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Bukumatula 1/2011

Bione und andere Verwandte

von
Robert Federhofer:

Auf Wilhelm Reichs weitem – und durch die politischen Ereignisse erzwungenen weiten Weg von Wien ins ferne Rangeley, berührte seine Forschung einige Disziplinen. Er stellte seine Fragen, wie das gesunde Leben funktioniert und wie es krank funktioniert und suchte seine Hypothesen praktisch zu belegen. In unserer heutigen wissenschaftlichen Praxis ist Zersplitterung in Unterdisziplinen inzwischen selbstverständlich und soweit vorangetrieben, dass der Methodenwechsel, den Reich als neugieriger Forscher seinerzeit praktizierte, heute als erste Reaktion leicht Befremden und Zweifel auslöst.

Gerade die „Bionversuche“ werden in der Werkswahrnehmung eher übergangen und in Unverständnis ignoriert, oder ohne nähere Betrachtung als „nicht vorstellbar“, oder irgendwie „nicht richtig“ empfunden, wo rationales Durchdenken zu fordern ist. Zusätzlich mag auch die heute, über die seit Reichs Tätigkeitszeit zusätzlich entwickelten Medien verbreitete Informationsmasse, dazu geführt haben, dass Neuinformationen vom einzelnen Konsumenten rascher in Kategorien eingeteilt und auch rascher verworfen werden, um der Informationswoge Herr zu werden.

Reichs Arbeit mit dessen intellektueller Bereitschaft zu folgern und die Annahmen dann tatsächlich zu überprüfen, wird dann leicht und gerne als nicht relevant verworfen, mit dem Scheinargument, er habe es nicht geschafft, sich in der Wissenschaft Gehör zu verschaffen und anerkannt zu werden. Letztlich wird so mit einer Berufung auf Wissenschaft als Dogma argumentiert. Solch eine bequeme und unkritische Geisteshaltung nimmt von vornherein an, dass ohnehin alles Wesentliche richtig erkannt ist und wissenschaftliche Entwicklung immer in eine richtige Richtung läuft.- Für wissenschaftliches Vorgehen kann das aber grundsätzlich nicht gelten, da ja immer die bessere Annäherung an die Wahrheit die minder gute ersetzen solle.

In unserer gemeinsamen gesellschaftlichen Wirklichkeit dürfte „Die Wissenschaft“ aber nicht oft genug funktioniert haben. Vielleicht ist ja die Wissenschaftsidee der ständigen Selbsterneuerung ein Ideal, das nicht weiter aufrechtzuerhalten ist. Jedenfalls ist Reich bei genauem Hinsehen nicht der einzige Forscher, der im Rückblick der Jahrzehnte in der Wissenschaftsgemeinde mit seinen Aussagen nicht angenommen, sondern ignoriert bzw. durchaus aktiv auch verleumdet wurde. Zwei Herren möchte ich hier als Beispiele neben Reich vor den Vorhang bitten, deren Arbeiten im Bereich von Lebendzell- und Blutzellbeobachtungen mir den Vergleich zu Reichs Bionexperimenten und seiner Blutdiagnostik nahe legen.

Dr. Alfons Weber:

Etwas später geboren als Reich, nämlich am 22. Februar 1915 (Provinz Posen), entwickelte Dr. Alfons Weber seine Forschung über Mikroparasiten in Blut und Blutzellen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Bayern. Diese Privatforschung eines Praktischen Arztes neben seiner Ordinationstätigkeit erfuhr – ich bin versucht zu sagen: „Wie zu erwarten war!“ – heftigen Gegenwind des beruflichen Establishments bereits kurz nach den ersten Veröffentlichungen Webers in Broschürenform.

In einem Disziplinarverfahren der zuständigen Ärztekammer wurde ihm Schädigung von Patienten mit Tumordiagnosen durch Behandlung mit Resochin (ein Medikament zur Behandlung bei Blutparasitenbefall, relativ bekannt bei Fernreisenden durch seine Verwendung zur Verhinderung eines Malariaausbruchs) vorgeworfen. Weber konnte seine Rehabilitation nach zwei Jahren gerichtlichen Ringens schließlich wieder erreichen. Die Fortführung seiner Forschung ermöglichten ihm Gelder aus einer Erbschaft aus dem Jahr 1965. Und 1968 gelang ihm die Lebenddarstellung von Mikroparasiten im Blut und im Tumorgewebe bei Patienten mit diagnostizierter Krebserkrankung.

Im Laufe seiner mikroskopischen Forschungen entwickelte er die Vorstellung eines Malaria-ähnlichen Entwicklungszyklus von einer biologisch nahe verwandten Gruppe von human- und tierpathogenen Mikroparasiten, die er als „Ca-Protozoen“ bezeichnete („Ca“ für Carzinom). Diese Protozoen sollen von blutsuchenden Insekten-Zwischenwirten durch Stich auf die warmblütigen Wirte übertragen werden und sich dann im Blut nach geschlechtlicher Vermehrung (Konjugation einer Donator mit einer Receptoramöbe mit Verschiebung von genetischem Material mittels einer Plasmabrücke), Furchungsteilung und Entwicklung zu einem Schwarm kleiner flagellatischer „Oozoiten“ in vor allem roten Blutzellen, zu einem kleineren Teil auch in Blutplättchen (Thrombozyten), einnisten.

Die Ca-Protozoen haben also amöboide Beweglichkeit und ein Haftorgan zum Festsetzen an roten Blutzellen, welches zum Auflösen der Zellwand mittels Enzymen und zur Aufnahme von Nahrungspartikeln dient. Ähnlich dieses ‚Zellmundes‘ zur Aufnahme, soll eine andere Stelle als ‚Zellafter‘ zur Ausscheidung dienen. Grundsätzlich ist diese amöboide Form aber imstande an jeder Oberflächenstelle mittels Pseudopodien Nahrungspartikel zu inkorporieren und aufzulösen. Zur mikroskopischen Lebendbeobachtung verwendete Weber Nährlösungen, die möglichst dem lebenden Umfeld im Blut des Wirtstieres entsprachen (Blutersatzlösungen bei 37°C).

Sie zu kultivieren gelang ihm nicht. Weber nahm an, dass diese Mikrolebewesen zu spezifisch auf die Wirtszellen als Nahrungsbasis eingestellt waren; sie über Tage im Blut oder analogen Lösungen stabil zu erhalten und zu beobachten, war aber möglich. Bei Veränderung der Nährlösung mit Zunahme des osmotischen Druckes, verwandelten sich die amöboiden Formen in kleinere, unbewegliche Zystenformen mit ungekörnt erscheinendem Zellplasma und gut sichtbarer, kontrastreicher Kontur. Weber: „Eine Unterscheidung von anderen permanent unbeweglichen, konstant runden Protozoenformen ist nicht sicher möglich, das `Ca-Protozoon´ daher nur in der amöboiden Form im Lebendnachweis zu bestimmen.“

Die rundlichen „Eiformen“ zeigten keinen eigenen erkennbaren Stoffwechsel, waren unterschiedlich groß, zum Teil auch im submikroskopischen Bereich. Weber vermutete, dass tierische pathogene Viren diesen Eiformen pathogener Protozoen entsprechen. Aufgrund ihrer Kleinheit sind diese Partikel nicht abzufiltern; es kommt also zwangsläufig auch eine Zufuhr nicht nur über die Insekten-Zwischenwirte (Stechmücken, Bremsen, etc.) in Frage, sondern auch iatrogen bei Transfusionen belasteter Blutkonserven.

Webers Beschreibungen der Konjugatzellen im Lebendpräparat, deren Entwicklung über maulbeerartige Formen von ungeordneten Bläschenhaufen, nachfolgender Strukturierung des Gebildes mit regelmäßiger Anordnung der Bläschen und schließlich dem Ablösen und Ausschwärmen, sind aspekt- und größenordnungsmäßig den Beschreibungen von `Bion-Entstehungen´ und `Bionfunden´ im Blut von Tumorpatienten in Reichs Arbeiten sehr ähnlich. Weber konnte anhand von patho-histologischen Präparaten von Blutgefässen ausgehendes Eintreten der Protozoen in umliegendes Gewebe und die damit einhergehenden lokalen Störungen und Reaktionen, sowie deren Nachweis im Tumorgewebe dokumentieren.

Prof. Wilhelm von Brehmer:

Mehr ein Zeitgenosse Reichs war Prof. Wilhelm von Brehmer, der am 24. Jänner 1883 in Minden/Westfalen geboren wurde und am 22. Oktober 1958 in Kassel gestorben ist.

Er war Pharmazeut mit weiterführenden Studien in Biologie, Physik, Chemie und Bakteriologie. Ab 1909 war er Assistent an der Biologischen Reichsanstalt in Berlin unter dessen damaligem Leiter Dr. Engler. Später leitete er zwei wissenschaftlich-experimentelle Laboratorien und ab 1923 die pathologisch-anatomisch-mikrochemischen Laboratorien zur Erforschung von Viruskrankheiten bei Tieren.

Publikationen über Mikroben und ihre Entwicklungsformen bei Tieren und Menschen und ihre wahrscheinlich kausale Rolle bei der Tumorentstehung folgten in den Jahren 1931 und 1932. Er stellte an das Preußische Innenministerium einen Antrag auf „amtliche Überprüfung“.

Zitiert aus der Zeitschrift „raum & zeit“ Nr. 85/1997:

„Zunächst wurde von Brehmer aufgefordert, seine im Dunkelfeld beschriebenen Form-Variationen auch im Hellfeld darzustellen. Auch die Anzüchtung der Mikrobe bereitete den Bakteriologen Schwierigkeiten, die nach der Regel auf einen pH-Wert von 7 eingestellt waren, während Brehmer den Wert von 7,8 forderte.- Eine weitere Hürde, die überwunden werden musste, war die Pleomorphie (Vielgestaltigkeit) der Mikrobe in ihrer Abhängigkeit vom pH-Wert und dem jeweiligen Entwicklungsstand vom viralen Stadium bis zur Stäbchenform.

Übertrug man die Stäbchenform aus dem alkalischen Nährboden auf einen sauren Kulturboden, so kam es bald zu einem Zerfall der Stäbchen in virale Form; aber nach einem Filtrat war es wieder möglich, eine Reinkultur von Stäbchen zu erhalten. Disposition zur Krankheit und ihr Grad hängen von der Wasserstoffionenkonzentration des Blutes und Gewebssaftes ab, ebenso die Virulenz des Erregers – nach Brehmer ist das Verhältnis H- zu OH-Ionen direkt proportional zur Schwere der Erkrankung. Der kritische Wert für eine Krebsentstehung wird mit Blutalkalose von 7,5-7,6 angegeben.“

Brehmer passte zwar von seiner Herkunft damals nicht primär in das irrationale Verfolgungsbild der Nationalsozialisten – er hatte sich 1931 in einem Artikel in einer süddeutschen Zeitung eindeutig gegen Hitler ausgedrückt – lehnte es aber nach deren Machtübernahme in Deutschland 1933 konsequent ab, ihrer Partei beizutreten. Die Folge war ein ebenso konsequentes Mobbing durch Unterdrückung seiner Forschungsergebnisse, welche als „Ergebnis einer Geistesstörung“ bezeichnet wurden.

Derartig gezielte Verleumdungen bedienen sich offenbar stets ähnlicher Muster an Gerüchten und Behauptungen. „Die amtliche Überprüfung führte nach zwei Jahren immerhin zu einer Anerkennung der Mikrobe `Siphonospora polymorpha´ als Blutparasit, wie Brehmer sie genannt hatte. So folgte 1934 die Publikation: `Siphonospora polymorpha – ein neuer Mikroorganismus im Blut und seine Beziehung zur Tumorgenese´“ (zitiert aus: „Die medizinische Welt“, Nummer 34).

Von Seiten des Reichsgesundheitsamtes wurde Bremer danach mit einem Publikationsverbot belegt, seine Untersuchungsmethode „für die Erkennung des Krebses aus einem Tropfen Blut“ als wertlos diffamiert. In der Folge hat sich den Forschungsergebnissen von Brehmers ein Dr. med. Cornet vom „Verein Deutscher Volksheilkunde“ in Nürnberg angenommen und damit klinisch gearbeitet. Im Prinzip bestand die Therapie aus Maßnahmen zur Herdsanierung und Entgiftung und einer Säuretherapie zur Senkung des Blutsäurewertes unter den krebsförderlichen Bereich von pH 7,5-7,6, weiters Ernährungstherapie zur Unterstützung dieser Blutwerte und schließlich ein spezifischer Therapieversuch mit zwei von Brehmer entwickelten Impfstoffen, welche aus den als pathologisch angesehenen Stäbchenformen hergestellt wurden.

Auch diese klinische Abteilung wurde von politischer Seite geschlossen. Brehmer wurde von Unterstützern die Führung eines Privatlabors in Berlin angeboten, um seine Forschungen weiterführen zu können. Weiterer politischer Druck und Überwachung folgten, um weitere Versuche Brehmers als `geisteskrank´ zu brandmarken. Das Ende des „Tausendjährigen Reiches“ beendete die persönliche Verfolgung. Das Forschungslabor war allerdings ebenfalls zerstört. Brehmer weigerte sich seine Impfpräparate den Englischen Besatzungsbehörden „mangels an Erprobung“ zu überlassen. Bis zu seinem Tode arbeitete Prof. von Bremer in Bad Kreuznach, wo er 1947 ein Institut, und 1948 eine „Internationale Akademie für Blut-, Geschwulst- und Infektionskrankheiten e.V.“ gegründet hatte.

Fazit:

Gewiss haben die drei Herren jeweils eigene Begriffe entwickelt. Und die Zwischenwirthypothese Webers – in schöner Analogie zur Malaria – konnte nicht halten. Wir werden über ihre Forschungen aber nichts erfahren, weil niemand danach fragt. Ein Vergleich des T-Bion-Zerfalls im Blut bei der Krebs-Schrumpfungsbiopathie – auch bereits in Frühstadien, wie Reich es berichtete, mit den Blutausstrichen Webers mit Bläschenhaufen und danach ausschwärmenden ‚Oozyten‘, halte ich für naheliegend. Beide könnten Analoges beobachtet haben. Freilich hat Reich darüber hinaus seinen charakteranalytischen Überbau für sein Verständnis der Krebsentstehung und die faszinierende Hypothese der Urzeugung des Lebens im Zuge seiner Beobachtungen zur Bionentstehung.

Jedenfalls werden, ebenso wie bei Reich, auch die Forschungen Webers und von Brehmers nicht weiter bearbeitet; sie sind wissenschaftlich tot. So tot wie die Infektionshypothese bei Tumorerkrankungen, um die es bei ihren Forschungen ganz allgemein geht. Warum diese nicht mehr in Erwägung gezogen werden?- Nach den Teer-Pinselungsversuchen (lokale Tumorerzeugung nach Aufbringung ‚canceröser‘ Substanzen auf die Haut) wurden sie fallen gelassen, da eine Erregerübertragung bei jeder Pinselung ausgeschlossen werden konnte.- Immer aber bedarf jede kanzerogene Substanz zum Einwirken eine Latenzzeit, wirkt sie doch auf eine komplexe, lebendige und reagierende Einheit, bei der das `Terrain´ umgestimmt werden muss und eine ‚Schrumpfungsbiopathie‘ entsteht, die mehr oder auch weniger ausgeprägt sein kann.

Ob derartige, hängende Fäden der Wissenschaftsgeschichte wieder aufgegriffen werden, ist nicht abzusehen. Auch neu auftauchende Forschungen, die nicht den Pfaden des universitären Gärtchens folgen und auf den industriellen Weiden kein Plätzchen ergattern, werden ebenso verwelken, ohne ernsthafte Erwägung und Verbreitung finden zu können. Vielleicht hat die Wissenschaft im Sinne des `wissenschaftlichen Idealkonzepts der Selbstkorrektur´ von Anfang an nicht optimal funktioniert.

Im Laufe der Jahrhunderte bis heute hat jedenfalls der dogmatische Anspruch: „Denken außerhalb verboten, verrückt, lächerlich!“, eher an Gewicht gewonnen. Bleibt immer noch die morgendliche Optimismusübung: Sich beim Aufstehen vorzustellen, dass man immer bereits das neue Wesen war und daher auch als dieses aufwacht. Ebenso kann ich mir dann auch ohne weiteres vorstellen: Wissenschaft entwickelt sich als Werkzeug weiter und die Medizin hört auf in ihren Sackgassen vor sich hin zu scharren und orientiert sich neu.- Wie das funktioniert! Einige Minuten wenigstens.

Quelle:
Rudolf Pekar, Nikolai N. Korpan, „Krebs – Die biologische und die medizinische Tragödie– Bio-Onkologie“. Wilhelm Maudrich Verlag, Wien; 2002

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