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Bukumatula 2/1993

Vor-bild hinter dem Arlberg

Interview mit Dr. Luggi Rhomber
Vorstand der Abteilung Soziales, Jugend, Familie und Frauen im Amt der Vorarlberger Landesregierung
über die psychotherapeutische Versorgung in Vorarlberg
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B: Das „Vorarlberger Psychotherapiemodell“ hatte für das 1990 in Österreich in Kraft getretene Psychotherapiegesetz Vorbildcharakter. Wie sieht dieses Modell aus?

R: Tatsächlich hat dieses Modell bis zum heutigen Tag einzig und allein in Vorarlberg existiert. Und zwar in der Weise, daß das Land mit dem Krankenversicherungsträger und der Arztekammer eine sogenannte „Dreierregelung“ konzipiert hat, wonach diese drei Kostenträger für die Psychotherapie in Vorarlberg aufkommen. Im Vollzug dieser Dreierregelung haben die 15 im Land praktizierenden ärztlichen Psychotherapeuten die Möglichkeit pro Klient quartalsmäßig vier Psychotherapiestunden abzurechnen.

Dieses Modell hat bis heute sehr gut funktioniert. Derzeit sind Verhandlungen im Gange, wie die nichtärztlichen Psychotherapeuten – nach dem neuen Gesetz ist ja der Quellberuf an sich nicht von Bedeutung – in dieses Modell eingebunden werden können. Auch bisher schon haben frei praktizierende, bzw. in sozialen Institutionen tätige Therapeuten ebenfalls Psychotherapie angeboten.

Die Kostenregelung in diesem Bereich ist unterschiedlich. Für jene Therapeuten, die in Institutionen tätig sind, ist das Land Kostenträger nach dem Rehablititationsgesetz, wobei die Patienten je nach ihren Einkommensverhältnissen einen bescheidenen Selbstbehalt zu leisten haben. Für die frei praktizierenden, also nicht ärztlichen Psychotherapeuten, haben wir einen Tarif festgesetzt, wobei diese darüber hinaus einen Selbstbehalt von ihren Klienten einheben können.

B: Welche Therapiemethoden waren anerkannt?

R: Bis zum Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes hat es ja keine Regelung gegeben. Praktiziert aber wurde in Methoden, die nach den Erkenntnissen der Wissenschaft Anerkennung gefunden haben.

B: Ist körperorientierte Psychotherapie nach Wilhelm Reich in Vorarlberg bekannt?

R: Auch diese Therapie wird in Vorarlberg angeboten. Der beste Informant über diese Therapiemethode aber war bisher für mich der Sekretär des Reich-Institutes selbst.

B: Wie ist jetzt, nach Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes, die Versorgung der Bevölkerung gesichert?

R: Vorab möchte ich festhalten, daß die psychotherapeutische Versorung in Vorarlberg eine ganz hervorragende ist. Wenn man davon ausgeht, daß österreichweit 550 Psychotherapeuten derzeit zur bedarfsgerechten Versorgung notwendig sind, würde das auf unser Land umgelegt bedeuten, daß in etwa 20 bis 25 Psychotherapeuten notwendig wären.

Allerdings ist zu bemerken, daß vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger für Vorarlberg lediglich 15 Psychotherapeuten vorgesehen sind; mir ist nicht klar, wie man auf diese Zahl kommt, da der Indikator seriöserweise der Bevölkerungsschlüssel sein müßte und dann käme man auf 20 bis 25. Wenn man die vom Hauptverband angenommene Zahl anschaut, so wäre allein durch die schon jetzt integrierten ärztlichen Psychotherapeuten die Versorgung in Vorarlberg bereits abgedeckt. Tatsache ist jedoch, daß wir heute in Vorarlberg bereits etwa 70 eingetragene Psychotherapeuten haben, die natürlich nicht ausschließlich Psychotherapie anbieten.

Da darf man sich keinen falschen Tatsachen hingeben, daß alles, was von diesen Therapeuten angeboten wird, nur Psychotherapie ist. Ich meine, daß einiges davon psychologische Beratung und Betreuung ist, aber nicht medizinische Psychotherapie im Sinne des Therapiegesetzes. Sicher ist, daß wir diesen Stand an psychotherapeutischer Versorgung aufrechterhalten werden können. Darüber, wie die Kosten dafür getragen werden können, finden derzeit zwischen dem Land und dem Krankenversicherungsträger, insbesondere der Gebietskrankenkassa Gespräche statt. Ich gehe davon aus, daß wir in den nächsten Wochen darüber eine Einigung erzielen werden.

B: Ist Psychotherapie überhaupt eine notwendige Einrichtung, um von der Gesellschaft finanziert zu werden?

R: Ich gehe davon aus, daß das Thema Psychotherapie eine lange Geschichte hat, die schlußendlich mit einem Gesetz des Bundes ihren gesellschaftlich anerkannten Niederschlag gefunden hat. Allein aus dieser Tatsache – das sind alles, wie gesagt, gesellschaftliche Entwicklungen – wird man wohl festhalten können, daß Psychotherapie eine Notwendigkeit darstellt, um gewissen Krankheitsbildern – im Sinne eines ganzheitlichen Gesundheitsbegriffes – hilfreich begegnen zu können.

B: Zwischen den Interessensvertretungen gibt es derzeit Uneinigkeit …

R: Das ist so: Der österreichische Berufsverband für Psychotherapie hat einen Vertrag mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger ausgehandelt. Tatsache ist, daß dieser Vertrag in den einzelnen Landesverbänden wegen der offenbar zu niedrig angebotenen Tarife keine Anerkennung gefunden hat. Da kein Gesamtvertrag zustande gekommen ist, wird es auch keine Kassenverträge geben; jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Das heißt, es wird Wahlpsychotherapeuten geben, so wie es auch Wahlärzte gibt. Patienten, die solche Therapeuten aufsuchen, haben dann die Möglichkeit einen Kostenrückersatz bei der jeweiligen Krankenkassa zu beantragen; der beläuft sich derzeit auf S 360.-.

B: Ist Psychotherapie auf Krankenschein auf Dauer überhaupt finanzierbar?

R: Ich denke, daß mit dem Psychotherapiegesetz im besonderen bei den nichtärztlichen Psychotherapeuten gewaltige Hoffnungen bezüglich der Finanzierung erweckt wurden. Ich glaube, daß diese Hoffnungen nicht erfüllt werden können. Wenn man bedenkt, daß unsere Wirtschaft sich derzeit in einer Krise befindet und die Einnahmen der Krankenversicherungsträger sich in Grenzen halten, heißt das, daß wir uns alle nach der Decke zu strecken haben. Ärzte wie Psychotherapeuten. Wir sind in Vorarlberg in der glücklichen Lage, daß wir auf sozialer Ebene kontinuierlich Leistungen und Angebote auf- und ausgebaut haben. Wir haben Jahr für Jahr Steigerungsraten im Budget gehabt, die weit über der Normalbudgetsteigerung des Gesamtlandesbudgets liegen. Das kommt daher, weil wir seit jeher eine auf Effizienz ausgerichtete Budgetpolitik betrieben haben. Wir haben nie das Füllhorn ausgeschüttet oder Gießkannenpolitik betrieben.

B: Da kommt jetzt eine politische Kritik …

R: Ja, natürlich auf die Budgetpolitik des Bundes, das ist überhaupt keine Frage.

B: Es ist angeblich eine häufige Praxis von Wahlpsychotherapeuten, die bisher z.B. S 500.-für eine Sitzung verlangt haben, daß sie einfach die S 360.-, die jetzt von der Krankenkassa übernommen werden, dazuschlagen. Damit bekommen sie für eine Sitzung also S 860.-

R: Davon ist mir nichts bekannt. Ich gehe davon aus, daß es nicht sehr viele Menschen gibt, die für Psychotherapie unangemessen hohe Tarife zahlen können. Auch die Therapeuten werden sich nach den finanziellen Verhältnissen der Patienten richten müssen. Und für jene Therapeuten, die allenfalls Verträge mit der Krankenkassa haben, ist eine derartige Vorgangsweise gar nicht möglich. Grundsätzlich meine ich aber, daß ein Selbstbehalt, so bestätigen das jedenfalls auch alle in unserem Land tätigen Therapeuten, ein wichtiges Element ist, daß Psychotherapie ihre Wirkung zeigt.

B: Noch kurz zu einem anderen sozialpolitischen Thema. Im letzten Herbst wurde das Pflegevorsorgegesetz vom Nationalrat beschlossen. Es ist interessant, daß Vorarlberg diese Pflegesicherung initiiert hat und dies auf Bundesebene übernommen wurde.

R: Zuerst eine Klarstellung. Das Bundespflegegeldgesetz wurde am 19. Jänner 1993 vom Parlament verabschiedet. Es ist richtig, daß Vorarlberg bei diesem Gesetz eine Vorreiterrolle gespielt hat. Wenn man so will, wurde unser Modell, das wir im Jahre 1990 eingeführt haben, praktisch eins zu eins vom Bund übernommen. Dabei ist es gelungen, dem Finalitätaprinzip zum Durchbruch zu verhelfen.

Das heißt, die Ursache der Behinderung ist für den Anspruch auf Pflegegeld nicht maßgebend. Allein das Ausmaß des Betreuungs- und Hilfebedarfs bestimmt die Höhe der Leistung. Ich meine, daß diese Pflegesicherung einzigartig in Europa ist; damit haben wir eine, wenn nicht gar die letzte Lücke in unserem an sich schon hervorragenden sozialen Sicherungssystem schließen können.

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