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Bukumatula 1/2008

30 Jahre brauchen wir…

Gespräch mit Kevin Hinchey Co-Direktor des Wilhelm Reich-Museums in Orgonon,
am 9. November 2007 im Rahmen einer WRI-Veranstaltung in der Schule des Theaters“ in Wien
Heiko Lassek und Antonin Svoboda
Übersetzung aus dem Englischen: Tina Lindemann

Heiko Lassek: Es gibt eine Menge an Gerüchten um Reichs Tod und seinen Nachlass. Kannst Du uns etwas über Reichs Letzten Willen und darüber, was nach seinem Tod passiert ist, erzählen?

Kevin Hinchey: Ich möchte zunächst Regina Hochmair und Heiko Lassek dafür danken, dass sie mich eingeladen haben. Dies ist mein erster Besuch in Wien, und es ist mir ein großes Vergnügen hier zu sein. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Heiko versucht, Missverständnisse bezüglich Reichs Ideen und Konzepte aufzuklären und die Fakten über das Vermächtnis, das Archiv und den „Wilhelm Reich Infant Trust“ bekannt zu machen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen schon unsere Webseite besucht haben, aber Reichs Testament kann dort vollinhaltlich nachgelesen werden; ebenso das Inhaltsverzeichnis des Archivs.

Und während wir hier sprechen, sieht sich Peter Reich gerade im Archiv die Materialien an. Wir fanden es richtig, dass die Familienmitglieder Reichs als erste Zugang dazu bekommen sollten. In seinem Letzten Willen ruft Reich auch den „Trust“ ins Leben und nennt ihn den „Wilhelm Reich Infant Trust Fund“, der später in „Wilhelm Reich Infant Trust“ umbenannt wurde. Reich war überzeugt, dass die einzige Möglichkeit zur Prävention von Neurosen die Verhinderung der Panzerung von Kindern wäre. Die Idee der Prävention hat er den ganzen Weg – von seinen Wurzeln in der Psychoanalyse bis zur orgontherapeutischen Behandlung von Patienten – mit sich getragen.

Alles, was das Archiv und das Museum betrifft, geht auf Reichs Testament zurück, das er im März 1957 aufgesetzt hat. Es ist ein langes Dokument, und ich will nur zwei Passagen daraus vorlesen. Ich zitiere:

Im Vollbesitz meiner Urteilsfähigkeit in Bezug auf Menschen und soziale Umstände und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, machte ich meine Überlegungen zur sicheren Weitergabe einer gewaltigen Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse an künftige Generationen zum Leitfaden meiner letzten Verfügung. Die größte Herausforderung war für mich, die Wahrheit über mein Leben und meine Arbeit gegen Verzerrungen und Verleumdung nach meinem Tode zu schützen.

Eine Anführung im Testament bezieht sich auf sein Archiv, das zur Zeit der Unterzeichnung an zwei verschiedenen Orten im Observatorium in Orgonon untergebracht war. Reich bewahrte einen Teil davon in der Dunkelkammer im ersten Stock – und einen anderen Teil in einem großen Schrank in seinem Büro, im zweiten Stock, auf. Er weist den Trust wie folgt an:

Um den zukünftigen Studenten der Lebensenergie, des primordialen kosmischen Energie-Ozeans, der von mir entdeckt wurde, zu ermöglichen, sich ein wahres Bild meiner Erkenntnisse, Fehler, falschen Schlüsse, wegbereitenden Grundannahmen, meines Privatlebens, meiner Kindheit etc. zu machen, verfüge ich hiermit, dass unter keinen Umständen und unter keinem Vorwand irgendeines der Dokumente, Manuskripte oder Tagebücher, die in meiner Bibliothek in den Archiven oder irgendwo sonst gefunden werden, auf irgendeine denkbare Weise verändert, gekürzt, zerstört, ergänzt oder sonst wie verfälscht werden dürfen.

Die aus Angst geborene Tendenz der Menschen, um jeden Preis mit dem Mitmenschen auszukommen und unangenehme Dinge zu verstecken ist überwältigend stark. Um sich gegen dieses Verhalten zu schützen, das auf historische Wahrheit einen zerstörerischen Einfluss hat, verfüge ich, dass mein Arbeitszimmer, die Bibliothek und die Archive nach meinem Tod sofort durch die zuständigen Behörden verschlossen werden sollen, und niemandem soll erlaubt werden meine Papiere einzusehen, bis der Treuhänder, der weiter unten benannt wird, gebührend berufen und befähigt wurde und die Kontrolle und Verwaltung übernommen hat.

Diese Dokumente sind von entscheidender Wichtigkeit für die Zukunft der folgenden Generationen. Es gibt viele emotional kranke Menschen, die versuchen werden meine Reputation zu beschädigen, ungeachtet dessen was den Nachkommen geschieht, wenn nur ihre eigenen Leben im Dunkel eines verlassenen Zeitalters der Stalins und Hitlers bleiben.

Daher weise ich meinen Treuhänder und seine Nachfolger an, dass nichts an den Dokumenten jemals geändert werden darf, und dass sie für 50 Jahre verschlossen gelagert werden sollen, um sie vor Zerstörung und Verfälschung durch Jedermann der ein Interesse an der Verfälschung der historischen Wahrheit hat, zu bewahren.

Nach Reichs Ableben wurde seine Tochter, Eva Reich, zur Treuhänderin benannt. Wie Sie sich vorstellen können, haben all diese Ereignisse Eva emotional sehr mitgenommen. Sie war ehrlich und selbstbewusst genug, um für sich zu erkennen, dass sie emotional zu belastet war, um Treuhänderin sein zu können.

Heiko: Darf ich eine Zwischenfrage stellen?

Kevin: Sicher.

Heiko: Nachdem Reich ja ins Gefängnis musste und all seine Schriften und Unterlagen zerstört worden sind: Wie hat er es denn geschafft die Archiv-Materialien zu sichern?

Kevin: Die Materialien blieben im Observatorium. Er beschrieb in seinem Letzten Willen diese zwei Stellen und trat dann seine Haftstrafe an. Er wusste nicht, dass er sterben würde, aber er tat es für den Fall, dass ihm etwas geschehen sollte. So blieben die Materialien wo sie waren. Dann starb Reich am 3. November 1957 an Herzversagen. Einige Tage später fand die Beerdigung statt.

Und dann, irgendwann im Jahr 1958 geschah Folgendes: Die letzte Frau in Reichs Leben, Aurora Karrer, entfernt die Unterlagen aus dem Observatorium, lädt sie in ein Auto und verbringt sie in das Haus ihrer Mutter, hunderte von Meilen entfernt, außerhalb von Washington.

Als nun Eva verbreitet, dass sie einen Treuhänder sucht und keiner der Ärzte und Wissenschaftler, die mit Reich zusammengearbeitet haben, diesen Job übernehmen will, hört Mary Boyd-Higgins, eine Patientin von Dr. Chester Raphael, die damals 33 Jahre alt war und Reich nie persönlich kennengelernt hatte, aber offensichtlich von Reichs Arbeit sehr beeindruckt war, davon. Sie sagt zu Dr. Raphael: „Wenn sie niemanden finden, dann gerät das alles in Vergessenheit. Und was geschieht dann?“ Und so bietet sie sich an, selbst Treuhänderin zu werden und trifft Eva Reich und ihren Ehemann, Bill Moise.

Heiko: Ist es in Ordnung kurz zu unterbrechen?
Kevin: Natürlich.

Heiko: Es gibt nur wenige Menschen – und Du bist einer davon, die etwas über die Geschichte von Aurora Karrer und Wilhelm Reich erzählen können. Sie waren sich sehr nahe und wollten heiraten.- Aurora brachte dann alle Archivunterlagen nach Washington. Geschah dies mit irgendjemandes Zustimmung?

Kevin: Nein, dies erfolgte ohne irgendeine Zustimmung. Was geschah war Folgendes: Nachdem im März 1959 all die Bürokratie erledigt war, um Mary zur Treuhänderin zu machen, trifft sie sich mit Bill und Eva, und sie fahren alle gemeinsam nach Rangeley. Dazu muss man wissen, dass Orgonon zu dieser Zeit seit Jahren verlassen und die Gebäude alle verschlossen waren. Mary und Eva gehen in das verrammelte Observatorium, und Mary stellt als erste fest, dass die zwei Archive verschwunden waren. Mary kann diese Geschichte weit besser erzählen als ich.

Jedenfalls fährt Mary kurz danach zu Karrer, die aber bestreitet, überhaupt etwas damit zu tun zu haben, sie bestreitet alles, auch noch 1960 vor Gericht. Nachdem keine Kooperation mit Karrer möglich war, strengte der Trust 1960 ein Verfahren gegen sie an. Im späteren Verlauf der Verhandlungen kommt auf einmal Karrers Anwalt zu Mary und dem Trust-Anwalt und meint, dass er ihnen etwas mitzuteilen habe.

Sie begeben sich in einen separaten Raum, und daraufhin kommt Aurora Karrer mit einem Koffer, mit noch einem Koffer, und noch einem, und noch einem…., herein, die all das Material enthielten, das sie sich angeeignet hatte. Also resultierte dieses gerichtliche Verfahren doch noch in der Rückgabe eines Großteils der Archive an den Trust.

Heiko: Ich weiß von Eva Reich, dass sie Aurora Karrer bat, die Archive auf Mikrofilm zu bringen, und soweit ich weiß, verschwand sie mit den Mikrofilmen; kannst Du uns etwas darüber erzählen?

Kevin: Ich weiß nicht so viel über die Mikrofilme. Es gab einen Versuch, etwas auf Mikrofilm zu archivieren, als Eva noch Treuhänderin war, aber ich bin mir nicht sicher, ob dies nicht vielleicht noch zu Reichs Lebzeiten geschah.

Heiko: Soweit ich weiß, war es nach Reichs Tod.

Kevin: Das weiß ich nicht.

Heiko: Eva hat mir erzählt, dass einige Teile des Archivs trotzdem verschwunden blieben; darunter ein Teil der Tagebücher und ein Teil der Dokumentation über Reichs Pendel-Experimente, die mit Antigravitation zu tun haben.

Kevin: Es fehlen in der Tat einige Teile des Archivs. Reichs Tagebücher von 1922 bis 1934, also bis zum Kongress der IPV in Luzern, fehlen. Sie sind auf Deutsch geschrieben; Aurora Karrer war aber der deutschen Sprache nicht mächtig. Wir wissen nicht, was damit passiert ist. Die Gebäude wurden verschlossen, als Reich ins Gefängnis ging, und es gab Vandalismus, bevor das Archiv ausgelagert wurde.

Das Gelände ist sehr abgelegen, und es wurde eingebrochen, die Schlösser an allen Türen waren aufgebrochen, aber ob damals schon etwas aus dem Archiv gestohlen wurde, weiß ich nicht. In Reichs Buch „Beyond Psychology“ hat Mary Higgins im Vorwort auf das Fehlen der Tagebuchaufzeichnungen, die 12 Jahre von Reichs psychoanalytischer Tätigkeit dokumentieren, hingewiesen.

Über die Unterlagen zu den Pendel-Experimenten weiß ich nichts. Mary Higgins ist die einzige, die Archivierungsarbeit geleistet hat. Wenn auch die medizinische Bibliothek in Harvard, in der sich das Archiv befindet, eine der besten und größten der Welt ist, ist es nicht so, dass das Personal dort daran interessiert ist, unsere Materialien zu bearbeiten. Für jegliche archivarische Tätigkeit müssen wir bezahlen; für jede Kopie, für das Überspielen von alten Filmen auf Video, etc.- Wir kennen zwar die Namen aller Ordner und die Inhaltsverzeichnisse, aber den detaillierten Inhalt all dieser Papiere kennen wir nicht.

Die Antwort wird im Laufe der Zeit erfolgen, wenn alle Unterlagen durchgearbeitet sein werden. Es gibt eine Menge Ordner mit orgonomischem Forschungsmaterial, und es wird eine Weile dauern, bis man weiß, welches Material fehlt. Diese Dokumente sind sicherlich außerordentlich interessant.

Heiko: Eine letzte Frage zu Reichs Tagebüchern: Fehlt die letzte Sequenz ebenfalls? Und weshalb wurde „American Odyssee“ nie ins Deutsche übersetzt?

Kevin: Der Grund dafür, dass „American Odyssee“ nicht übersetzt wurde ist der, dass der Buchverkauf nicht gut lief. Und so war es nicht nur die Entscheidung des Trusts, sondern insbesondere auch des Verlags, es nicht übersetzten zu lassen.

Zur anderen Frage: In den letzten Jahren entdeckten wir weiteres Material von Aurora Karrer, und wir hofften, dass es Reichs vollständige Journale und Tagebücher aus den 50er Jahren wären; aber es sind nur Teile davon, andere Teile fehlen.

Heiko: Meinst Du, dass noch weiteres Material zu erwarten ist?

Kevin: Mary und ich haben darüber gesprochen, aber wir sind uns sicher, dass nichts mehr dazukommen wird. Sicherlich nicht von Karrer. Die verschwundenen Teile sind nirgendwo aufgetaucht, auch nicht bei eBay. Sie sind einfach weg. Tagebücher aus 12 Jahren! Ich kann es mir wirklich nicht erklären. Reich war sehr organisiert und hatte sein Archiv sorgfältigst geordnet. Das Archiv ist riesengroß; es umfasst mehr als 2,5 Kubikmeter; allein das Inhaltsverzeichnis ist 141 Seiten lang.

Heiko: Mary hat den Trust übernommen und all diese Arbeit geleistet. Wie finanziert der Trust diesen riesigen Komplex von Häusern und Land und das Archiv? Ich weiß, dass die Finanzierung einmal weggebrochen ist, es gab Probleme mit dem Dach und mit der Heizung. Mary hat es lange Zeit mit Hilfe von Freunden aus New York geschafft, jetzt ist sie 82 Jahre alt, und Du übernimmst diese Aufgabe. Wie willst Du das machen?

Kevin: Die finanzielle Lage ist keine wirklich gute. Besucher des Museums meinen oft, dass Reich eine Menge Geld hinterlassen haben muss, weil das Gelände so weitläufig und schön ist. Die Wirklichkeit sieht so aus: Nach Reichs Tod ging ein wenig Geld an seine Kinder, und für das Museum und den Trust blieben ganze 823 Dollar übrig. Das war 1959. Hochgerechnet wären das heutzutage etwa 5700 Dollar. Aber es gab über die Jahre hinweg Tantiemen aus dem Bücherverkauf, Privatleute und eine Organisation namens „The Friends“, die spendeten, und es gab einige wenige Erbschaften von Freunden Reichs.

Aber das Geld reichte nie lange. Ich weiß nicht in allen Einzelheiten wie das war. Es ist mir ein Rätsel, wie Mary das geschafft hat, insbesondere wenn man Bilder sieht, in welchem Zustand Orgonon war, als Mary es übernahm. Ein Wunder eigentlich, nach all dem Vandalismus, die Gebäude komplett zugewuchert und heruntergekommen. Es kommen weiterhin Spenden, wenn auch wenige, und Einnahmen aus dem Bücherverkauf, aber das reicht auf Dauer nicht.

Unser Problem ist, dass Reich eine so schlechte Reputation in Amerika hat. „Scharlatan, Spinner, Orgon existiert nicht“, all das. Es hat keinen Sinn für wissenschaftliche Arbeit um Förderung anzusuchen. Wir haben es wiederholt versucht, aber sobald der Name „Reich“ aufscheint, ist es vorbei. Wir kommen da nicht rein, bekommen oft nicht einmal eine Antwort.

Ich meine, dass das Weiterbestehen Orgonons wirklich gefährdet ist. Wenn wir in unserer Lebensspanne dieses Image nicht ändern können, wird es diese Einrichtung nicht mehr geben. Als Mary ihre Tätigkeit aufnahm, gab es wenigstens noch genug Bekannte und Ärzte, die mit Reich gearbeitet haben und ein persönliches Interesse an seinem Werk hatten und Unterstützung leisteten. Aber wie wird das in 30, 40 Jahren aussehen? Die alte Generation ist heute fast ausgestorben.

In den Medien wird noch immer der gleiche Unsinn über Reich wie zum Zeitpunkt seines Todes verbreitet. Im November gab es über die Nachrichtenagentur „Associated Press“ einen Artikel über Reich, der von vielen Medien übernommen wurde. Wir haben mit dem Journalisten kooperiert und ihn ersucht, uns den Artikel – Fakten betreffend – gegenlesen zu lassen. Er meinte nur: „Ich bin der Journalist, das geht nicht!“ Und dann war in den Zeitungen der großen Städte nachzulesen: „Der Sammler angeblicher kosmischer Orgasmus-Energie starb im Gefängnis….“ und so weiter.

Wir kämpfen also, kämpfen recht hart. Die Buchverkäufe gehen zurück und die Verlagswelt hat sich verändert. Als Mr. Straus, unser Verleger, starb, ging sein Verlag in einem riesigen Verlagskonzern auf, und wir wissen nicht, wie interessiert dieser daran ist, unsere Bücher weiterhin zu verlegen, denn sie verkaufen sich nicht besonders gut. Finanziell gesehen ist es also eine wirkliche Herausforderung für uns.

Heiko: Aber Du hast einen Traum, wir beide haben einen Traum. Und in gewisser Weise teilen wir diesen Traum, und er könnte einen Lösungsweg eröffnen. Bevor ich also an Antonin Svoboda übergebe, habe ich eine letzte persönliche Frage: Wie bist Du zu diesem Job als Co-Direktor gekommen? Ich weiß, dass Du ein ganz normales Leben führst und hart arbeitest.

Kevin: Orgonon gehört zum Gemeindegebiet der Kleinstadt Rangeley in Maine. Rangeley war das bevorzugte Urlaubsziel meiner Eltern, die mich schon in meinem ersten Lebensjahr dorthin mitnahmen. Als Kind erfuhr ich bereits von dem Museum, aber da will man lieber schwimmen, fischen und campen und all dies. Als Student war ich dann mit meinen Brüdern in Rangeley zum Campen, und damals besuchte ich erstmals das Museum – und hatte keine Ahnung, worum es hier ging.

Aber danach fing ich an, Reichs Bücher zu lesen und mich mit seiner Arbeit zu beschäftigen. Und was ich las, wurde sehr wichtig für mich und hatte großen Einfluss auf mein Leben. Ich hatte im College nie etwas über Reich gehört, und ich bezweifle, dass ich je etwas über Reich erfahren hätte, wenn meine Eltern mit uns nicht immer nach Rangeley auf Urlaub gefahren wären.

Ich liebe Rangeley sehr und habe dort vor vielen Jahren ein Häuschen gekauft. Dass Rangeley meine zweite Heimat ist und ich jetzt Co-Direktor des Museums und des Trusts wurde, ist sehr hilfreich. Es gibt viele Leute dort, die ich als Teenager kennen gelernt habe und die mich schon seit mehr als 30 Jahren kennen; ich habe mich immer als Mitglied der Gemeinde gefühlt. Es ist für unsere Arbeit sehr wichtig, dass wir in unserer Umgebung akzeptiert werden. Aber es war nicht Teil meines Lebensplans, Co-Direktor des Museums zu werden, das hätte ich mir nie im Leben gedacht. Es passierte einfach.

Heiko: Vielen Dank, ich übergebe an Antonin Svoboda.

Antonin Svoboda: Sie sagten, Sie haben da einen Traum, aber da ist auch ein Alptraum: Ich spreche von Reichs Image in den USA. Als wir uns gestern unterhielten, erzählten Sie, dass unter hunderten Artikeln über Reich nicht ein einziger mit einem positiven Zugang dabei war.

Kevin: Ich glaube, dass das wenig mit Reich selbst zu tun hat. Das kommt vor allem von einer Art intellektueller Faulheit. Ich denke, dass sich der Durchschnittsbürger leichter damit tut, Artikel über etwas zu lesen, als die Primärliteratur zu studieren. Insbesondere Journalisten. Wenn also jemand einen Artikel verfassen möchte, recherchiert er einfach, was es alles schon gibt und macht etwas Neues daraus. Artikel nehmen – auch wenn sie schon vor Jahrzehnten erschienen sind, eine Art Eigenleben an. Seit es das Internet gibt, ist das noch extremer geworden.

Es sind zu Reichs Lebzeiten und nach seinem Tod sehr viele Artikel gegen ihn und seine Arbeit erschienen. Und das wird leider wohl auch weiterhin so bleiben, denn beim Recherchieren stoßen die Leute darauf und schreiben einfach davon ab. Man findet auch immer wieder genau dieselben Formulierungen. Jedes Mal, wenn jemand einen verdrehten Artikel über Reich schreibt, bleibt das für immer im Internet stehen. Es ist nicht so wie mit einer Zeitung, die man einfach wegwirft.

Ich glaube, dass es einfach Unehrlichkeit und intellektuelle Faulheit ist, sich nicht mit der Primärliteratur auseinander zu setzen. Es ist in Ordnung im Internet nachzusehen und Sekundärliteratur zu verwenden, aber eben nicht ausschließlich. An einem Buch kann man jahrelang herumfeilen, beim Verfassen eines Artikels aber steht man unter Zeitdruck. Es gibt eine Deadline.

Und oft meint man, dass es eine einfache Geschichte werden wird, aber wenn man erst einmal drinnen steckt, beginnt die Sache immer größer zu werden. Wir sagen stets: „Wenn Sie Fragen haben, kontaktieren Sie uns bitte. Wir sind Ihnen bei der Recherche gerne behilflich. Wir wollen auch nicht Ihren Artikel verändern, aber sicherstellen, dass die Fakten stimmen.“ Aber das passiert so gut wie nie

Es gibt Journalisten, die es ernst meinen und sich Zeit nehmen und zuhören, aber das ist selten. Über Reich zu schreiben ist etwas, was man nicht unter dem Druck einer Deadline tun kann. Dafür ist das Werk zu groß, zu komplex. Alle die hier anwesend sind, haben etwas von Reich gelesen und wissen, wie viel Zeit und innere Auseinandersetzung das in Anspruch nimmt. Das gilt natürlich nicht nur für Reich, und es macht auch keinen Sinn, das persönlich zu nehmen, aber es ist ein großes Problem.

Antonin: Worin liegt die Hoffnung?

Kevin: (lacht) Mein Hintergrund ist die Filmbranche. Ich habe in Hollywood als Drehbuchautor gearbeitet. So wie es neunzig Prozent der Drehbuchautoren dort ergeht, bekam ich einmal einen Job, dann wieder nicht und einmal wird man bezahlt und ein anderes Mal wird der Film nicht gedreht, und es gibt kein Geld. Nach ein paar Jahren hatte ich davon genug. Ich wollte so nicht mehr leben.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass es sinnvoll wäre, einen Film, einen guten, ehrlichen Film über Wilhelm Reich zu machen. Eine Dokumentation, die sich nicht nur den Menschen erschließt, die schon viel über Reich wissen, sondern Menschen im Fokus hat, die noch gar nichts über ihn und seine Arbeit wissen. Und außerdem einen Spielfilm, der sich an die Tatsachen hält. Die Geschichte gibt genug her, um einen spannenden Film daraus zu machen. Ich habe wirklich Sorge, dass irgendjemand einen schlechten Film macht und darunter schreibt: „Dieser Film beruht auf einer wahren Begebenheit“.

Ich bin dabei, ein Drehbuch zu schreiben und ich bin auch daran interessiert, dass unsere kurze Dokumentation „Man´s Right to Know“, ausführlicher gestaltet wird. Auch Antonin und Heiko sind hierorts aktiv, um einen Spielfilm und eine Dokumentation über Reich auf die Beine zu stellen.

Alle reden über das Reich-Archiv und was dort nicht alles über fünfzig Jahre lang verschlossen lag. Das stimmt schon, aber seit 1960, als das erste Buch „Ausgewählte Schriften“ durch den Trust und den Verlag herausgegeben wurde, hat der Trust mehr als 7000 Seiten von Reichs Schriften in Buchform veröffentlicht. Es gibt also schon eine Menge an zugänglichem Material, aber was hat das bewirkt? Über Reichs Arbeiten wissen vielleicht ein paar tausend Leute auf der ganzen Welt Bescheid, und das wird sich so schnell nicht ändern.

Ich glaube es ist eine Herausforderung im „Geschichtenerzählen“. Reichs Geschichte und die seiner Arbeit ist sehr bewegend, und sie muss auf die richtige Weise erzählt werden, so dass sie für alle Menschen zugänglich wird.

Wenn mich Leute fragen, wie ich zu meiner Aufgabe gekommen bin und was ich mitbringe, dann ist es mein Leben als Geschichtenerzähler: Das Schreiben und das Filme machen. Ich hatte immer das Gefühl, dass Reichs Leben und Werk eine großartige Geschichte ist, die wir uns nicht immer nur gegenseitig erzählen sollten. Wir müssen neue Leute erreichen. Das könnte auch eine Veränderung in der Wahrnehmung von Medizinern, Physikern, Biologen, etc. herbeiführen, die wirklich etwas bewegen können.

Uns kontaktieren ständig Leute, die eine Dokumentation machen wollen. Kürzlich rief mich eine Kunststudentin an, die einen Film über Reich drehen wollte. Als wir dann zusammen saßen, fragte ich sie als erstes, was sie denn von Reich gelesen hätte. Sie antwortete: „Listen Little Man“, und das war alles. Ich sagte: „Sie haben `Listen Little Man´ gelesen und wollen mit Ihrer Kamera nach Orgonon kommen und Interviews machen?

`Listen Little Man´ hat 138 Seiten, 34 davon sind Zeichnungen, also haben Sie 94 Seiten von 7000 verfügbaren Seiten von Reichs Schriften gelesen Und Sie wollen einen Dokumentarfilm machen!“ Ich empfand das in meinem Selbstverständnis als Filmemacher beleidigend und beleidigend in der Hinsicht, dass jemand meint, man könne einen Dokumentarfilm drehen, auch wenn man nur einen winzigen Bruchteil des Werkes kennt.

Antonin: Ich habe das Gefühl, dass Reich ein Kosmos für sich ist, und dass man sich, wenn man erst einmal einen Schritt hinein gemacht hat, auf gewisse Weise darin verliert. Denn 7000 Seiten nur von Reich zu lesen schafft man wahrscheinlich nicht in einem Leben, und mit der Öffnung des Archivs wird das Ganze noch größer. Ich frage mich, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, das Werk zur Vermittlung so zu vereinfachen bzw. einzugrenzen, dass es auch für Laien verstehbar wird.

Ich bin nicht davon überzeugt, dass sich die Wahrnehmung Reichs in der Welt durch einen einzelnen Film massiv verändern wird. Sie haben von Physikern, Biologen, Medizinern, etc. gesprochen. Ich bezweifle aber, dass diese Leute eifrige Kinogeher sind. In der Zeitung „Der Standard“ erschien kürzlich ein Artikel über Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Karriere zu machen, und dass diese ganz selten ins Kino gehen, weil sie aus Filmen wenig darüber lernen können. Wir können also nicht nur auf Filme setzen.

Kevin: Wir müssen über „Ausbildungsmaterial“ nachdenken. Als ich im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen für Wien noch einmal viele von Reichs wissenschaftlichen Aussagen gelesen habe, kam mir der Gedanke, dass es großartig wäre, eine Serie von Ausbildungsmaterialien herauszugeben, in der die Ideen und Erkenntnisse Reichs in seinen eigenen Worten, aber vereinfacht so dargestellt werden, dass alle Aspekte seines Werkes leicht verstehbar sind. Es geht grundsätzlich darum, eine Brücke zwischen dem Werk und dem Publikum herzustellen. Wir müssen alle Bereiche abdecken. 30 Jahre brauchen wir, denke ich, um all das zu schaffen. Es gibt keine Garantie, aber ich bin voller Hoffnung.

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