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Bukumatula 2/2008

Jede Außenansicht tut der Sache gut

Interview mit Birgit Johler Kuratorin der Wilhelm Reich-Ausstellung „Sex!Pol!Energy!“,
die vom 16. November 2007 bis 2. März 2008 im Jüdischen Museum in Wien zu sehen war.
Wolfram Ratz:

Wolfram Ratz: Wie geht es einer Kuratorin, wenn eine Ausstellung zu Ende gegangen ist?

Birgit Johler: Sehr gut, es geht ihr sehr gut! Mit einem Projekt wie diesem, das einen zwei Jahre lang intensiv „verfolgt“ hat, erfolgt mit der Eröffnung ein Loslassen und ein Übergeben an das Publikum. Und wenn alles wieder zusammengepackt wird, ist klar: Jetzt ist Zeit für etwas Neues. Man hat wieder Energie, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

W: Kannst Du uns im Rückblick eine Bilanz Deiner Ausstellung geben, bzw. woran kann man den Erfolg einer Ausstellung überhaupt messen?

B: Zum Beispiel anhand der Besucherzahlen. Aus der Sicht des Museums war die Ausstellung ausgezeichnet besucht. Es war für mich schön zu sehen, dass es zur Person und an den Arbeiten Reichs Interesse gibt und so viele Leute kamen. Ein Erfolg war für mich auch, dass in den Medien, insbesondere in den Medien, die mir wichtig sind, die Ausstellung gut besprochen wurde.

Obwohl die Ausstellung schon geschlossen ist, gibt es immer noch Besprechungen zum Beispiel in der Stadtzeitung „dérive“ oder in der „Springerin“. Und es wird Rezensionen geben zum Ausstellungskatalog zum Beispiel in „Luzifer Amor“, das ist eine bekannte psychoanalytische Zeitschrift, oder auch in der „Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis“ von Bettina Reiter. Das sind für mich sehr schöne Zeichen dafür, dass das Thema und auch die Art, wie mit Reich umgegangen worden ist für viele, so hoffe ich zumindest, interessant aufbereitet war.

Aus dem Umkreis des Wilhelm Reich Infant Trusts gab es eine sehr kritische Reaktion, die mir nicht persönlich zugeschickt wurde, mich aber über den Umweg des Wiener Reich-Instituts erreichte. Ich habe darauf gar nicht reagiert, weil die angesprochenen Kritikpunkte mir gezeigt haben, dass diese Person die Ausstellung überhaupt nicht verstanden hat. Und mich dazu in jeder Kleinigkeit nicht zu verteidigen, sondern zu erklären, war mir zu der Zeit, als dieses Mail ausgesandt wurde, einfach zu mühsam.

W: Wie viele Leute haben die Ausstellung besucht?

B: Es waren über 13.000 Personen. Gemessen daran, dass so manche andere Museen das als Jahresbesucherzahl haben, ist auch das ein sehr schöner Erfolg für mich.

W:Die nächsten Fragen beziehen sich auf die Kritik von Philip Bennett, den Du vorher angesprochen hast und Kevin Hinchey, den Co-Direktor des Wilhelm Reich Museums in Rangeley. Vielleicht können wir damit auch gleich einige Ungereimtheiten auflösen. Von Hinchey wurde kritisiert, dass der Reich von 1937-1957 in der Ausstellung unzusammenhängend, nicht in eigenen Zitierungen und mit zum Teil fehlenden Erklärungen gestaltet war.

B: Dazu möchte ich eines sagen: Kevin Hinchey hat die fertige Ausstellung gar nicht gesehen. Er ist weggefahren, als die Objekte gerade aufgestellt wurden. Worauf er sich beruft ist, so vermute ich, die Kritik von Philip Bennett, der ihm in Amerika wohl darüber berichtet hat. Zum Vorwurf, dass Reich nicht mit seinen eigenen Zitaten vorgestellt worden ist, möchte ich anmerken, dass ich nie vorhatte, Reich nur mit seinen Zitaten auszustellen.

Es sind Zitate verwendet worden, die für die einzelnen Stationen, gerade in der biologischen Forschung, sehr charakteristisch sind und hervorstreichen, was seine Gedanken dabei waren. Ich glaube, es waren sehr wohlwollende Zitate. Diese Kritik stammt von jemandem, der mit Austellungmachen nicht viel Erfahrung haben kann. Also wie gesagt, ich würde nie eine Ausstellung nur mit Zitaten machen. Dass vielleicht einzelne Dinge besser oder ausführlicher erklärt hätten werden können – ich glaube er hat sich vor allem am Medical DOR-Buster gestoßen -, könnte man durchaus machen, da hätte man schon auch noch eine weitere Schiene einfügen können, die die Funktion des Gerätes gut erklärt.

Diese Kritik nehme ich an und würde das beim nächsten Mal berücksichtigen. Unser Gedanke war einfach auch: Es gibt einerseits die Bücherecke, und es gibt bei Interesse auch Literatur von und über Reich in der dem Museum angeschlossenen Buchhandlung zu kaufen. Wir haben dafür Sorge getragen, dass Reich-Literatur entsprechend aufliegt.

W: Man kann den psychoanalytischen und politischen Wilhelm Reich – was ja wissenschaftlich gut aufgearbeitet ist, sehr wohl in einer Ausstellung darstellen. Wenn es aber um den „späten“ Reich geht, also seine Forschungen bzw. Erkenntnisse ab den 1937er Jahren, wird es schwieriger.

B: Mir ging es in der Ausstellung nicht darum, alles im Detail zu erklären. Das war in diesem Rahmen auch gar nicht möglich, und dafür waren auch die Räumlichkeiten zu klein. Was mir zu Reichs letzter Schaffensphase wichtig war, war aufzuzeigen, dass er sehr wohl als Naturwissenschaftler gearbeitet und über die Jahre hinweg ein System entwickelt hat, wie es durchaus auch für andere Laborwissenschaftler typisch ist.

Also dass man von einer Fragestellung ausgeht und immer tiefer hineinkommt, ein Phänomen entdeckt, vielleicht dann dazu ein Gerät entwickelt und mit dem Phänomen arbeitet, auch weil er sich selbst als Mensch mit seinem ganzem Wesen und auch mit seinem Körper einbringt. Also: Reich sitzt stundenlang vor dem Mikroskop, merkt, dass seine Augen schmerzen und zieht daraus seine eigenen Schlüsse – und entdeckt Phänomene, die anderen in der Form entgangen wären. Reich selbst hat den Fetisch „Wissenschaft“ hinterfragt und gemeint: Ein Forscher muss mit seinem ganzen Wesen und seinem ganzen Körper in die Forschung gehen, sonst ist das eine „tote“ Forschung.

Es war uns wichtig, diese Reich’sche Haltung zu zeigen, und wir haben es auch mit Zitaten belegt. Auch auf zwei für Reich wichtige Phänomene – die Strahlung und die Speicherung – sind wir deutlicher eingegangen und haben sie in einen kulturwissenschaftlich-naturwissenschaft-lichen Kontext gestellt, um zu zeigen, dass auch andere Wissenschaftler zur selben Zeit mit Strahlung, lebendiger Strahlung, gearbeitet haben, bzw. dass das Interesse, Energie zu akkumulieren nicht nur von Reich allein formuliert wurde.

Es war mir letztlich auch ein zentrales Anliegen, ihn ein bisschen von diesem Sockel „Reich, der Entdecker der Lebensenergie – und er ist so verkannt“ herunterzunehmen, sozusagen Aug in Aug mit ihm noch einmal durchzugehen, was er da entwickelt und sich dabei gedacht hat. Damit habe ich auch ein bisschen das Hysterische seiner letzten Schaffensphase herausgenommen und habe dafür von mehreren Seiten Anerkennung bekommen.

W: Ein anderer Kritikpunkt betrifft den ausgestellten uranhaltigen Stein.

B: Ja, das war ein sogenannter „Uranopolit“. Damit wollten wir zeigen, dass Reich auch ein risikobereiter Wissenschaftler war, der im Zeitalter der Atomenergie mit Uran geforscht hat, schon auch wissend, welche Gefahren damit verbunden sind. Allerdings, das muss man sagen, sind damals andere Werte als gefährlich erachtet worden als heute. Also die Menge, die Reich damals von der Atombehörde erhielt – insgesamt 3 Milligramm – ist aus heutiger Sicht eine unglaublich gefährliche Menge, und damals hat er sie immerhin frei bekommen können.

Das zeigt schon auf, wie zu seiner Zeit mit Strahlenmaterial umgegangen wurde. Dieser Stein, den wir in der Ausstellung hatten, hat einerseits die „böse“ Strahlung symbolisiert, andererseits sollte es ein Verweis auf das Arbeiten mit Strahlung sein. Zum Beispiel haben auch Sexualwissenschaftler in den 1920er Jahren sexuelle Störungen mit Strahlung behandelt, also mit Radium. Das war irgendwo auch die Schnittstelle, an der Reich da gearbeitet hat. Einerseits ist Radium ein Material, das heilen kann, andererseits aber auch sehr lebensbedrohlich ist.

Wir sind an das Naturhistorische Museum mit der Bitte herangetreten, uns ein Mineral zu geben, das auf keine Weise irgendjemanden gefährdet. Und wir haben dann einen Uranopolit bekommen, dessen Strahlung geringer ist als die normale Hintergrundstrahlung. Das heißt, die normale Hintergrundstrahlung beträgt 90 Nanosievert/Stunde und dieser Stein hatte 60. Die Dosisleistung des Minerals betrug in 60cm Entfernung inklusive des natürlichen Hintergrunds 150 Nanosievert/Stunde; in einem Meter Entfernung war nur noch der natürliche Hintergrund messbar.

Der Stein war so positioniert, dass es rundherum einen Sicherheitsabstand von 60 Zentimetern gab, und außerhalb dieses Kreises war, wie schon gesagt, nur mehr die normale Hintergrundstrahlung messbar. Das war wohl der Stein des Anstosses. Ich wurde daraufhin von Kevin Hinchey mit dem Vorwurf konfrontiert, dass man damit Reichs Ausstellungsstücke mit DOR-Energie kontaminiert hätte. Da habe ich noch zu erklären versucht, dass dieser Stein eine so geringe Strahlung hat, dass er in Wirklichkeit ein Dummy ist und jede alte Armbanduhr mehr an Strahlung abgibt. Aber er hat es nicht gelten lassen.

Für mich war es damit irgendwie klar, dass er darüber nicht nachdenken will. Wenn diese geringste Menge an Strahlung einen DOR-Effekt verursachen soll, dann hätte er uns im vorhinein darauf hinweisen müssen, denn dass sich dieser Stein in der Ausstellung befinden wird, hat Hinchey gewusst. Er hat aber erst im Nachhinein dazu Kritik geübt. Ist das für Dich verständlich?

W: Ich meine schon. Die Kritik bezog sich auf die unmittelbare Nachbarschaft dieses Steins zum ausgestellten Orgonakkumulator und dem Medical DOR-Buster.

B: Aber die waren ja weit weg. Also erstens stand der Akkumulator geöffnet und da wird nach Reich auch keine Orgonenergie akkumuliert und zum DOR-Buster meine ich, dass der damals schon von Reich kontaminiert wurde. Der ist 1954, 1955 gebaut worden, und da war Orgonon schon radioaktiv verseucht. Also diese minimale Menge an Strahlung, so meine ich, steht in keiner Relation zu dem, was damals beim Oranur-Experiment passiert ist.

Wir haben sogar das Österreichische Atom-Institut eingeschaltet, um uns die Ungefährlichkeit der Strahlung bestätigen zu lassen, wohingegen meines Wissens nach in Orgonon nie von einer offiziellen Stelle Messungen mit entsprechenden Geräten durchgeführt wurden. Darüber wird geschwiegen, das ist ein Tabu. Immerhin finden sich dort jedes Jahr eine größere Anzahl von Leuten zu einer Sommer-Konferenz zusammen. Und jeder weiß um die Halbwertszeit von Uran Bescheid.

Ich meine – und das ist eine wirklich sehr persönliche Interpretation – dass es der Erfolg der Ausstellungseröffnung war, den die Leute des Infant Trusts auch miterlebt haben und der für sie schwer zu akzeptieren war. Reich war jetzt 50 Jahre lang „eingesperrt“, war nicht öffentlich und durfte nicht kritisiert werden – wobei wir ja keine Kritik an Reich in der Ausstellung geübt haben. Die Ausstellung war eine kulturwissenschaftliche Ausstellung, die Erklärungsmodelle liefert und nicht eine Legitimation zum Beispiel für Reichs Orgonenergie oder ein Beweis für die Existenz von Orgonenergie zum Inhalt haben konnte.

Ich glaube, dass es für Kevin Hinchey schwer war mit diesem Erfolg umzugehen und dass das ein Anker war, eine über Jahre hinweg gehegte Abwehrhaltung nach Außen zu pflegen. Das ist zumindest meine Erklärung für die Dinge, die da vorgefallen sind. Was natürlich auch 50 Jahre lang geübt wurde ist die Tatsache, dass mit objektiven Kriterien – ich möchte sagen, einfachen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen – nicht argumentiert werden kann, da Reich für seine Anhänger außerhalb der „normalen“ Wissenschaften steht und Reich mit deren Augen nicht gelesen werden kann. Und deswegen ist auch jegliche Kritik von außen verboten.

W: Du meinst die Leute vom Infant Trust waren überrascht, dass so viele Personen bei der Eröffnung waren?

B: Ja. Das Wilhelm Reich Museum in Rangeley hat – wenn ich mich richtig erinnere – in einem guten Jahr 600-700 Besucher. Allein bei der Eröffnung in Wien waren rund 300 Personen anwesend. Natürlich war die Euphorie groß. Und natürlich ist es schon auch so, dass die Objekte nie woanders ausgestellt waren – und jetzt gingen sie gleich über den großen Teich und wurden damit einer ganz anderen Verantwortung übergeben. Ich stelle mir das nicht einfach vor. Jetzt sind die Objekte wieder „eingesperrt“. Die Kultur des Umgangs mit dem Reichschen Erbe, in dem Fall auch mit seinen materiellen Objekten, ist wieder die, die sie immer war: Eingesperrt.

W: Der „Stein des Anstosses“ wurde dann auf Verlangen des Infant Trusts entfernt.

B: Ja, der Stein wurde entfernt. Ich habe das Arrangement gelassen und einen Text dazu verfasst, dass er eben aufgrund dieser und jener Bedenken entfernt werden musste.

W: Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Ausstellung „gottteufeläther“ des Künstlers Oz Almog, die im gleichen Geschoß untergebacht war und nur über die Reich-Ausstellung zu begehen war. Oz Almog hat sich, wie aus dem Mail von Philip Bennett hervorgeht, eher abwertend Reich angenommen. Kannst Du sagen, wie diese Ausstellung zu Stande gekommen ist und wie Du das siehst?

B: Ja. Diese Ausstellung hat mit meiner Ausstellung überhaupt nichts zu tun gehabt. Es war ein völlig eigenständiges Projekt. Oz Almog ist ein Künstler, der für das Jüdische Museum immer wieder Installationen macht und ist auch hier eingeladen worden, weil er einen persönlichen Zugang zu Reich hat und Interesse hatte, da etwas zu gestalten. Ursprünglich wäre diese Installation räumlich weiter weg gewesen, das hat sich dann aber so nicht ergeben, weil dort zur Zeit der Reich-Ausstellung eine andere Ausstellung von ihm war.

So ist diese Ausstellung in diesen kleinen Raum gekommen. Ich habe bis zum Schluss nicht gewusst, was da entstehen wird, auch nicht mein Kollege vom Jüdischen Museum und ich habe sie dann einen Tag vor der Eröffnung gesehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Reichianer damit wahrscheinlich wenig Freude hatten, zumal Oz Almog dieses abgeschlossene Reichsche Denksystem auch irgendwie mit Wahn und Wahnsinn in Verbindung gebracht hat. Wir sind in Europa, und die Kunst und die Wissenschaft sind zum Glück frei. Wie gesagt, es ist ein Kunstwerk im Auftrag des Jüdischen Museums gewesen, und ich fand es auch gut, dass dieses Kunstwerk nicht abgeräumt wurde, wie es die Forderung des Infant Trusts war.

Die Haltung der Museumsleitung dazu war: Solange niemand gefährdet ist, bleibt das Konzept so wie es ist. Ich denke das Problem des Infant Trusts, das heißt von Kevin Hinchey, Philip Bennett und einigen anderen ist, dass sie keine Kritik an Reich zulassen können. Und das brachte mich in eine schwierige Situation. Selbst Freud darf man kritisieren, und trotzdem war er einer der größten Österreicher. Aber jemanden wie Reich, der ohnehin einen so schwierigen Stand in der Wissenschaft hat, dann noch vor jeglicher Außensicht abzuschirmen, halte ich sowohl für seine Arbeit als auch für seine Person ganz problematisch.

W: Kevin Hinchey hat sich in seinem Vortrag im November letzten Jahres in Wien beklagt, dass anlässlich der Öffnung des Reich-Archivs in den US-Medien haarsträubende Kommentare zu Leben und Werk Reichs abgefasst waren. Er drückte seine Enttäuschung darüber aus, dass sich am schlechten Image Reichs in den letzten 50, 60 Jahren nichts geändert hat. Es ist schon eine Herausforderung, wie man damit jetzt umgehen soll.

Offenbar hat sich Hinchey für ein weiteres Abschotten entschieden. Über die Wiener Ausstellung schreibt er in einer Aussendung enttäuscht: „Wir haben ernsthaft geglaubt, dass dies eine wertvolle Gelegenheit wäre, die Wahrheitüber Reichs Leben und Werk einem größeren Publikum zugänglich zu machen.“

B: Mit dem Infant Trust gab es bis zur Ausstellungseröffnung eine sehr freundschaftliche Zusammenarbeit, die gut funktioniert hat. Dass das dann in ein Misstrauen, oder wie auch immer man das bezeichnen mag, umgeschlagen hat, finde ich sehr bedauerlich. Aber als Person der Wissenschaft, sage ich jetzt einmal, sehe ich schon, dass es da einfach das Problem gibt, eine Außensicht-Kritik nicht zulassen zu können. Das hat jetzt mich getroffen, es hat Makavejev getroffen und es wird jeden anderen treffen, der sich mit Reich näher beschäftigen und mit dem Infant Trust in irgendeiner Form zusammenarbeiten möchte.

Es wird die Haltung vertreten: nur wer jahrelang durch unsere Schule gegangen ist, kann Reich kennen. Der Infant Trust will genau wissen, mit wem er es zu tun hat, welche Ansichten die Leute haben, und erst dann wird entschieden: geben wir einen Teil von Reich preis oder nicht. Im Endeffekt ist das für mich kein gangbarer Weg. Ein krasses Beispiel: Würde ich eine Ausstellung über den Vatikan machen, würde ich natürlich mit dem Vatikan kooperieren, aber im Endeffekt bringe ich meine eigene Sicht der Dinge ein; ich würde dann auch nicht mit Andreas Laun zusammenarbeiten. Ich glaube, dass hier eine Fortschreibung dessen passiert ist, was jahrelang kultiviert wurde. Aber wie gesagt: Reaktionen von Menschen aus vielen Ländern haben mir gezeigt, dass es auch Leute gibt, die die Ausstellung verstanden haben und dafür sehr dankbar sind.

Dazu habe ich zum Beispiel einen sehr netten Brief der Berliner Freud-Lacan-Gesellschaft bekommen. Das sind für mich schon wichtige Reaktionen und ein Zeichen dieser Leute, dass sie sich Reich gegenüber öffnen und sich für ihn interessieren.- Ein Problem war sicher auch, dass Kevin Hinchey vielleicht eine andere Erwartung an die Ausstellung hatte. Er wollte eine Ausstellung haben, die Reich als Genie und Wahrheitsfinder darstellt. Und das hat sie natürlich nicht. Für ein Genie hat er für mich zu viele Fehler in seinem wissenschaftlichen Gesamtwerk, und er erlaubt für mich nur eine Sicht, nur eine Lösung und die ist die Ultimative. Das war vielleicht auch eines der Grundprobleme bzw. Kernkritik des Infant Trusts gewesen.

W: Du warst ja schon im Reich-Museum in Rangeley. Wird Reich dort so dargestellt?

B: Im Endeffekt läuft alles auf Reichs Orgonenergie hinaus und es wird versucht, sie auch in Experimenten darzustellen. Es ist eine einfache, mit konventionellen Mitteln gestaltete Ausstellung. Es schwingt für mich schon mit – vor allem auch in den Führungen -, dass Reich so verkannt wurde und er eine Wahrheit anbieten würde – und wenn wir sie kennen würden, diese uns von allem heilen würde.

W: Das über Jahrzehnte hinweg ertragene Außenseitertum – sozusagen in Fortsetzung an die Lebensgeschichte Reichs – hat wahrscheinlich zu einer Abwehrhaltung und damit zu noch größerer Isolation geführt. Nicht ernst genommen zu werden ist für beide Seiten ein Problem.- Noch eine Frage zu Oz Almog: Stimmt es, dass er die Wilhelm Reich Ausstellung in Wien initiiert hat?

B: Nein, das stimmt nicht.

W: Das war aber in dem Mail von Philip Bennett zu lesen.

B: Da steht sehr viel Unsinn drinnen. Es gibt einige Punkte, die ich mit Mary Higgins richtig stellen will, weil mir das persönlich wichtig ist. Die Idee der Ausstellung stammt von mir. Ich habe ein Basiskonzept erstellt und habe mit jemandem aus dem Umkreis des Jüdischen Museums darüber gesprochen. Dann stieß Oz Almog dazu. Er hat die Idee sehr gut gefunden und hat dann gemeinsam mit mir versucht, die Ausstellung den Verantwortlichen im Haus schmackhaft zu machen. Also die Idee ist von mir und die Ausstellung ist von mir.

W: Was ist aus dem Kontakt zu Higgins und Hinchey übriggeblieben, ist das vorwiegend Misstrauen?

B: Na ja, Misstrauen vor allem mir gegenüber. Sie haben nicht mit Schmähungen gespart, darüber ist auch in einem Update des Reich-Museums, das an Reich-Interessierte geht, berichtet worden. Nachdem die Ausstellung abgebaut war, habe ich ihnen einen kurzen Bericht geschickt, wie sie gelaufen ist und habe seither nichts mehr von ihnen gehört. Wie gesagt: Mit Mary Higgins möchte ich noch einmal in Kontakt treten, weil es mir vor allem ihr gegenüber leid tut, dass da eine freundschaftliche Beziehung zerbrochen ist.

Nachdem dieses „Bashing“ abgeflaut war, hat mir Philip Bennett übrigens ein Mail geschickt, in dem er sich für das Verhalten von Kevin Hinchey entschuldigt!There you are! Da fällt der eine dem anderen in den Rücken. Mir tut das sehr leid wegen der Sache. Bennett hat in Wien geschwärmt, wie großartig die Ausstellung gelungen sei und auch in einem Mail, kurz nachdem er wieder in Amerika war. Danach folgte eine 13 Seiten lange Mailaussendung mit seiner Kritik an der Ausstellung, die er aber nicht an mich geschickt hat. Ich glaube, das sagt schon sehr viel.

W: Interessant gefunden habe ich die Bemerkung Bennetts, dass bei der Eröffnung der Ausstellung Lore Reich Rubins erster Satz lautete: „I am the wrong person to speak at this exhibit“.

B: Das war eine Phantasie von Bennett, das hat er sich sozusagen erträumt: Dass Lore zum Podium geht und sagt, „Ich bin nicht die richtige Person, die hier sprechen darf“, sondern das wäre eigentlich Mary Higgins.

W: Das war ein Traum?

B: Eine Vision, die er so niedergeschrieben hat. Er hätte sich gewünscht, dass das so geschieht. Da bin ich zuerst auch darüber gestolpert. Er hat ja weiters behauptet, dass der Blumenstrauß für Mary Higgins kleiner gewesen sei, als jener für Lore Reich. Aber für jeden der Sträuße wurde von uns der gleiche Preis bezahlt.- Ich finde das absurd. Kritisiert hat er auch, dass Mary Higgins in der zweiten Reihe gesessen habe. Sie hat sich von sich aus dorthin gesetzt, und ich habe sie extra noch gebeten, sich in die erste Reihe zu setzen

W: Warum wurde gerade Lore Reich Rubin eingeladen, die ja eine besonders problematische Beziehung zu ihrem Vater hatte?

B: Es war der Wunsch der Museumsleitung die Töchter Wilhelm Reichs einzuladen – auch als Verneigung gegenüber der Familie Reich und dass sie aus Wien vertrieben wurden. Natürlich wäre Eva Reich diejenige gewesen, die sprechen hätte müssen. Da sie aber krankheitsbedingt nicht in der Lage war nach Wien zu kommen, hat Lore die Eröffnungsrede gehalten.

Evas Tochter, Renata Moise, hat Eva Reich bei der Eröffnung vertreten. Lore Reich hat ja übrigens einen sehr interessanten Artikel veröffentlicht, u.a. 2007 im Bukumatula, in dem sie das Beziehungsgeflecht rund um Anna Freud skizziert. Der Artikel ist erstaunlich und eröffnet neue Sichtweisen auf das Verhältnis Wilhelm Reichs zu Anna Freud als zentrale Figur der Psychoanalytischen Vereinigung.

W: Wird die Ausstellung – also ohne die Leihgaben aus Orgonon – noch anderswo zu sehen sein?

B: Ich warte noch auf eine Nachricht aus Oslo. Wir können mit den Dokumenten, die wir in Wiener und anderen Archiven weltweit zusammengetragen haben, auch eine Ausstellung machen und genauso die Themen darstellen, auch weil es in Oslo Objekte gibt, die man zeigen kann. Angeblich gibt es dort historische Akkumulatoren und dank der lebendigen Reich-Szene kann man auch verschiedene Geräte wie Shooter, etc. zeigen; man braucht nicht unbedingt die Originalobjekte.

Ich möchte noch hinzufügen, dass sich sowohl Lore Reich Rubin als auch Renata Moise bereit erklärt haben, bei dieser Ausstellung mitzuarbeiten. In Norwegen interessiert sich das „National Museum of Medicine“ konkret für die Ausstellung. Und sollte das etwas werden, dann würde ich versuchen, die Ausstellung auch in Berlin zu zeigen. Es gibt dort ein paar Leute, die bereit sind mir zu helfen einen Ort zu finden, wo man eine redimensionierte Version der Ausstellung zeigen kann.

W: Ich habe den Eindruck, dass dieses Projekt für Dich eine besonders turbulente Zeit mit sich brachte. Hast Du daraus für Dich persönlich etwas gelernt?

B: Schon, dass noch kein Ausstellungsprojekt so schwierig war wie dieses. Einfach deshalb, weil es da eine Interessengruppe als Hauptleihgeber gab, die nicht wie üblich die Objekte verleiht, sondern auch inhaltlich viel mitgestalten wollte. Als Kuratorin muss man dann einen Weg finden, damit das dann die eigene Ausstellung bleibt und man noch dahinterstehen kann. Schade finde ich für mich persönlich, dass sich aufgrund dieser Vorfälle mein Zugang zu Wilhelm Reich sehr geändert hat – derzeit ist er von Distanz geprägt.

W: Das kann ich gut verstehen. Noch eine Frage: Stellen Leihgeber üblicherweise Bedingungen?

B: Von Leihgebern gibt es in der Regel keine inhaltliche Beteiligung, die Objekte werden verliehen oder nicht verliehen, aber es gibt keine inhaltliche Einflussnahme. Manchmal gibt es Schwierigkeiten mit Ausstellungen aus Privatnachlässen, wo vielleicht noch Kinder da sind, die auch ein Interesse haben, dass die Person gut dargestellt wird. Wenn man zu Leihgaben bereit ist, muss man sich aber im Klaren sein, dass es andere Personen mit einem eigenen Zugang gibt, die ihre Sicht der Dinge einbringen.

Ich muss hinzufügen, dass der Infant Trust von mir sehr wohl immer inhaltliche Storyboards bekommen hat, in denen sie die Geschichte, die ich erzählen wollte, einsehen konnten. Das haben wir stets gemeinsam durchbesprochen; Anlass zu Kritik gab es nicht. Was dann aber nachgefolgt ist, war für mich ein Ausdruck von Hilflosigkeit, irgendwie ein Ventil, weil sie mit dem Ganzen nicht umgehen konnten.

W: Was sind Deine nächsten Projekte als Kuratorin?

B: Ich arbeite derzeit in einem Forschungsprojekt der Psychoanalytischen Vereinigung mit, in dem es um die Geschichte der Psychoanalytischen Vereinigung bis 1945 geht. Mein Aufgabengebiet betrifft die Praxis August Aichhorns, der Psychoanalytiker war und als Nicht-Jude auch nicht emigrieren musste. Halbtags bin ich als Kuratorin am Museum für Österreichische Volkskunde angestellt und bereite dort ein Projekt über die Geschichte des Museums vor. Ich bin somit wieder in meinem Fach, aus dem ich komme: Europäische Ethnologie – und ich fühle mich dabei sehr wohl.

W: Danke für Deine Erklärungen.

B: Noch zwei Sätze: Es tut mir leid, dass dieser Bruch passieren musste, auch für alle nachkommenden Projekte, die es geben wird. Ich spreche damit den Dokumentarfilm über Wilhelm Reich von Antonin Svoboda an, an dessen ursprünglichem Drehbuch ich ja mitgearbeitet habe. Ich würde es auch sehr gut finden, wenn dieses Filmprojekt realisiert wird, denn, wie gesagt: Jede Außenansicht tut der Sache gut.

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