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Bukumatula 1/2003

Was sucht der Mensch in der Psychotherapie

Persönlicher Nach-Klang einer Podiumsveranstaltung des Wilhelm Reich Instituts.
Beatrix Teichmann-Wirth:

Da war ich wieder wie zu Anfang der achtziger Jahre – damals bei den Wilhelm Reich Tagen – im Amerlinghaus. Ein Déja-vu. Und genauso wie damals strömten Menschen unaufhörlich in den Raum, Sitzplätze wurden geortet, Menschen standen in allen Ecken – es war „gesteckt voll“ wie man so schön sagt. Nein das ist kein Witz, wie die interessierten Buk-LeserInnen glauben mögen, es waren an die 120 Menschen hierher gekommen, um …

Da sind wir schon bei der zentralen Frage:

Was suchte der Diskussions-Besucher-Mensch am 13. Februar 2003 im Amerlinghaus?

Die Ausschreibung – veröffentlicht auch in der letzten BukAusgabe ließ vieles offen und erregte gleich einmal meinen Ärger. Da wird alles Plakative hervorgekramt, was zugkräftig zu sein scheint und vielleicht auch war. Dario Lindes prangert die „Geschäftemacherei“, „die unkritische Haltung der eigenen Zunft“, „die unrealistische Heilsversprechungen“ gegenüber dem „ahnungslosen, gutgläubigen Klientel“ ebenso an wie auch die „gegenseitigen Ausgrenzungen bis zu gezielten Verleumdungen“ von PsychotherapeutInnen.

Wovon spricht er?

Ganz in diesem Sinne war das Podium pointiert besetzt – da fand sich mit Johann Klotzinger der konsequente Therapie-Warner, mit Dr. Eva Mückstein, der Vizepräsidentin des Dachverbandes eine Vertreterin von PsychotherapeutInnen, Alfred Zopf als WRI-Therapeut, mehr jedoch in der Rollen-Besetzung des sozialkritischen Aufdeckers, dann Dr.Dr. Alfred Kirchmayr, Theologe und Adlerianischer Psychotherapeut mit Kenntnissen der Reich´schen Lehre und dann natürlich er – Hermes Phettberg, den man, wie Dario Lindes in der Eingangsrunde sagte, nicht vorzustellen braucht. Wer weiß, vielleicht sind ja auch viele „Phettberg-Schauen“ gekommen, intelligente Pointen sind ja von ihm immer zu erwarten.

Erstaunlicher- und auch erfreulicherweise wurden von den Podiums-DiskutantInnen die polarisierenden Rollenzuschreibung nicht übernommen. So „gebärdete“ sich Johann Klotzinger nicht als wütender Therapeuten-Ankläger und packte trotz mehrmaliger „Ermutigung“ nicht seinen Hass gegen diese aus. Und auch Phettberg stellte gleich einmal klar, dass er hier nicht in der Barbara Karlich-Show zu sein wünscht und erwähnte wider Erwarten zwei seiner Therapeuten durchaus lobend. Dario Lindes war als Moderator tätig, eine Rolle in die er meiner Ansicht nach nicht ganz hineinfand, zu drängend schien es zu sein, die eigenen kritischen Punkte anzuführen.

Also: Der letzte Sitzplatz wurde eingenommen (Phettberg: „Bitte den Greisen und Greisinnen die Sitzplätze zu überlassen“). Es konnte beginnen.

Das Aufbereiten von Themen:

  • Klotzinger wies auf die mangelnden Rechte des Klienten auf Auskunfts- und Wahrheitspflicht von seiten des Therapeuten hin. Dies aufgrund eigener, offensichtlich schmerzlicher Erfahrungen, im Zuge welcher er erleben musste, dass ein derartiges Ansinnen auf eine Diagnose oftmals als ein Hinweis auf die Krankheit des Patienten/ Klienten selbst gewertet wird.
  • Mückstein replizierte, dass das Diagnosestellen im Sinne des Medizinsystems in der Psychotherapie problematisch ist und viel Feingefühl von Seiten des Therapeuten braucht, wie diese in der therapeutischen Beziehung vermittelt wird. Sie problematisierte auch die ambivalenten Zuschreibungen an Psychotherapie zwischen Idealisierung – da gibt es einen, der wird mir aus meinem Leid helfen – und gesellschaftlicher Abwertung wegen Autonomieprozessen durch eine Therapie. Auch sie nahm nicht die „angebotene“ Polarisierung ein und vermittelte eine, meiner Ansicht nach sehr differenzierte Sicht und einige hilfreiche Informationen.
  • Phettberg stellte seine Vision eines (nicht nur auf Aids-Kranke beschränkten) Buddy-Systems vor, ein wie ich meine, kluger Gedanke. Begleitpersonen, oder wie er sagt „Aufpasser“, welche in ständigem, direkten Kontakt zum Klienten bleiben, Wegbegleiter, die, so würde ich sagen, Elternschaft auf dem Weg in die Autonomie übernehmen. Visionen wurden nicht nur zu Reichs Zeiten nicht gern angenommen, und so blieb auch diesbezüglich eine belächelnde Stimmung im Saal – schade. „Der Peter Altenberg, der Reich und ich – die Utopisten“ – zitierte Phettberg.
  • Kirchmayr wies darauf hin, dass es neben der zuvor angesprochenen Macht des Therapeuten auch eine Ohnmacht gibt. Er bot an diesem Abend auch immer wieder Heiteres aus dem Anekdotenschatz rund um Freud, Psychotherapeuten, Religionsangehörige und andere.
  • Der mir durch die Skan- Ausbildung so vertraute Alfred Zopf provozierte mit einer Vielzahl von plakativen Anmerkungen meinen Ärger. So sei zum Beispiel das Interesse von Psychotherapeuten, die Abhängigkeit des Klienten zu lösen aufgrund von pekuniären Interessen gering. dass diese Gefahr besteht mag wohl stimmen, doch wird der langjährige Prozess der Selbstreflexion, welcher einen Großteil der Ausbildung ausmacht, dabei außer Acht gelassen. Ungenauigkeit hat mich immer schon geärgert. Alfred hat damit – wiewohl von Dario als Fahnenträger der Reichschen Idee vorgestellt – meiner Ansicht nach vieles, was Reichs Arbeit und Ansatz essentiell ausmacht, verletzt: die Genauigkeit und Differenziertheit der Betrachtung und auch die Gründlichkeit, die jegliche vordergründige Verallgemeinerung verbietet.
  • Und der Moderator Dario Lindes war bisweilen keiner; vielleicht auch überwältigt durch die Menschenmassen ließ er die Diskussion viel zu lange auf dem Podium, bezog sich nicht auf Publikumsfragen, welche unbeantwortet blieben, brachte, wenn sich einmal gerade ein energetischer Strom herausbildete, also Spannung und Interesse im Saal spürbar wurden – eine eigene Idee in den Vordergrund, was den Spannungsaufbau – um es mit Reichs Worten zu sagen – zum frühzeitigen Abbruch brachte. Dennoch gilt ihm mein Dank, denn ohne sein großes Engagement wäre so eine Veranstaltung wohl nicht in diesem Ausmaß zustande gekommen und damit auch der Anschluss an eine im WRI lang vergessene Tradition von Auseinandersetzung mit bewegenden Themen in größerem Rahmen.
  • Und das Publikum? Sehr unterschiedlich und vielfältig – alle Schichten und Altersgruppen waren da vertreten. Konkrete Fragen zu Therapie, Beiträge über das Anpassungs- und Autonomiepotential von Psychotherapie, über die Rolle der Religion und über die Ziele von Psychotherapie wurden aufgeworfen; Wertvolles wie die Fähigkeit zur Responsibility, die Fähigkeit zum Antworten als Therapieziel oder der Wunsch nach Halt und Autorität im Sinne einer Mentorenschaft des Therapeuten und vieles mehr wurde angesprochen. Da gab es viel Buntheit im Publikum: den Hypnotherapeuten, welcher gleich eine Demonstration von hypnotherapeutischem Handeln zum Besten gab, soziologisch interessierte, ernsthafte Menschen, solche, welche eigene Therapieerfahrungen erzählten, bis zum Stephansdombesucher, welcher von seiner Beichte berichtete … So war die Zusammensetzung schillernd und viele Individualitäten sichtbar
  • Und ich? Ich saß (entgegen der Ankündigung) doch nicht auf dem Podium – sondern mittendrin. Hab mich – wohl auch durch die (psycho)therapeutische- oder mehr noch „Lebensarbeit“ – davon gelöst, die Rolle der missionierenden, die Reichsche Flagge hochhaltenden Kämpferin erfüllen zu müssen und daher meine Teilnahme an derart exponierter Stelle abgesagt.

Wenn ich mich als Resonanzkörper in dem energetischen Feld dieses Abends wahrnehme, so spüre ich Wachheit, Interesse, ein Dranbleiben, auch ein Warten, mehr vielleicht noch ein wartendes Suchen. Worauf?

Darauf, dass mich etwas berührt, dass ich etwas spüre in meinem Körper, in meinem Herzen, dass es mich vielleicht sogar erschüttert, weil etwas Altes, ein Gedankengebäude, etwas Festgefügtes durcheinandergebracht wird, letztlich auch der Wunsch wahrscheinlich sogar als stärkstes Motiv – der Wunsch nach Begegnung. Gleichzeitig, im Moment der Realisierung dieses Wunsches auch das Gewahrwerden meiner Angst, dass dort jemand die Regeln der Nichtantastbarkeit durchbricht und zur Begegnung einlädt oder mir begegnen will. In Unmittelbarkeit, mich sehend, sich zeigend. Jetzt.

Dafür bin ich dankbar, dass ich dies jetzt in der Sicherheit des Schreibtisches anlässlich des Abends – erleben kann: dass es da eine Sehnsucht gibt nach Gemeinschaftlichkeit, nach menschlicher Begegnung und vegetativem Kontakt und dass dies vielleicht hinter allen sekundären Motiven das ist, was mich (uns) dorthin ins Amerlinghaus am 13. Februar gebracht hat. Und dass es da eine ebenso große Angst gibt, welche uns dann diskutieren lässt, mit Themen beschäftigt, in Gedanken vertieft. Mit dem Ergebnis, dass man einerseits erleichtert ist – „wieder nichts was die Lebensbahn verändert hat“ -, aber einen auch hungrig, unerfüllt weggehen lässt mit der nächsten Hoffnung, dass vielleicht dann im „Plutzer-Bräu“ oder im „Lux“ gleich nebenan „Es“ stattfindet …

Ich konnte also das erleben, was unser lieber Wilhelm Reich den „tragischen Widerspruch in den Menschenmassen, den Widerspruch zwischen Freiheitssehnsucht und realer Freiheitsangst“ nennt. Dafür, und für die vielfältige Inspiration, welche dieser Abend in mir bewirkt hat, danke ich dem Dario Lindes und den anderen vom Reich Institut aufrichtig.
Und wer weiß, vielleicht findet diese Veranstaltung ja eine Fortsetzung.- Mir hat dieser Abend schon gezeigt, dass der „Mensch“ etwas sucht. Vielleicht braucht es ja Schutzräume welche es ermöglichen, dass sich diese tieferen Motive und Wünsche, das Suchen in der Begegnung ausdrücken können. Formen, Räume, BegleiterInnen, Sehnsuchtsbiotope, oder wie bei den Trobriandern das „Bukumatula“, das JunggesellInnenhaus, wo experimentiert werden darf …

  1. Epilog als ein Beitrag zur Ent-Idealisierung von PsychotherapeutInnen: Worüber sprechen drei PsychotherapeutInnen auf dem Weg nach Hause von einer Veranstaltung des Wilhelm Reich-Instituts im Amerlinghaus? Richtig geraten: Über „Starmania“ und die Niddl und die Christl und den Boris und den Michael, über deren Haartracht und das Kindische … und wer wohl abgewählt wird. Das alles kichernd, weil doch auch nicht wirklich salonfähig sozusagen, sich so was anzusehen.
  2. Epilog als ein Beitrag zur Ent-Idealisierung von PsychotherapeutInnen – diesmal schon weniger lustig: Am Samstag, dem 22. Februar fand wie seit vielen Jahren der jährliche Psychotherapeutenball im Palais Auersperg statt. Als Mitternachtseinlage war Karl Heinz Hackl vorgesehen, welcher erkrankte und durch Grissemann und Stermann vertreten wurde, die für ihren „tiafen“ Humor einschlägig bekannt sind. Sie nutzten die Gelegenheit, um in menschen-verachtender Weise alles in den Dreck zu ziehn, was menschliches Leid ausmacht … Das Ganze war gar nicht lustig. Hunderte von PsychotherapeutInnen – mich eingeschlossen – schenkten dem Unerhörten Gehör und machten gute Miene zum bösen Spiel. Hermes Phettberg hat an jenem Abend im Amerlinghaus eine Frage in den Raum gestellt, welche dort leider unbeantwortet stehen geblieben war und sich nun im Palais Auersperg in beschämender Weise beantwortet hat.- Phettbergs Frage lautete meiner Erinnerung nach: „Was macht Ihr PsychotherapeutInnen eigentlich anhand des schreienden Unglücks in der Welt?“. Die Antwort, gegeben am Samstag, dem 22. Februar: Schweigen.

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