19 Aug.
Bukumatula 1/2011
Theaterkritik und Interview mit Angela Richter
von
Robert Federhofer:
Im Aufführungsraum Garage X am Petersplatz 1 in Wien inszenierte Angela Richter ihre Produktion „Leiwand Empire“. Premiere war am 27. April 2011. Wilhelm Reich wird als Ideen- und Stichwortgeber ausdrücklich erwähnt; daher habe ich mir die Produktion angesehen.
Was gesagt wurde:
Angela Richter inszeniert eine Textcollage.
Zwei weibliche und zwei männliche Schauspieler laufen auf die Bühne und sprechen. Ein Zitat von Reich wird eingespielt. Im Hintergrund dekoriert ein Orgon-Akkumulator die Bühne. Eine Handlung wird nur soweit angedeutet, als es zur Aneinanderreihung von Stichwörtern unumgänglich erscheint.
Die Texte stammen von Interviews über und Wortmeldungen zu Themen, die in freier Assoziation mit Wilhelm Reich zu tun haben können: Sexualität, Orgonenergie, Atomkraft, Mühl-Kommune. Im Programmheft werden noch `Lichtesser´ erwähnt. Werden wohl auch bei den Wortspendern dabei gewesen sein, sind mir aber nicht aufgefallen.
Da mir einige der Interviewten und der Text von Reich, der verwendet wurde, bekannt sind, nehme ich an, dass das andere Textmaterial von Personen, die ich nicht kenne, ebenso unverändert dargestellt wurde. Die Schauspieler begleiten die Texte körperlich mit einer Choreographie aneinander gereihter gestischer Manierismen. Ich nehme an, dass diese ebenso von den Textgebern übernommen wurden.
Da ich insgeheim eher erwartet hatte, dass „wieder einmal jemand sich seinen Reich zurechtbiegt“, war diese Aneinanderreihung verschiedener Ausdrucksfacetten als reine Strukturübung eine positive Überraschung. Die Schauspieler sahen auch so drein, als hätten sie Spaß.
Einen wesentlichen Teil meines Vergnügens – neben dem Betrachten der Sprecher, gewann ich allerdings aus der Tatsache, dass ich die Wortwahl einiger der Interviewten aus eigener Erfahrung her kenne – ein `Insider- Witz´ sozusagen.
Ob jemand ohne diese Facette an Detailkenntnis und ohne Reich zu kennen, etwas aus dieser Textcollage herauslesen kann, bezweifle ich. Daher glaube ich nicht, dass die Produktion einen Wiederholungswert entwickeln wird. Immerhin ist die Form jederzeit vervielfältigbar: Mit anderen Themen, anderen Texten, anderen Manierismen.
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Gespräch mit der in Berlin lebenden Theaterregisseurin Angela Richter, deren Produktion „Leiwand Empire“ im April dieses Jahres in Wien uraufgeführt wurde.
Robert: Was ist die Motivation Ihrer künstlerischen Tätigkeit?
Angela: Darauf könnte ich sehr umfassend antworten, aber das würde den Rahmen des Interviews sprengen. Ich kann die Frage allerdings sehr kurz und doch präzise mit einem bekannten Reich-Zitat beantworten: `Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens. Sie sollten es auch beherrschen´.
R: Gibt es Eigenschaften an einer Produktion, die Sie anstreben?
A: Mir ist es wichtig, dass ein Theaterstück lebendig wird, dass sich eine emotionale und physische Energie von den Schauspielern auf den Zuschauer überträgt. Ein bloßes Illustrieren von Text ist mir im Theater zu wenig. Das empfinde ich als altertümlich, als einen geistigen Friedhof.
R: Wie haben Sie zu der Themen- und Textkollage in `Leiwand Empire´ gefunden? Gab es einen Arbeitsansatz?
A: „Leiwand Empire“ besteht auf der Textebene aus Interviews, die wir mit unterschiedlichen Menschen geführt haben und die wir für das Stück fiktionalisiert und bearbeitet haben; darunter sind zum Beispiel Spezialisten sowohl aus dem Bereich der Atom- als auch der Orgonenergie und Leute, die als Kinder in der Mühl-Kommune waren. Die eigentliche Kontaktaufnahme zum Publikum geht aber von den körperlichen Bewegungen der Schauspieler aus, die auch Zitate der natürlichen Bewegungsabläufe der Interviewten sind, die die Schauspieler, losgelöst vom Text über Videoaufnahmen studiert und trainiert haben.
So ergibt sich auf der Bühne etwas, das ich am ehesten als eine `Sichtbarmachung´ einer Mischung aus Charakterpanzer und Menuett bezeichnen würde. Der Effekt auf das Publikum ist ein ansteckender und wirkt als Katalysator für das auf der Bühne Gesprochene – eine sich selbst psychologisierende Choreographie der Emotion.
R: Welche Teile der Originalpublikationen Wilhelm Reichs kennen Sie selbst, und wie sind Sie damit in Kontakt gekommen?
A: Ich habe vor etwa acht Jahren den Film „WR-Mysteries of the Organism“ von Dusan Makavejev gesehen und darin ist auch dokumentarisches Material über Wilhelm Reich und Orgonon zu sehen. Ich war fasziniert von der Idee der „Orgonenenergie“ und habe mir danach alles an Büchern von Wilhelm Reich besorgt, was ich bekommen konnte. Als erstes las ich den `Christusmord´, dann `Kosmische Überlagerung´ und die Erstausgabe von `Massenpsychologie des Faschismus´. Überrascht hat mich während meiner Beschäftigung mit dem Thema auch die ziemlich ablehnende und vorverurteilende Haltung vieler Intellektueller, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, speziell unter den Naturwissenschaftlern.
Ich war erstaunt über die komplette Abwesenheit von Offenheit und Neugierde. Das hat aber mein eigenes Interesse eher geschürt, auch die Sympathie für den „underdog“. Während der Arbeit an „Leiwand Empire“ kam dann noch mehr interessante Lektüre dazu, zum Beispiel die Reich-Biographie von Myron Sharaf. Und dank der Hinweise von Heiko Lassek und dem Regisseur Antonin Svoboda, habe ich auch mir bislang nicht bekannte Bücher wie `Reich Speaks of Freud´ und die Reich-Biographie von Ola Raknes, gelesen. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Anläufe, ein Stück zu diesem Thema zu machen, was nun endlich in Wien geklappt hat.
R: Welche Eigenschaften wünschen Sie sich bei Ihren Rezipienten, Ihrem Publikum?
A: Offenheit und die Bereitschaft sich auf das Bühnengeschehen einzulassen. Darüber hinaus eine aktive und durchaus kritische Neugierde beim Zuschauen und keine nur konsumistische Grundhaltung. Das ist das Ideal.
R: Welchen Wert und Sinn messen Sie Ihrer Arbeit im Speziellen zu, und wo ordnen Sie sich im Bereich des Kunstbetriebs ein?
A: Schwierig, den ersten Teil der Frage zu beantworten, da ich mich im `Inneren´ meiner Arbeit befinde. Das überlasse ich gerne den Rezipienten.- Ich ordne meine Arbeit irgendwo zwischen den Disziplinen Kunst und Theater ein, was am normalen Theaterbetrieb nicht ganz so einfach durchzusetzen ist, da gibt es viele Tabus. Das Theater ist wesentlich weniger frei als die Kunstwelt.