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Bukumatula 4/1991

Wilhelm Reich auf dem Theater

„DISCIPLES“ von Charles Marowitz
Karin Eichhorn:

Vom amerikanischen Autor Charles Marowitz liegt ein Stück über Wilhelm Reich vor. Das Drama in zwei Teilen nimmt in Reichs Forschungsinstitut in den USA, in Freuds Wiener Praxis und Wohnung, im Büro der Kommunistischen Partei in Berlin, in einem amerikanischen Gerichtssaal und im Gefängnis seinen Fortgang.

INHALT:

Dr. Andre, vormals Mitarbeiter des Freud-Archivs, bittet Wilhelm Reich um ein Interview über dessen Erinnerungen an Sigmund Freud. Im Laufe des Gespräches zwischen Andre‘ und Reich wird die Geschichte der grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Wissenschaftlern in der Form von „Rückblenden“ dargestellt: Freud, der seine Verführungstheorie aufgab und seine Erkenntnis des sexuellen Mißbrauchs von Kindern hinter der Theorie vom Ödipuskomplex versteckte, um seine mühsam errungene Anerkennung nicht aufs Spiel zu setzen, Reich, der von der Psychoanalyse als Symptombekämpfung in einer kranken Welt zur Prävention, zur Gesellschaftsveränderung auf dem Weg der / sexuellen Aufklärung gelangen wollte. Reich’s Ausschluß aus der Psychoanalytischen Gesellschaft, seine Hinwendung zur Kommunistischen Partei, seine Sexualberatungsstellen, die Arbeit am Orgon-Akkumulator.

Am Ende des ersten Teils gibt Dr. Andre“ zu erkennen, daß er der Psychoanalyse abgeschworen hätte und nunmehr gewillt wäre, Reichs Schüler zu werden. Der lehnt ihn jedoch ab; er erklärt ihm, daß es nicht darum gehe, gegen Freud zu sein, ohne den auch seine eigene Arbeit unmöglich gewesen wäre. – Das Gespräch wird durch zwei Beamte der Food and Drug Administration unterbrochen, die Reich einen Gerichtsbescheid überbringen, wonach es ihm verboten sei, weiterhin mit dem Orgon-Akkumulator Krebskranke zu behandeln; alle Geräte würden beschlagnahmt, Reich habe sich vor Gericht zu verantworten.

Der zweite Teil beginnt mit der Gerichtsverhandlung, bei der Andre‘ Reich, der sich weigert zu erscheinen, gegen diverse Gutachter (der amerikanischen Psychiatervereinigung, der Mayo Klinik, etc.) verteidigt. Reich wird schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, seine Schriften konfisziert. Im Gefängnis entwickelt er Symptome schizophrener Paranoia. Er erklärt dem Gefängnispsychiater, er werde von der Air Force überwacht, da die „Roten Faschisten“ seine Arbeiten stehlen wollten, er stehe mit Präsident Eisenhower in Fragen der Nutzung seiner Entdeckungen für militärische Zwecke in Kontakt.- Aus dem Jenseits kommt Freud in Reichs Zelle; freundschaftlich erklärt er ihm warum er damals, in den zwanziger Jahren, es ablehnen mußte, Reichs Analyse zu übernehmen, warum er die Entdeckungen über den sexuellen Mißbrauch an Kindern verschweigen, verdrängen und warum er Reich zwangsläufig aus der Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen haben wollte. Aus der eigenen enttäuschenden Erfahrung heraus zerstört er Reichs Glauben an etwaige Anhänger, die in seinem Sinn weiterarbeiten würden.- Reich stirbt im Gefängnis. An seinem Grab streiten seine „Nachfolger“ um seine Theorien: Bioenergetik, Urschreitherapie …. so wie es ihm Freud vorhergesagt hat.

KOIIMENTAR:

Dieses Theaterstück liefert eine Darstellung der Geschichte der Psycho- und Charakteranalyse und bemüht sich vor allem darum, die Figur des weniger bekannten Reich von dem ins Durchschnittsbewußtsein wenigstens dem Namen nach eingegangenen Sigmund Freud abzusetzen. Dieses Verdienst ist dem Text, dem es an manchen Stellen aber durch zu große Ausführlichkeit an dramatischer Spannung gebricht, nicht abzusprechen. Einen interessanten Gedankenstrang bildet durchaus die Entmystifizierung Freuds anhand der pragmatisch-ökonomischen Begründung für seine persönliche Verdrängung der Verführungstheorie (siehe Alice Miller!) und die Beschreibung des Zwanghaften in der Verteidigung der reinen Lehre der Psychoanalyse durch ihre eifrigsten „Bewahrer“.

Das Stück ist ungemein inhaltsreich und dicht» was auch darauf zurückzuführen ist, daß beim amerikanischen Publikum, für das es geschrieben wurde, Basiskenntnisse über mitteleuropäische, v.a. historische Zusammenhänge nicht unbedingt vorausgesetzt werden können.

Alles in allem sind dem recht soliden Text wohl eher aufklärerisch-dokumentarische Meriten zuzusprechen als echte Bühnenwirksamkeit. Wollte man die Reich´sche Denkwelt einem Theaterpublikum näherbringen, sollte man wohl ihre Inhalte mit der ihnen eigenen Faszinationskraft vor der Person des Denkers in den Vordergrund stellen.

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