Zurück zu Bukumatula 2005

Bukumatula 3/2005

Der Mensch im Bild und Gleichnis Gottes.
Was ist mit ihm geschehen?

Eine Reise mit dem Sufiheilorden in die Konzentrationslager nach Auschwitz, 2003.
von
Christa Sekac:


EINLADUNG

Die Einladung nach Auschwitz. Schwer lag sie in meinen Händen, schwer und bedeutungsvoll. Zuerst fühlte ich mich dem gar nicht gewachsen und wollte absagen, und doch sagte jene innere stille Stimme so klar: ich solle gehen.
Es war nicht so sehr die Gewissheit diesem Ort Heilung bringen zu können, sondern der bescheidene Ansatz sich der Vergangenheit zu stellen, an einem Ort wo das Schlimmste geschah….

DIE REISE

In Wien ein turbulenter Start. Bis jeder seinen Sitzplatz fand, rollte der Zug schon Richtung Oswiecim. Zur Einstimmung, als Reisebegleiter, wählte ich die Lektüre eines jüdischen Autors – Friedrich Weinreb:“Das chassidische Narrenparadies“. Seine Worte so kraftvoll und klar, so leise und so präsent; Verbannung und Erlösung, Vernichtung und Auferstehung, Hoffnungslosigkeit und Vertrauen…. Gegensätze, wie sie extremer nicht sein können….

Der liebevolle Empfang unserer polnischen Freunde ließ uns durch-atmen, die herzliche Stimmung, die strahlenden Augen ließen uns schnell vergessen, daß wir nicht polnisch konnten, daß wir in der Fremde uns befanden.

BESUCH VON AUSCHWITZ 1

Beklemmung, Trauer gleich vom ersten Blick an. Stille Tränen, und jeder Schritt tat weh….und dann die grauenvollen Bilder im jüdischen Haus: erbarmunglos ausgeliefert, nackte Männer, nackte Frauen, auf dem Arm nackte kleine Kinder; die Augen der Kinder erzählen vondiesem Un-faßbaren….vor einer Grube – in die sie bald fallen würden, erschossen, auf die Toten blickend, die schon in der Grube lagen – …. nie mehr werde ich diese Augen vergessen. Mir war, als ob Gott weinte. Stumme Schreie, laute Schreie, blankes Entsetzen….wieviel Schmerz, wieviel Unrecht kann ein Mensch ertragen?

Das war noch nicht alles, schlimmer noch: das Todeshaus, die Todes-(Erschießungs-)mauer. So tief der Schmerz, so bewußt und unendliches Leid jedes einzelnen Menschen…. In der Stille ist noch alles spürbar….

Am nächsten Tag:

ZU FUSS NACH AUSCHWITZ II – BIRKENAU

Das Wetter spielte Kapriolen; ein unglaublicher Regenguß ließ uns Unterschlupf suchen (welch eine Freiheit!); so halbwegs ge-trocknet kamen wir aus unserem Unterschlupf raus – nicht wirklich lange, erneuter heftiger Regenguß ließ uns in eine der noch stehen-den Baracken flüchten – erstaunlich wie schnell man an sein Wohl denkt, auch an solch einem Ort.

Die verschiedenen kontinuierlichen Gebete über Stunden brachten Ruhe in mein aufgewühltes Herz. Die Sanftheit des Atems bewirkte eine gewisse Gelassenheit, erweiterte eine innere Wahrnehmung die mich zutiefst berührte, führte in eine neue, noch nicht vertraute Stille …. Wieder stand ich vor der Todesmauer, mein Blick – gefangen vom Schmerz der Erde dieses unglaublichen Massenmordes, diesem unerträglichen Leid der Menschen, dieser Dunkelheit, dieser finsteren Nacht -, wurde innerlich emporgehoben ….,um das gleichzeitig in der vertikalen Linie befindliche unglaubliche Licht, das Licht Gottes zu sehen.

Gerade an dieser Todesmauer, wo die Verzweiflung am größten war, war/ist auch das Licht am hellsten, stärksten….Jenes Licht oben durchströmt den gequälten Körper unten…. Ist das die Antwort auf meine Frage warum Men-schen trotz dieser unerträglichen Qualen, abgemagert bis auf die Knochen, menschlich entwürdigt – leben, überleben können? Die Liebe Gottes, wo ist sie ?

(*1) Was verursachte diesen Krieg? Wenn der Geschmack der Kostbarkeit des Lebens, jedes Lebens in mir lebendig ist, kann ich dann töten? Was war in diesen Menschen innerlich tot – da sie im Äußeren töten, hilflose Menschen sadistisch quälen konnten?

Und doch: Die Seelen, die den gequälten mißhandelten Körper ver-lassen, steigen empor zum Licht; d.h. ihr zartes Licht nimmt an Leuchtkraft zu, je höher, desto intensiver…. So verzweifelt und leidend die menschlichen Herzen, so nahe die Liebe Gottes. Es gibt diese Trennung nicht, die wir – in Raum und Zeit gefangen – als solche wahrnehmen.

Doch dieses Bild ist kein Trost, es entschuldigt auch nicht die Greueltaten. Es ist eine Aufforderung. Eine Aufforderung, im Hier und Jetzt zu handeln.- Wie soll das geschehen?

KONSEQUENZ

Es scheint, es ist (mir) wichtig, nicht nur am historischen Geschehen festzuhalten, die Konzentrationslager als etwas „in der Vergangenheit“ Passiertes abzutun. Wie, was kann ich daraus lernen? In meinem Leben jetzt und hier?- Wo geschieht Auschwitz bei mir, in mir, im Alltag? Wann töte ich das Lebendige in mir? In meinen Kindern, in meinen Freunden?

Diesen feinen, zarten Impuls des Lebens – lasse ich ihn zu (m)einer Kraft werden? Oder unter-drücke ich ihn – töte diesen Impuls aus Angst, aus Einsamkeit, durch falsche Anpassung, durch faule Kompromisse? Warum lasse ich die Dunkelheit in mir siegen? Kann ich unterscheiden was bewußtes oder was unnötiges Leiden ist? Spüre ich die Verkrampfung meines Körpers? Erlaube ich (mir) Entspannung? Klage ich über Streß oder übernehme ich Eigenverantwortung und entwickle konzentriertes Handeln?

Sehnen wir uns nicht alle nach dem wirklichen Leben voller Leben-digkeit, welches Frieden, Freude und wahre Kraft einschließt? Und haben wir nicht alle ein Recht darauf?

Beginnen wir…. beginnen wir, dem Licht und der Würde mehr Raum zu geben….jeden Tag erneut, unermüdlich….in uns undaußerhalb von uns….jeden Tag ein bißchen sanfter, gütiger zu sich und zu anderen zu sein, spürend welche Freude der sanfte, entspannte Atem mit sich bringt, welche Kraft daraus entspringt….

(*1) Ibn al Arabi Die göttliche Sehnsucht, die sich im Wesen des Menschen als Liebe manifestiert,
wird durch den Vorgang der Schöpfung gestillt….
…. im Wissen um diese Einheit, kann es da noch Kriege geben?

Impulse aus: W. Reich, ‚Äther Gott und Teufel‘:
Seite 68: Atmenübungen
Seite 144: ‚Nur Menschen mit einer Struktur, die zur Freiheit fähig ist, können in einer selbst-regulierenden, wahrhaft freien Weise leben.‘
Seite 147: ‚Gott ist so langweilig und fern, weil er den Kern des Lebens verkörpert, der durch die Panzerung unzugänglich wurde.‘

Buchempfehlungen:
Schoschana Rabinovici `Dank meiner Mutter´
Friedrich Weinreb `Legende von den beiden Bäumen´
Etty Hillesum `Das denkende Herz´

Zurück zu Bukumatula 2005