsegartens, den sie mit Algen aus dem Atlantik düngte -, und die wunderschönen Bilder ihres Mannes Bill, die sie damals in einem Nebengebäude für ihre Tochter Renata aufbewahrte. Auch die praktische Arbeit mit dem Cloudbuster und dem Orgonakkumulator lernte ich durch sie dort kennen.

Sie erzählte über ihre Zeit als praktizierende Ärztin in dieser Gegend, wo sie aus geografischen und klimatischen Gründen erste Erfahrungen mit sanfter Hausgeburt gemacht hatte. Die ambivalente Beziehung zu Österreich und Wien war für Eva am Anfang naturgemäß sehr schwierig; ich glaube aber, dass unsere Gespräche und unsere Beziehung zueinander etwas davon relativieren konnten.

Darüber hinaus erlebte ich sie in Wien in all diesen Jahren, in denen sie bei mir wohnte und im von mir geleiteten Nachbarschaftshilfezentrum Seminare hielt, als sehr sensitiv im Aufzeigen von faschistischem Erbe aus der Zeit des NS-Regims in der Erziehung und dem Verhalten der Menschen. Viele unserer gemeinsamen Ausflüge waren auch von ihren Beobachtungen zu diesen Themen geprägt. Das „scheinbar liebe, lächelnde Wiener Mädl“ war einer ihrer Ausdrücke dazu.

In der Rastlosigkeit ihrer „Mission“ (wie sie es nannte) auf Reisen und ihrer Arbeit ist es mir in Wien nicht immer ganz gelungen, ihr Entspannung und Erholung in privater Atmosphäre zu ermöglichen. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie zunehmend gerne nach Wien kam und es genoss, wie sehr ihre Arbeit hier aufgenommen und geschätzt wurde.

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Johanna Sengschmid
Danke Eva – Nachruf einer Hebamme

In ihrem Buch „Lebensenergie durch sanfte Bioenergie“, geschrieben mit Eszter Zornanszky zitiert Eva Reich Tagore: „Jedes Kind kommt mit der Botschaft, dass Gott sich nicht entmutigen lässt.“

Eva hat sich ein Leben lang nicht entmutigen lassen und ist ihr Leben mit konsequenter und trotzdem immer suchender, neugieriger Haltung gegangen.

Ihr großes Anliegen war aufzuzeigen, dass wir Lebensenergie wieder ins Fließen bringen können oder, wenn möglich, erst gar nicht unterbrechen, z.B. bei der Geburt. Für diese Mission war Eva von 1975 bis 1992 fortwährend auf Reisen, achtmal um die Welt, in 30 Ländern, vortragend, lehrend, therapierend – und mit einem großen Herzen.

In den Sommermonaten arbeitete sie in ihrem Garten, um sich als Selbstversorgerin biologisch-vegetarisch ernähren zu können, und um dann `aufgeladen´ wieder auf Reisen zu gehen.- Das Thema auf ihren Vortragsreisen und in ihren Seminaren war, wie sie das nannte: „Vermenschlichung der Menschheit von der Empfängnis an“.

Als Tochter von Wilhelm Reich, war sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Lore 1938 nach USA emigriert, um später in Maine an der Seite ihres Vaters am Reich Foundation-Institute zu arbeiten.Davor war Eva als junge Ärztin in New York mit Wilhelm Reich im Rahmen des Orgonomic Infant Research Centers in einem Projekt tätig, das die Grundidee hatte „die feste Panzerung der Menschen von Geburt an zu verhindern“.

Danach kam Eva erstmals als junge Ärztin mit Frühgeborenen in Kontakt und ließ die von ihrem Vater gelernte Vegetotherapie in ihre Arbeit einfließen. Eva meinte:“Mir wurde dadurch bewusst, dass ein Baby ein Mensch ist, der relativ differenziert wahrnimmt, Schmerzen empfindet, reagiert: das war damals nicht bekannt.“

Das war der Beginn ihrer inzwischen als „Schmetterlingsmassage“ weltweit bekannten Babymassage.Die Schwangeren in meiner Geburtsvorbereitung konnten unter ihrer liebevollen Anleitung an einander die Babymassage ausprobieren und so abgespeichert an ihre Babys dann weitergeben. (Siehe die Bücher: „Schmetterling und Katzenpfoten – Sanfte Massage für Babys und Kinder“ von M. Klein und Thomas Harms, bzw. „Auf die Welt gekommen – Emotionale 1. Hilfe – Krisenintervention Eltern-Baby Therapie“ von Thomas Harms)

Und so habe ich Eva auch kennen gelernt – als junge Hebamme 1983 in Oberpullendorf. Auch mein erster Zugang zu den Bachblüten war über Eva. Diese hatte sie immer griffbereit bei den Geburten eingesteckt, und es verblüffte mich natürlich, wie Frauen auf diese hervorgezauberten Tropfen ansprachen. Ebenso die unkomplizierte, gewinnende Art, wie sie die mir damals noch unbekannte – ich nehme an, es waren die Grundgriffe der Craniosacralen Behandlung, in jeder Lebenslage angedeihen ließ.

Evas Geburtsstadt Wien war ab 1978 Ausgangspunkt für ihre Reisen in alle Himmelsrichtungen, von wo aus sie ihre Kontakte pflegte und Vortragsreisen nach Budapest, Prag, West- und Ostberlin, München, Moskau, etc. unternahm. Ihr dickes Notizbüchlein mit Adressen und Telefonnummern aus aller Welt werde ich nie vergessen! Es erfüllt mich noch immer mit Freude, dass ich Eva etliche Male, jeweils im Winter, als Mitbewohnerin in meiner Wiener Wohnung aufnehmen durfte – für mich eine wunderbare Gelegenheit, eine ungewöhnliche Frau im Alter meiner Mutter hautnah erleben zu können.

Ich liebte die langen Spaziergänge mit Eva, den großen Gemüsesuppentopf, der fast immer bereit stand, wenn ich müde und erschöpft nach Hause kam, ihr Transistorradio, das mich weckte, weil sie interessiert Weltnachrichten horchte. Eva stand der rüstungsorientierten Amerikapolitik äußerst ablehnend gegenüber und wollte deshalb auch keine Steuern an dieses System zahlen.

Eva hat nie für Profit gearbeitet. Schon als junge Hausärztin in Hancock behandelte sie ärmere Leute oft kostenlos. Vielleicht auch eine Art der Rebellion gegen den Vater, denn er wollte „dass ich in der Stadt lebe und berühmt werde“, aber auch gegen die Mutter, die das Mathematikstudium der diesbezüglich begabten Tochter verhinderte, weil sie der Ansicht war: „Damit verdient man kein Geld. Also musste ich ihr beweisen, dass auch mit Medizin kein Geld zu verdienen ist“.

Als Landärztin interessierte sich Eva vor allem für die Geburtshilfe und Empfängnisverhütung und begleitete viele Hausgeburten. Sie brachte auch ihre Tochter Renata 1960 zu Hause auf die Welt. Renata Moise, selbst eine sehr engagierte Hebamme, war letztes Jahr zur Eröffnung der Wilhelm Reich-Ausstellung mit ihrem Sohn Christopher in Wien.

Es war mir eine besonders große Freude mit Renata den wunderbaren Film „Ich bin ein Doktor auf Expedition“, ein Portrait über Eva Reich von Heidrun Mössner zu zeigen. Es waren viele Menschen gekommen, die sich mit Eva seit ihrer Mission in Wien sehr verbunden fühlen, vor allem Hebammen und Geburtsvorbereiterinnen.

Ich spreche sicher im Namen von vielen, wenn ich sage:

DANKE EVA,
DU WIRST IMMER IN UNSEREN HERZEN SEIN!
Und wir verneigen uns tief.

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Tina Lindemann
Eva Reich – Ein Besuch

Eva Reich ist gestorben, so plötzlich, trotz all der Jahre in denen sie krank war und im Bett lag, ist es eine Überraschung. Umso mehr als ich sie kurz vor ihrem Tod noch zum ersten Mal besucht hatte. Ich bekomme die Nachricht von Renata, ihrer Tochter.

Drei Wochen zuvor habe ich noch mit Renata bei Eva am Bett gesessen, und wir haben uns unterhalten. Über ihren Vater und ihre gemeinsame Arbeit und darüber, was es alles noch zu tun gibt. Wir haben sogar gescherzt und gelacht. Eva war sehr klar an diesem Abend im Juli, und sie sagte sehr deutlich, dass noch so viel zu tun sei, und dass sie darunter leide, es nicht mehr selbst tun zu können. Sie zeigte an sich hinunter auf die Bettdecke, unter der ihre Beine lagen und zuckte mit den Schultern. Und ich konnte spüren, dass sie bei aller Einsicht in ihre Situation nicht wirklich loslassen konnte. In ihren so klaren Augen meinte ich neben dem Leuchten und der Neugier auch ein wenig Resignation zu sehen.

Sie war aber erfreut, eine ihr bis dahin unbekannte Ärztin aus Deutschland zu treffen, die mit Orgontherapie und auch mit schwer kranken PatientInnen arbeitet. Ich versuchte ihr sagen, dass es Menschen gibt, in aller Welt immerhin einige, die dabei sind, ihre Arbeit und die ihres Vaters weiter zu führen. Ich erzählte ihr von dem Abend letztes Jahr in Wien, als Renata bei der Vorführung des Films „Ich bin ein Doktor auf Expedition“ anwesend war, von all den Menschen, besonders den Hebammen, die dort waren und so viel Liebe und Wertschätzung für Eva ausdrückten und zu erhalten versuchen, was sie gelehrt hatte – und von all den leuchtenden Augen, die ich dort gesehen habe.

Und ich erzählte ihr von den Menschen in Berlin und Wien, überall in Europa, die mit den verschiedensten Bereichen der Orgonomie und Therapie arbeiten und auch forschen. Die nicht vergessen haben; und auch von Orgonon, wo ich die vorangegangenen zehn Tage mit einer Gruppe von Menschen verbracht hatte, die sehr ernsthaft und engagiert am Werk Wilhelm Reichs arbeiten.

Eva nahm all das sehr neugierig und erleichtert auf, und auch wenn ich nicht weiß, wie viel sie davon am nächsten Tag noch erinnerte, hoffe ich, dass es sie ein wenig beruhigt hat.

Wir sprachen auch über ihre Zeit in Wien und Berlin, und sie wollte, dass ich ein bisschen Deutsch mit ihr spreche und ihr von den Städten ihrer Kindheit, die sie später wieder in ihrer aktiven Zeit als reisende Ärztin besuchte, erzähle. Sie sagte zu Renata, dass es ihr leid tue, sie nie Deutsch gelehrt zu haben, weil sie lange Zeit nichts mehr damit zu tun haben wollte.

Zwischendurch zeigte sie immer wieder auf ein Bild an der Wand, das eine ihrer Pflegerinnen aus einem Magazin ausgeschnitten hatte. Darauf waren zwei alte Männer zu sehen, die eine sehr glücklich und überrascht schauende, schöne alte Frau auf beide Wangen küssten. Zuerst dachte ich, sie erzähle uns immer wieder das selbe, dass sie dieses Bild so schön fände und sich über die Freude der Frau freute, aber mit der Zeit wurde klar, dass sie bei jedem neuen Hinschauen eine neue Interpretation fand.

Zuerst war es die Wertschätzung, die die Frau erfuhr, die sie berührte. Dann wurden die Männer zu Liebhabern, dann zu Brüdern, die Frau war mal geschmeichelt, mal überrascht und immer geliebt, auf unterschiedliche Art und Weise. Es war faszinierend zu bemerken, wie wach und beweglich Evas Geist war, besonders nachdem ich nach allem, was ich von anderen gehört hatte, nie gedacht hätte, sie so vorzufinden.

Nach einer Stunde war sie dann müde und sagte sehr direkt, dass sie sich über den Besuch gefreut habe, dass sie aber nun schlafen möchte. Ich half Renata sie zu betten; und danach zeigte mir Renata ihre wunderschönen, selbstgemalten Bilder in ihrem Atelier.

Ich verbrachte die Nacht in Evas Haus und freute mich, dass ich den weiten Weg auf mich genommen und den Mut gefunden hatte Renata zu fragen, ob mein Besuch für sie passen würde. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Eva, die inzwischen leichte Schmerzen hatte und nicht in Plauderstimmung war, mich aber immerhin wieder erkannte. Dieser letzte Moment, dieser kleine Körper mit diesen unglaublich lebendigen Augen wird mir für immer in Erinnerung bleiben – und die schöne, liebevolle Umgebung, die Renata und die Pflegerinnen für Eva geschaffen haben. Ich habe selten jemanden so würdig und geliebt gepflegt gesehen, wie Eva.

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Heiko Lassek
Eva

Anlässlich des Verlassens ihrer irdischen Hülle.Ich bin der Auffassung, dass eine wirkliche Würdigung eines so großartigen Wesens nur durch die Schilderung vieler Aspekte einer schillernden Person möglich ist …Meine Erinnerungen, in Verbundenheit und Dankbarkeit, Heiko.

1981
Ich hatte über Eva Reich von verschiedenen Zeitzeugen nur Negatives gehört. Dies schien sich zu bestätigen, als ich 1981 aus N.Y.C. zum ersten Mal mit ihr telefonierte. Sie wirkte – und sie war arrogant und teilte mir gleich mit, dass niemand außer ihr die mikrobiologischen Experimente ihres Vaters unserer Berliner Arbeitsgruppe aus Medizinstudenten erläutern könne. Einen Tag davor war ich bei Dr. Chester M. Raphael, der im Hintergrund agierte, aber von Forest Hills aus, dem ehemaligen Wohnort Wilhelm Reichs in N.Y.C., die gesamte Arbeit des Wilhelm Reich Infant Trusts bis zu seinem Ableben leitete – mit Mary Boyd Higgins, seiner ihm vertrauten Schülerin.

Da ich auf amerikanisch abspielbare Videodokumentationen unserer Blutdiagnostik und Bionforschung bei ihm abspielen konnte, konnte er wahrnehmen, welche Arbeit wir geleistet hatten. In der Folge unterstütze er uns bei allen Laborversuchen und bei Fragen zu erkrankten Menschen. Über Eva Reich hatte er eine eigene Meinung.

1983
Eva – ich nenne sie im Folgenden so – kommt auf Einladung von Hebammen und Körperpsychotherapeutinnen nach Westberlin. Ich begegne ihr zum ersten Mal persönlich und ich nehme wahr, dass sie mit weiblichen Wesen besser umgehen kann als mit deren Gegenteil.Eva sitzt mit mir im Labor in der Liegnitzer Strasse und schaut stundenlang U-Matic-Videos über bionösen Zerfall und Blutdiagnostik und beginnt zu weinen. Sie sagt, dass sie dies seit den fünfziger Jahren nie wieder gesehen habe; eine tiefe Freundschaft und Lehrerin/Schüler-Beziehung beginnt.

Spaziergänge
In Schöneberg im Volkspark und in Kreuzberg am Landwehrkanal beginnen unsere tiefen Begegnungen; ich erfahre viel über ihre Mutter – Annie Pink, ihre Schwester Lore und ihre Zusammenarbeit mit ihrem Vater in den 50er Jahren.

Eva arbeitet mit vielen Freunden und Kollegen mit sanfter Geburt und Widererleben des Geburtstraumas; manchen von ihnen muss ich tagelang ein Essen vor die Tür stellen, weil sie sich aus der Wohnung nicht mehr heraustrauen – so tief war die Arbeit – in der Klinik waren sie krankgeschrieben. Was macht Sie? Sie arbeitet mit meinen an Krebs erkrankten Patienten; die überwiegende Mehrheit ist von ihrer Arbeit begeistert.

1986 und die folgenden Jahre
Eva ist inzwischen Ehrenpräsidentin der auf ihre Anregung gegründeten „Wilhelm Reich Gesellschaft zur Erforschung lebensenergetischer Prozesse e.V.“. Wir versuchen unsere Jahrestagungen mit ihren Aufenthalten zu koordinieren, was bei zahlreichen Terminen in den folgenden Jahren gelingt; und Eva leitet engagiert unsere Tagungen. Im gleichem Jahr erteilt sie mir die notarielle Bevollmächtigung zur Gründung eines Wilhelm Reich-Institutes und der Weiterentwicklung der Vegeto-/Orgontherapie.

Abende
Wir sprechen über gemeinsame Patienten. Im Restaurant „Morgenrot am Südstern“ in Berlin-Kreuzberg geht sie auf die Damentoilette – ich sitze mit dem Rücken zu ihr, sie war davor auf einer Bank gegenüber – plötzlich spüre ich eine sanfte Berührung an meinem Schädel und ein leichtes Zurückführen meines Kopfes durch ihre zweite Hand an meinem Kehlkopf. Mein gesamter Körper beginnt zu pulsieren, und der Tisch kippt mit allen Tellern und Gläsern zu Boden. Alle Gäste im Restaurant schauen uns an. Was macht sie?

setzt sich wieder auf die Bank gegenüber und strahlt mit funkelnden Augen und sagt „Du pulsierst“. Und dann: „Ich möchte viel an Dich weitergeben“. Überwältigung?

Und so geschah es dann auch: Bei ihren zahllosen Aufenthalten in Berlin holte ich Eva immer vom Flugplatz ab, und fast jedes Mal sagte sie schon während der Fahrt zu meiner Wohnung, dass sie etwas Neues gelernt habe, was ich unbedingt kennen lernen sollte. Es ging so schnell, sie war so neugierig und wissbegierig, offen und bereit von anderen zu lernen, um in gleicher Weise ihr Wissen an vielen Orten der Welt weiterzugeben.

Ich war oftmals so überschwemmt, dass ich zu sagen begann: „Eva, wenn du davon im nächsten Jahr genauso begeistert bist wie heute, dann bin ich bereit, diese Methode von dir zu erlernen.“ Es ging um Methoden wie Polarity, Metamorphische Methode, Osteopathie, Osteocraniosakrale Therapie bis hin zu Bach Blüten Essenzen, um nur einige zu nennen.

Ihr Weg war gekennzeichnet von dem Erlernen dessen, was sie „Sanfte Bioenergetik“ nannte – in einem gewissen Gegensatz zur eingreifenden Orgontherapie ihres Vaters oder der „harten“ Bioenergetik Alexander Lowens.

Manchmal drängte sie mich geradezu, ihre Lehrer einzuladen, um für die Verbreitung der von ihr favorisierten Methoden in Berlin zu sorgen. Ein wundervolles Beispiel war für die osteocraniale Technik Dr. Martin Allen, ein amerikanischer Zahnarzt und Kiefergelenksspezialist, der mir tranceinduzierende Zonen im tiefen Halsbereich zeigte und unvergessliche Workshops im Rahmen meiner Ausbildungsgruppen durchführte. Andere Techniken, wie z.B. die Arbeit mit den Bach Blüten Essenzen sind mir zur ihrer Enttäuschung immer wesensfremd geblieben.

Nach einigen Tagen des Aufenthalts im damaligen Reich-Institut entwickelte sich bei Eva immer ein leichtes Asthma auf Grund ihrer Katzenallergie (meine Lebensgefährtin Claudia und ich hatten zwei Katzen), und sie begann dann für längere Zeit bei ihren Freundinnen Helgaard Passow und Paula Knapp-Diedrichs zu wohnen. Obligatorisch waren längere Aufenthalte in der damaligen DDR, besonders in Halle, wo sie bei dem Psychiater Hans Joachim Maaz unterrichtete.

Ein typisches Ritual war in jenen Jahren, dass ich sie bei ihren Freundinnen mit dem Wagen abholte und zum zentralen Busbahnhof in West-Berlin brachte. Wir mussten aufgrund unserer verschiedenen Reisepässe (Eva benutzte ihren amerikanischen Pass, mit dem sie unter dem alliierten Status problemlos nach Ost-Berlin einreisen konnte) zwei weit auseinander liegende Grenzübergänge nehmen, um uns dann wieder in Ost-Berlin zu treffen. Eva hatte jedes Mal mindestens vier(!) volle, große Plastiktüten mit biologischen Lebensmitteln und Obst dabei, manchmal auch hunderte von Fahrradventilen und anderen Sachen, die es in der DDR kaum gab.

Sie sprach oft über die mangelnde gesunde Ernährung, die chronische Kontraktion der Menschen im anderem Teil Deutschlands und dass es Generationen dauern würde, bis sich das bioenergetische System beider Staaten ausgleichen könnte.- Eva Reich gab ihr Wissen in mehr als 30 Ländern weiter, zumeist unentgeltlich oder spendete fast alle ihre Einnahmen für lokale Projekte.

1999 – Travemünde
Eva war gerade nach dem Transatlantikflug aus Hamburg gekommen, als sie mich mit den Worten empfing: „Heiko, glaubst du ich bin ein schlechter Mensch?“- Sie erzählte, dass sie seit langer Zeit immer wieder Schuldgefühle gegenüber ihrer Schwester Lore empfand – sie hatte ihr in der Kindheit immer Angst mit Gruselgeschichten gemacht und sich über Lores Verunsicherung amüsiert.

Diese und andere Geschichten beschäftigten sie nun Tag für Tag.Im folgenden Konferenzgeschehen war sie ganz die alte Eva. Privat und ohne Bezahlung arbeitete sie in ihrem großen Zimmer des Kurhotels mit lateinamerikanischen Teilnehmerrinnen. Viele Menschen wollten sie sehen und kennen lernen – und sie therapierte den ganzen Tag lang, um ihr Wissen und ihre Techniken weiter zu geben.

Ein unvergessliches Bild: Abends, sie wollte im feinem Hotelbademantel zum Dinner gehen, schlief sie vor dem Fahrstuhl in einem großen Ledersessel der Hotellobby ein. Niemand wagte sie zu wecken. Und so gingen unzählige Konferenzteilnehmer lächelnd, vor Hochachtung aber schweigend an ihr vorbei zum Fahrstuhl. Am nächsten Tag wurde sie auf dem Podium gefragt, aus welchem Grunde sie mir damals eine so einmalige und umfassende notarielle Bevollmächtigung zur Gründung eines Wilhelm Reich-Institutes gegeben hätte.- Und warum gerade Heiko Lassek? Die Frage war kritisch gemeint.

In ihrer fast unübertrefflichen, ironischen Art antwortete sie: „Er liebt schöne Frauen, er liebt schöne Autos, er arbeitet mit Krebspatienten, er hat die Blutdiagnostik und Bionforschung meines Vaters wiederholt, ich kenne viele seiner an Krebs erkrankten Patienten, er ist Arzt, hält Vorträge und bildet Menschen in Orgontherapie aus. Er raucht viel, trinkt viel, er ist in allen guten und schlechten Seiten wie mein Vater. Wem sonst?“

Es gab keine weiteren Nachfragen. In ihrer brillanten Antwort hatte sie genau die Intention des Fragestellers ad absurdum geführt.

Am dritten Tag unternahmen wir – Eva, ihre schon erwähnte Berliner Freundin Helgaard Passow, Evas wunderbar lebendige Tochter Renata und ich einen Ausflug zur Steilküste der Lübecker Bucht. Ich wollte ihr ein altes, einsam gelegenes Restaurant über dem Steilufer zeigen, die so genannte „Hermannshöhe“. In meiner Kindheit und Jugend spielte sie eine bedeutende Rolle, da meine Eltern mit mir in den Sommerferien jedes Jahr nach Travemünde fuhren (es war dank der damaligen Vorsitzenden der EABP, der von mir sehr geschätzten Ilse Schmidt-Zimmermann, nicht ganz zufällig, dass diese Konferenz dort stattfand).

Nach dem Essen wollte ich Eva noch einen Teil meiner geliebten Wege an dieser Steilküste zeigen. Nach wenigen Minuten Spaziergang in Richtung Norden/Niendorf begann Eva ganz aufgeregt zu sagen: „Das hier kenne ich, ich war schon einmal hier, gleich nach der Biegung kommen ganz kleine, einsam gelegene Häuser.“ Sie lief voraus, wartete dann auf mich und ging mit mir durch einen kleinen Wald. Renata und Helgaard folgten. Plötzlich standen wir vor dem letzten, wegen des jahrzehntelangen Abbruchs der Steilküste unbewohnten Haus. Es war das letzte Teil eines Sommerlagers aus den 30er Jahren, wohin sie von ihren Eltern mit einer sozialistischen Jugendgruppe in den Sommerurlaub geschickt worden war.

Renata machte Fotos. Eva erinnerte auf einmal völlig fasziniert die gesamte Steilküste bis zum nächsten Dorf. Wir hatten über viele Jahre zahlreiche solcher seltsamen Erlebnisse, auch in Bezug auf entlegene Orte. Eva meinte öfters, wir hätten eine vielleicht reinkarnative Beziehung – sie nannte mich dann immer „meinen Junker“, was ich in der gesamten Bedeutung und Tiefe nie ganz verstanden habe. Am letzten Tag der Konferenz führte sie intensive Gespräche mit vielen Teilnehmern auf der Terrasse des Kurhotels. Am Abend ging ihr Flug von Hamburg zurück nach Boston.

Dezember 1999 – der zweite Schlaganfall
Rückblende ins Jahr 1992: Der erste Schlaganfall kam aus dem Nichts – doch nicht wirklich. Eva litt seit fast zwei Jahrzehnten an einer atypischen Leukämie mit sehr hohen Leukozyten und Thrombozyten (Blutplättchen). Die, vereinfacht gesagt, herabgesetzte Fließgeschwindigkeit und Verdickung des Blutes kann zu Thrombosen und damit auch zum Schlaganfall führen; auch Bill Moise war daran gestorben.

Eva führte dies auf ihrer beider Anwesenheit während des Oranur-experiments zurück (zur Erinnerung: fast alle Labormäuse auf Orgonon erkrankten nach den Versuch an Leukämie; Reich bezeichnete dies als Überstrahlungsphänomen). Eva behandelte ihre Erkrankung ausschließlich biologisch. Eva war nun im Krankenhaus und erholte sich schnell von ihrer Lähmung. Renata erzählte mir erlöst und lachend folgende Geschichte: Wegen einer Überbelegung des Krankenhauses zur Zeit ihres Aufenthalts wurde Eva ungewöhnlicher Weise für ein paar Tage in ein Zweibettzimmer gelegt, in dem ein anderer Patient, ein Manager mit mittelschweren Brandverletzungen lag,

Eva war schon wieder höchst lebendig, saß in einem alten Rollstuhl und trug schwarze Lederhandschuhe, um sich an den Gummirädern nicht die Hände aufzureiben. Nach drei Tagen begann sie schon zu dozieren – und das Krankenhauspersonal über biologische Ernährung und Orgontherapie aufzuklären. Sie war bis auf die leichte Lähmung voll präsent, sogar etwas euphorisch, ihr Wissen im Heimatkrankenhaus weitergeben zu können.

Am vierten Tag sagte ihr Mitpatient zu Renata: „Ich hätte nie gedacht, einmal mit Jack Nicholson in einem Krankenzimmer sein zu dürfen.“

Eva hat sich dann ganz schnell erholt, und schon ab Mitte Januar telefonierten wir fast jeden zweiten Tag bezüglich ihrer Teilnahme an einer zentralen Podiumsdiskussion – der seit acht Jahren größten Konferenz Deutschlands – „Visionen menschlicher Zukunft“ im Kongresszentrum Bremen. In Absprache mit dem Kongressleiter, Frank Siepmann, sollte ich meine beiden Lehrer, Doktor Eva Reich und Professor Lu Jinchuan, moderieren; beide freuten sich sehr auf ihr Zusammentreffen.

Lu Jinchuan schätzte Wilhelm Reich als den bedeutendsten Wissenschaftler des Westens, und Eva unterstützte mich kontinuierlich seit Jahren bezüglich meiner Beschäftigung und Ausbildung in Chi-Medizin und Taoismus; sie meinte einmal dazu: „Heiko, mein Vater hatte 60 Jahre lang Zeit, die Funktion der Lebensenergie zu erforschen, der Taoismus 6000 Jahre.“ Ein zweiter Schlaganfall verhinderte aber ihr Kommen. Eva war nicht mehr reisefähig.

2006
Im Juli 2006 sah ich Eva das letzte Mal. Ich war mit meinem Freund, dem Wiener Regisseur und Produzenten Antonin Svoboda wegen einer Recherche für einen Spielfilm über Wilhelm Reich längere Zeit in den USA. Wir trafen uns u.a. mit Peter Reich, Ilse Ollendorff und Dr. Richard Blasband, besuchten Orgonon und haben auch Medien- und Zitatenrechte geklärt.

Spontan rief ich Evas Tochter Renata an und fragte sie, ob sie sich über unsern Besuch freuen würde. Sie sagte sofort zu. Wir beide kamen gegen Abend in Evas Wohnort Hancock an; die kleine Stadt ist etwa vier Stunden Autofahrt von Orgonon entfernt.

Renata und ihr Mann Antonio leben von Eva nur durch eine kleine Landstraße getrennt; Renata arbeitet seit Jahrzehnten als Hebamme und malt wunderschöne Ölbilder in der Tradition ihres Vaters, Bill Moise, dessen früheres kleines Atelier an Evas kleines Farmhaus angrenzt. Antonio organisiert Kanufahrten und Erlebnistouren für Touristen in der Umgebung der Kleinstadt. Wir vier gingen zum Dinner. Renata meinte, dass ich nicht erschrocken sein sollte, wenn Eva mich am nächsten Morgen nicht erkennen würde. Sie sei manchmal etwas verwirrt und hätte zunächst auch ihre lebenslange Freundin, Sophie Freud, die einen Tag vor uns bei ihr zu Besuch war, nicht erkannt.- Seit einigen Monaten lebt auch Renatas Sohn Christopher mit seinem Schäferhund nach einer Beziehungstrennung bei Eva im Haus.

Letzte Begegnung
Gegen zehn Uhr morgens gingen Antonin und ich mit Renata zu Eva. Eva saß – von einem großen Sonnenhut beschattet – im Garten und schien etwas amüsiert und ein wenig verwirrt über unseren Besuch zu sein.

Christopher erschien in der Tür, und Eva fragte uns, was denn dieser Mensch – ihr Enkelsohn, der bereits zwei Monate mit ihr zusammen lebte – hier wolle. Danach stellte sie uns ihren, wie sie meinte, neuen Hund vor. Renata begann zu erzählen, dass es manchmal auch sehr lustig mit ihr sein kann. Z.B. hatte sie ein paar Tage zuvor Christopher gesagt, er solle nicht weiter traurig über seine von ihm getrennte Freundin sein; sie würde ihm eine neue kaufen – worauf Christopher meinte, dass wir uns in Amerika und nicht in Thailand befinden würden.

Nach einiger Zeit gingen wir in die kleine Küche, wo Renata uns viele Fotos und Unterlagen für unser Filmprojekt zu Dokumentationszwecken zeigte. Innerhalb weniger Minuten kehrte beim Betrachten der Bilder auch Evas Gedächtnis wieder zurück; selbst an den Namen meiner Katze konnte sie sich erinnern.

Wir waren sieben, acht Stunden zusammen und sprachen über gemeinsame Freunde, Aufenthalte, Patienten, über die Aktivitäten in Berlin, Wien und Helsinki. Eva war völlig präsent und stellte immer wieder ganz spezifische Fragen, hellwach, aber in meiner Wahrnehmung über ihre Kräfte gehend. Zum Glück konnte von all dem Gesagten Antonin vieles mit einer Profikamera aufzeichnen, auch viele Dokumente und Protokolle von Reichs späten Wetterbeeinflussungs-experimenten und den Wüstenexpeditionen.

Am Abend brachte Renata Eva ins Schlafzimmer und zeigte uns dann noch die Ölgemälde ihres Vaters im Atelier.
Unvergessen werden mir beim Abschiednehmen Evas leuchtende Augen bleiben.

Dein Junker

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Nachwort
Ich habe nach vielen Überlegungen keine Einzelheiten bezüglich Evas Mitteilungen über ihre Ehe mit Bill Moise hier niedergelegt. Nur für die Geschichte: Mary Boyd Higgins und Eva Reich waren innige Freundinnen. Mary Higgins wurde von Eva mit der Verwaltung des Wilhelm Reich Infant Trust Founds in Orgonon beauftragt.Unter nahen Freundinnen wurde dieses Dokument in juristisch scharfer Form niedergeschrieben.

Bill Moise verliebte sich in Mary Higgins und kehrte später zu Eva zurück. Kontakt hatten sie daraufhin keinen mehr. Mary Higgins ließ Eva nie wieder zurück – weder in ihr Leben, noch nach Orgonon.Als Mary Boyd Higgins mir Ende 2005 die Hand zum Abschied reichte, sagte ich: „Ich fahre jetzt zu Eva Reich, sie ist schwer krank, darf ich sie von ihnen grüßen?“ Mary Higgins antwortete: „No doctor Lassek, we`ve lost contact. But thank you for asking this question.“
Ich weiß von Eva, dass sie sich brieflich bis 1999 (unsere Gespräche auf dem Steilufer) immer um eine offene Begegnung mit ihrer alten Freundin bemüht hat. Eine Antwort darauf bekam sie aber nie.

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