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Bukumatula 1/2008

Wilhelm Reich und die Mysterien des Organismus

Anmerkungen zu Dusan Makavejev´s Film
von
Lore Reich-Rubin:

Vorspann:

In den USA ist Reich hauptsächlich für die „orgonebox“ bekannt. In Europa jedoch gibt es eine größere Wertschätzung für sein gesamtes Werk, insbesondere für sein frühes Engagement in der Politik und für seine Entwicklung der Körpertherapie. Reich stieß 1919 während seines Medizinstudiums auf die Psychoanalyse.

Er idealisierte Freud und war besonders von Freuds Theorien über die LibidoEnergie, der Entwicklung der menschlichen Sexualität und der Rolle der Sexualität zur Entstehung von Neurosen, fasziniert. Ich glaube, dass er nie aufgehört hat, Freud zu idealisieren, trotz ihrer späteren Dispute.

Sich auf Freud beziehend, entwickelte Reich die Theorie, dass ein psychischer Konflikt rund um das Thema Sexualität zu Abwehrhaltungen führt, die sich in der Charakterstruktur ausdrücken. Dann postulierte er, über Freud hinausgehend, dass die sexuelle Energie, die im Konflikt unterdrückt wurde, in der Muskulatur gebunden sein würde. Er nannte diese gebundene Energie „Körperpanzer“.

Des weiteren stellte er die Theorie auf, dass ein gesundes Sexualleben mit einem ganzheitlichen Orgasmus diese Bindung von Energie verhindern würde und damit auch die Bildung von Neurosen und Persönlichkeitsstörungen. Obwohl Freud nachzulesen in einem Brief an Wilhelm Fließ ähnliche Vorstellungen bezüglich eines gesunden Sexuallebens zur Neurosenverhütung hatte, äußerte er sich um 1920 diesen Ideen gegenüber äußerst ablehnend.

Wenig später ging Reich sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, dass man die Panzerung aufheben und die Sexualenergie freisetzen könne, indem man die Muskulatur dazu bringt, sich zu entspannen.

Lange Zeit später erweiterte Reich Freuds energetische Libidotheorie in eine universelle Energie, die er „Orgonenergie“ nannte. Reich wurde in den späten 1920er Jahren, als Österreich die zivilen Freiheiten aufgab, immer radikaler. Da seine Ideen mit einer sexuellen Befreiung der Gesellschaft verbunden waren, um neurotischfaschistische Entwicklungen der Gesellschaft zu verhindern, begann er in Arbeitervierteln mobile Sexualberatungsstellen einzurichten.

In der Hauptsache gab es Sexualerziehung, insbesondere zur Verhütung, da dies den Jugendlichen ermögliche, sich sexuell auszudrücken und Neurosen verhindern würde. Zur gleichen Zeit war er ein prominenter Aktivist der Sozialistischen Partei.

All diese Aktivitäten waren für Freud zu radikal; er befürchtete, dass sie die psychoanalytische Bewegung in einen schlechten Ruf bringen würden. Es kam zu einer Abkühlung in der Beziehung dieser beiden Männer, was schließlich dazu führte, dass Reich 1930 Wien verließ und sich in Berlin ansiedelte. Dort begannen die Nazis eine Bedrohung für die Demokratie zu werden. Sobald sich Reich in der neuen Stadt niedergelassen hatte, wurde er während er sich weiterhin den psychoanalytischen Forschungen widmete Mitglied der Kommunistischen Partei und verschrieb sich dem Kampf gegen die Nazis.

Zu dieser Zeit idealisierte Reich die Russische Revolution, von der er annahm, dass sie aufgrund ihrer radikalen sexuellen Freiheiten zu einer neurosenfreien Gesellschaft führen würde. Aber just in der Zeit, in der er auf Freud stieß und Freud sich gerade von seinem Interesse an Sexualität zurückzog, realisierte er, dass der Kommunismus durch die Stalinisten genauso reaktionär wurde und sich von seinen liberalen Standpunkten der sexuellen Rechte verabschiedete. Wie auch immer: Reich war sich dessen nicht gleich bewusst.

In Berlin dehnte er seine Ideen von Sexualberatungsstellen zu einer riesigen Organisation aus, genannt „SexPol“, die StasiAkten zufolge zwischen 10.000 bis 40.000 Mitglieder hatte. Damit war er eine stimmgewaltige und prominente Person in Berlin. SexPol war offensichtlich eine kommunistische Frontorganisation, und die Kommunistische Partei versuchte Reich und seine Aktivitäten zu kontrollieren.

Er war kein guter Parteigänger und weigerte sich, der Parteilinie zu folgen. Er trat für Verhütung und für das Recht auf Abtreibung ein und auf einmal waren sie gegen beides. Sie verlangten die Kotrolle über seinen Verlag, was er aber verweigerte. Seine letztendliche Enttäuschung über die Partei erlebte er bei den Wahlen 1933 wo es hieß: „Die Sozialisten sind unser Hauptfeind“ und „Nach Hitler kommen wir“. Reich begann die Kommunisten als „Rote Faschisten“ zu bezeichnen.

1934 haben sowohl die Kommunistische Partei als auch die Internationale Psychoanalytische Vereinigung Reich die Mitgliedschaft entzogen. Die Psychoanalytiker, die einen Verstoß gegen die Statuten anführten, waren besorgt, dass man die Psychoanalyse als eine kommunistische Organisation ansehen könnte; außerdem wollten sie mit einem Kompromiss die NaziRegierung in Deutschland beschwichtigen.

In der Zwischenzeit hatte Reich eine Anzahl von wichtigen Büchern veröffentlicht, und Makavejev hat die daraus resultierenden Ideen in seinen Film eingearbeitet. Diese Bücher sind die Originalausgaben von: „Die Funktion des Orgasmus“, „Die sexuelle Revolution“, „Charakteranalyse“ und „Die Massenpsychologie des Faschismus“.
Vielleicht ist für unsere heutige Gesellschaft das Konzept des Faschismus am relevantesten. In diesem Buch geht Reich davon aus, dass alle autoritären Organisationen wie der Staat, die Religion, die Familie, ihre Mitglieder durch Unterdrückung der Sexualität in Abhängigkeit halten.

Das erfolgt entweder durch Gesetze oder moralische Normen, oder durch das Schaffen einer Atmosphäre, die Sexualität beschämend oder schlecht macht. Dies schaffe eine neurotische breite Masse, die ihre sexuelle Energie unterdrückend, einen Führer bewundert und sich ihm unterwirft. Diese unterdrückte Sexualität aber sucht sich Umwege und äußert sich in Pornografie und Sadismus. Gleichzeitig nehmen sich die Führer heraus, die Sexualität für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

Indes hatte die „Sexuelle Revolution“ das Ziel, Jugendlichen sexuelle Freiheit zuzugestehen. Wie auch immer: Reichs Konzept einer sexuellen Revolution war harmlos, verglichen mit der tatsächlichen „Revolution der Sitten“, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren stattgefunden hat. Er wäre entsetzt gewesen, was hier von ihm durchgedrungen ist und hätte vieles als Pornografie abgetan.

Er war nie mit den Schwangerschaftsraten von Teenagern, mit der AIDSEpidemie konfrontiert, und die Schwulenbewegung, das Konzept der Transsexualität oder Operationen zur Geschlechtsumwandlung waren ihm unbekannt. Trotzdem wird Reich in bestimmten Kreisen für diese Ereignisse verantwortlich gemacht, insbesondere, weil ihn die Studentenrevolution in Frankreich 1968 als Held hoch hielt.

1938 entfloh Reich der deutschen Invasion Norwegens und kam mit dem letzten Schiff in die USA. Er war jetzt ein vehementer AntiKommunist, und er verabscheute die Psychoanalytiker, die ihn derart zurückgestoßen hatten. Aber hier fand von ihm wieder eine Idealisierung in Form einer Bewunderung der USVerfassung, der Demokratie und auch für Eisenhower statt. Wie für sein Leben typisch, erreichte seine Bewunderung den Höhepunkt, als gerade die McCarthyÄra mit ihren antidemokratischren Zielen über das Land schwappte.

Es besteht der Verdacht, dass es das StalinRegime in der Sowjetunion war, das ihre Feinde im Ausland zu eliminieren versuchte, was hier durch den Artikel von Mildred Brady in der Zeitschrift New Republic „The Strange Case of Wilhelm Reich“ eingeleitet wurde und sogleich die Aufmerksamkeit der FDA auf die Experimente Reichs zur Heilung von Krebspatienten mit dem Orgonakkumulator lenkte.

Der Film dokumentiert die Verfolgung durch die FDA, die Bücherverbrennung, die richterliche Verfügung gegen den Transport von Orgonakkumulatoren über die Landesgrenze hinaus, die Missachtung von Gerichtsladungen, die zu einer unüblich langen Haftstrafe von zwei Jahren führte, und darauffolgend den Tod im Gefängnis.

Wenig später ging Reich sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, dass man die Panzerung aufheben und die Sexualenergie freisetzen könne, indem man die Muskulatur dazu bringt, sich zu entspannen.

Der Film dokumentiert die Verfolgung durch die FDA, die Bücherverbrennung, die richterliche Verfügung gegen den Transport von Orgonakkumulatoren über die Landesgrenze hinaus, die Missachtung von Gerichtsladungen, die zu einer unüblich langen Haftstrafe von zwei Jahren führte, und darauffolgend den Tod im Gefängnis.

Der Film:

Um nun zum Film zu kommen: Ich persönlich schätze den Film trotz etlicher gravierender Verdrehungen der Reichschen Ideen. In dieser erfundenen, in Jugoslawien handelnden Geschichte von Vladimir und Milena, verdeutlicht Makavejev sowohl Reichs Konzepte zur Charaktertypologie, als auch seine Vorstellung, dass es in autoritären Staaten durch Unterdrückung der Sexualität zu einer Unterwerfung und Idealisierung des Staates kommt.

Vladimir, der große russische Eislaufstar und SexSymbol, kann Milenas sexuelle Avancen nur abwehren, indem er leere stalinistische Propaganda verkündet. Obwohl auf dem Eis sehr gelenkig, bewegt er sich im realen Leben mit einer körperlichen Steifheit, die seinen massiven Körperpanzer widerspiegelt. Erst nachdem er von Milenas ExFreund Radmilovic angegriffen und gedemütigt wurde, zeigt er sich beruhigt und wirklich menschlich.

Als Milena ihn schließlich unverhohlen zu verführen versucht, überkommt ihn sein sexueller Drang, der sich dann aber in gewalttätige Aggression verkehrt und mit Mord endet. Dies illustriert Reichs Aussage, dass sich durch Panzerung und Unterdrückung die Sexualität Umwege sucht und sich hier als Sadismus und Masochismus verzerrt äußert.

Letztlich aber, nach dem Mord, sehen wir den wahren, den bedauernswerten Vladimir, der klagt: „Und was ist mit mir?“. Hier zeigt sich das ursprüngliche Kind, das unterdrückt, zerstört und zu einer Marionette gemacht wurde.
Im Gegensatz dazu repräsentiert Milena den von Reich idealisierten genitalen Charakter: offen und wahrhaftig in Beziehungen zu anderen und offen für eine tiefe sexuelle Beziehung.

Es gibt weitere, weniger bedeutende Darsteller in diesem fiktionalen Teil des Films, die andere von Reich beschriebene Charaktere darstellen. Jagoda, Milenas Zimmergenossin, ebenso wie ihr Freund, der Soldat Ljuba. Er repräsentiert den krankhaften phallischnarzißtischen Charaktertyp. Sie haben zwanghaften Sex, jedoch ohne tiefen, befriedigenden Orgasmus. Radmilovic hingegen stellt den impulsiven Charakter dar, der innere Bedürfnisse ausleben muss und sich auf andere nicht wirklich einlassen kann.

Sowohl in den politischen Diskussionen im fiktionalen Teil des Films, als auch in den Szenen, in denen Milena sexuelle Freiheit und ganzheitlichen Orgasmus in dem, von ihren Nachbarn belagerten Hof predigt, kann man sehen, dass Makavejev Reichs sexualpolitische Einstellung idealisierte und daran glaubte, dass ein „guter“ Sozialismus möglich sei.

Ein anderer Part des Films, der mich beeindruckte, war die großartige Darstellung der Korrumpierung von Idealen. Vielleicht war das meine eigene zynischer Betrachtung des 20. Jahrhunderts.

1) Die kommunistische Revolution, ursprünglich sicher idealistisch, wird als in den unechten Pomp Stalins, der in einem alten Zarenpalast unter funkelnden Kristalllustern herumstolziert, entartet dargestellt. Gleichzeitig wird der inhumane Umgang mit Häftlingen der Marter von geisteskranken Patienten gegenübergestellt. Während die gleichfalls idealistische kommunistische Revolution in China als in eine, den Sexualtrieb unterdrückende, antisexuelle Gesellschaft zur Heldenverehrung eines Mannes verkommen, dargestellt wird.2) Die von Tully Kupferberg durch seinen pseudomilitärischen Marsch dargestellte Friedensbewegung gegen den VietnamKrieg mitten durch Manhatten ist von eigener Komik, besonders die eingeübte Ignoranz gegenüber des bizarren Auftretens aller möglichen New Yorker Typen, wie von vornehmen alten Damen, Geschäftsleuten und Polizisten. Aber sie veranschaulicht auch mit eigenartiger Belustigung das Verkommen des Friedensideals zu einem revolutionären Aufruf nach mehr Kampf, nur revolutionären Kampf.

3) Die Reichsche Therapie das Lösen des Muskelpanzers mit tiefem Atmen und anderen Übungen wird in Alexander Lowens BioenergetikTherapie in Hyperventilation und Übungen in Stresspositionen umgewandelt, bis Muskelzuckungen und Schüttelkrämpfe erfolgen, was das Ideal, den Panzer zu lösen, anstatt noch mehr Spannung aufzubauen, verfälscht. Während sich die Gruppensitzungen in ein Schreien, Stampfen und in einen aggressiven Tumult kehren, was bestenfalls Sadomasochisten ertragen würden. (Reich hat einmal zu seinem Sohn gemeint, dass er diese Art von Behandlung verabscheue.)

Wenn wir aber auf das Thema Sexualität zu sprechen kommen, erkennen wir, dass Makavejev selbst die Ideale entstellt. In einem Interview bezeichnete er Reichs sexuelle Revolution als zahm. Er verherrlicht die Revolution der 60er und 70er Jahre mit allen ihren Extremen. Ein paar Beispiele:

  1. Gleich in der ersten Szene des Films wird der Geschlechtsakt eines Paares gezeigt und ist als OriginalFilmmaterial aus der SexPolZeit deklariert. Durch die unmittelbare Nähe zu anderen Szenen ist damit der Geschlechtsakt meiner Eltern, Wilhelm und Annie Reich, gemeint. Reich hätte diese Szene aber niemals gefilmt. Er glaubte an die Intimität des sexuellen Aktes. Tatsächlich wurde dieser Filmabschnitt 1969 beim HippieMusikfestival in Woodstock aufgenommen. Wollte sich hier Makavejev über Reich, sein bewundertes Idol, lustig machen?
  2. Im fiktionalen Teil des Films verteidigt Milena meiner Meinung nach Makavejevs Sprachrohr die zur Schau gestellten und ausgedehnten SexSzenen zwischen Jaguda und Ljuba gegenüber einer offensichtlich sexuell frustrierten Nachbarin. Dies steht im Gegensatz zu dem von Reich gemeinten ganzheitlichen Sex mit einem Verschmelzen der Partner und einer vollen orgastischen Erfahrung. Makavejev verteidigt trotzig und herausfordernd die sexuelle Freiheit. Gleichzeitig aber portraitiert er in einer Szene Ljubic in zwanghafter sexueller Kühnheit, als er erstmals Jagoda trifft. Makavejev zeichnet damit den von Reich beschriebenen phallischnarzißtischen Charakter nach.Ich glaube, dass das ein Beispiel für Makavejevs Ambivalenz gegenüber Reich ist einerseits erfasst er Reichs Aussagen als Ganzes und gleichzeitig legt er sein eigenes Anliegen darüber. Makavejev wuchs im kommunistischen Jugoslawien auf und war immer ein antiautoritärer Rebell vielleicht gleichzeitig die Autorität bewundernd. Seine größte Rebellion galt der Sexualität.
  3. Am Balkon ihres Wohnhauses verkündet Milena in einem Redeschwall die wahre Revolution und Sexualität. Aber diese Prahlerei ist eine Parodie auf die SexPolPropaganda.
  4. Im Dokumentarteil des Films zeigt Makavejev eine Bildhauerin, die einen Gipsabdruck eines errigierten Penis anfertigt. In einer anderen Szene zeichnet eine Malerin hingebungsvoll Bilder von masturbierenden Menschen. Nochmals: Ich glaube, dass das Makavejevs Auflehnung gegen Reichs „zahme“ sexuelle Revolution ist. Reich hätte beide dieser Szenen für pornografisch gehalten, da sie den Wert wahrhafter orgastischer Sexualität herabmindern.
  5. Dann gibt es eine Szene, in der Leute halbnackt mit herausforderndem Gesichtsausdruck in den Büroräumen der Zeitschrift „Screw“ aufmarschieren. Auch dies hätte Reich missbilligt, da es direkt gegen Reichs Idealvorstellung von der Ernsthaftigkeit der Arbeit geht. Er war von Freuds Diktum überzeugt, dass Liebe und Arbeit die Grundlage für seelische Gesundheit waren. Reich verherrlichte die Arbeit, niemals hätte er die Vermischung von Arbeit und Sexualität gut geheissen.
  6. Es ist nicht klar, ob Makavejev vorsätzlich und ambivalent Reichs Konzepte des Energieflusses verdreht, oder ob er seine Konzepte falsch verstanden hat. Es gibt viele Beispiele davon in diesem Film: Der wogende Massenaufmarsch der Roten Garden auf dem Tiananmen Platz, die Muskelzuckungen in Lowens bioenergetischen Behandlungen; die Schüttelkrämpfe während der Gruppensitzungen, die er mit Konvulsionen einer Elektroschockbehandlung nebeneinander stellt. Er hebt diese Beispiele hervor, wohingegen Reich sie als von negativer, destruktiver Bedeutung gehalten hätte.
  7. Gegen Ende des Films beginnt Makavejev seinen so bewunderten Reich zu attackieren. Zum Beispiel hat er von einem Schauspieler ein Tonband besprechen lassen und sie als Originalstimme Reichs präsentiert grammatikalisch schlecht und mit einem sehr starkem Akzent. Aber Reich sprach ein grammatikalisch perfektes Englisch, das er sich in der Schulzeit über Jahre hinweg angeeignet hat, sein Akzent war minimal. An einer anderen Stelle wird er zitiert, dass er die Vermutung habe, von einem anderen Stern zu kommen und seine Nachkommenschaft tatsächlich Außerirdische seien.Diese Aussage ist aus dem Kontext herausgenommen; sie fiel unter der extremen Belastung Reichs, als er vor Gericht stand und von seiner Haftstrafe erfuhr. Ebenso unnötig ist die Anmerkung des ortsansässigen Friseurs, dass er sein Haar auf merkwürdige Weise getragen habe, nämlich nach oben gekämmt. Es stimmt, dass er das für sich so wollte und auch für seine Familie so wollte. Wenn das aber ohne Reichs Ideen dazu so behauptet wird, dann klingt das äußerst merkwürdig. Es war tatsächlich Teil seines Verständnisses, dass die Augen offen und ehrlich erscheinen und nicht von Haaren bedeckt sein sollten.

Aber warum verdreht Makavejev Reichs Ideale? Warum geschieht es so oft, dass wir Ideale entstellen und sie ins Gegenteil kehren? Wir können das persönlich über ihn nicht wissen, abgesehen von den Aussagen, die er im Interview tätigt. Es ist wirklich unmoralisch, ohne irgendeinen Nachweis Vermutungen über das Unbewusste anderer Menschen anzustellen. Dazu möchte ich aber allgemein etwas anmerken: Ich spreche hier nicht von zynischen Politikern, die den Idealismus der Bürger für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.

Denn gerade Politiker können psychologische Bedürftigkeiten haben. Man kann sagen, dass z. B. Stalin, der so viel Macht ausgeübt hat und so viele Menschen ermorden ließ, niemandem mehr trauen konnte. Dies verstärkt sein Bedürfnis nach noch mehr Macht, was sich derart äußert, dass er von den Massen anstelle von einzelnen Menschen geliebt wird. Hier ersetzt der Narzißmus die realen ObjektBeziehungen.

Aber warum werden Ideale von Einzelnen korrumpiert? Der Aufbau von Idealen erfordert häufig die Unterdrückung eines Konflikts, der mit Aggression zu tun hat. Ideale sind edel, gut und altruistisch; dagegenstehende, negative Tendenzen müssen in das Unbewusste verdrängt werden.

Freud bezeichnete dies als „Reaktionsbildung“. Übertriebene Güte steht dafür, übermäßige Schlechtheit zu verleugnen. Aber dann kommt es zu einer „Rückkehr des Unterdrückten“. Das Unterdrückte kann das Unbewusste nicht zurückhalten und die Aggression verschafft sich einen Ausweg. So tritt die Aggression jetzt als Sadismus zutage.

Die Idealisierung ist nun von Ambivalenz gegenüber dem idealisierten Objekt geprägt. Als Beispiel können wir uns das in den Begriffen des von Freud beschriebenen Ödipuskomplexes vorstellen. Der Sohn liebt den Vater, gleichzeitig ist er aber sein Rivale. Er möchte die Stellung seines Vaters einnehmen. Aber um das tun zu können, muss er zuerst den Vater „töten“, infolgedessen er das Objekt seiner Liebe verliert.

Den Ruhm für sich selbst beanspruchen zu wollen, kann man auch als ein narzißtisches Bemühen sehen, aus Neid auf den berühmten Mann, um besser zu sein als er.

So können wir sagen, dass Makavejev Reich bewundert, sich für seine Vorstellungen und Theorien einsetzt und uns für seine ungerechte Inhaftierung trauern lässt. Gleichzeitig aber fühlt er sich als Rivale und möchte selbst ein berühmter Mann sein. Das gipfelt darin, dass er sich über Reich und seine Theorien lustig zu machen beginnt, obwohl er gerade in seinem Film aufgezeigt hat, wie großartig und einzigartig er die Theorien findet.

Trotzdem: Als Ganzes gesehen ist „Wilhelm Reich und die Mysterien des Organismus“ ein starker und bewegender Film, zeitweise brillant, Einblicke gewährend, manchmal schockierend und manchmal amüsant. Er ist auch eine wunderbare Erinnerung an das Ethos der 1970er Jahre und eine eindringliche Warnung vor bedrohlichen Zeiten, in denen wir uns gegenwärtig befinden.

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WR Mysteries of the Organism. Film. Yugoslavia / West Germany. 1971. Director, Producer, Screenwriter: Dusan Makavejev. Stars: Miodrag Andric, Jim Buckley, Jackie Curtis, Betty Dodson, Milena Dravic, Nancy Godfrey, Dragoljub Ivkov, Milan Jelic, Jagoda Kaloper, Tuli Kupferberg, Zivka Matic, Nikola Milic, Zoran Radmilovic, Wilhelm Reich and Ivica Vidovic.

Weiterführende Literatur:
Durgnat, Raymond: WR Mysteries of the Organism. Indiana University Press, 1999.

Übersetzung aus dem Englischen: Wolfram Ratz

Anmerkung zur Autorin:>Lore ReichRubin promovierte an der NYU/College of Medicine und schloss ihre Fachausbildung als Psychiaterin am Albert Einstein Medical Center Bronx, ab. Sie graduierte am New York Psychoanalytic Institute und ist Mitglied der American Psychoanalytic Association und der Psychoanalytischen Gesellschaft in Pittsburgh und im dortigen Institut Lehrbeauftragte. Vor kurzem hat sie ihre Arbeit als klinische Assistenzprofessorin für Psychiatrie an der Medical School der University of Pittsburgh zurückgelegt

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