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Bukumatula 1/2005

Nachmaterialistische Wissenschaft

Paradigmenwechsel handwerklich gestalten
Arnim Bechmann:

Prolog

der vorliegende Text stellt das Konzept eines Projektes vor, das derzeit am Zukunfts-Zentrum Barsinghausen vorbereitet wird. Trotz redlichen Bemühens ist es mir nicht gelungen, die Projektskizze auf den mir vorgegebenen Raum zusammenzupressen. Um den Text nicht durch zu massive Kürzungen vollständig zu verstümmeln, möchte ich in diese Publikation die Möglichkeiten des Internets einbeziehen.

Im Folgenden finden Sie eine Textfassung der Einführung und der beiden Hauptkapitel des Gesamtmanuskriptes. Es beschreibt den Kontext und das Kernkonzept des Projektes ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft – Paradigmenwandel handwerklich gestalten“. Die Abschnitte des Textes, die auf die Projektziele sowie auf die geplante Vorgehensweise eingehen, habe ich weggelassen. Das Gleiche geschah für die, den Text erläuternden Abbildungen.

Als Ergänzung zu den vorliegenden Ausfllhrungen finden Sie den Gesamttext einschließlich der zugehörigen Abbildungen als PDF-Datei im Internet (www.zzb.info ->Aktuell-> Service … ); er wird dort ab dem 21. März 2005 verfügbar sein.

Einführung

Schlüsselprojekte sind Projekte, die das Tor für eine neue Entwicklungslinie – sei es innerhalb einer Disziplin oder gar dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt insgesamt- öffilen. Derartige Schlüsselprojekte gab und gibt es immer wieder. Sie stellen Weichen innerhalb der Entwicklung von Wissenschaft. Galileis Untersuchung des Fallgesetzes, das Manhatten-Projekt, das zum Bau der Atombombe fllhrte, die Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA durch Crick und Watson, oder das Human-Genom-Project (HGP) waren oder sind Orientierung gebende Schlüsselprojekte unserer etablierten Naturwissenschaft.

Auch das im Folgenden vorgestellte Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ kann und soll eine Art von Schlüsselprojekt werden. Es soll einen Weg in den Erkenntnisraum einer erweiterten Naturwissenschaft öffnen. Das Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ soll die Grundannahmen und die Struktur des Paradigmas einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft umreißen sowie eine Plattform schaffen, auf der unkonventionelle Erfahrung verwissenschaftlicht und unkonventionelles Wissen mit den Erkenntnissen etablierter Naturwissenschaft zukunftsfllhig – d.h. auf den Boden eines neuen Paradigmas – verbunden wird.

Das am Zukunfts-Zentrum Barsinghausen vorbereitete Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ wird hier in Anlehnung an den Projektantrag vorgestellt, der derzeit ausgearbeitet wird. Dabei sollen vor allem der Sinn, der gesellschaftliche Nutzen und die grundsätzliche Durchfllhrbarkeit dieses Projektes betrachtet werden. Der vorliegende Text skizziert unter dem Stichwort ,,Ausgangssituation“ den strukturverändemden Wandel, den unsere Gesellschaft derzeit durchläuft.

Dieser Wandel kann-wenn auch sehr vereinfachend – als Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft bezeichnet werden. In diesem Übergang zerfllllt gewachsenes, erprobtes Altes und sprießt wildwüchsig zukunftsfllhiges Neues. Zeiten des Überganges sind sowohl von Erfahrungen und Wissen geprägt, die der untergehenden Zeit entstammen, als auch von Erfahrung und Wissen beeinflusst, die die ,,neu entstehende Welt“ ankündigen. Im Folgenden wird versucht beiden Wissensquellen gerecht zu werden.

Dabei wird als „verbindendes Prinzip“ das ,,Pragmatische Komplementaritätsprinzip des Wissens“ eingeführt und erläutert. In dem uns umgebenden gesellschaftlichen Wandel zeichnet sich inzwischen sehr deutlich die Herausbildung eines neuen naturwissenschaftlichen Weltbildes ab. Das hier vorgestellte Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft strebt an, die paradigmatischen Grundlagen und die Struktur dieses Weltbildes konstruktivistisch zu umreißen.

Der Begriff „Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ ist ein Arbeitsbegriff. Er soll zunächst nur deutlich machen, dass das derzeit noch herrschende materialistische naturwissenschaftliche Weltbild und von einem, erst in groben Konturen sichtbaren, nachmaterialistischen verdrängt wird. In den zurückliegenden Jahrzehnten sind in unserer Gesellschaft bereits viele Vorarbeiten fllr den Übergang zum Paradigma einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft geleistet worden. Auf sie kann nun zurückgegriffen werden.

Das Projekt „Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ wird die paradigmatischen Grundannahmen und die Grobstruktur des Konzeptes einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft zur Diskussion stellen, sowie deren Inhalte konkretisieren. Das Paradigma einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft bietet eine solide Grundlage, auf der unkonventionelle Erfahrungen im Umgang mit Natur und Leben verwissenschaftlicht und mit den Erkenntnissen etablierter (materialistischer) Naturwissenschaft zukunftsfllhig verknüpft werden können.

Vor diesem Hintergrund kann der Übergang zum Paradigma einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft vielen wissenschaftlichen Fachdisziplinen neue Orientierungen geben, die bis in die gesellschaftliche Praxis durchschlagen. Das Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ ist in mancherlei Hinsicht ein programmatisches Gegenüber, zu dem um die Jahrtausendwende mit großem Aufwand betriebenen Human-Genom-Project (HGP).

Beide Projekt zielen darauf ab, Lebensvorgänge tiefer und klarer zu verstehen als bisher. Das Human-Genom-Project wählt den Weg einer materialistischen Naturwissenschaft, während das hier vorgestellte Projekt den nachmaterialistischen Pfad einschlägt. Das Eine strebt an, die Organisation und die Steuerung lebender Systeme zu entschlüsseln, indem es deren materielle Bausteine einer möglichst präzisen Analyse unterwirft, während das andere vor allem die transmaterialen Eigenschaften lebender Systeme ins Auge fasst, um Erkenntnisse über ihr Verhalten zu gewinnen.

Eine Naturwissenschaft der Zukunft wird beide Sichtweisen aufeinander beziehen und in sich vereinen. Sie wird insbesondere das Zusammenspiel der materialen und der transmaterialen Dimensionen des Lebendigen zu untersuchen und zu verstehen trachten. Die sich formenden Wissensgesellschaften Westeuropas und Nordamerikas konnten und wollten sich ein, viele Milliarden teures, Human-GenomProject leisten. Sie sollten erst recht in der Lage sein, Projekte wie das hier vorgeschlagene zu finanzieren. Das Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ wird vermutlich nur ein Tausendstel der finanziellen Mittel des Human-Genom-Projektes bedürfen, um in der Sache überzeugende Erfolge erringen zu können.

Ausgangssituation

Vorbemerkung

Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts klingt eine Epoche naturwissenschaftlichen Denkens und Forschens aus, die den Menschen über zwei Jahrhunderte hinweg große Erkenntnisfortschritte beschert hat. Dem materialistischen Weltbild, das im 19. und 20. Jahrhundert vorgeherrscht hat, folgte eine neue Sicht der Dinge. Sie kilndigt sich auf breiter Linie an. Man kann ihre Konturen bereits erkennen, obwohl sie noch so gut wie keinen Eingang in die etablierten Institutionen der Wissenschaft gefunden hat.

Diese neue Naturwissenschaft wird sich vor allem auf das Verständnis der Intelligenz, der Organisation, der Steuerung und der Sinnstrukturen von  Natur- und Lebensprozessen konzentrieren. Sie wird nach der Wirksamkeit des Geistigen – das sie näher bestimmen und charakterisieren wird – im Naturgeschehen fragen und neue Formen des Umganges mit Natur und Leben begründen. Ihre Entwicklung wird – wenn auch durch Konflikte und Kämpfe – durch den Übergang der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft gefördert und vorangetrieben.

Die Wissensgesellschaft gründet ihr Handeln mehr und mehr auf Wissen. Sie gerät damit automatisch in das Ringen um die Grenzziehung zwischen Wissen und Unwissen. Ein verzerrtes, auf unzutreffenden Vorstellungen von Welt gegründetes Unwissen wird ihr zum Risiko und wirft Probleme auf, für die sie keine Löstn1g findet, so lange ihre Entscheidungsträger Unwissen für Wissen oder Wissen für Unwissen halten. Die nicht bewältigte Umweltkrise liefert ein exemplarisches Beispiel fUr diese Situation.

In unserem gesellschaftlichen Alltag entstehen bereits seit ca. zwei Jahrzehnten neue Formen des Umganges mit Natur und Leben. Sie werden hier als ,,Neue Praxis“ bezeichnet. Sie kilndigen den Wandel des naturwissenschaftlichen Weltbildes auf der Ebene der Alltagspraxis an.

Diese Neue Praxis präsentiert sich allerdings bislang nicht vorrangig durch wissenschaftlich gesichertes Wissen, sondern durch praktische Erfahrung, präwissenschaftliche Vorstellungen oder institutionell isolierte wissenschaftliche Außenseitertheorien. Sie wird getragen von einer, sich seit Beginn der 80er-Jahre formierenden, Gesellschaftsgruppierung, die hier als ,,Neue Unkonventionelle“ (Kultur-Kreative, Zivilgesellschaft, Neue Praxis, etc.) bezeichnet wird.

Vor uns liegt die Herausforderung das neue, unkonventionelle Wissen der ,,Neuen Unkonventionellen“ auf die Erkenntnisse herrschender Naturwissenschaft zu beziehen und zu verwissenschaftlichen sowie das herrschende naturwissenschaftliche Wissen, das fast durchgängig auf einem materialistischen Paradigma gründet, strukturell und paradigmatisch zu erweitern. Der Wandlungsprozess, den die modernen Gesellschaften durchlaufen, hinterlässt in ihnen tiefe Spuren. Er bringt Untergang und Neugeburt in einem.

Im Folgenden werden zentrale Aspekte dieses Übergangs, die sich unter Stichworten wie „Wissensgesellschaft“ und ,,Neue Praxis“ fassen lassen, angesprochen. Vom Obergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft Charakteristika der Wissensgesellschaft Man spricht heute gern davon, dass wir uns im Übergang zur Wissensgesellschaft befinden. Was ist damit gemeint?

In der Wissensgesellschaft spielt Wissen fUr alles gesellschaftliche Handeln eine zentrale Rolle. Gesellschaftliches Handeln soll durch Wissen begründet und verstanden werden können. Man könnte fast sagen, in der Wissensgesellschaft geht man davon aus, dass man nur handeln kann, wenn man auch weiß, was man tut. Gefragt ist dabei nicht nur das Wissen wie etwas getan werden kann, sondern auch warum und wozu dies oder jenes getan wird, wie es funktioniert und welche Folgen es hat.

Wissenschaftlich gesichertes Wissen genießt in der Wissenschaftsgesellschaft ein hohes Ansehen. Es ist Wissen, von dem man erwartet, dass es die Dinge über die man spricht erklärt, dass es so klar ist, um zwischen Menschen gut kommuniziert werden zu können sowie dass sich dieses Wissen systematisch und differenziert auf seine Gegenstande bezieht. Es ist offensichtlich, dass wissenschaftliche Erkenntnis und Alltagserkenntnis nicht weit auseinander liegen – zwnindest wenn beide zutreffende Vorstellungen von Welt beinhalten. Damit sind wir beim Begriff des Wissens.

Wissen bezeichnet eine zutreffende, d.h. wahre Vorstellung von Welt. Wissen in diesem Sinn, bildet „idealerweise“ die Basis fUr „wissensbasiertes Handeln“ das in der Wissensgesellschaft so hoch im Kurs steht. Wenn Wissenschaft etwas zu taugen beansprucht, dann sollten sich ihre Vorstellungen von Welt nicht zu weit von den Alltagserfahrungen der Menschen entfernen. Umgekehrt lassen sich Alltagserfahrungen von Menschen auch daran messen, ob und inwieweit sie von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen abweichen. Die Probleme, die sich im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Alltagserkenntnis auftun, kennen wir alle.

Auf sie werde ich später zurückkommen. Zur Dialektik von Wissen und Unwissen Wenn man heute über Wissenschaft und ihre Bedeutung fl1r unsere Alltagswelt spricht, dann blickt man vor allem in Richtung der Natur- und der Ingenieurswissenschaften. Sie spielen fl1r unser alltägliches Leben und Handeln eine wichtige Rolle. Ohne Natur- und Ingenieurswissenschaften hätten wir keine Autos, keine Computer, keine Hochhäuser, keine Flugzeuge und so gut wie nichts von der Technik mit der wir uns umgeben. Natur- und Ingenieurswissenschaften erscheinen uns daher als harte, als sichere, als stabile Wissenschaften. Und dennoch gibt es in Bezug auf sie ein merkwürdiges Phänomen oder besser gesagt einen inneren Widerspruch, der unser heutiges gesellschaftliches Alltagsleben viel umfassender prägt, als wir im
Allgemeinen wahrnehmen. Ich will ihn als das dialektische Verhältnis von Wissen und Unwissen bezeichnen. Es lässt sich wie folgt beschreiben.

Je mehr wir auf der Basis unserer heutigen Naturwissenschaften über Natur und Leben wissen – und wir wissen darüber sehr viel – um so deutlicher und bedrängender wird zugleich auch unser Unwissen über Natur und Leben. D.h. je mehr wir wissen, um so besser erkennen wir, wie wenig wir wissen. Damit könnte man zwar leben und glauben, dass, wenn wir in Zukunft mehr und mehr wissen dieses Unwissen geringer wird. Dies ist jedoch nach aller Erfahrung nicht der Fall. Denn was geschieht?

Je mehr wir über die Welt erfahren, um so deutlicher erkennen wir, dass unsere heutige Naturwissenschaft zu bestimmten Lebensbereichen über die wir Alltagserfahrungen sammeln, also Alltagswissen gewinnen, nichts oder nur Unsinniges sagt. D.h., Unwissen ist nicht immer nur Nichtwissen, sondern Unwissen ist oft auch verzerrtes, falsches Wissen, unzutreffende Vorstellung von Welt. Diese Art des Unwissens behindert und irritiert uns in der Wahmehmung von Welt. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern: Wir wissen heute in der Schulmedizin sehr viel über Wirkstoffe und was sie in einem Organismus auslösen können. Gleichzeitig stoßen wir auf drei Arten Unwissens bezüglich der Kenntnisse der Prozesse, die sich in einem Menschen abspielen, wenn er ein Medikament einnimmt.

  • Die erste Form des Unwissens liegt darin, dass fl1r so gut wie kein Medikament exakt vorausgesagt werden kann, ob es in Bezug auf den Medikamenteneinehmer, die angestrebte Wirkung erzielt. Auch klassisch getestete Medikamente geben hier nur Wahrscheinlichkeiten an.Die individuelle Reaktion von Menschen auf Medikamente ist um so deutlicher und vielfll.ltiger, je weniger hart das Medikament selbst in den menschlichen Organismus eingreift. Eine entsprechend hohe Dosis von Arsen vergiftet jeden Menschen. Wenn man die Dosis immer weiter reduziert, werden die Reaktionen jedoch sehr viel vielfll.ltiger.
  • Die zweite Art des Unwissens ist die des Unwissens über Nebenwirkungen oder gekoppelte Folgen. Wir haben gelernt, dass man viele Nebenwirkungen eines Medikaments auch dann nicht voraussagen kann, wenn man die chemische Zusammensetzung des Medikaments kennt. Es tauchen Reaktionen auf, die zunächst keiner vermutet hat, so z.B., dass plötzlich Prozesse stattfinden, die mit dem ursprünglichen Geschehen nicht viel zu tun haben. Man braucht nur die Beipackzettel von Medikamenten durchzusehen, auf denen ist solches Wissen verzeichnet.
  • Die dritte Art des Unwissens ist im vorliegenden Kontext noch interessanter.Zu ihr gehört z.B. das Unwissen der Schulmedizin über Homöopathie. Langsam lernt man, dass bei der Einnahme homöopathischer Mittel im statistischen Sinn signifikante Wirkungen auftreten können. Die Wirkung eines homöopathischen Medikaments ist jedoch und nicht nur erst ab D 30 – mit klassischer Naturwissenschaft und Schulmedizin bis heute nicht angemessen verstehbar. Es gibt keine, im naturwissenschaftlichen Sinn, stabile Erklärung für die Wirkung homöopathischer Mittel, die die wissenschaftstheoretischen Anforderungen erfüllen würde, die heute an wissenschaftliche Erklärungen zu stellen sind.

Die ersten beiden Formen des Unwissens bezeichnet man als immanentes Unwissen. D.h. man kann hoffen, dieses Unwissen durch die Gewinnung von mehr Wissen das in die gleiche Richtung zielt wie bislang schrittweise auflösen zu können. Die dritte Form des Unwissens lässt sich nicht so überwinden wie die ersten beiden. Sie beruht auf Erfahrungen, die nach dem herrschenden Wissenschaftsverständnis generell nicht auftreten dürften.

Schulmedizinisches materialistisches Wissen erklärt grundsätzlich nicht, wieso mit Alkohol versetztes Wasser oder wieso Zuckerkügelchen so vielfll.ltige unterschiedliche Wirkungen hervorrufen können, wie dies die homöopathischen Mittel tun. Hier stehen konventionelle Naturwissenschaftler vor einem „Wunder“, dessen Existenz sie so allerdings oft kategorisch abstreiten.

Selbst-Bedrohungen der Wissensgesellschaft

Kommen wir zum Thema Wissensgesellschaft zurück. Wenn sich unsere Gesellschaft weiter in Richtung einer Wissensgesellschaft entwickelt, dann werden uns in Zukunft die Grenzen unseres Wissens zunehmend beschäftigen.
Fehlprognosen, unterschätzte Nebenwirkungen, nicht richtig vorausgesehene zentrale Wirkungen irritieren, lassen Folgeprobleme entstehen. Kurzum, eine Wissensgesellschaft, die auf der Ebene von Halbwissen handelt, bewegt sich letztendlich mehr oder weniger deutlich am Abgrund, auch wenn man diesen Abgrund mit dem Begriff der Risikogesellschaft und der banalen Erkenntnis, dass jede Gesellschaft auch Risiken im Umgang mit Natur und Leben eingehen muss, verharmlost.

Noch problematischer wirkt jedoch die dritte Form des Unwissens, die wir hier als strukturelles Unwissen bezeichnen wollen. Diese Grenze macht uns deutlich, dass es Dinge gibt, zu denen die heutige Wissensgesellschaft zunächst keinen Zugang zu haben scheint, obwohl sie sich im Alltag dieser Gesellschaft abspielen. Am Beispiel der Komplementllnnedizin kann man sehr schnell erkennen, welche Probleme das Auftreten einer solchen Grenze bereitet. Nur Ignoranten können heute noch übersehen, dass viele komplementllnnedizinische Behandlungsverfahren und Medikamente deutliche Wirkungen zeigen.

Diese Wirkungen treten auf, auch wenn man sie bislang wissenschaftlich weder verstehen kann, noch zu erklären vermag. Im Bereich des strukturellen Unwissens geschieht in unserer Gesellschaft damit etwas, das in der Wissensgesellschaft eigentlich nicht geschehen dürfte. Wissenschaftliche Erkenntnis und Alltagserfahrungen driften weit auseinander. Folglich tut sich ein erhebliches Problem auf.

Wenn man einerseits erwartet, dass gesellschaftlich anerkanntes Handeln in wichtigen Lebensbereichen möglichst gut durch Wissenschaft untermauert wird und wenn aber andererseits zu zentralen Lebensbereichen wie z.B. Gesundheit, Ernährung, Alter und Tod, Umwelt u.Ä. wissenschaftliches Wissen und Alltagserfahrungen auch nicht annähernd deckungsgleich sind, so haben wir ein Problem, das sich wie folgt beschreiben lässt: Entweder werden durch die Diskrepanz von Alltagserfahrung und wissenschaftlicher Meinung sinnvolle Handlungen blockiert oder wir treffen auf einen Bereich, zu dem Wissenschaft keinen angemessenen Zugang hat und den sie daher nicht beeinflussen dürfte will sie nicht „blindlings“ ins Risiko gehen.

Solche Bereiche gab es und gibt in der Neuzeit immer wieder, doch in der Regel hat sich erwiesen, dass wissenschaftliche Erkenntnis derartige Grenzen irgendwann überschreitet. Der Weg, solche Grenzen zu überschreiten zielt in der Wissensgesellschaft darauf ab, Wissenschaft so weiter zu entwickeln, oder das zu tun, was immer notwendig ist, um möglichst viel Alltagserkenntnis – auch wenn sie sich zunächst als sperrig erweist – mit wissenschaftlichen Mitteln zu erschließen.

Blickt man zurück, so kann man leicht erkennen, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein kontinuierlich – wenn auch immer wieder gegen Beharrungswiderstände – gewandelt hat. Viele Dinge, die der mittelalterliche Mensch für undurchschaubar oder gottgegeben hielt, wie z.B. die Ursachen für die Ausbreitlmg der Pest oder anderer Epidemien, lassen sich heute mit wissenschaftlichen Mitteln begreifen. Viele Techniken und Geräte, die wir heute benutzen, würde der mittelalterliche Mensch ftlr Wunder und Teufelszeug halten. Dies gilt ftlr Computer, Handys, Autos, Flugzeuge und nahezu alle uns umgebende Alltags-Technik.

Dies alles rückblickend festzustellen flillt uns leicht. Viel schwieriger erscheint es uns jedoch eine Antwort auf die Frage zu finden „Wie könnte und müsste Wissenschaft weiterentwickelt werden, um die Alltagserfahrungen zu erfassen, zu denen sie heute noch keinen Zugang findet?“ Eine zweite ebenso wichtige Frage ist die Frage danach, ob die Bereiche, in denen Alltagserfahrungen und Alltagserkenntnisse auftreten, die der Wissenschaft bislang verschlossen bleiben (strukturelles Unwissen) im Wachsen oder im Schrumpfen sind.

Die Neuen Unkonventionellen als Produzenten strukturellen Unwissens

Die erste der oben gestellten Fragen kann man zunächst aufgrund empirischer Erfahrung damit beantworten, dass in der Vergangenheit tatsächlich Wissenschaft immer wieder neue Wege eingeschlagen hat, wenn sie vor scheinbar unlösbaren Rätseln stand. Bei solchen Prozessen des Um- und Neulernens wurden „Grenzerfahrungen“ ernst genommen, auch wenn sie zunächst nicht erklärt werden konnten oder es wurden wissenschaftliche Leitideen und Orientierungen neu fokussiert.

Wenn man nun fragt, wie man heute vorgehen müsste, wollte man unkonventionelle Praxisfelder wie z.B. die Komplementllnnedizin verwissenschaftlichen, so ist es nicht ganz einfach, eine klare, eindeutige, schnell überzeugende Antwort zu finden, obwohl auch diese nach meiner Auffassung existiert. Die zweite der oben angesprochenen Fragen ist leichter zu beantworten. Sie fordert von uns lediglich, uns in unserer Umwelt unvoreingenommen und intensiv umzusehen.

Tun wir dies, so stellen wir fest, dass gerade die Bereiche im Wachsen sind, in denen Alltagserfahrungen auftreten oder bewusst produziert werden, die sich in Bezug auf die herrschende Naturwissenschaft als wissenschaftsresistent erweisen. Hierfür liefert der Bereich der Komplementarmedizin viele gute Beispiele. Akupunktur, Homöopathie, Bioresonanztherapie, psychoenergetische Körpertherapien und vieles mehr haben in den vergangenen drei Jahrzehnten an Umfang und Intensität unbestreitbar zugenommen. Noch in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kannte kaum jemand derartige Therapieverfahren. Heute kennt sie fast jedermann.

Viele Menschen haben nach ihrer persönlichen Aussage sehr positive Erlebnisse mit ihnen. Es ist ein sehr interessantes, in seiner Bedeutung bislang unterschätztes Phänomen, dass sich Unkonventionelle, d.h. der herrschenden Wissenschaft nicht zugängliche Formen des Umganges mit Natur und Leben in unserer Gesellschaft zunehmend verbreiten und keineswegs auf dem Rückzug sind, wie eigentlich in einer Wissensgesellschaft zu erwarten wäre.

Zwischenfazit

In der Wissensgesellschaft, auf die wir unweigerlich zuschreiten, wird es üblich sein, dass möglichst viele gesellschaftlich akzeptierte Handlungen, insbesondere im Umgang mit Technik, mit Natur oder Leben durch wissenschaftliche Erkenntnis unterlegt, verstanden und angeleitet werden. Die Wissensgesellschaft wird letztendlich anstreben Unwissen zu reduzieren und Wissenswachstum zu forcieren.

Wenn jedoch in einer solchen Wissensgesellschaft die Bereiche strukturellen Unwissens zunehmen, also die Bereiche wachsen, zu denen etablierte Wissenschaft keinen Zugang findet, so wird das kurz- oder mittelfristig zu einem gesellschaftlichen Problem werden. Nach den Regeln der Wissensgesellschaft müssten diese Bereiche auch für gesellschaftlich zulässiges Handeln blockiert werden – und dies geschieht ja heute tatsächlich in gewisser Weise in Bezug auf die Finanzierung von Komplementarmedizin.

Wenn jedoch eine Gesellschaft, deren Zukunft von der Vermehrung ihres Wissens abhängt, Alltagserfahrungen unterdrückt, ignoriert oder zu nivellieren versucht, so zerstört sie die fl1r Wissenschaft so notwendige, auf Wahrheitsfindung gerichtete Erkenntniskraft und damit auch ihre eigene Kulturkraft. Sie macht so z.B. Wissenschaftler zu Meinungsabhängigen und zu Ignoranten gegenüber Alltagserfahrung.

Das „Pragmatische Komplementaritltsprinzip des Wissens“

Wissen kann stets nur standpunkt- und paradigmenbezogen artikuliert werden. In die Bildung von Standpunkten und Paradigmen gehen zwangsläufig Entscheidungen ein. Sie können und sollten im aufklärerischen Diskurs reflektiert werden. Für die wesentlichen Weltzusammenhänge, insbes. fl1r das Verständnis von Natur- wid Lebensprozessen oder das „ganzheitliche Funktionieren eines Menschen“, besitzen wir bislang keine geschlossenen Erklärungsmodelle oder umfassende Verständniskonzepte – weder in der etablierten Naturwissenschaft noch in so genannten  ,Außenseiterwissenschaften“ (Anthroposophie, Orgonomie, Taoismus, etc.). Wir müssen daher in der Praxis mit
Wissensbausteinen wid mit Wissenslücken umgehen.

Viele Wissensbausteine, Arbeitsmodelle und theoretische Konstrukte sind nicht nur in ihren Erkenntnis- und Aussagemöglichkeiten beschränkt, sondern scheinen sich auch offen oder verdeckt zu widersprechen. Diese Widersprüche lassen sich zum Teil dadurch auflösen, dass für einen Wissensbaustein (ein Arbeitsmodell oder ein theoretisches Konstrukt) seine jeweiligen Geltungsbedingungen möglichst präzise formuliert und der Standpunkt angegeben wird, von dem aus er gebildet wurde.

Tut man dies, so tritt häufig der Fall ein, dass ein Phänomen mit mehreren dieser scheinbar widersprüchlichen Wissensbausteine beschrieben und – zumindest teilweise – erklärt werden kann. Die Unterschiedlichkeiten und gegenseitigen Widersprüchlichkeiten der Wissensbausteine müssen dabei kein grundsätzliches Problem aufwerfen, da häufig ihre Verschiedenartigkeit auf unterschiedliche Ausgangsstandpunkte und Geltungsbedingungen zurückzuführen ist.

Sie schließen sich somit logisch nicht gegenseitig aus, sondern sie sind komplementär in dem Sinne, dass sie sich in gewisser Weise gegenseitig ergänzen. Der Umgang mit Komplementarität in dieser Art ist der Physik schon seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts vertraut. Damals stellte sich heraus, dass viele Phänomene die die Quantenphysik beschreibt, mit solch komplementären – also im Alltagssinne zunächst widersprüchlichen Modellen – beschrieben werden können.

Diese Widersprüchlichkeit kommt dadurch zustande, dass jedes der Beschreibungsmodelle eine andere Blickrichtung auf das betrachtete Phänomen wirft. Um derartig verschiedene Sichtweisen miteinander zu versöhnen, formulierte Niels Bohr das Komplementaritätsprinzip. Dieses Komplementaritätsprinzip dürfte heute nicht nur für die Quantenphysik, sondern auch fl1r die gesamte Lebensforschung, die nach unserer Alltagserfahrl.Ulg einen materialistischen (Schulmedizin) wid einen transmaterialistischen (Homöopathie, Geistheilen, Anthroposophische Medizin, Orgonomie) Zugang hat, Gültigkeit erhalten.

Im Folgenden bezeichnen wir zwei Modelle oder begriffliche Konstrukte als komplementär, wenn sie

  • sich auf das gleiche Phänomen oder den gleichen Objektbereich beziehen.
  • beide wissenschaftliche Sichtweisen repräsentieren.
  • beide „grundlegende“ Wahrheitskriterien erfüllen,
  • zu andersartigen Ergebnissen oder zu Widersprüchlichkeiten führen,
  • auf unterschiedlichen Sichtweisen, Standpunkten oder Ausgangsvoraussetzungen
    beruhen.

Wir vermuten, dass derartige komplementllre Beschreibungen zu ein und derselben Wirklichkeit unter dem Dach eines übergeordneten integralen Weltbildes zusammengeführt werden können, über das wir allerdings derzeit möglicherweise noch nicht verfügen. Fasst man den Begriff der Komplementarität, so wie hier vorgeschlagen, so ermutigt er zu einem wissenschaftlich korrekten, aber liberalen, Umgang mit scheinbar widersprüchlichem Wissen. Dieser Umgang ist vor allem da angezeigt, wo sich etablierte (materialistische) Naturwissenschaft und unkonventionelles, an spirituellen regulativen Ideen orientiertes Wissen scheinbar kontradiktorisch gegenüber stehen.

Das pragmatische Komplementaritätsprinzip des Wissens besagt, dass keines der konkurrierenden Arbeitsmodelle oder Konstrukte komplementären Wissens im obigen Sinn bis zur Widerlegung eines der konkurrierenden Modelle, oder zur Integration beider Modelle in einem übergeordneten Modell, aus wissenschafts-theoretischer Sicht diskriminiert werden darf. In Zeiten des Weltbildwandels, wie der unseren, existieren in der Regel gewachsene Wissensbausteine neben sich neu bildenden. Die einen stammen aus Sichtweisen vor dem Paradigmensprung, während die anderen den sich anbahnenden Paradigmensprung, zumindest ansatzweise, – manchmal vermutlich auch verzerrt – vorweg nehmen.

Dass unter solchen Bedingungen komplementllres Wissen aufeinander triffi, ist nicht nur möglich, sondern hochwahrscheinlich und in unserem gesellschaftlichen Alltag auch durchwegs zu beobachten. So unterscheiden sich z.B. etablierte Krebstheorien, die vor allem organbezogen argumentieren, von komplementllrmedizinischen Sichtweisen, die ihr Augenmerk vor allem auf den Menschen als komplexes seelisch-geistiges Wesen richten und sich dabei um die Organspezifik häufig relativ wenig kümmern.

Das hier vorgeschlagene ,,Komplementaritätsprinzip des Wissens“ bezeichne ich als pragmatisch, da es auf einem pragmatischen Beschluss beruht, der darauf abzielt, ,,fremdem“ Wissen mit aufgeklärter Liberalität anstatt mit dogmatischer Ignoranz zu begegnen. Für die weitere Entwicklung der Naturwissenschaften in unserer Gesellschaft wird es wesentlich sein, ob es gelingt, auf dem pragmatischen Komplementaritätsprinzip von Wissen aufbauend, faire Arbeits- und Umgangsformen mit komplementllren Wissensbausteinen oder Wissenskonstrukten zu kreieren und zu praktizieren.

Ausblick

Wie immer man auch die Dinge dreht und wendet, der Wechsel von der Industrie- zur Wissensarbeit ist weltweit zu beobachten, auch wenn er die hoch industrialisierten Staaten derzeit am meisten erschüttert und verändert. Kultur-Kreative Werthaltungen breiten sich von den westlichen Staaten über den Gesamtglobus aus und die Neue Praxis hat vielflUtige europäische und außereuropäische Wurzeln. Es dürfte heute keinen Staat geben, in dem sie sich nicht – häufig kulturell stark gefllrbte – Heimstätten schafft.

Noch dominiert in unserer Gesellschaft das wissenschaftliche Weltbild des vergangenen Jahrhunderts. Das neue zeichnet sich zwar ab, aber es hat noch keine einheitliche Gestalt. Es lässt sich jedoch erahnen, wenn man nach den Gemeinsamkeiten der vielen heute singulär stattfindenden Entwicklungen in Richtung einer erweiterten Naturwissenschaft fragt. Das im folgenden Abschnitt geschilderte Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft kann eine Grundlage, einen Rahmen und eine Orientierungsperspektive bieten, in der die vielflUtigen Zugänge ins Neuland einer transmaterialen oder spirituellen Weltsicht miteinander in Verbindung gesetzt und zumindest miteinander ins Gespräch gebracht werden können.

Das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft

Vorbemerkung

Die Idee, die dem Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft zugrunde liegt, ist ziemlich simpel. Es geht schlicht und einfach darum, Naturwissenschaft fl1r das Verständnis der Wirksamkeit des Geistigen in Natur- und Lebensprozessen zu öflhen. Doch so einfach wie dieses Anliegen klingen mag, so schwierig erscheint es zunächst, dies konkret zu realisieren. Gilt es doch, eine strukturierte, mit den heutigen Erkenntnissen von Naturwissenschaft vereinbare Vorstellung des Geistigen und seiner Wirkungsweise zu entwickeln. Dies wird nur möglich, wenn man den paradigmatischen Rahmen in dem Naturwissenschaft betrieben wird, um zumindest eine Dimension erweitert. Solch eine Erweiterung kann stets nur axiomatisch, d.h. durch die Veränderung von Grundannahmen, unter denen Naturwissenschaft betrieben wird, vorgenommen werden.

Im Folgenden wird der Weg geschildert, auf dem eine derartige Erweiterung des naturwissenschaftlichen Paradigmas angegangen werden kann. Diese Schilderung muss hier sehr knapp und abstrakt gefasst werden. Es kann daher sein, dass sie für Leser, die sich bislang wenig oder gar nicht mit Wissenschaftstheorie beschäftigt haben, nur sehr schwer nachvollziehbar ist.

Dennoch fl1hrt an den im Folgenden dargelegten Betrachtungen – zumindest auf grundsätzlicher Ebene – kein Weg vorbei, will man das herrschende, für das Verständnis unserer Alltagserfahrung zu enge, materialistische Paradigma der Naturwissenschaften so weit öffnen, dass es auch ihm bislang unverständliche Erscheinungsformen des Lebendigen zu begreifen vermag. Die im Folgenden sehr knapp gehaltenen Ausfllhrungen zur Beschreibung und Begrilndung des Paradigmas einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft werden jedoch durch Publikationen des ZZB, die an anderer Stelle erschienen sind, ergänzt und erweitert (www.nachmaterialistische-naturwissenschaft.de, www.zzb-internet-bibliothek.de, www.verlag-edition-zukunft. de oder Bechmann, 2004 /1 und 2004/2).

Zum Wissenschaftskonzept

Wissenschaftsbegriff

Wissenschaft zielt auf Erkenntnis von Welt. Wahrnehmend versucht sie die Welt als Seiendes zu erfassen. Denkend entwickelt sie theoretisierende und deutende Vorstellungen über die Welt. Experimentierend und handelnd überprüft sie die Reaktionen der Welt auf ihre Vorstellungen. Werner Hotinann (Hofmann, 1968) hat dieses Wissenschaftsverständnis einfach und klar formuliert.

An seinem Wissenschaftsbegriff werden wir uns im Folgenden orientieren. Dieser Wissenschaftsbegriff fügt sich harmonisch an den hier verwendeten Wissensbegriff an, der unter Wissen „angemessene, richtige, wahre Vorstellung von Welt“, versteht.

,,Im formalen Sinne bezeichnet Wissenschaft eine methodische ( d.h. systematische und kritische) Weise der Erkenntnissuche. Ihrem allgemeinen Inhalt nach ist Wissenschaft gerichtet:

  • auf das Erscheinungsbild der Wirklichkeit (als sammelnde, beschriebene, klassifizierende Tätigkeit, als Morphologie, als Typologie usw.)
  • als theoretische Arbeit auf Zusammenhang, Bedeutung, Sinngehalt der Erscheinungen, auf wesentliche Grundsachverhalte, auf Gesetze der Wirklichkeit.

Damit ist gesagt:

  • Wissenschaft ist nicht durch den Erkenntnisgegenstand bestimmt ….
  • Wissenschaft steht nicht in strengem. ausschließlichem Gegensatz zum einfachen Wahrnehmen und Denken – Wld damit der Wissenschaftler nicht im Gegensatz zum einfachen Menschen.“ (Hoftnann. 1968, S. 44)

Im Sinne Werner Hofmanns ist Wissenschaft eine ,,gesellschaftliche V eranstaltung“. Die „Wahrheit“ ihrer Ergebnisse erweist sich ,,letztendlich“ in der gesellschaftlichen Praxis, in ihrem Beitrag zur Gestaltung und Veränderung von
Welt.

Die Paradigmatische Ankerung llon Wissenschaft

Konkrete Wissenschaft kann nicht voraussetzungsfrei betrieben werden. Ihre Ergebnisse sind daher auch nur im Rahmen der jeweils vorgegebenen Voraussetzungen wahr oder gültig. Hinsichtlich dieser Voraussetzungen unterscheiden sich konkrete Schulen, Theoriegebäude oder gar Wissenschaftssysteme häufig sehr erheblich. Thomas Kuhn (K.uhn, 1973) hat die Voraussetzungen praktizierter Wissenschaft im Begriff des Paradigmas zusammengefasst und damit den Begriff des Paradigmas in die wissenschaftstheoretische Diskussion eingeführt.

Paradigmen spielen aus seiner Sicht für die Entwicklllllg von Wissenschaft eine zentrale Rolle. Paradigmen sind Modelle, Denkschemata oder gedankliche Raster, die bei jeder wissenschaftlichen Tätigkeit, insbesondere für jede Theoriebildung, als gegeben vorausgesetzt werden. D.h. in einem Paradigma sind die Bestandteile und Grundsteine einer Theorie erfasst, die innerhalb dieser Theorie selbst nicht mehr thematisiert werden. Paradigmen dienen somit nicht zuletzt der Grenzziehung. Sie trennen einen „wissenschaftlichen Erkenntnisraum“ von seiner „Umgebung“.

Ein Paradigma umfasst die Grundprinzipien und das Selbstverständnis eines wissenschaftlichen Ansatzes, eines Wissenschaftsgebietes oder einer Theorie. Wissenschaftler, die ein gemeinsames Paradigma verbindet. werden untereinander kommunikationsfllhig. Es wird ihnen möglich. sich kleinen Teilbereichen ihrer speziellen Wissenschaft zu widmen, ohne den Boden unter den Füßen oder den übergeordneten Kontext über dem Haupt zu verlieren.

Strukturelle Dimensionen der Wissenschaft

Geht man von der Struktur und den Grundlagen wissenschaftlich gestalteten Wissens aus, so beruhen Wissenschaft und wissenschaftliches Wissen auf vier Komponenten. Diese Komponenten sind:

  • WahrnehmungenWissenschaftler treffen explizite oder implizite Abreden darllber, welche Wahrnehmungen sie als zulässig fUr Wissenschaft und welche sie als wissenschaftlich nicht zulässig erachten. Ein Physiker wird z.B. immer seinem Augenschein vertrauen, wenn er etwas beobachten oder wenn er Geräte ablesen will. Er wird Sehen filr eine wissenschaftlich zulässige Wahrnehmungsform halten. Er wird jedoch Hellsehen, das die meisten von uns nicht können, vielleicht fUr möglich halten. Aber er wird es nicht fUr eine wissenschaftlich korrekte  Wahrnehmungsform erklären.
  • Empirische KonzepteBeobachtungen werden in der Regel, wenn sie einzeln auftreten, stets auch in Zweifel gezogen. Man hat deshalb pielregeln eingeführt, ab wann ein Fakt als Fakt gilt. Hierbei spielen z.B. statistische Verfahren eine wichtige Rolle, die absichern, ob eine Beobachtung als Zufall oder als systematische Erfahrung zu deuten ist. Es gab und gibt natürlich auch andere Wege Erfahrungen systematisch zu stabilisieren. Prinzipien und Regelsysteme nach denen Erfahrungsaussagen konstituiert werden, werden hier als Empirische Konzepte bezeichnet.
  • Theoretische Begriffe und ArbeitsmodelleUnter dieser Überschrift fassen wir hier Fachbegriffe, Erklärungsmodelle sowie all die Sprachkonstrukte, die in wissenschaftlichen Theorien genutzt werden und vermittels derer sich Wissenschaftler verständigen. Durch theoretische Begriffe und Arbeitsmodelle fixieren wir nicht nur Wissen, sondern wir schaffen auch einen Rahmen, um unsere empirischen Erkenntnisse zu ordnen und um sie miteinander zu verbinden. Erfahrungswissenschaften unterscheiden zwischen einer Empirie- und einer Theorieebene, wobei auf der Empirieebene vor allem Erfahrungen beschrieben werden, die dann auf der Theorieebene erklärt oder interpretiert werden.
  • Regulative IdeenTheorien benötigen selbst wiederum einen Rahmen, in dem Begriffe und Arbeitsmodelle geordnet und orientiert werden. Diesen Rahmen bezeichnen wir nach Kant als Regulative Ideen. Solche Regulativen Ideen entstammen nicht mehr der Erfahrung, sondern sie helfen uns Erfahrung zu strukturieren. Sie sind in gewisser Weise Annahmen, die wir in die Wissenschaft hineintragen müssen, damit diese funktioniert. Kant hat auf die, Wissenschaft konstituierende, Bedeutung Regulativer Ideen eindringlichhingewiesen.

Grenzen und Erweiterungsmöglichkeiten herrschender Naturwissenschaft

Indem wir Wissenschaft in den oben genannten vier Komponenten beschreiben,
können wir sozusagen von außen darllber nachdenken, was wir von
wissenschaftlichem Wissen erwarten und wo seine Grenzen liegen könnten.
Diese Grenzen liegen z.B. darin, dass man

  • den Wahrnehmungsbegriff enger oder weiter fassen kann. Geht man von dem aus, was alle Menschen mit Sicherheit wahrnehmen, sofern sie gewissen ,,Normalitätskriterien“ genügen, so ist Wahrnehmung intersubjektiv gut überprüfbar, aber relativ eng. Blickt man auf das, was zumindest ein einziger Mensch wahrnimmt oder wahrzunehmen behauptet, so wird das Feld der potenziell relevanten Wahrnehmung sehr viel größer, aber dafür auch weniger überschaubar und kaum kontrollierbar.
  • die Grenzen ,,anerkannter“ Empirie variieren und unterschiedlich weit ziehen kann. So sind z.B. Konventionen darüber zu bilden, ob Erfahrungen, die ein Mensch macht, bereits als wissenschaftliche Erfahrung gelten soll oder ob Erfahrungen erst dann als wissenschaftlich gesicherte Erfahrungen gelten dürfen, wenn sie statistisch gesichert werden können. Dies ist z.B. fUr die Medizin sehr wichtig. Gilt eine Nebenwirkung, die ein Mensch auf ein bestimmtes Medikament zeigt, bereits als Problem, oder ist eine Nebenwirkung erst dann ein Problem, wenn sie statistisch gesichert auftritt?
  • Begriffe und Arbeitsmodelle unterschiedlich differenziert entwickeln und verwenden kann. Dies wird z.B. daran deutlich, dass sich zum gleichen Themenbereich witerschiedliche so genannte wissenschaftliche Schulen bilden können, die die gleichen Erfahrungen entweder mit witerschiedlichen Begriffen wid Modellen beschreiben oder die zumindest die verwendeten Begriffe und Modelle unterschiedlich interpretieren.
  • Regulative Ideen, die ja allemal Annahmen sind, welche nach herkömmlicher Meinung keine empirische Basis besitzen, unterschiedlich vorgeben kann und damit sehr witerschiedliche Theorien konstruiert. So ist z.B. die in der Wissenschaft derzeit gängige Annahme, dass Gott in materielle Prozesse nicht unmittelbar eingreifen kann, eine Annahme, über die noch bis vor hundert Jahren heftig gestritten wurde. Sie lässt sich bis heute weder beweisen noch widerlegen.

Wissenschaftliches Wissen ist daher nie pure Erkenntnis von Welt, sondern es wird geformt durch den verwendeten Wahrnehmungsbegriff, durch das gewählte Empiriekonzept, durch die zugelassene theoretische Begriffs- und Modellwelt wid ‚last but not least‘ durch die genutzten Regulativen Ideen. Die hier angesprochene Abhängigkeit der Wissenschaft von paradigmatischen Vorentscheidungen ist Philosophen und Wissenschaftstheoretikern seit langem selbstverständlich. Für Naturwissenschaftler, die sich im Alltagsgeschäft der Forschung bewegen, gerät dies jedoch leicht in Vergessenheit. Sie arbeiten mit den vorgefundenen und aus ihrer Sicht bewährten Annahmen zu allen vier
genannten Komponenten.

Wissenschaftstheoretiker und Philosophen hingegen, die über das theoretische Wissen von den Strukturen des wissenschaftlichen Wissens verfügen, produzieren in der Regel jedoch keine Naturerkenntnis, sodass ihr Wissen handlwigsfem bleibt und kaum Einfluss auf die konkrete Alltagspraxis naturwissenschaftlicher Forschung nimmt. Es dürfte sehr interessant sein, diese fast paradoxe Situation, insbesondere witer den Vorzeichen der  Wissensgesellschaft, weiter auszuloten.

Stufen der Erweiterung

Der Übergang vom Paradigma einer materialistischen Naturwissenschaft zu dem einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft wird möglich, indem das so genannte Zwei-Ebenen-Postulat eingeführt wird. Es witerstellt, dass unsere Welt stets eine materiale und eine transmateriale Dimension besitzt.

Wie diese transmateriale Dimension jedoch beschaffen ist, bleibt – zumindest auf der paradigmatischen Ebene – vorerst offen. Ausgebend vom herrschenden materialistischen naturwissenschaftlichen Paradigma kann diese Öffimng in ,,Stufen“ angegangen werden. Auf jeder Stufe gilt es, eine zusätzliche transmateriale Dimension von Welt zu postulieren und deren Evidenz zu begrllnden. Diese stufenhaften Erweiterungsmöglichkeiten sind:

  • das Postulat eines Universalfeldes.Die Annahme von der Existenz eines Universalfeldes witerstellt, dass der Raum Eigenschaften besitzt, die über das heute von der Physik Beschriebene hinausgehen. Solche Eigenschaften werden traditionell unter Begriffen wie ,,Äther“ (Anthroposophie), ,,Orgonfeld“ (Wilhelm Reich) oder ,,morphisches Feld“ (Sheldrake) beschrieben. Obwohl die Genannten und weitere in Frage kommenden Begriffsbildungen keineswegs identisch oder auch nur kongruent sind, bezeichnen sie doch alle Eigenschaften eines uns um.gebenden Feldes, das Lebensprozesse ebenso essenziell beeinflusst, wie die Formbildwig, in der belebten Welt. Man spricht deshalb auch von Lebenskräften, von Bildekrllften oder von Lebensenergie, wenn man das hier angesprochene Universalfeld meint.
  • das Postulat von emotiven Kräften und Programmen.Es behauptet die Existenz von Kräften, die wir in unserem Inneren als Gefühle oder als, Empfindungen wahrnehmen. Man kann sie deshalb als emotive Kräfte bezeichnen. Wir erleben sie häufig nicht nur als Kraft, sondern als Motor von Handlungsprogrammen, die mehr oder weniger fest in uns verankert sind. Auch tierisches, triebgebundenes Verhalten dürfte durch derartige emotive Programme gesteuert und ausdifferenziert gesteuert werden. Emotiven Kräften und Programmen begegnen wir unter Begriffen wie ,,Astralfelder“ (Anthroposophie), ,,Wirkwigen von Gestirnen“ (Astrologie) oder in unklarer Vermengung mit dem Konzept des Universalfeldes (Orgonomie).
  • das Postulat von der Existenz zu freien Willensentscheidungen fllhiger Subjekte (geistige Ich-Wesen).Als Mensch erleben wir uns in unserer Tiefe als Subjekt, das jedoch in einem Körper wohnt und eine Seele oder Psyche hat, wodurch seine aufgehoben wird. Subjekte oder Ich-Wesen in diesem Sinn, treten in der uns umgebenden Welt jedoch stets an physische Körper gebunden auf. Erst im Tod können sie sich – dies ist zumindest die Vorstellung, die hierzu weit verbreitet ist – von diesem Körper lösen und einen rein transmaterialen Zustand annehmen.
  • das Postulat von der Existenz nicht materialisierter geistiger Wesen.Solche geistigen Wesen werden z.B. herkömmlicherweise als Elementarwesen, als Engel, als Erzengel oder auch als Dämonen vorgestellt. Ihnen allen soll gemeinsam sein – so die Vorstellung, die sich an sie bindet – dass sie in die von uns belebte Welt hineinwirken können, ohne sich jedoch in ihr zu materialisieren.

Die hier aufgeführten möglichen vier Stufen der Erweiterung des materialistischen naturwissenschaftlichen Paradigmas müssen im Rahmen einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft keineswegs in einem Laufgenommen werden. Es gibt Bereiche einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft, in der die materialistische Weltsicht vollkommen  ausreicht, um sich mit dem betrachteten Weltausschnitt angemessen befassen zu können.

Analoges gilt für andere Themenfelder, in denen es genügt, die Existenz eines, Lebensprozesse beeinflussenden, Universalfeldes vorauszusetzen (Lebensenergie), um die betrachteten Zusammenhänge wissenschaftlich befriedigend verstehen zu können. Die Vorstellung, dass nicht-materialisierte Wesen in unsere materielle Welt hineinwirken können, mag manchem Naturwissenschaftler grundsätzlich undiskutabel erscheinen. Für große Bereiche der Naturforschung wird diese Annahme – selbst wenn man sie zulässt – unwesentlich bleiben, sodass es keineswegs notwendig ist, den Umgang mit einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft an eine Erweiterung, bis zum Postulat von der Existenz
nicht-materialisierter, potenziell in die Welt hineinwirkender Wesenheiten zu binden.

Es ist sicherlich etwas problematisch, die inhaltliche Erweiterung der etablierten Naturwissenschaft so formal und verkürzt zur Diskussion zu stellen, wie dies im Vorangehenden geschieht, aber mit dieser Charakteristik ist die Frage nach den Erweiterungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten des etablierten materialistischen naturwissenschaftlichen Paradigmas de facto auf den Punkt gebracht. An ihr wird sich jeder zukünftige Versuch, das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft zu konkretisieren und auszugestalten – also jedweder Versuch der Erweiterung des materialistischen naturwissenschaftlichen Paradigmas – reiben müssen.

Die Konturen des Paradigmas einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft

Das Wissenschaftskonzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft Nachmaterialistische Naturwissenschaft lässt sich auf den allgemein akzeptierbaren Wissenschaftsbegriff Werner Hofinanns gründen. Sie zielt darauf ab, die gesellschaftliche Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu fördern sowie Anregungen aus der gesellschaftlichen Alltagspraxis des Umganges mit Natur und Leben aufzugreifen.

Im Kant’schen Sinne unterscheidet Nachmaterialistische Naturwissenschaft zwischen ,,Regulativen Ideen/Regulativen Konzepten“, Theoriebildung, Empirie und Wahrnehmung.- Dabei

  • gründet Empirie auf Wahrnehmung,
  • stützt sich Theoriebildung auf die Verstandestätigkeit, die die Begriffe und die Argumentationsmuster schafft, in denen Wahrnehmungen erfasst und abgebildet werden können.
  • bezeichnet Vernunft die entwickelte, tiefste menschliche Form des Denkens, die Regulative Ideen und Konzepte bildet, mit deren Hilfe Theoriebildung strukturiert und angeleitet wird.

Regulative Konzepte im Kant’schen Sinne beruhen nicht auf Erfahrung, sondern sie sind Geschöpfe der Vernunft. Ohne sie ist jedoch sinnvolle Theoriebildung kaum möglich. Theoriebildung vollzieht sich nach dem hier vertretenen Wissenschaftskonzept im Spannungsfeld von, auf Wahrnehmung gegründeter Empirie (Pol A) und durch Wahrnehmung nicht begründbaren Regulativen Ideen (Pol B).

Die paradigmatischen Vorgaben einer Theorie können in diesem Sinne als Regulative Ideen und Konzepte angesehen werden. Das Gleiche gilt auch fUr manche, der im Rahmen einer Theorie verwendeten Orientierungs- und Arbeitsmodelle sowie vor allem fUr die als zulässig erachteten Wahrnehmungsformen. Das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft unterscheidet sich von dem der herrschenden materialistischen Naturwissenschaft dadurch, dass es Regulative Ideen zulässt, die Letztere ablehnt und Wahrnehmungsformen akzeptiert, die der Materialismus ausgrenzt.

Bausteine und Methoden einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft im Überbück Das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft beruht im Wesentlichen auf drei Säulen. Dies sind

  • ein Axiomensystem, das das sog. Zwei-Ebenen-Postulat enthält. (Bechmann, 2004/1)
  • die Methode des Synergetischen Konstruktivismus sowie den Vorgehensweisen des Gestaltenden Wissensmanagements.(Bechmann, 2004/3)
  • die wissenschaftstheoretische Position eines aufgeklärten analytischen
    Neopragmatismus. (Stachowiak, H., 1997)

Die Komponenten des Arbeitskonzeptes einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft
lassen sich weiter konkretisieren und wie folgt systematisieren:

  • OrientierungskonzeptEs umreißt die Regulativen Ideen, witer denen das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft antritt.
  • Methodisches KonzeptEs skizziert die wissenschaftstheoretische Position, die verwendete Wissenschaftssprache, die gebräuchlichsten Kernmethoden wid die generell bevorzugten Formen des Umganges mit Wissen.
  • Zulässige WissensbasisSie umreißt die Wissens- und Erfahrungsbereiche, denen sich eine Nachmaterialistische Naturwissenschaft grundsätzlich öffuet. Dies gilt sowohl im Hinblick auf als zulässig betrachtete Theorien, als auch filr die von ihr als relevant erachteten Erfahrungsbereiche.
  • Zulässige WahrnehmungNachmaterialistische Naturwissenschaft gründet wie alle Naturwissenschaft auf sinnlicher Wahrnehmung. Sie lässt aber unter gewissen Bedingwigen auch hellsinnliche wid geistige Wahrnehmungsformen gelten.
  • Verwendetes WahrheitskonzeptDas Wahrheitskonzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft ist liberalistisch. Je nach Forschungsfeld wid nach im Einzelfall benennbaren Rahmenbedingwigen kommen empiristische (Bestätigung, Falsifikation oder praxiologische Folgewirkungen von Handlwigen) als Wahrheitskriterien zur Anwendwig.
  • Pragmatisches Komplementariffitsprinzip des Wissens

Der standardmäßige Arbeitsprozess einer Nachmaterialistischen Naturforschwig führt von der Frage Ober die Analyse des Vorgefundenen hin zur Konstruktion der Antwort. Dabei gründet sich Nachmaterialistische Naturwissenschaft auf eine systemtheoretische Betrachtung von Welt, den Synergetischen Konstruktivismus und die ihm eigenen paradigmatischen Annahmen. Das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft bietet eine Plattform, auf der unterschiedlichste wissenschaftliche und vorwissenschaftliche Erkenntnistraditionen zusammengeführt werden können.

Es bildet, zumindest auf paradigmatischer Ebene, die Grwtdlagen filr ein neues naturwissenschaftliches Weltbild. Die hier nur sehr grob skizzierte Struktur des Konzeptes einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft lässt sich filr alle genannten Bereiche vertiefen und konkretisieren.

Orientierungen einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft

Das Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft kann auf paradigmatischer Ebene durch Postulate gefasst werden. Es handelt sich dabei um:

  • Das Zwei-Ebenen-PostulatDieses Postulat Wlterstellt, dass
    • Welt und Natur zwei Ebenen/Dimensionen besitzen: eine materiale Dimension (Strukturbildung, Manifestation) Wld
    • eine transmateriale, geistige Dimension (Organisationsbildung, Intelligenz).

    Beide wirken in allen Bereichen der wahrnehmbaren Welt zusammen.
    Beide verweisen auf ein – ihnen vorgelagertes – All-Ursprüngliches.

  • Das Empirie-PostulatEs unterstellt, dass auch transmateriale Auslöser von Wirkungen grundsätzlich auf direktem oder zumindest indirektem Wege wahrnehmbar sein müssen, um wissenschaftliche Beachtung zu finden.
  • Das Integrations-PostulatEs verlangt, dass Nachmaterialistische Naturwissenschaft fllhig sein soll wissenschaftlich witerschiedlich gestaltete Zugänge zur Beschreibwig wid zur Deutwig von Welt fair wid vergleichend zu erfassen sowie diese in einem aperspektivischen Weltbild zu integrieren.
  • Das Aktualitäts-PostulatEs fordert, dass Nachmaterialistische Naturwissenschaft sowohl in methodologischer als auch in wissenschaftstheoretischer Hinsicht den Erfahrungen und Erkenntnissen der jeweiligen Zeit entsprechen muss sowie dass sie in der Lage sein soll, empirisch oder methodologisch gesicherte Erkenntnisse etablierter Naturwissenschaft zu integrieren.
  • Das Wissenschaftlichkeits-PostulatEs besagt, dass Nachmaterialistische Naturwissenschaft den allgemein anerkannten methodischen wid wissenschaftstheoretischen Kriterien der Wissenschaftlichkeit gerecht werden soll.

Im Zentrum der Postulate einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft steht das Zwei-Ebenen-Postulat. In ihm drückt sich das zentrale Anliegen Nachmaterialistischer Naturwissenschaft aus. Nachmaterialistische Naturwissenschaft erkennt Subjektivität/Individualität als eigenständigen Gegenpol zu Materie an. In beiden manifestiert sich Geist, wenn auch auf sehr unterschiedlichen Wegen und in sehr witerschiedlichen Formen.

Nachmaterialistische Naturwissenschaft legt sich nicht in dogmatischer Form auf eine bestimmte Form der EvidenzbegrUndwig für die von ihr verwendeten regulativen Ideen und Konzepte fest. Sie lässt grwidsätzlich die gesamte Spanne von Vernunfts-Begründungen bis hin zur Berufung auf Offenbarungswissen zu.

Wissensstrukturierende Regulative Ideen im Rahmen einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft

Nachmaterialistische Naturwissenschaft bevorzugt Regulative Ideen, in denen Geist als ein Eigenständiges, nicht auf eine Erscheinungsform von Materie Reduzierbares angesehen wird. Nachmaterialistische Naturwissenschaft kann mit unterschiedlichen Regulativen Konzepten arbeiten, sofern diese zumindest dem Zwei-Ebenen-Postulat entsprechen.

Gängigerweise wird von ihr, die für uns erfahrbare Welt stets als ein Bereich gesehen, in dem Geist und Materie zusammenwirken. Materie steht dabei filr Struktur, Raum und Gesetz, während Geist Organisation, Zeit und Prinzip präsentiert. In allen Lebewesen manifestiert sich aus Sicht einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft das Zusammenwirken von Geist und Materie. Geist und Materie lassen sich dabei nur als polare Gegensätzlichkeiten denken, die wir jedoch in unserer Welt stets im verbindenden Bezug und im Zusammenwirken wahrnehmen.

Das Zusammenwirken von Geist und Materie lässt sich besonders dort gut ausmachen, wo wir auf Grenzbegriffe etablierter Naturwissenschaft treffen. Diese Grenzbegriffe, die Grenzen herrschender Erkenntnis anzeigen, resultieren in ihrer Unsicherheit häufig daraus, dass nur die materielle Dimension des betreffenden Objektbereiches ins Auge gefasst wird und die geistige Dimension wissenschaftlich nicht erschlossen wird. Die unter Berücksichtigung der Wirksamkeit des Geistigen zu konstatierenden Dimensionen unserer Erfahrungswelt lassen sich an der menschlichen Selbstwahrnehmung, die ihrerseits auch ein Regulatives Konzept filr Nachmaterialistische Naturwissenschaft liefert, evident ablesen. (Bechmann, 2004 /2)

Es handelt sich dabei um die Dimensionen

  • Körperlichkeit
  • Vitalfeld/Lebensgefllhl
  • Seele/Emotionen (Erleben und Antrieb)
  • Ich-Erleben (freie Entschlüsse und frei eingesetzter Wille).

Folgt man dieser Sichtweise, so wird die uns umgebende Welt nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch geistige Prinzipien, die sich über Handlungen und ungebundenes V erhalten ausdrücken, gestaltet und entwickelt. Subjektivität erscheint so nicht mehr als eine Folgewirkung komplexer Materie, sondern als Manifestation eigenständiger  Geistigkeit.

Erste Grobkonturen des Projektes „Nachmaterialistische Naturwissenschaft“

Das Projekt ,,Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ ist ein Grundlagenprojekt. Es soll Weichen stellen und dadurch eine systematische Öffnung des heute herrschenden materialistischen naturwissenschaftlichen Paradigmas ermöglichen. Dies wird auf der Basis der Axiome einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft durch die Erweiterung der zugelassenen Regulativen Konzepte und Wahrnehmungsbegriffe angestrebt. Wird diese Erweiterung vollzogen, so wird es möglich, Arbeitsmodelle und Empiriekonzepte zu fonnulieren, die den neu entstanden Erkenntnisspielraum ausfüllen.

Als Einstieg in den systematischen Umgang mit dem Konzept einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft solle das vorliegende Projekt vor allem den begrifflichen und methodischen Rahmen einer nachmaterialistischen naturwissenschaftlichen Sichtweise liefern. Dieser Rahmen soll möglichst differenziert ausgestaltet werden. Die dafür geschaffenen Arbeitsmodelle und Empiriekonzepte sollen anhand vorliegender Erfahrungen und vorliegenden Wissens in Bezug auf ihre Evidenz und Stimmigkeit überprüft werden.

Ausblick

Das Projekt einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft mag zwar ambitiös erscheinen, aber es entspricht durchaus den Möglichkeiten unserer Zeit. Der ihm zugrunde liegende Gedankengang lässt sich abschließend wie folgt zusammenfassen:

  • Im Alltag unserer Gesellschaft bildet sich seit zwei Jahrzehnten zunehmend zukunftsrelevantes unkonventionelles Wissen. (Neue Praxis)
  • Dieses Wissen steht in einer grundsätzlichen Komplementaritätsbeziehung zum anerkannten Wissen herrschender (materialistischer) Naturwissenschaft.
  • Unserer Gesellschaft wäre ,,zukunftsdumm“, wenn sie dieses Wissen nachhaltig ignorieren würde, anstatt sich der Herausforderung zu stellen, einen Zugang zu ihm zu finden und es zu integrieren.
  • Das Paradigma einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft bietet eine Grundlage zur Verwissenschaftlichung unkonventionellen Wissens und zu dessen Vernetzung mit dem Wissen etablierter Naturwissenschaft.
  • Das ,,Projekt: Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ soll eine computergestiltztes Wissenssystem schaffen in dem
  • Die Grundannahmen, Leitvorstellungen und Methoden des Paradigmas einer ,,Nachmaterialistischen Naturwissenschaft“ dokumentiert und erläutert werden,
  • Arbeitsanleitungen und Arbeitshilfen zum Umgang mit dem Paradigma einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft gegeben werden,
  • Arbeitsmodelle und Beispielsanwendungen des Paradigmas einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft vorgelegt werden,
  • ein ,,Forschungsprogramm Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ vorgestellt wird.

Kann das Projekt erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen werden, so steht es fllr mich aufgrund der bereits vorhandenen Erfahrungen kaum in Frage, dass es zum TOröffher fllr ein neues, sehr lebendiges und innovatives Forschungsfeld „Nachmaterialistische Naturwissenschaft“ werden kann.

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Literatur:

  • Bechmann, A.: Prolog zu einer Nachmaterialistischen Naturwissenschaft – Orientierungen, Konzept, einführende Beispiele; Verlag EDITION ZUKUNFT, Barsinghausen, 2004/1
  • Bechmann, A.: Komplementärmedizin und Nachmaterialistische Naturwissenschaft -Thesen und Overheadfolien zu einem Vortrag, Barsinghäuser Berichte Bd 83, Verlag EDITION ZUKUNFT, Barsinghausen 2004/2
  • Bechmann, A.: Gestaltendes Wissensmanagement und transdisziplinäre Wissenschaft – Grundlagen, Konzept, Vorgehensweisen und Leistungspotenziale; Verlag EDITION ZUKUNFT, Barsinghausen 2004/3
  • Hofmann, W.: Wissenschaft und Technologie, in: Hofmann, W.: Universität, Ideologie und Gesellschaft – Beiträge zur Wissenssoziologie; Suhrkamp, Frankfurt/M., 1968
  • Kuhn, T.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen; Suhrkamp, Frankfurt/M., 1973 Stachowiak, H.: Pragmatik – Handbuch des pragmatischen Denkens; Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1997

Mehr Information:
Die „Vollversion“ des vorliegenden Textes (www.zzb.info =>Aktuell=> Service …. ) enthält weiterführende Literaturverweise.

Hinweis zum Autor: Prof. Dr. Amim Bechmann ist Gründer und Leiter des Zukunfts-Zentrums Barsinghausen.