Zurück zu Bukumatula 2005

Bukumatula 3/2005

Mein Leben – von der Seele begrüßt …

Das Ja zur Therapie als heilender Faktor.
Beatrix Teichmann-Wirth:

Vorwort:

Es war genau vor einem Jahr, am 1. Oktober 2004, als ich – eingeladen vom Wilhelm Reich-Institut – einen Vortrag hielt zum Thema „Zur Psychosomatik der Krebserkrankung“; an meiner Seite Hans Peter Bilek, renommierter Psychoonkologe. Es war ein sehr schöner Abend, aufregend auch, so viele Menschen, und ich sollte (durfte) das erste Mal über ein Thema sprechen, das mich seit 1998 im wahrsten Sinne des Wortes be-traf – meine Krebserkrankung.
Wochen später wurde ich von Hans Peter Bilek eingeladen, einen Vortrag zu halten bei der Tagung der „Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie“ (ÖGPO). Ich sagte mit Freuden zu und der nachfolgende Beitrag ist eine Zusammenschrift davon. Bei der nochmaligen Durchsicht ist mir aufgefallen, wieviel ich der Beschäftigung mit Wilhelm Reichs Werk zu verdanken habe.

Es ist hier nicht nur der genetische Aspekt seiner Krebstheorie, über das Entstehen der Krebsbiopathie, wiewohl ich auch hier vieles in mir und den von Krebs Betroffenen wiederfinde, hier vor allem die tiefe Resignation dem Leben gegenüber. Darüber hinaus ist es das Kernstück der Reich´schen Vegetotherapie – die vegetative Identifikation, von der ich annehme, dass sie in der Betreuung und Begleitung von Krebskranken ein wesentliches Instrument sein kann.
Einen Aspekt, welchen ich dem Reich´schen Ansatz hinzufügen möchte, ist der der Selbstheilungskraft, die einer Erkrankung innewohnt. Eine (Krebs)erkrankung ist nicht bloß Ausdruck einer Störung, damit kausal determiniert, sondern eine Kreation, eine schöpferische Tat, um das verlorengegangene Gleichgewicht wieder herzustellen.

In diesem Sinne diente meine Erkrankung als Ermutigung und Herausforderung grundsätzlich aus dem „Strömen“ zu leben und nicht aus den Konzepten und Dogmen, die es zuvor bestimmt haben.

Von der Seele begrüßt…
Das Ja zur Therapie als heilender Faktor.

Vortrag von Beatrix Teichmann-Wirth im Rahmen der ÖGPO-
Tagung am 11.6.2005 im Wiener AKH.

Als Verena Kast am Vormittag an uns die Einladung richtete, sich eine freudvolle Situation zu vergegenwärtigen, erinnerte ich mich sogleich an die Einladung von Dr. Bilek. Ja, da hab ich mich sehr gefreut. Die Freude dauerte an, bis ich mich daran machte, mich konkreter vorzubereiten, so etwa einen Monat vor dem heutigen Tag. Ich wollte das so machen, wie ich es immer tat, wenn ich mich auf ein derartiges Vorhaben vorbereitete: mir all die Lektüre bereit zu legen, die ich vorhatte zu lesen, mir die Seitenanzahl zusammen-zählen, um sodann die Gesamtseitenzahl zu dividieren durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Tage.

Ja, so hab ich das früher gemacht. Lesen im Akkord. Da war natürlich keine Freude mehr spürbar. Aber irgendwie konnte ich diesmal nicht derart herangehen. So riskierte ich es, es anders zu tun. Und das würde ich als eine Art Schwangerschaft beschreiben. Wo immer ich war, hatte ich ein kleines Büchlein dabei, in welches ich all meine Ein-Fälle notierte. Auch beschränkte ich meine Arbeitszeit nicht auf zuvor fixierte Zeiten, hob vielmehr die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit auf. So konnte es geschehen, dass ich nochmal aufstand in der Nacht, um einer Inspiration Gehör zu schenken. Auch meinen Arbeitsplatz beschränkte ich nicht auf das Sitzen vor dem Computer, einmal wars das Cafe Dommayer, ein andermal das Perchtoldsdorfer Bad, ein andermal liegend am Sofa.

Ich beschreibe das so eingehend, weil sich darin mein persönlicher Wandel ganz deutlich abzeichnet. Ein Wandel von einem außenge-steuerten Leben hin zu einem, wo mein Organismus bestimment, was ich wann tue. Ein Wandel hin zu einem Leben, das meine Seele begrüßt.
Krebs Sei Dank hab ich einmal einen Buchbeitrag genannt, ja ich bin meinem Krebs dankbar, dankbar für die Erlaubnis, die durch ihn mir gegeben wurde.

So war auch der Krebs von meiner Seele begrüßt, oder um es noch provokanter zu formulieren, mein Krebs war von meiner Seele gewählt, als eine Selbstheilungsmöglichkeit, als eine Möglichkeit, das was aus dem Gleichgewicht geraten ist, wieder zurechtzurücken. Die Krebserkrankung war also im Sinne Dieter Becks ein Selbsthei-lungsversuch, ein – wie ich hoffe – gelungener.

Ich möchte das, was ich zum Thema vortrage, einrahmen von zwei gelesenen Sequenzen, welche sehr Persönliches beinhalten und welche ich in dieser ver-dichteten Form geben will.

Von der Seele begrüßt… da müßte ich jetzt – ganz akademische Psychologin – gleich eine Definition voranstellen, was ich unter Seele und Begrüßen verstehe. Das will ich jetzt nicht tun.

Will vielmehr beschreiben, wie es sich in meinem Körper so anfühlt, wenn etwas von meiner Seele begrüßt wird.

Da spüre ich ein Aufgehen, ein sich Öffnen, ungefähr hier im Herz-bereich, eine Bereitschaft, ein JA, das wiederum nach unten fließt, fast bis in die Beine, ja genau, und dann gibt’s da so ein kleines, manchmal ein größeres Jauchzen, ja genau, das tu ich, und das tu ich ganz und jetzt gleich und freudig.

Ja, so erlebte ich die Behandlungsschritte bei der ersten Krebser-krankung, damals im Mai 1998.

JA GENAU, das mach ich: ich lasse mich operieren, nicht von irgendeinem Chirurgen, nein von genau diesem – Professor Kolb – von meiner Seele begrüßt, ausgewählt nach vielen Kontakten mit anderen „Berühmtheiten“ für die vieles sprach – jedoch er mußte es sein, JA genau. Es war ein lichtdurchfluteter Mai-Tag, ein Montag um 9 Uhr früh im Evangelischen Krankenhaus in Wien Währing, begleitet von meinem Mann an unserem Hochzeitstag – da wurde ich operiert von liebenden Händen, welche mir meine Brust beließen, dort wo nach State of the Art, sie mir zur Gänze genommen werden sollte.

Ein kleiner Schnitt nur, mittlerweile unsichtbar – wie eine nachträg-liche Bestätigung, ja genau, das war die richtige Entscheidung.

Und als ich mich dann – trotz Drängens – erst nach Monaten zur Bestrahlung entschied – nein nicht im nahegelegenen Krankenhaus sondern in einem weiter entfernten, dort, wo die Farben und das Licht das Warten und das Verweilen erfreulich machten, war auch die Bestrahlung von der Seele begrüßt – und auch wenn dies para-dox erscheinen mag – zuallererst begrüßt als eine intensive Er-fahrung – ah so ist das, so fühlt es sich an, das macht das mit mir. Die Nebenwirkungen blieben gering, erfahren hab ich eine große energetische Öffnung im Herzbereich, dort wo ja die Bestrahlung angewandt wurde – ein Angehobensein, Liebe und tiefe Dankbarkeit für die mich so liebevoll und engagiert behandelnden Menschen.

„Von der Seele begrüßt…“, entschieden nicht allein aufgrund von Fakten, Prozentzahlen, Heilungsquoten, Vernunftsgründen, sondern dies alles einschließend – organismische Selbstregulanz nennt das mein erster Psychotherapie-Vater, Carl Rogers, diese alles ein-schließende Entscheidungs-Kraft, die genau in der Mitte von allem ist, un-bedingt, alle Bedingungen berücksichtigend, jedoch nicht in der Vereinzelung, sondern in ihrer Ganzheit, vor sich hingelegt, betrachtet, wieder weiter weggestellt, sodann im rechten Abstand, sodass nicht eins vor dem anderen hervorsticht und den Seelenblick verstellt. So soll es sein. Und dann – wenn ich mich nicht einmische, dann offenbart sich ein tieferes, vielleicht höheres Wissen, das da sagt „auch wenn ich es vielleicht rational nicht begründen kann, so weiß ich, so weiß etwas in mir, dass es richtig ist.“ Ja genau, das mach ich – und wieder dieser `felt shift´, wie Gendlin, der Focusing-Begründer diesen organismischen Ruck nennt, wenn etwas als wahr erkannt wird. JA GENAU, Bestrahlung jetzt, dort an diesem Platz – und dann ebnen sich Wege, Termine stehen bereit, ohne Kampf, einfach so…

Und die Therapie – jetzt von mir mit meinem organismischen Ja unterstützt – entfaltet ihre heilsame Wirkung.

So habe ich es erfahren.

Ich konnte/durfte auch eine andere Erfahrung machen, damals im Jahre 2002 als ich das zweite Mal an Krebs erkrankte und schnell den bekannten Weg der Operation und der Bestrahlung beschritt, zu schnell vielleicht. Hab´ meine Seele nicht angefragt, welcher Weg jetzt zu gehen ist, jetzt in dieser Situation, die äußerlich der Ersten zu gleichen schien und doch ganz neu und unvergleichlich war und wohl auch etwas Neues brauchte, auch wenn dies vielleicht dasselbe ist. Ich habe meine Seele, meine innere Stimme nicht erhört damals, schnell einen Operationstermin festgelegt und auch die Bestrahlung gleich einmal angeschlossen, damit auch das erledigt ist, ich kannte dies alles ja schon, vermeinte ich jedenfalls. Jetzt in der neuerlichen Be-schäftigung damit, erkenne ich, dass ich in die Therapie hinein schlitterte, tapfer, das mach ich jetzt auch noch, schnell, dann ist´s erledigt.

Die Nach- und Nebenwirkungen fielen in nicht gekannter Heftigkeit aus, nicht verwunderlich für mich, war doch da niemand, der die Behandlungsmaßnahmen mittrug, den Strahlen den Weg wies und bei all dem ganz da war.
Ich habe also am eigenen Leib – hautnah – erfahren, wie wesentlich die persönliche Ausrichtung, die Ein-Stellung dafür ist, wie die Behand-lung wirkt. Vor allem hat es mir ermöglicht, einige, wie ich meine wesentliche Schritte zu tun, aus einem Leben auszusteigen, welches mir nicht mehr gemäß war, welches mich nicht nährte, nein, im Gegenteil mich erschöpfte, ein Leben, das ich so nicht mehr wollte, ein Leben, das von meiner Seele nicht mehr begrüßt wurde.
Dafür bin ich dankbar.

Die Diagnose war nicht nur Schock, sondern ein Ausgang. Krebs gibt Erlaubnis.
So war dieser finale Aspekt meiner Krankheit – worauf weist sie hin, was gewährt sie mir, wofür dient sie – immer wesentlicher als die Frage nach dem „Warum“. Ich will dennoch an dieser Stelle ein Er-klärungsmodell vorstellen, weil es für das Weitere wichtig ist.

Es gibt ja viele Theorien zur Krebsentstehung, viele wurden falsifiziert. Was ich aber sowohl in meinem persönlichen Bezug als auch in Krebsbiographien, bzw. in neueren Betrachtungsweisen wiederholt bestätigt fand, ist der Aspekt der Ohnmacht dem eigenen Leben gegenüber, der Fremdbestimmtheit, der Ent-fremdung von sich, der Ent-Eignung.

Der Verlust der eigenen Lebensmelodie kennzeichnet diese Menschen, wie Le Shan sagt.

Und diese grenzenlose stumme Verzweiflung darüber, dass man keinen Aus-Weg sieht oder vielmehr keine Berechtigung hat, das zu ändern, ein für sich gültiges, gemäßes Leben zu führen, ein Leben, das die Seele begrüßt.
So wird das Nein zu diesem Leben zu einem Nein zum Leben überhaupt. Die Resignation ist tief und greift das biologische Fundament an, es greift den Kern des Lebens an. Das ist es, was Wilhelm Reich als Kern der Krebsbiopathie beschreibt, dieser Rückzug aus der Welt bis auf eine plasmatische Ebene.
Ja und Nein als die zwei Grundbewegungen des Lebens – das Ja als sich öffnende, von sich ausgehende nach außen in alle Richtungen, in die Welt gewandte Bewegung, das Nein kontrahierend, zusam-menziehend, in den Kern hinein, wobei ein Nein, das nach außen gesprochen wird, auch ein JA ist. Ein nicht gesprochenes Nein führt jedoch zu einem Abziehen von der Peripherie, zu einer immer weiterschreitenden Kontraktion – zu einer fortschreitenden Lebens-verneinung. Das Nein zu bestimmten Aspekten des Lebens wird zu einem ganz grundsätzlichen Nein zum Leben generell, und es greift den Menschen in seinem biologischen Fundament an. Ich denke, dass dies ein wesentlicher, ganz grundlegender Prozeß bei der Krebsentstehung ist. So war es bei mir: Ich wollte dieses Leben nicht mehr, ein von Leistung, Druck und Angst bestimmtes Leben, und da ich es nicht wagte zu glauben, dass ich ein mir angemessenes Leben erschaffen kann, dass ich dazu berechtigt bin, lehnte ich das Leben an sich ab, wollte nicht mehr leben, raus aus dieser Welt – nein dieses Leben war von meiner Seele nicht begrüßt.
Genau an dieser Basis des biologischen Fundaments muß die Umkehr stattfinden; es geht um die Umkehr eines grundsätzlichen Verneinens, einer Ablehnung des Lebens und einem Rückzug von der Welt – eigentlich bis in den Tod hinein zu einer Bejahung, einer Ausdehnung aus mir heraus auf die Erde zu und in die Welt hinein. Sonst ist es bloß ein auch wieder schwächendes Zurückdrängen, ein Bannen des Krebses, oder wie viele es sagen, ein ständiger Kampf gegen den Krebs.

1. Die Diagnose:

Die Diagnose stellt einen Einbruch in die Verkrustung dar, der Mensch gerät in einen Ausnahmezustand, der ihn aus allem Ge-fügten, dem strukturgewordenen Leben, bisweilen ganz und gar ohne Lücken der Freiheit heraushebt, sie trifft den Menschen im Kern; das Leben in seiner unmittelbaren Qualität ist bedroht, ich könnte sterben an meinem Krebs. Der Tod jetzt an die Seite gestellt, die Endlichkeit meiner irdischen Existenz wird bewußt.

Und plötzlich geht es nicht mehr ums Erfüllen von Erwartungen und Formen des Lebens, sondern ums Leben an sich, um mein Leben und vielleicht das allererste Mal um mich.

So wohnt der Krebsdiagnose neben dem Schock der Todesgefahr auch ein Potential inne. Das Potential „aufzuwachen“, das Leben als meines zu begreifen und zu beginnen für dieses, mein Leben zu sorgen. Eine Lücke tut sich auf, durch die Lebens-Licht durch-scheint. Viele krebskranke Menschen beschreiben eine Anhebung des Bewußtseins rund um die Diagnose, in dem vieles viel klarer gesehen wird. Das ist eine unglaubliche Chance.

Vielen ist es allerdings nicht gegönnt, diesen Licht-Schein wahrzu-nehmen, diese plötzliche Verbindung zu ihrem Seinsgrund. Es ist ihnen nicht vergönnt, weil alle Welt danach trachtet, die Lücke schnell zu schließen – nicht einmal die Angst darf erlebt werden, zurückgedrängt von Helfern, welche ihre eigene Angst nicht wahr-nehmen wollen.
Nichts ist so wie es einmal war, sagen krebskranke Menschen. Und ich meine: Es ist gut so. Jedoch schon bald läuft alles seinen vorge-zeichneten, meist medizinischen Weg. Operationstermine werden vergeben, der Mensch – unter Zeitdruck gestellt – taumelt in die Behandlung, neuerlich hat er die Verbindung zu sich selbst, zu seinem höheren Wissen verloren, er hat sich erneut höheren Mächten überantwortet und antwortet sich nicht mehr selbst.

2. Was braucht es?

Ein Umfeld, welches die Angst und den Schock da sein läßt, ohne einzugreifen, Menschen, die einfach da sind, menschlich präsent, so dass sich der Schock herauslösen darf aus dem Organismus. Das braucht seine Zeit, beim einen mehr beim anderen weniger – Zeit-Räume. Werden sie gewährt, setzen bereits in dieser Phase Aktivi-täten ein, welche Selbstheilungskräften entspringen – Informations-suche, emsiges Austauschen mit anderen oder aber auch Rückzug.
Raum und Zeit gewähren ist die Arznei der Wahl in dieser Zeit.

Und es braucht hier Begleiter, „Krebs-Coaches“ möchte ich sie nennen, Menschen, die dies alles begleiten, wachsam, nicht ein-greifend. Vor allem aber auch Begleiter, die ein Bewußtsein über ihre eigenen Konzepte der Heilung haben, und auch über ihre eigene Todes-Angst, beziehungsweise über ihren Wunsch, auf alle Fälle den Tod zu verhindern.
Es braucht eine Freiheit, dass alle Methoden des Zugangs, des Umgangs mit dem Krebs gleich-gültig sind, auch wenn der Mensch wählt, keinen Eingriff an sich vornehmen zu lassen.

Neben der Informiertheit ist es vor allem diese Freiheit wirklich zu erspüren, was für diesen einen Patienten jetzt Gültigkeit besitzt, weil es von der Seele begrüßt wird.

Und dies braucht eine tiefe Einfühlungsgabe oder Fähigkeit, man könnte diese auch organismische Resonanz nennen oder wie Wilhelm Reich es nennt, „vegetative Identifikation“, die Fähigkeit in meinem Körper zu spüren, wann dieses Jauchzen der Seele, diese Bejahung stattfindet, „Hell-Spürigkeit“ sozusagen, das heißt die Körper müssen gestimmt sein, ja vor allem die Körper, um frei mitzuschwingen, zu antworten, zu resonieren. Erst dies ermöglicht zu spüren, ob die Ablehnung einer Therapieform der Angst ent-springt oder dem höheren Wissen, darum, dass sie mir nicht zum Heil gereichen wird.

Der Prozeß der Therapieentscheidung wird vielleicht über das sich Ausdehnen lassen von Ängsten und Bildern und Vorstellungen lau-fen – Chemotherapie, Strahlenängste. Wenn diese Vorstellungen sich ausdehnen dürfen und vielleicht korrigiert werden, dann erst ist eine Grund-Lage im wahrsten Sinne des Wortes gegeben für eine Ent-scheidung in Freiheit – organismische Selbstregulanz. „JA GENAU, das mach ich, das begrüße ich, dazu bin ich bereit, das nehme ich gerne und ja auch freudig an.“

Zusätzlich unterstützend mag es sein, sogenannte hilfreiche Ver-bindungen herzustellen – eine Umdeutung der aggressiven Chemo-therapie oder in meinem Fall, was die Strahlentherapie betrifft, die Vorstellung, dass es sich um liebende heilende Hände handelt… Auch hier gibt es keine allgemeingültigen Richtlinien, auch hier geht es darum, zu erspüren, was eine heilsame Brücke zur Behandlung baut. Weil die Behandlung – will sie heilend wirksam sein – ist ja nicht passiv empfangen, sondern dann wirksam, wenn der Mensch sie aktiv empfängt, in Resonanz, in Dialog mit ihr tritt. Ganz dabei ist im Prozeß ein „Ich“, das da ist und die Therapie empfängt. Wesentlich ist auch die Wahl des Therapiezeitpunkts. Zumeist – denke ich – wird zu früh operiert, der Mensch ist aus dem Schock der Diagnose noch gar nicht aufgewacht, allein, geschwächt und nicht bei sich.

In all dem braucht es also einen Begleiter – oder wie Williges im von der ÖGPO herausgegebenen Buch über ungewöhnliche Behand-lungsverläufe bei Krebs sagt – einen Freund des Körpers, einen Anwalt des Körpers. Es mag vielleicht absurd klingen, wenn Kahleyss in eben diesem Buch meint: „Wir Psychotherapeuten benötigen eine bestimmte Sensibilität und Intuition für körperliche Vorgänge, und hier hilft kein Neurosenmodell, mehr ein Praktikum in einem Tierheim.“

Dies mag absurd klingen, ist es aber nicht – es verlangt eine vegetative Einstimmung, ein Mitschwingen, um das organismische Ja, diese vielleicht noch ganz zögerliche Bewegung der Ausdehnung, des Expandierens bzw. dieses Jauchzens bis in die Zellen hinein zu spüren. Und man kann das spüren.

Ein solches Vorgehen verbindet die Psyche mit der Physis, nein vielmehr setzt es auf einem tieferen Fundament an, wo diese beiden Bereiche noch ungetrennt sind. Es verbindet aber auch den Men-schen mit anderen.

Gelingt dies, so kann schon hier eine grundsätzliche Umkehr statt-gefunden haben, der Mensch erfährt sich in seiner Selbstbestimmt-heit, er hat Einfluß, er ist aber dennoch in Kontakt mit anderen, im Austausch, nicht überwältigt von mächtigen Autoritäten. Es ist vielleicht eine erstmalige Erfahrung von Autonomie, der eigenen Autorität und der Selbstbejahung und auch der eigenen Mächtigkeit, wenn etwas so geschieht wie es von mir zutiefst bejaht wird, mit meinem Ein-Verständnis, von der Seele begrüßt, dann ist es zum Guten; das ist dann kein Kampf gegen den Krebs mehr, sondern ein Eintreten für mich und fürs Leben, fürs Leben und ins Leben. Und dies wird heilsam sein, weil es gar nicht anders sein kann.

3. Danach:

Danach, dann wenn man schulmedizinisch austherapiert ist, ist das meistens eine heikle Situation und oftmals auch sehr ängstigend. Was kann ich nun tun, um meine Gesundheit zu fördern, um am Leben zu bleiben? Der Schutz der Behandlung, wo man das Gefühl hat, man tut etwas, um zu gesunden ist nicht mehr gegeben, man ist ins freie Feld der komplementären Angebote entlassen und die sind unüberschaubar, teilweise mit abstrusen Heilsversprechungen ver-bunden, die von mächtigen, charismatischen Vertretern an den Patienten herangetragen, erneut die Selbstbestimmung bedrohen.

Nur diese Methode sei heilsam, wird dem Patienten mitgeteilt, der Mensch – erneut in einer Angstsituation, ist er doch noch nicht gefestigt in seiner Selbstbestimmtheit – eingeladen, sich erneut zu überantworten und sich nicht mehr zu fragen, welche Maßnahmen und Hilfsangebote wirklich von ihm begrüßt und aufgenommen werden wollen. Helixorspritzen, Ayurvedische Medizin, Fasten, TCM, Enzyme, Überwärmung….

Auch hier geht’s um dieses JA GENAU, diese organismische Resonanz, das Mitschwingen der Person, es gibt keine allgemein-gültigen Rezepte und auch ein von mir gewähltes Heil-Mittel kann sich wandeln. Dann geht es darum, dass es sich wandeln darf, zunächst aber vielleicht darum, dass ich mich mit meiner vollen Entscheidungs-Kraft für eine Form der Behandlung entscheide, mich einlasse damit, mich damit verbinde, es ganz zu mir nehme, dann ist´s heilsam, sonst nur herausgeschmissenes Geld.

4. Das Ja zum Leben als der heilender Faktor:

„Willst du am Leben bleiben, so mußt du etwas ändern“ – das ist ein sehr bedrohlicher Satz für krebskranke Menschen, welche sich mit den Ursachen der Krankheit auseinandergesetzt haben.

Auch das ist oftmals eine Überforderung. Wo anfangen, Sicherheiten verlassen, soviel müssen, wieder müssen, den Mann verlassen müs-sen, den Wohnort oder Beruf wechseln müssen….weil sonst?
Überforderung und Angst.

Man muß nicht, aber man darf – endlich.
Langsam, langsam oder vielmehr in meiner Zeit. Manche tun es sehr abrupt, radikal, zu den Wurzeln gehend, manche langsam, nach außen hin unscheinbar, unspektakulär, manche in Schüben.

Step by Step. Auch hier braucht es Mentoren, Mittler, „Übersetzer der Seelensprache“, die unterstützen beim Erkennen, welcher Schritt jetzt von der Seele begrüßt ist. Was ist machbar, was ist frei von Angst, welcher Schritt dran, wozu ist mein Organismus, bin ich bereit zu tun?

5. Was wird jetzt von meiner Seele begrüßt?

Es gilt ganz basal zu beginnen, bei meinen unmittelbaren Bedürf-nissen wie Ernährung, Ruhe und Bewegung, Stille, Alleinsein, mit anderen sein.

Und auch dieses intime Territorium, dieser urpersönliche Bereich ist oft kolonialisiert mit Richtlinien, Konzepten, Rezepten, Übungen, Disziplin – und damit neuerlich enteignet, überantwortet einem Regime.

Dem Menschen sich selbst zurückgeben heißt ihm zu helfen, ihn zu unterstützen, wieder in Fühlung zu kommen mit den sich immer-während änderenden Bedürfnissen.

Heilsam ist Nahrung, nicht weil sie einen bestimmten Eiweißanteil hat, der für alle Menschen gleich ist, heilsam ist sie dann, wenn sich mein ganzer Organismus auftut dafür, ja sich öffnet, weil es richtig ist jetzt, JA GENAU, da freu´ ich mich drauf, da öffnet sich mein Verdauungstrakt zur Aufnahme, mein ganzes System, JA GENAU, das ist es. Das braucht vielleicht auch einen Begleiter, jemanden der sich einstimmt, in seinem Organismus spüren kann, wann im anderen diese organismische Bejahung stattfindet. JA GENAU, das ist es. Ein Ja zu meinen Bedürfnissen ist ein Ja zu meinem Leben, spiegelt mir in dem Wohlgefühl wieder, welches es wert ist, am Leben zu bleiben, zu leben.

Es geht zunächst um den „Gott der kleinen Dinge“, wie das Sitzen, Stehen, ….mache ich das so wie es jetzt stimmt, hab ich mich ganz zur Verfügung, bin ich ganz da, stehe ich zur Verfügung, ohne mich selbst zu opfern. Die Beantwortung dieser ganz basalen Bedürfnisse, die Fürsorge für den Körper sind wie die tiefen Töne jener Lebens-melodie, von welcher Le Shan spricht.

Es ist dies ein Begrüßen des Lebens in seiner ganzen Ursprünglichkeit – und man kann sich, denke ich, darauf verlassen, dass es wie in der Maslowschen Bedürf-nishierarchie gilt, dass dann ganz natürlich eine Weiterentwicklung eine Sehnsucht danach entsteht, sich selbst zu verwirklichen, seinen Platz hier auf der Erde ganz einzunehmen, eine kosmische Sehn-sucht, eine Sehnsucht, seine Lebensaufgabe zu finden und zu er-füllen.

Aus der Erfahrung geboren, wird es dann auch klar, welche Zutaten lebensfördernd sind – wieviel Alleinsein ich brauche, wieviel Bewe-gung, in der Natur sein, welche Arbeit mir gemäß ist, welche Nah-rung ich bevorzuge, dies nicht aufgrund eines rigiden Regimes, son-dern weil ich Erfahrung mit mir habe, was mir gut tut, was meine Seele begrüßt.

Leben wollen – Leben dürfen.

Eine Gewißheit: Leben zu wollen um meiner selbst Willen läßt mich am Leben bleiben.
Ein Beispiel: Laufen, beliebig auf Lebensfunktionen wie Essen, Schlafen, Sexualität, Meditation anzuwenden.
Laufen.
Nicht laufen, weil Dienstag ist oder Freitag oder Sonntag oder besser noch an jedem andern möglichen Tag, weil es gesund ist, nicht eine Stunde mindestens laufen müssen, weil ich mich sonst nicht in die Reihe der ernsthaften Läuferinnen einreihen darf. Kein Schulterklopfen mehr beim Heimkommen – „Tüchtig so“: Laufen, weil ich laufen will, oder nicht laufen, oder ein bißchen laufen, dann gehen, stehen, oder sogar sich dort auf meine Bank setzen, auch das nicht mehr determiniert auf 5 Minuten, vom Terror der Zeit gehetzt, mich hinsetzen, sitzen, atmen, schauen. Laufen wollen – oder nicht.
Tagelang, wochenlang, vielleicht gar nicht mehr.
Ja, das ist ein Risiko – die selbstauferlegten disziplinären Sicher-heiten zu verlassen.
Mir zu folgen.
Mich zurückerobern aus den Fängen der wissenschaftlich begründe-ten Gesundheits-Maßnahmen.<
Mich mir zurückgeben. Ja das ist wahrlich ein Risiko.
Und – es passiert nichts.
Erstaunlich.
Leben wollen um meiner selbst willen, läßt mich am Leben bleiben.
Das ist gewiß.
Einfach leben. Darüber ist keine Aussage zu treffen.
Leben solange ich leben darf.
Leben solange ich lebe.
Mein Leben – von der Seelebegrüßt.

Zurück zu Bukumatula 2005