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„Heilung“ – Grundsätzliches

von
Robert Feldhofer :

Jeder, der therapeutisch handelt, arbeitet mit der Erwartung von Heilung – sei es mit der Erwartung der Menschen, die sich als heilsbe-dürftig erleben, sei es mit seiner eigenen Erwartung. Glücklicherweise ist das lebendige Wesen des Universums ein heilungsförderndes, sodaß – unabhängig davon, wer und auf welche Art er auch immer handelt -, Heilungsprozesse die Regel sind. Das erscheint nicht sofort einsichtig, denn: Gibt es nicht immer mehr chronisch Kranke? Nehmen manche allergische und degenerative Krankheiten nicht immer mehr zu? Und ist die Lebenserwartung (abgesehen von der Kindersterblichkeit) nicht gesunken?- Tatsächlich läßt sich all das beobachten und ist auch geeignet Sorge und Zweifel an der allgemeinen Entwicklung der Gesundheit zu wecken.

Bewegen wir aber das Zentrum unserer Aufmerksamkeit auch nur ein kleines Stück zur Seite und betrachten bei Heilungsprozessen den Anteil der Lebensvorgänge (überragend), die Häufigkeit ihres Auftretens (regelmäßig und oft), so klärt sich, angesichts der jeden Augenblick ablaufenden Regenerations-, Ersatz-, Reorganisations- und Wachs-tumsvorgänge in jedem Bereich, den wir dem Lebendigen zurechnen können, die Aussicht auf ein erstaunliches, aber alltägliches Wunder.

Wo Leben ist, bekommen Prozesse des Heilwerdens und Wieder-Heilwerdens, den Gesetzen und Mustern dieses pulsierenden Lebens folgend, Energie und Unterstützung. Will jemand heilen, also Heilung auslösen, beschleunigen, abkürzen, in eine Richtung lenken, oder den Ausgang manipulieren, so steht er vor der Aufgabe, die Gesetze der wirkenden Kraft soweit zu erkennen, daß er vermeidet, seine Möglich-keiten durch Wirken gegen sie in ihrer Menge zu verschwenden und in ihrer Qualität zu pervertieren (siehe z.B. ORANUR-Experiment). Die Hypothesen und Regeln, nach denen der Heiler vorzugehen versucht, müssen am Ergebnis beurteilt werden, und zwar nach – von seinen Hypothesen – unabhängigen Kriterien.

Die Bedeutung Wilhelm Reichs und seiner Arbeit für die Heil-berufe liegt ganz wesentlich in der sich aus ihr eröffnenden Möglich-keit, sich derartige Kriterien radikal ganzheitlich zu erarbeiten. Ich sage: „sich zu erarbeiten“, denn es ist das kein Wissen, das ausschließlich durch datentechnische Weiterreichung übermittelt werden kann, sondern Wissen, das erst durch eigene Heilung klar und einsetzbar wird (Parallele zu schamanistischem Initiationsprinzip).

Auch jeder Gedanke, den ich hier niederschreibe, kann also auch nur dann in einem anderen Menschen auf mehr als intellektuelle Aufnahme und damit auf wirkliches Verstehen stoßen, wenn eine bereits vorhandene Erfahrung zur Resonanz gebracht wird und ein Erleben des (Wieder-)Erkennens einleitet. Eine Zunahme der Ordnung im Wahrnehmen, Einordnen, Entscheiden und Handeln kann dann daraus folgen.

Schon im Verlauf einer einsetzenden Heilsbemühung eines Heilers, Hexers, Arztes, Medizinmannes, einer Priesterin, Therapeutin oder ähnlich sich abgrenzend Definierenden, müssen von ihm oder ihr Fragen beantwortet und Entscheidungen getroffen werden, also noch bevor ein eindeutiges Ergebnis der Bemühungen zu bestimmen ist. Auch in diesen Schritten bedarf es funktioneller Kriterien, die ohne Zeit- und Energieverlust einen förderlichen Weg in jedem indivi-duellen Fall erkennen lassen; und schließlich auch noch des Werk-zeugs, der Kenntnis und Erfahrung von und mit konkreten Möglich-keiten der Einflußnahme auf die Menge und das Muster des ener-getischen Prozesses.

Eine Heilungsbemühung kann an jedem dieser Funktionsbereiche kranken und scheitern. Die eigene Wahrnehmungsverzerrung und Einschränkung gebiert die Verkennung von Schwäche und energie-armer Notfunktion (chronische Krankheit) als Gesundheit, läßt zu Handlungsabläufen keine Alternativen erkennen und vermeidet die praktische Überprüfung bereits bestehender oder sich entwickelnder Hypothesen. Lediglich die aufbauende Grundtendenz des Wirkens der Lebensenergie verschleiert die unbefriedigenden und „Lebens-fernen“ Ergebnisse der meisten Methoden.

Das orgonotisch relativ gut funktionierende Individuum ist in seiner Qualität durch andere Individuen qualitativ erkennbar. Ist das erkennende System qualitativ mehr beeinträchtigt, so tritt die Wahrnehmung schmerzhaft oder gar nicht auf; derartige Situationen und Reaktionen darauf beschreibt Reich, wenn er „emotional pestilente Charaktere“ und ihre Kontakte mit Lebendigkeit charakterisiert.

Wie kann der Weg in einen ganzheitlichen Heilungsprozeß be-schritten werden? Meine erste Antwort darauf ist: Konsequent die Beurteilungskompetenz wieder an die Wahrnehmungskompetenz zu koppeln. Sehr hilfreich ist es dabei, Entscheidungen und Handlungen zu versinnlichen. Damit meine ich, die sinnliche Wahrnehmung als Kontrollkriterium engmaschig zu befragen, auf welchen Informationen meine handlungsbestimmenden Entscheidungen fußen. Theoretische Konzepte treten dann als nur mehr oder weniger interessante Zusatz-informationen in den Hintergrund.

Weiters erkenne ich als unumgänglich, das Konzept und die Technik der Teilung des Ganzen fallen zu lassen. Was sonst für einen Sinn kann „Ganzheitlichkeit“ denn haben. Es wird nicht mehr darum gehen, Spreu vom Weizen zu trennen, um die „Spreu“ zu verwerfen, was eine Metapher einer Feldkultur ist, wobei bereits lange vor diesem Verarbeitungsschritt die Wahl einer Frucht (die Wahl einiger weniger Früchte) stattgefunden hat und die weiteren Entscheidungen merklich beschränkt.

Das Nicht-Teilen beziehungsweise Wieder-Zusammen-fügen als Akt der Anerkennung der prinzipiellen Unteilbarkeit des Seins bedeutet Verzicht auf eine bestimmte Anwendung des Ver-standes und ein Zurücknehmen seiner Bedeutung für Entscheidungen. Die tiefe Identifizierung mit der Verstandsfunktion, ja das Anbinden des Selbstverständnisses als Mensch an den vorrangigen Gebrauch des Denkens (und damit des Teilens) scheint mir ein Grundsymptom menschlicher Krankheit zu sein.

Das Reichsche Konzept der Funktionalen Identität, konsequent angewandt, erleichtert das praktische Herantasten an eine ungeteilte Weltwahrnehmung. „Spreu“ und „Weizen“ (also z.B. „Körper“ und „Psyche“) funktionell gleichzusetzen bedeutet, sie einander nicht vorzuziehen, sie nicht zu beurteilen, sondern zu beobachten. Auf einmal haben wir es dann nicht mehr mit zwei konkurrenzierenden, vielleicht sogar gegeneinander wirkenden Elementen zu tun, sondern erkennen die Verbundenheit, welche letztlich zwischen allen denkbaren Teilen erkenntnismöglich ist.

Bei dem Beispiel des Weizens haben wir einen Samen, potentiell eine ganze Pflanze, andererseits den Samen in Vorbereitung zur Verarbeitung zu Mehl. Der Unterschied: Mehl ist kein orgonotisches System mehr. Man kann sich zwar davon nähren, aber es ist nicht mehr säbar.

Und um ein Säen könnte es auch am ehesten bei einer sinnvollen Beeinflussung von Lebensprozessen gehen, um gezieltes Säen von Information an sensiblen Stellen in den Koordinaten von Raum und Zeit eines orgonotischen Funktionssystems.

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