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Bukumatula 6/1995

Eine sexualökonomische Annäherung an den Orgonakkumulator – Teil 2

Fortsetzung von Bukumatala 5/95
Günter Hebenstreit:

In der letzten BUKUMATULA Ausgabe wurde der Aufbau des Versuchs „Der Orgonakkumulator nach Wilhelm Reich“ geschildert, der in den Jahren 1991 und 1992 durchgeführt wurde. Bisher wurden die Ergebnisse der physiologischen Variablen (Hautleitfähigkeit, Muskelspannung auf der Stirn und an der Schulter, Hand-, Fuß- und Achseltemperatur, Puls) und der physikalischen Variable Kasteninnentemperatur dargestellt. Auch der Einfluß des Kontrollfaktors REIHENFOLGE der Kastenvorgabe wurde bereits dargestellt und die Folgen dieser recht bedeutenden Störeinflüsse aufgezeigt. Der REIHENFOLGE-Faktor beschreibt die Zufalls-Vorgabe des Orgonakkumulators (OA) bzw. des Kontrollkastens (KK). Entweder wurde der OA der Versuchsperson (Vp) zuerst vorgegeben und dann der KK, oder umgekehrt.

Um physiologische Veränderungen zu messen, wurden die folgenden Meßvariablen mittels psychophysiolgischer Meßgeräte und modernster Computertechnik erfaßt und aus ihnen die in den Klammern stehenden Parameter rechnerich abgeleitet. Hautleitfähigkeit (mittleres SCL-Niveau: SCLX; Maximalwert des SCL pro Sitzung: SCLMAX); periphere Hauttemperatur (Mittelwert: HTX und Maximalwert: HTMAX); die Achseltemperatur (mittlere Achseltemperatur: ATX und der Maximalwert: ATMAX); die Herzrate (Mittelwert und Streuung: PX und PSD; SD steht für standard deviation = Standardabweichung; Streuung der Werte); die Muskelspannung am Musculus frontalis (Stirnmuskel; Mittelwert: EAIGFX und Streuung: EMGFSD); die Kasteninnentemperatur (Mittelwert: KTX und Maximalwert: KTMAX). Während des Winterversuchs wurde außerdem noch die Muskelspannung auf der Schulter (Mittelwert und Streuung: EMGTX und EMGTSD) und im Sommerversuch stattdessen die Fußtemperatur (mit Mittelwert: FTX und Maximalwert: F7’MAX) gemessen.

In der Folge wird genauer auf die Einflüsse der anderen vier Kontrollfaktoren GESCHLECHT der Versuchperson, KLIMA, VEGTYP (vegetativer Reaktionstyp) und EXPMODUS (ob der Versuch mit einem Assistenten durchgeführt wurde oder ohne Hilfsperson) eingegangen. Einige Ergebnisse zu den Wechselbeziehungen des Orgonakkumulators mit den Kontrollfaktoren:

GESCHLECHT:

Beim Kontrollfaktor GESCHLECHT zeigte sich ein Einfluß auf die Variablen SCLX und SCLMAX. Nur im Orgonakkumulator sind die Werte der beiden Variablen SCLX und SCLMAX von Frauen und Männern einander sehr ähnlich, nicht aber in den anderen Versuchsphasen.

Im Orgonakkumulator (OA) sind bei der mittleren Muskelspannung auf der Stirn und auf der Schulter die Werte von Männern und Frauen sehr ähnlich hoch. In den anderen Phasen des Versuchs zeigen sich deutliche Unterschiede. Dabei hat der OA die Tendenz, die in den anderen Versuchsphasen RO (Ruhephase vor der OA-Sitzung), RK (Ruhephase vor der KK-Sitzung) und KK vorhandenen Unterschiede signifikant zu verringern: Bei Frauen fällt die mittlere Muskelspannung EMGFX vom gewohnten höheren Spannungsniveau eher ab; Männer reagieren im OA mit einer Spannungszunahme; ansonsten weisen sie in allen anderen Phasen viel niedrigere Muskelspannungsmittelwerte auf der Stirn auf.

Weiters übt der OA auf die Versuchspersonen (Vpn) einen deutlichen Nacheffekt, der bis etwa 30 bis 60 Minuten nach der OA-Sitzung andauert, aus. Dieser Effekt geht dahin, daß geschlechtsspezifische Tendenzen signifikant größer werden. Männer haben in der Zeit nach der Orgonakkumulatorsitzung verringerte, Frauen hingegen höhere SCLX- und SCLMAX-Werte.

Eine deutliche Wechselwirkung des Orgonakkumulators mit dem GESCHLECHT ergibt sich bei den Variablen HTMAX sowie den beiden Differenzwertvariablen DHTX und DHTMAX (das „D“ vor dem Kürzel bedeutet Differenzwert). Bezüglich der Hauttemperatur finden sich im OA im Vergleich zum Kontrollkasten (KK) große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Hier vergrößert der OA die Differenzen zwischen den Geschlechtern: Männer legen im OA besonders viel an Temperatur zu, Frauen weniger.

Auch bei den Differenzwerten DKTX und DKTMAX gibt es eine deutliche Wechselwirkung zwischen dem GESCHLECHT und den Differenzen der beiden Versuchsdurchgänge. Hier können Männer im OA einen überproportional großen relativen Temperaturanstieg im Vergleich zu Frauen erreichen. Andererseits gibt es einen solchen Effekt im KK nicht. So steigt der KTX-Wert von RO zu OA um +2,19°C, der KTMAX Wert gar um +2,74°C. Im Vergleich dazu liegen die entsprechenden Werte der Frauen bezüglich KTX bei +1,3°C (DKTX) und +1,75°C (DKTMAX). Im KK liegen die Werte von Männer und Frauen niedriger und viel näher beisammen (KTX: Männer: KK-RK: +0,89°C; Frauen: +0,72°C; KTMAX: Männer: +1,43°C; Frauen: +1,09°C). Männer „beheizen“ also den Orgonakkumulator überproportional besser als Frauen.

KLIMA:

Der Versuch wurde in zwei Teilen durchgeführt. Eine Stichprobe wurde im Spätherbst/Winter 1991 in der Stadt, eine zweite im Frühsommer 1992 auf dem Land getestet. Beide Stichproben werden anhand des „KLIMA“-Faktors unterschieden. Reich vermutete aufgrund einiger Beobachtungen, daß die Wirkung des Orgonakkumulators unter anderem abhängig ist von der Jahreszeit und auch von der geographischen Lage.

Der auffällige KLIMA-Effekt bei der Hautleitfähigkeit läßt sich zum Teil als jahreszeitlicher Trend interpretieren. Im Sommer werden die relativen Differenzen (von DSCLX und DSCLMAX) immer negativ, während im Winter viel höhere Werte zu finden sind. Andererseits sind beim Orgonakkumulator die Differenzwerte zwischen Sommer-und Winterdurchgang statistisch deutlich unterschiedlich, während dies beim KK nicht der Fall ist. Damit ist dem OA eine klimaspezifische Wirkung zuzuschreiben:

Weiters steigt im OA im Winter das SCLX und das SCLMAX signifikant stärker an als im Sommer. Beim KK gibt es solch einen Effekt nicht.

Auch bei der Hauttemperatur ist der Einfluß des Klimas erwähnenswert: Es zeigte sich die Tendenz, daß sich im OA die sonst sichtbaren und „üblichen“ Unterschiede deutlich verringern. Treten im KK zwischen Winter und Sommer große, signifikante Unterschiede auf, so sind selbige im OA kaum vorhanden. Der KK ist anscheinend mehr den Gegebenheiten des Klimas ausgesetzt als der OA, der eine (zusätzliche) Eigendynamik besitzt, wodurch äußere Einflüsse nicht so stark zur Geltung kommen.

Von den zahlreichen Wechselwirkungen der Variablen KTX und KTMAX mit den Kontrollvariablen ist jene zwischen den Versuchssituationen und dem KLIMA am bedeutendsten. Hier zeigte sich, daß es eine jahreszeitliche bzw. geographische Gebundenheit bezüglich der Höhe der Kastentemperatur im OA gibt. Es zeigen die KTX- und KTMAX-Werte im Winter hohe und im Sommer tiefe Werte. Dieser Effekt dürfte mit dem Temperaturregulationssystem des menschlichen Organismus zusammenhängen. Je nach Jahreszeit ist der Organismus gewohnt, die Peripherie mehr oder weniger stark mit Wärme zu versorgen. Im Winter ist dies mehr erforderlich als im Sommer. So kommt der enge Kastenraum der Temperaturregulation im Winter entgegen, zumal er klein ist. In seinem Inneren staut sich in größeren Mengen die Wärme auf als im Sommer. Bevor der Organismus gegenreguliert, ist die Temperatur in der Umgebung schon hoch. Andererseits ist dieser Prozeß auch im Sommer im Orgonakkumulator zu verzeichnen, beim Kontrollkasten im Sommer ist dies aber nur auffallend schwach ausgeprägt.

VEGTYP:

Der VEGTYP beschreibt den vegetativen Reaktionstyp der Versuchsperson. Der Reaktionstyp läßt sich anhand der Polarität Sympathicotoniker – Vagotoniker beschreiben (je nach dem Überwiegen des Sympathicus oder des Vagus wird die Versuchsperson einer der beiden Kategorien zugeordnet).

Der VEGTYP steht vor allem in enger Wechselbeziehung mit den Differenzwertvariablen der Hauttemperatur: es erweist sich, daß Sympathicotoniker besonders im OA mehr zulegen als Vagotoniker. Sympathicotoniker können im OA besonders hohe Temperaturanstiege verzeichnen. Allgemein formuliert scheint der OA vor allem bei jenem Organismus bzw. bei jener Funktion zu wirken, wo der Ist-Zustand vom Vagotonus „weit entfernt ist“ bzw. ein Sympathicotonus besteht. Hier kann der OA größere Veränderungen bewirken, als dort, wo bereits grundsätzlich ein stabiler Vagotonus vorliegt. Man könnte dabei von einem Deckeneffekt nach sexualökonomischen Kategorien sprechen.

Darüber hinaus erwärmen die Versuchspersonen den Kasteninnenraum im OA überproportional stärker als im KK. Grundsätzlich verzeichnen Vagotoniker höhere relative Kasteninnentemperaturanstiege bei DKTX und bei DKTMAX als Sympathicotoniker. Andererseits kommen aber Sympathicotoniker den Vagotonikem im OA viel näher als dies vergleichsweise im KK der Fall ist. Der OA wirkt also insofern „VEGTYP“-spezifisch, als er vorhandene Unterschiede zwischen Sympathicotonikem und Vagotonikem im KK ausgleicht und nivelliert. Die OA-Sitzung scheint den Sympathicotonikem in ihrer Temperaturregulation besonders „unter die Arme zu greifen“. Die schon weiter oben festgestellte Tendenz des OA beeinflußt die vom sexualökonomisch gesunden bzw. vagotonen Zustand weiter entfernten Personen quantitativ stärker in diese Richtung als Personen, die bereits in dieser Funktion einen vagotonen Zustand aufweisen.

Weitere Ergebnisse:

Nun folgen weitere Ergebnisse, die vor allem die psychologische Seite des Experiments beleuchten sollen. Vorerst geht es aber um die gewichtige Frage, ob die Orgonakkumulator-Effekte nur dadurch bedingt sind, daß in ihm – aus welchem Grund auch immer – die Temperaturen der Versuchspersonen höher klettern als im Kontrollkasten.

Daß die unterschiedlich hohen Kasteninnentemperaturen von Orgonakkumulator und Kontrollkasten nicht für die signifikanten Ergebnisse bei den anderen normalverteilten physiologischen Variablen verantwortlich sind, zeigte eine multivariate Kovarianzanalyse mit der mittleren Kasteninnentemperatur als Kovariate. Zwar kovariiert die HTX generell signifikant mit der Kasteninnentemperatur, dieser Effekt trifft aber gleichwohl auf den OA wie auch auf den KK zu. Selektive, nur für den OA charakteristische Kovariationseffekte konnten keine gefunden werden. Die speziellen physiologischen Veränderungen im OA sind also unabhängig von der Höhe der mittleren Kasteninnentemperatur.

Die in der Pause zwischen den beiden Versuchsdurchgängen vorgegebenen psychologischen Tests wurden ebenfalls im Rahmen von Kovariationsanalysen mit den abhängigen Variablen untersucht. Es wurden bei den abhängigen Variablen Differenzwerte zwischen OA und KK berechnet, welche dann in der Kovarianzanalyse weiter verrechnet wurden.

Von der Untersuchung der 6 Skalen des Giessen Tests blieben die drei Skalen GT1, GT3 und GT5 übrig. In der Folge sollen die inhaltlichen Bedeutungen der Zusammenhänge zusammengefaßt werden:

GTI: Je mehr positiv sozial resonanter sich die Versuchsperson beschrieben hat (beliebt, beachtet und geschätzt), um so höher ist eigenartigerweise die Hauttemperatur im KK im Vergleich mit dem OA. Anders herum formuliert bedeutet das, daß sich Personen, deren Hauttemperatur im OA viel höher war als im KK, selbst als eher negativ sozial resonant (= das Gegenteil der o.a. Eigenschaften) erleben.

GT1: Ein direkter Zusammenhang besteht zwischen den beiden Variablen KTX und KTMAX und der sozialen Resonanz: je höher im OA die Kasteninnentemperaturen im Vergleich zum KK liegen, um so sozial positiv resonanter beschreiben sich die Versuchspersonen.

GT3: Eine weitere, allerdings schwache Tendenz läßt sich bezüglich der Pulsdifferenz und dem Grad der Kontrolle feststellen: Je höher der PX-Wert (Pulsfrequenzmittelwert) im OA ist (im Vergleich mit dem KK), um so unterkontrollierter bzw. weniger zwanghaft sehen sich die Vpn. Stufen sich Vpn als eher zwanghaft ein, dann reagieren sie im OA nicht mit einem entsprechenden Pulsfrequenzanstieg. Vielmehr kehrt sich der Zusammenhang um: je zwanghafter, um so eher erfolgt ein Frequenzabfall! Hier ist besonders die bioenergetische Bedeutung ins Auge stechend – vom energetischen Standpunkt reagiert hier die Vp als ob die Erregung abfallen würde! Es ist interessant genug, daß die stark ausgeprägte Persönlichkeitseigenschaft „Kontrolle“ dann zu einem Erregungsrückgang fiihrt, wenn nach sexualökonomischen Gesichtspunkten ein zentraler Anstieg der Erregung vorhergesagt wurde.

GT5: Tendenziell existiert noch ein Zusammenhang zwischen der Größe der Differenz zwischen OA und KK und der Zurückhaltung der Vpn (Skala 5: retentiv vs. durchlässig = Maß, wieviel ich von mir als Person anderen preisgebe) bei den Variablen KTX und KTMAX. Je mehr Vpn von sich preisgeben, um so mehr „heizen“ sie den OA im Vergleich zum KK auf. Je retentiver sie sind, um so mehr tun sie das im Kontrollkasten.

Bei der Kovarianzanalyse der IPC-Skalen (Attributions-Fragebogen zur Ursachenzuschreibung) trat eine Kovariation der beiden Variablen EMGFSD und SUMSCORE (subjektive Befindlichkeit) mit dem Faktor C („Glaube an einen entscheidenden Einfluß des Schicksals, des Glücks, des Zufalls etc. auf das eigene Leben“) auf. EMGFSD steht dabei in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Höhe des C-Skalenwerts. Je größer die Muskelspannungsvariation im OA gegenüber dem KK ist, um so tiefer ist der C-Wert, d.h. um so weniger führt diese Person Geschehnisse und Entscheidungen auf Zufall, Glück und Schicksal zurück.

Andererseits fühlt sie sich im OA im Vergleich mit dem KK um so weniger Wohl (SUMSCORE), je höher der C-Wert ist. Diese Tendenz entspricht der Unlust- bzw. Angstreaktion in der weit gezogenen sexualökonomischen Polarität des Ur-Gegensatzes von Lust und Angst: Die Sätze „Weg von der Welt“ bzw. „In sich zurück“ stehen inhaltlich für eine derartige Reaktion. Da nach der postulierten Wirkung des OA davon ausgegangen wird, daß während der OA-Sitzung vegetative Spannung und Erregung aufgebaut wird, scheint es, als würden Vpn mit hohen C-Werten mit Scheu oder Angst reagieren, wenn es darum geht, in Kontakt mit der eigenen körperlichen vegetativen Spannung bzw. Erregung zu kommen.

Die dritte Kovarianzanalyse wurde mit den beiden Angstskalen (STAI-Skielen; State-Trait-Anxiety-Inventary) durchgeführt. Diesmal kovariieren die beiden Variablen EMGFSD und SUMSCORE mit den beiden STAI-Skalen beträchtlich. Während bei der State-Skala (beschreibt die „Zustandsangst“) ein indirekt proportionaler Zusammenhang mit den beiden Variablen EMGFSD und SUMSCORE vorgefunden wurde, liegen die Verhältnisse bei der Trait-Skala (beschreibt die Angst als Charakter- bzw. Persönlichkeitsmerkmal) umgekehrt.

Die sich scheinbar widersprechenden Verhältnisse der Tran- und der State-Skala konnten nach sexualökonomischen Gesichtspunkten völlig aufgeklärt werden: Während die Trait-Skala sehr für die Art der Person steht, wie sie mit Angsterregung generell umgeht bzw. in die Richtung eines Charaktermerkmals geht, steht die State-Skala für die aktuelle situativ wahrgenommene Angsterregung.

Da der Charakter bzw. seine in der Sexualökonomie so viel beachtete ökonomische Funktion der Regulation von vegetativer Erregung automatisch und meist kaum bewußt arbeitet, ist sie eigentlich das Gegenteil von dem was die State-Skala repräsentiert: bewußtes Gewahrsein der eigenen vegetativen Erregung und damit auch der Angsterregung.

Die Versuchsperson zeigt auf der State-Skala um so höhere Werte, je geringer die Stirnmuskelvariation EMGFSD im OA im Vergleich zum KK wird. Die Vp „erstarrt“ im OA aufgrund der durch den OA zusätzlich aufgebauten Erregung, die vorher schwingende Muskulatur wird schlaff oder starr (je nach Spannungshöhe).

Es wird jene Vp, die schon vor der OA-Sitzung über zu viel frei flottierende vegetative Erregung verfügt, dazu neigen, diese Erregung vom Bewußtsein abzuspalten, mehr noch, sich von ihr abzupanzem. Dieser Mechanismus ist deshalb wichtig, da üblicherweise die Qualität einer solchen vegetativen Erregung in Angsterregung umschlägt, wenn sie größeren Quantitätsänderungen ausgesetzt ist. Das würde sehr unlustvoll für die Person sein, gäbe es keinen Panzerungsmechanismus. Wenn die Angsterregung zu groß wird und die Panzerung einsetzt, ist die Person trotzdem in ihrer Befindlichkeit eingeschränkt. Sie verfügt über einen Teil der körperlichen Empfindung (Selbstempfinden, Selbstbewußtsein) nicht mehr. Darüber hinaus muß genau soviel Erregung wie die Angsterregung darstellt, als Gegenbesetzung aufgewendet werden, damit erstere nicht jäh ins Bewußtsein bricht (vgl. Reich 1949d). Insgesamt bedeutet dieser Prozeß für die Versuchsperson eine Verringerung der Behaglichkeit bzw. des Befindlichkeitsscores.

Im Gegensatz dazu wird eine Person mit niedrigen Angstwerten sich nach einer für sie vegetativ angenehmen OA-Sitzung wohler fühlen, zumal durch die zusätzliche vegetative Spannung das Selbstempfinden gesteigert ist, ohne daß das Erregungsmaß an das Maximum des Ertragbaren geht.

Die Trait-Skala hingegen gibt – sexualökonomisch interpretiert – an, wie sehr durchlässig der Charakter der Versuchsperson gegenüber vegetativer Erregung, also Angst- und Lusterregung, ist. Ist der Wert niedrig, so deutet das im Durchschnitt auf eine rigide Panzerung gegen vegetative Erregung hin. Denn eine (gesunde) Person, die Angsterregung kennt, wird in der Regel eine Toleranz entwickelt haben, um mit ihr – genauso wie mit Lusterregung, die ja auch vegetative Erregung ist – umzugehen. Unter diesem Aspekt lassen sich auch die Ergebnisse erklären: Haben Menschen hohe TraitAngstwerte, dann müßten sie über eine gewisse Toleranz gegenüber der vegetativen Erregung verfügen, die jemand, der generell niedrige Angstwerte hat, weniger oder kaum besitzt. Je höher die Differenz zwischen OA und KK zu Gunsten des OA liegt, um so höhere Angstwerte werden auf der Trait-Skala angegeben. Ebenso ist die Befindlichkeit im OA im Vergleich zum KK höher, je höher die Traft-Angstwerte sind.

Neben den abhängigen physiologischen Variablen und der Befindlichkeit wurde den Versuchspersonen unmittelbar nach jeder Kastensitzung ein Fragebogen vorgelegt, bei dem sie angeben sollten, welche Veränderungen, Wahrnehmungen und Empfindungen sie während der gerade abgeschlossenen Kastensitzung bemerken konnten.

Von den 10 Items erwiesen sich 5 als REIHENFOLGE-abhängig. Die anderen 5 Items: Kribbeln bzw. Ameisenlaufen auf der Haut, Schwitzen im Kasten, Darmblubbern, Entspannung der Muskeln im Kasten und Langeweile erwiesen sich sämtlich als nicht signifikant. Lediglich die Frage nach den Darmgeräuschen bzw. dem Darmblubbern zeigt eine schwache Tendenz, wobei im OA öfter und intensiver die Darmgeräusche wahrgenommen wurden.

Von den verbleibenden Items zeigte besonders eines teilweise hoch signifikante Unterschiede: der Inhalt des Items bezog sich auf die Spürbarkeit einer Wärme, die von den Wänden zu kommen schien. In beiden Versuchsdurchgängen war eine Signifikanz gegeben. Daneben unterschied sich das Item über die Empfindung einer Müdigkeit im Kasten zwischen OA und KK signifikant. Die Vpn fiihlen sich im OA müder (vgl. auch die Ergebnisse zum SUMSCORE).

Zusammenfassend läßt sich vom methodischen Standpunkt her sagen, daß die Differenzwertvariablen durchgehend aufgrund von ihrer größeren Unabhängigkeit von den Kontrollfaktoren, besonders aber von der REIHENFOLGE, grundsätzlich mehr Aussagegewicht besitzen. Dort, wo die Unabhängigkeit von den Kontrollfaktoren auch bei den Absolutwertvariablen gegeben ist, sind auch durchwegs beachtliche Ergebnisse erzielt worden. Daher erweist sich der nachträgliche Entschluß, auch Differenzwerte zwischen den Kastensitzungen und ihren dazugehörigen Ruhesitzungen zu bilden, gerechtfertigt.

Es zeigte sich, daß bei Berücksichtigung der meßmethodischen Störeinflüsse bei der Achseltemperatur und der Abhängigkeit v.a. der Körpertemperaturen von der REIHENFOLGE, letztlich 17 von 26 möglichen Differenzwert- und Absolutwerthypothesen signifikante Unterschiede zwischen dem OA und dem KK anzeigten. Von der Beeinflussung der OA-Effekte von der psychologischen Seite her gab es ebenso einige deutliche Ergebnisse. Die subjektiven Veränderungen während der Kastensitzungen fielen vergleichsweise bescheiden aus. In diesem Versuch standen die subjektiven Wahrnehmungen aber nicht im Mittelpunkt des Interesses, sondern vor allem die physiologischen Variablen.

Schußfolgerungen und Ausblick

Die Daten aus einem übergeordneten Standpunkt zu interpretieren, fällt nicht leicht. Die Hypothesenprüfung bestätigte die aus der sexualökonomischen Theorie abgeleiteten Hypothesen zu einem beachtlichen Teil.- Einige typische Ergebnisse: Im wesentlichen fanden sich bei den betreffenden Variablen keineswegs nur „vagotone“ Effekte, wie sie in der Literatur wiederholt beschrieben wurden. Vielmehr ist es von Vorteil, die OA-Sitzung – wie wahrscheinlich auch jede andere sexualökonomische Beobachtung und Untersuchung -, als einen in einer spezifischen Situation ablaufenden Prozeß zu sehen. Er ist primär als energetische (elektrochemische, libidoökonomische) Funktion zu verstehen, der sich auf der psychischen und biophysikalischen Ebene ausdrückt. Bezüglich der Situation ist zu sagen, daß das weitere Schicksal der vegetativen Energie auch davon abhängt, wie einladend die Situation selbst ist, sich zu entspannen bzw. es sich gut gehen zu lassen.

Der Prozeß selbst beginnt im Falle des OA mit einer zentralen Stauung von Erregung, die sich dann in Abhängigkeit der Charakter-und Körperstruktur des Menschen in Richtung (vegetativer, psychischer) Peripherie bewegt, um sich dort Ausdruck zu verschaffen (vgl. Reich 1982). Je nachdem, wie die aktuelle Umweltsituation beschaffen ist, bzw. der aktuelle Funktionszustand des Individuums ist, wird sich die zentral gestaute Erregung ausdrücken können.

Während der experimentellen OA-Sitzung müßte vor allem zuerst die zentrale Stauung zunehmen und daher meßbar sein. So ist auch aufgrund vorerst unsystematischer Beobachtungen anzunehmen, daß, wie schon Lassek (1982) vermutete, aufgrund der wiederholten Erregungsstauung periphere vegetative Funktionen aktiviert werden. Wenn man den zahlreichen Erfahrungsberichten Glauben schenkt, dann drückt sich das auch in der zunehmend kürzer werdenden Verweildauer der OA-Benutzer nach einer größeren Anzahl von Sitzungen über ein oder mehrere Jahre hinweg aus. Schließlich wird meistens ganz auf den OA verzichtet oder der OA nur gelegentlich benutzt.

Im vorliegenden Experiment waren die Ausdrucksmöglichkeiten der Personen durch die enge Begrenzung während der Kastensitzung und die Strukturiertheit des Experiments nur eingeschränkt möglich, weshalb die Hypothesen allgemein dahingehend formuliert wurden, daß vegetativ zumindest teilweise die zentrale Stauung selbst zum Ausdruck kommt.

Es stehen den Ergebnissen zufolge einander eine sympathische und eine parasympathische Tonussteigerung gegenüber. Sie können ins Konzept der Sexualökonomie (d.h. der Art, wie das Individuum mit seiner sexuellen, emotionalen, vegetativen Energie haushält, d.h. wieviel es davon „orgastisch“ (d.h. lustvoll) umsetzen kann, und wieviel es zurückhält, aufstaut oder z.B. in neurotischen oder psychosomatischen Störungen „verbratet“) eingegliedert werden. Daß der sexualökonomische Standpunkt praktisch untersuchbar ist, ist besonders aus dem Ergebnis der Untersuchung der Kovariation der abhängigen Variablen ersichtlich, wo eine signifikante Kovariation zwischen den Variablen EMGFSD (Stirnmuskelspannungsvariation) und SUMSCORE (subjetive Befindlichkeit) und den beiden STAIAngstskalen sowie der IPC-Skala C festgestellt wurde. Der Zusammenhang konnte post hoc durch das Konzept der Libidoökonomie bzw. das der Panzerungsfunktion theoriekonform interpretiert werden.

Die absoluten und die relativen Temperaturunterschiede an den
Händen und an den Füßen im OA gegenüber dem KK bedeuten
physiologisch und sexualökonomisch einen vagischen Effekt. Der Anstieg der Hautleitfähigkeit im OA ist hingegen physiologisch wie auch sexualökonomisch per definitionem ein sympathischer Effekt. Dasselbe gilt für die verringerte PSD, die Pulsfrequenzvariation. Nicht definiert in der Physiologie des vegetativen Nervensystems ist die Muskulatur. Sexualökonomisch ist die Muskulatur der vegetativen Peripherie zuzuordnen und der hier festgestellte Effekt der höheren Muskelspannung im OA gegenüber dem KK ließe sich sowohl als Panzerungsmechanismus, aber auch als „zur Aktion bereite Spannung“ deuten. Hier sind beide Möglichkeiten offen. Die gemessene erhöhte Spannung der Muskulatur im EMG (Elektromyogramm) kann im Sinne der Sexualökonomie daher weder eindeutig als sympathicotoner, noch als vagotoner Effekt gedeutet werden. Der Grund für die nicht eindeutige Zuordenbarkeit sexualökonomischer Konzeptionen zu physiologischen Funktionen liegt darin, daß der gebräuchliche Parameter des EMG unterschiedliche sexualökonomische Funktionszustände nicht adäquat differenzieren kann. Es ist sowohl Lusterregung, als auch Angsterregung mit einer Spannungszunahme der Muskulatur verbunden. Hier wäre es wünschenswert, Parameter auszuarbeiten, die diese Funktion berücksichtigen.

Die beobachteten Effekte stehen in einer gewissen Nahbeziehung zum psychophysiologischen Konzept der Aktivierung: Hautleitfähigkeit, mittlere Muskelspannung und Pulsfrequenzvariation zeigen in die Richtung einer Zunahme der Aktivierung, während es bei der peripheren Durchblutung zu keiner Vasokonstriktion kommt, sondern sich eine Vasokongestion einstellt. Gerade dieser Effekt ist wesentlich, da die Verschiebung von Plasma in die Peripherie nach Reich ein Abbild der Urfunktion des Gegensatzes von Lust und Angst ist. Im Zustand der Lust bewegt sich das Individuum auf die Welt zu. Die Amöbe tut dies mit ihren Scheinfüßchen, die durch Plasmaverschiebungen in Richtung Peripherie zustande kommen. Beim Menschen passiert dasselbe, wobei diese Urfunktion sich des kardiovaskulären Systems bedient. Im Zustand der Angst zieht sich die Amöbe mit ihren Scheinfüßchen von der Welt zurück, der komplexe Organismus reagiert mit einer Vasokonstrilction. Worin sich das Konzept der Sexualökonomie von jenem der Aktivierungunterscheidet, ist erstens die Dimensionierung des Forschungsgebietes und zweitens die Berücksichtigung der libidoökonomischen Funktion des Organismus, also eine qualitative Komponente.

Zuletzt soll darauf hingewiesen werden, daß unbedingt weitere Forschungen zum Thema der Sexualökonomie und Orgonomie sowohl im physikalischen, als auch im humanen Bereich stattfinden müssen, damit ihnen ihr verdienter Platz in der Gesellschaft, der Wissenschaft und besonders im Leben der Menschen zukommt.

Literaturliste:

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Die Diplomarbeit „Der Orgonakkumulator nach Wilhelm Reich – Eine experimentelle Untersuchung zur Spannungs-Ladungsformel“ wurde als Abschlußarbeit für die Studienrichtung Psychologie an der Wiener Universität von Günter Hebenstreit durchgeführt.

Eine überarbeitete Version der Diplomarbeit umfaßt ca. 350 Seiten und ist um 650 öS beim Autor direkt zu beziehen (Bei Postzustellung + 33 öS Versandspesen im Inland; Ausland + 130 öS.). Interessenten erhalten nach Einzahlung des o.g. Betrags per Erlagschein auf das Konto Raiffeisenbank Wr. Neustadt: BLZ: 32937, Nr. 431.379 (Konto: Mag. Günter Hebenstreit) und einer kurzen telefonischen Nachricht die Arbeit gebunden im DIN A4 Format zugesandt.

Postadresse: Mag. Günter Hebenstreit
An der Liesing 2/21/2
A-1230 Wien
Tel.: 0222/889 70 53

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