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Bukumatula 2/2016

Die Wunde des Therapeuten

von
Peter Bolen:

Vorwort

In meinen Ausbildungsseminaren werde ich immer wieder gefragt, was die Voraussetzungen für den Beruf eines Psychotherapeuten sind.

Diese Fragen beziehen sich nicht auf die Intelligenz des Kandidaten, seine Lebenserfahrung, die Zugehörigkeit zu einem Heilberuf oder auf einen akademischen Grad. Diese Voraussetzungen sind in Österreich seit 1992 im Rahmen des Psychotherapiegesetzes ausführlich in den Richtlinien des Bundeministeriums für Gesundheit festgelegt.

Der Hintergrund dieser Fragen ist die Befürchtung, selbst vielleicht nicht ausreichend psychisch gesund zu sein, um anderen Menschen helfen zu können. Es besteht die Idealvorstellung von einem Therapeuten, dass er sich in einem völligen psychischen Gleichgewicht befindet und damit ein Vorbild für seine Patienten darstellt. Nur ein gesunder Therapeut wäre in der Lage, Kranke zu behandeln.

Es ist das Wissen um eine innere seelische Wunde, welches die Befürchtungen bezüglich der Eignung zum Psychotherapeuten nährt. Gleichzeitig finden wir häufig Kritik an Psychotherapeuten, wenn bekannt wird, dass sie selbst manchmal psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.

Es handelt sich hier um ein grundsätzliches Missverständnis bezüglich des idealen Therapeuten. So wie das Wort „Ideal“ sich von dem griechischen und lateinischen Wort idea, Idee ableitet, ist es eine Erscheinung, die auch als bloßer Schein täuschen kann. Dieser Schein verführt uns dann zu idealisieren und auch zu entwerten.

Ich werde in diesem Artikel ausführen, dass diese seelische Wunde, die der Therapeut in sich trägt, überhaupt erst die Voraussetzung dafür ist, dass er sich für andere seelisch verwundete Menschen interessiert, sie versteht und das Bedürfnis hat, ihnen zu helfen.

Einen Mythos dieses verwundeten Therapeuten stellt die antike Sage von Chiron dar. Chiron war am Knie unheilbar verwundet worden, konnte sich aber selbst nicht heilen – bei gleichzeitiger Fähigkeit andere heilen zu können und darüber selbst Erlösung zu erfahren.

Ich stelle hier die Hypothese auf, dass Chiron nur heilen konnte, weil er verwundet war und werde dieses Thema im Weiteren ausführlich darstellen.

Natürlich ist es ein Teil der psychotherapeutischen Ausbildung, sich dieser Wunde bewusst zu werden und sie wenn möglich zu heilen. Sonst würde das Heilen anderer Menschen auf Kosten der eigenen psychischen Gesundheit gehen, wie ich noch ausführlich beschreiben werde.

Dieser Beitrag ist vor allem für Psychotherapeuten und verwandte Heilberufe gedacht. Er birgt einiges theoretische Wissen, aber vor allem eine rund fünfunddreißig jährige Erfahrung als Psychotherapeut und Arzt.

Laxenburg im Sommer 2014

Immer wenn ich in diesem Artikel die männliche Form des Wortes Therapeut oder Patient/Klient verwende, ist damit auch die weibliche Form gemeint. Aufgrund der leichteren Lesbarkeit wurde diese Schreibform gewählt. Als Arzt verwende ich die Bezeichnung Patient, für nichtärztliche Psychotherapeuten ist er durch das Wort Klient zu ersetzen.

Die Funktion des Therapeuten

„Therapeut“ leitet sich vom Griechischen Wort therapeutés ab, welches so viel wie: der Diener, der Aufwartende, der Wärter oder der Pfleger bedeutet. Der Begriff wurde im antiken Griechenland für die Person verwendet, die den Pilger, der zum Orakel nach Delphi wanderte, begleitete, um ihn zu unterstützen und für sein leibliches und seelisches Wohl zu sorgen.

Keinesfalls ist der Therapeut, in dem Sinne, wie wir das Wort in der Psychotherapie verwenden, ein Führer oder ein Lehrer, der den Hilfesuchenden aufgrund seines Wissens belehrt, oder ihm Handlungsanweisungen gibt. Dafür verwenden wir heute die Worte Beratung, Training, oder Coaching.

Wenn nun der Patient versucht die Therapie ins oberflächliche Plaudern zu lenken oder auf andere Weise – im Sinne einer Abwehr – den Ablauf des Prozesses umzulenken oder zu verwässern, wird der Therapeut natürlich nicht einfach schweigen oder zustimmen. Er wird etwa fragen: „Haben Sie im Augenblick nicht auch das Gefühl, dass wir uns im Gespräch mehr an der Oberfläche befinden? Dass Sie nicht mehr in Kontakt zu Ihren Gefühlen, wie noch vor einigen Minuten, stehen?“ Der Therapeut nützt seine Wahrnehmung, um den Klienten und sein Verhalten zu spiegeln und ihm zu helfen von selbst zu erkennen, wo er sich in seinem Prozess befindet und was er tut. In dem Augenblick, in dem der Patient wahrnimmt, wie er seinen eigenen Heilungsprozess behindert, verändert er von selbst sein Verhalten. Er braucht dazu keine Anweisung oder eine Belehrung.

Pointiert ausgedrückt können wir auf die Frage: „Wer führt in der Therapie, der Patient oder der Therapeut?“ antworten: „Natürlich führt der Patient, aber nicht die Neurose des Patienten!“

Ich verwende den in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen nicht mehr verwendeten Begriff „Neurose“. Dort wurde Neurose durch das Wort „Persönlichkeitsstörung“ ersetzt. Natürlich ist der Begriff Neurose in dem Sinne veraltet, als er wörtlich übersetzt „nichtentzündliche Schwellung von Nerven“ bedeutet, was der Vorstellung der alten Psychiatrie entsprach, dass seelische Leiden etwas mit organischen Veränderungen des Nervensystems zu tun haben.

Seit Sigmund Freud hat der Begriff Neurose eine spezifische Bedeutung erlangt, in dem Sinne, dass bestimmte seelische Erkrankungen mit einer seelischen Traumatisierung in der Kindheit zusammenhängen. Der ICD Code (internationale Klassifizierung psychischer Störungen) nimmt bei der Einteilung von psychischen Erkrankungen keinen Bezug mehr auf die Ursache der Störung. Kritisch sei hier angemerkt, dass bei jeder Änderung des ICD Begriffe wie etwa „Angststörung“ – früher „Angstneurose“, immer mehr unspezifisch ausgeweitet werden, so dass der Verdacht besteht, mehr Verschreibungsmöglichkeiten für bestimmte Psychopharmaka zu finden.

Die Aufgabe des Therapeuten ist es also, seine Wahrnehmung dem Patienten zu vermitteln, ihn zu spiegeln, damit er durch seine eigene erweiterte Wahrnehmung selbstregulativ Veränderung erfährt. Der Begriff „Selbstregulation“ ist ein zentraler Begriff in der Körper-psychotherapie. Wilhelm Reich nannte dieses Phänomen „Selbstorganisation“. Seine Hypothese war: Wenn der Patient wahrnimmt, wie er sich selbst blockiert, verändert sich sein Leiden von selbst in Richtung psychischen Gleichgewichts.

`Von selbst´ bedeutet: Wenn wir uns in einem psychischen Un-gleichgewicht befinden, hat unser Organismus (ich verwende diesen Begriff für die – vorübergehende – Einheit `Körper-Seele-Geist´) die Fähigkeit, von selbst wieder sein Gleichgewicht zu finden. Als Beispiel mag ein banaler Schnupfen dienen, nach einer Woche sind wir ihn, auch ohne Medikamente, wieder los. Ein anderes Beispiel sei eine Schnittwunde: Der Arzt näht die Wunde zu, zusammenwachsen tut sie allerdings von selbst. Nur wenn wir stark aus dem Gleichgewicht kommen, bedarf es des Impulses eines anderen Menschen (des Therapeuten).

Wilhelm Reich konnte seine Hypothese nicht mathematisch darstellen und untermauern. Er starb 1958 im Gefängnis.
1966 bekam ein belgischer Chemiker, Ilia Prigogine, den Nobelpreis dafür, dass er die Selbstorganisation mathematisch nachweisen konnte. Als Beispiel selbstorganisierender, dynamischer und geordneter Systeme dienten ihm die sogenannten `dissipativen Strukturen´. Diese finden in nichtlinearen, nicht offenen Ungleichgewichtssystemen fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht statt.

Diese Entdeckungen haben prägende Auswirkungen auf das Verständnis des Heilungsvorganges. Und zwar nicht nur in der Körperpsychotherapie, sondern in allen psychotherapeutischen Methoden und selbstverständlich auch in der Medizin.

Zusammengefasst: Was heilt?

Die Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulation. Den Anstoß dazu gibt die bewusste Wahrnehmung (engl. awareness) des Therapeuten, der die Selbstwahrnehmung des Patienten fördert. Zusätzlich bedarf es zur Heilung noch folgender Faktoren: Der Therapeut schafft einen geschützten Raum, in dem sich der Patient sicher fühlen kann. Ich bezeichne diesen Raum auch als einen `heiligen Raum´. Wenn der Therapeut eine Intervention an einem Kaffeehaustisch machen würde, hätte sie keine heilende Wirkung.

Der Therapeut ist während der Therapie ständig in Kontakt mit seinem Patienten. Kontakt ist auf drei Arten möglich: Mittels der Stimme, über die Augen oder durch Berührung. Besonders die Berührung hat hier eine besondere Bedeutung. Wenn der Patient mit geschlossenen Augen und schweigend auf der Liege liegt und auch der Therapeut gerade schweigt, braucht er zumindest die Berührung, um die Gewissheit zu haben nicht alleine zu sein.

Diese Berührung mache ich meistens mit dem Handrücken am Unterarm des Patienten. Es ist dies eine relativ unspezifische Form des Kontaktes, die nicht gezielt bestimmte Themen triggert. Der Therapeut begleitet den Patienten durch seinen Prozess: Durch Fragen, durch Bestätigungen, durch seine Anteilnahme.

Immer wieder betone ich meinen Schülern gegenüber, dass es nicht darum geht, mit zu leiden, sondern mit zu fühlen. Wenn der Therapeut leidet, hilft das dem Patienten nicht. Diese Haltung steht im Gegensatz zu der christlichen Idee, dass ein Erlöser das Leid der Menschheit durch seinen Tod auf sich genommen hat und sie damit von ihren Leiden erlöst hat.

Leiden wir denn seither nicht mehr?

Hier möchte ich noch einige Gedanken skizzieren, wie wir uns die Heilung früher und frühester seelischer Wunden vorstellen können: Bei dem Wiedererleben der Verletzung, des Traumas, geht es nicht um ein bloßes neuerliches Wiedererleben der alten Verletzung. Dies wäre tatsächlich eine nochmalige Traumatisierung.
Das Erlebnis des Traumas wird in der Therapie in einem neuen Kontext erlebt. Der Patient erlebt das Geschehene diesmal in der Begleitung des Therapeuten neu.

Dieses neue Erlebnis wird zu der alten Erinnerung hinzugefügt, so dass beim nächsten Mal die Erinnerung an das Trauma mit dem neuen Erlebnis der heilenden Begleitung verknüpft wird und daher eine neue Qualität aufweist. Wir nennen diesen Vorgang die `emotional korrigierende Erfahrung´. Warum haben frühe und früheste seelische Verletzungen eine besondere Stellung innerhalb der Psychotherapie? Zunächst müssen wir wissen, dass die frühesten Erinnerungen etwa im dritten Lebensjahr liegen. Vor dem dritten Lebensjahr besitzen wir noch keine Sprache.

Dies bedeutet, dass wir die Themen der Traumatisierung nicht durch bloßes Reden mit dem Patienten erreichen, weil diese sprachlich einfach noch nicht kodiert sind. Erst durch spezifische Berührungen (siehe mein Buch “Emotionale Reintegration, der sanfte Weg“) – mein Zugang sind minimale Bewegun-gen an einem Gelenk – zusammen mit einer bestimmten Atemtechnik können wir diese Themen an die Oberfläche bringen, um sie der Heilung zuzuführen.

Wie können wir uns diese Heilung bildlich vorstellen? Das Trauma ist wie eine Wunde, die zugeklebt mit Verbänden, weiter eitert und Symptome verursacht. Bildlich entfernen wir diese Verbände, lassen die Wunde ans Sonnenlicht kommen, und diese beginnt langsam zu heilen. Allerdings wird die verheilte Wunde niemals die Qualität eines gesunden Gewebes erlangen; sie wird zu einer Narbe. So wie bei körperlichen Narben, die zu schmerzen anfangen können, wenn ein Wetterumschwung stattfindet, bleiben wir an den Stellen unserer emotionalen Narben ein Leben lang empfindlich.

Dies ist eine Behinderung, doch gleichzeitig, wie ich im Folgenden ausführen werde, macht uns erst diese Behinderung für das Leid anderer offen. Eine Besonderheit der frühen und frühesten Störung ist der Abwehr-mechanismus der Abspaltung. Erst ab dem dritten Lebensjahr entwickeln wir reifere Abwehrmechanismen, wie sie die Psychoanalyse oder die Gestalttherapie ausführlich beschreibt.

Abspaltung ist eine Vorgang, den man am besten beschreiben kann als: „Es ist gar nichts geschehen“. Auch als Erwachsene besitzen wir diesen Mechanismus, der ausführlich in Protokollen von Folteropfern beschrieben wurde. Die Opfer erleben sich während der Folter wie „neben sich stehend“, sie distanzieren sich damit von sich selbst und von ihren emotionalen Empfindungen.

Der Fachausdruck in der Psychotherapie dafür ist „Dissoziation“. Es gibt eine Analogie in der somatischen Medizin. Wenn uns eine Wunde zugefügt wird, spüren wir durch den Mechanismus der Abspaltung zunächst keinen Schmerz. In Sekundenbruchteilen produziert unser Organismus morphinähnliche Substanzen, die uns für kurze Zeit Schmerz gegenüber unempfindlich machen.

Natürlich sind diese Verletzungen dennoch als Schock in allen unseren Körperzellen gespeichert und können durch spezifische Berührungen von dort wieder abgerufen werden. Die These der rein zentralen Speicherung von Erlebnissen ist längst überholt. Als bestes Beispiel für die periphere Speicherung dient die lokale allergische Reaktion. Wenn wir durch unsere Haut mit einem Allergen in Kontakt kommen, entsteht sofort eine Rötung oder zusätzlich eine Blase. Diese Reaktion hat mit dem Zentralnervensystem nichts zu tun.

Zu den frühesten Traumen:

Darunter verstehen wir Traumen im Uterus, bei der Geburt und in einem bestimmten Zeitraum nach der Geburt. Je früher ein Trauma stattfindet, umso mehr ist es persönlichkeitsprägend. Und diese frühen Traumen sind nur durch Berührung erreichbar. Gerade deshalb hat die Körperpsychotherapie eine besondere Stellung unter den psychotherapeutischen Verfahren.

Eine Mutter, die durch soziale Umstände, wie etwa dass der Vater das werdende Kind ablehnt, dass sie sich als alleinerziehende Mutter den Umständen nicht gewachsen fühlt oder dass ein Todesfall während der Schwangerschaft eintritt, hat auf Grund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse einen Cocktail von bestimmtem Transmittersubstanzen in ihrem Blutkreislauf. Diese Überträgerstoffe durchströmen die Plazenta und auch den Embryo.

Wenn die Mutter depressiv ist, ist es auch der Embryo. Traumatisch werden natürlich auch Abtreibungsversuche erlebt. Wir wissen, dass der Embryo schon mit drei Wochen Schmerz empfinden kann. Auf Grund dieses Wissens wird in den USA bei Abtreibungen in einigen Staaten vorher ein Schmerzmittel verabreicht. Grundsätzlich hat der Patient, wenn er in Behandlung kommt ein Symptom oder ein Defizit.  Daher ist es wichtig zwischen den Fragen „Was haben Sie?“ oder „Was fehlt Ihnen?“ zu unterscheiden.

Zusammengefasst ist die Funktion des Therapeuten innerhalb eines sicheren Raumes mittels seiner bewussten Aufmerksamkeit und auch die Aufmerksamkeit auf die Reaktionen während der körperlichen Berührung, den Patienten zu spiegeln und ihn durch seinen Prozess zu begleiten, wesentlich. Selbstregulativ kommt es zu einer Balance des Ungleichgewichtes, welches die Symptome verursacht hat. Das wichtige Erleben des Patienten nennen wir das `emotional korrigierende Erlebnis´.

Die Entstehung der Wunde

Ich beginne mit den frühen und frühesten Verletzungen im Leben des Patienten. Deshalb, weil sie von besonderer Bedeutung für die Charakterbildung sind und auch die schwerwiegendsten Symptome erzeugen. Die Schwierigkeit der Behandlung dieser Verletzungen ist die Tatsache, dass sie nicht erinnerbar sind, da sie noch nicht sprachlich kodiert sind und wir vor dem dritten Lebendjahr in der Regel keine Erinnerungen haben. Gespeichert sind sie zentral im Hirnstamm (das Großhirn ist noch nicht reif!) und peripher in allen Zellen des Körpers.

Wir können dieses Echo mit dem Urknall vergleichen, einem Ereignis welches vor dreizehn Milliarden Jahren (berechnetes Alter unseres Universums) geschehen ist und uns mittels bestimmter Instrumente noch immer den Beginn unseres Universums hören lässt. Durch spezifische Berührungen, in meinem Ansatz langsame, passive Bewegungen der Gelenke, triggern wir diese Erlebnisse, und sie tauchen als körperliche und emotionale Schmerzen auf.

Warum ich die Gelenksarbeit verwende hat den Grund, dass zwischen jedem Gelenk und bestimmten Hirnzentren, wo körperlich-emotionale Schmerzen gespeichert sind, eine Verbindung besteht. Es ist die periphere und zentrale Gammaschleife, die als Verbindung fungiert. Auf Details möchte ich hier nicht eingehen, weil ich anderorts ausführlich darüber publiziert habe (s. „Emotionale Reintegration, der sanfte Weg“).

Wir dürfen also nicht erwarten, dass bildliche Erinnerungen auftauchen, sondern es sind emotionale Ausbrüche, die vom Unbewussten selbstregulatorisch balanciert werden, wenn sie in der sicheren Begleitung des Therapeuten erstmals an die Oberfläche treten. Wichtig ist auch zu wissen, dass früheste emotionale Schmerzen nicht von körperlichen Schmerzen unterscheidbar sind.

Für die Zuordnung des Traumas ist die Anamnese wichtig. Die Berichte der Mutter oder anderer Personen über den Ablauf der Geburt des Patienten. Die Mutter ist hier nicht die verlässlichste Auskunftsperson, da sie oft aus Scham, versagt zu haben, Geburtskomplikationen verschweigt.

Warum kommt es zu Geburtskomplikationen?

Im Laufe der Jahrmillionen ist der Kopf des Menschen aufgrund der Zunahme seines Großhirns gewachsen, der Geburtskanal hingegen ist ziemlich gleich groß geblieben. Wer je eine Geburt von Katzen oder Hunden erlebt hat, wird erstaunt sein, wie sechs, sieben Junge ganz leicht in die Welt schlüpfen. Hingegen erleben wir bei der Beobachtung einer menschlichen Geburt ein schmerzliches Drama, welches in jedem Fall ein traumatisches Erlebnis ist. Natürlich können wir Traumen, wenn sie nicht überwältigend sind, balancieren. Wir kommen als plastisches Wesen auf die Welt, welches sich anpassen kann und Strategien des Überlebens mitbringt. Jedoch sei hier angemerkt: Es gibt keine „sanfte Geburt“.

Selbst eine Geburt nach den Erkenntnissen von Frederick Leboyer und dem französischen Gynäkologen Michel Odent ist für das Kind ein dramatisches Erlebnis. Der erste Psychoanalytiker, der auf das Trauma der Geburt hingewiesen hat und die Meinung vertrat, es sei wichtiger als der Ödipuskomplex, war Otto Rank. Freud lehnte die Theorie ab und empfahl Rank eine Psychoanalyse zu machen, da er dessen Verhalten als eine Vaterrivalität ihm gegenüber interpretierte. In der Geschichte der Psychotherapie war es Arthur Janov, der sich mit dem Geburtstrauma intensiv auseinandersetzte.

Er beobachtete in bestimmten Therapiesequenzen, dass die Patienten mit dem Kopf zu schieben begannen, mit den Beinen einen Widerstand suchten, um sich dagegen zu stemmen und danach eine Rotationsbewegung mit dem Kopf machten. Er filmte diese Szenen und zeigte sie Gynäkologen und Geburtshelfern, die ihm bestätigten, dass es sich bei diesen Bewegungen genau um die gleichen handelte, wie sie das Kind während der Geburt macht. Gleichzeitig wurden die Patienten mit einer Flut von körperlichen und emotionalen Schmerzen überschwemmt.

Wir haben als Menschen die Fähigkeit, solche Traumen zu verarbeiten und zu überleben, wenn diese nicht zu überwältigend waren. Sie bleiben als Wunde abgespaltet gespeichert und sind die Ursache beträchtlicher seelischer Symptome im späteren Leben. Eine weitere seelische Wunde im frühen Lebensalter entsteht, wenn die Mutter vom Kind verlangt, das Kind solle sich um die Mutter kümmern und nicht wie im Normalfall umgekehrt.

Hans Eberhart Richter hat in seiner Habilitationsschrift „Eltern, Kind, Neurose“ ausführlich darüber geschrieben, welche Formen von krankmachenden Erwartungen Eltern an ihr Kind haben können. Die eben beschrieben Form ist die, dass die Mutter in ihrem Kind ihre eigene Mutter sieht und entsprechend Zuwendung und Aufmerksamkeit von ihrem Kind erwartet. Die große Schwierigkeit von Eltern besteht ja darin, das eigene Kind so zu sehen, wie es ist. Tatsächlich sehen wir unsere Kinder immer durch die Brille unserer eigenen Erwartungen und Befürchtungen.

Zur zeitlichen Zuordnung unserer Wunden: Bis zum dritten Lebensalter besitzt das Kind außer der `Abspaltung´ keine Abwehrmechanismen. Das bedeutet, dass Erziehungspersonen das Kind manipulieren können. Sie geben ihm eine Software ein, die ein Leben lang im Gehirn gespeichert bleiben wird. Zum einen kann das Kind sich nicht dagegen wehren, zum anderen erinnert es sich später nicht einmal, dass es bestimmte Programme in sich gespeichert hat, die sein Verhalten unbewusst bestimmen.

Ungefähr fünfundneunzig Prozent unseres Gehirns sind durch Reflexe und eingegebene Automatismen besetzt. Nur zu fünf Prozent, im sogenannten Frontallappen, sitzt unser „freier Wille“, unsere bewusste Aufmerksamkeit, der uns entscheiden lassen kann, ob unsere Handlungen auch unseren eigenen Vorstellungen entsprechen. Ob wir aus freiem Willen heraus handeln. Die Konsequenz dieser Überlegungen ist dramatisch. Hauptsächlich reagieren wir in unserem Handeln unbewusst, reflexhaft. Besonders wenn wir unter Stress stehen, sind nur die Programme, die Automatismen aktiv und nicht unser Bewusstsein.

Dies ist in bestimmten Situationen durchaus nützlich. Stellen wir uns vor, ein Tiger würde plötzlich vor uns auftauchen. Es wäre nicht praktisch, sich zu überlegen, ob dieses Tier gefährlich ist oder nicht. Oder ob es sich vielleicht um eine Täuschung unserer Sinne handelt. Während wir nachdenken, wären wir schon gestorben. Es geht hier um rasches Handeln. Bewusste Wahrnehmung ist nur in entspannter Haltung möglich. Wie können wir uns aber sicher sein, dass wir dennoch nicht nach einem Programm, sondern nach unserem freien Willen handeln?

Verlassen können wir uns nur auf unsere Gefühle. Wenn wir vor der Entscheidung stehen zu handeln und wir uns ganz sicher sind, dass es korrekt, richtig und in Übereinstimmung zur Moral und staatlichen Gesetzen steht, sollten wir auf unser Gefühl achten. Wenn dieses aufschreit, ist dies ein Zeichen, dass wir nach einem Programm handeln und nicht aus eigener Überzeugung heraus.

Es ist natürlich eine Bürde, alle staatlichen und moralischen Gesetze zu prüfen, bevor wir sie befolgen. Ebenso die verinnerlichten Gebote unserer Eltern. Wir bewegen uns gegen den Strom. Oft werde ich von meinen Patienten gefragt, was das „richtige“ Handeln ist. Leider gibt es kein verlässliches Buch, wo wir das nachlesen können. Selbst staatliche Gesetze können unmoralisch und falsch sein. Denken wir nur an das Naziregime und seine Gesetze. Es hat in dieser Zeit viel Kraft gekostet, sich dagegen zu entscheiden.

Ich bringe hier eine Geschichte aus meinem eigenen Familienkreis. Mein erster Schwiegervater, ein einfacher Eisenbahnarbeiter, ging an jenem Tag am Wiener Heldenplatz vorbei, als sich Hitler durch eine Masse von hunderttausend Menschen feiern ließ. Mein Schwiegervater dachte bei sich: „Kann es denn sein, dass ich als ungebildeter Mensch so klar spüre, dass alle diese Menschen falsch liegen und ich alleine richtig denke?“ Er blieb dennoch bei seiner Entscheidung und ließ sich nicht von der allgemeinen Begeisterung mitreißen.

Die Antwort auf die Frage „In welchem Buch soll ich nachlesen, was richtig ist?“, lautet: „In dem Buch des Lebens, welches Du gerade selbst schreibst!“ Dies ist eine große Verantwortung für uns alle und bedeutet aus unserem Verstand, unserem Herzen und aus unserem Bauchgefühl heraus zu entscheiden. Dennoch bleiben wir immer fehlbar.
Es ist viel leichter im Gesetzbuch, in der Bibel und deren Auslegungen nachzulesen, die Meinung unserer Eltern zu befolgen, als selbst die „richtige“ Entscheidung zu treffen.

Wenn das Kind einmal das vierte Lebensalter erreicht hat, ist es reif genug, sich durch spezifische Abwehrmechanismen zu wehren. Dies geschieht auf psychischer und körperlicher Ebene. Die Körperpsychotherapie beschäftigt sich mit den muskulären Abwehrmechanismen, die Wilhelm Reich den “Muskelpanzer“ genannt hat. Allerdings wissen wir heute, dass die frühen Störungen nicht mit chronischer Verspannung der Skelettmuskulatur auf Traumen reagieren.

Wir haben vor uns, körperlich gesehen, die sogenannten „weichen Strukturen“, wie Will Davis sie einmal genannt hat – im Unterschied zur „harten Struktur“ der klassisch Reichianischen Panzerung. Die therapeutische Herangehensweise ist eine andere, eine sanftere, wie zum Beispiel mein Ansatz der Emotionalen Reintegration. Sie heißt deshalb auch der `sanfte Weg´. Die Wunden, mit denen wir uns weiter beschäftigen werden, entstehen also im ersten, im zweiten und im dritten Lebensjahr. Sie sind für die Fähigkeit, später therapeutisch zu handeln, entscheidend.

Zunächst geht es darum, sich der eigenen Verletzung bewusst zu werden und sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Sich selbst also Hilfe zu holen. Dann können in dem geschützten Raum frühkindliche Situationen nochmals erlebt werden und durch die liebevolle Begleitung des Therapeuten, durch seine Aufmerksamkeit und sein Wissen, selbstregulativ zu heilen beginnen.

Die Rolle der Wunde bei der Partnerwahl

Ganz bedeutend ist die Wunde bei der Wahl eines Partners. Instinktiv wird eine Partnerin oder ein Partner gesucht, der der fordernden Mutter gleicht. In der Hoffnung, endlich so gesehen und geliebt zu werden, wie man wirklich ist. Diese Wahl sieht wie eine Falle aus, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt. Auch bei ausreichender Therapie bleiben jene Menschen, die Ähnlichkeiten mit dem Charakter der Mutter tragen, anziehend und attraktiv, obwohl sich in solchen Beziehungen das frühe Drama des Kindes wiederholt.

Er oder sie gibt und kümmert sich um den Partner oder die Partnerin, bekommt aber wieder nicht die Wertschätzung noch die Fürsorge, die ersehnt wird. Man kommt sich durch den Partner ausgenützt vor, es kommt nichts zurück. Dennoch bleibt die Hoffnung, dieses Verhalten könnte sich einmal ändern – und trotz allem bleibt man in der trostlosen Beziehung hängen.

Die beschriebene Suche nach einem Partner, der mütterliche Züge trägt, bezieht sich nur auf frühe Störungen. Es ist die Mutter, die in den ersten drei Lebensjahren für die Ausbildung des Selbstgefühls und des Selbstwertes entscheidend ist. Im idealen Falle ist die Mutter dem Kind zugewandt, sie spiegelt das Kind und stützt sein Selbstwertgefühl.
Daher entsteht bei einem Fehlen dieser Zuwendung, aus welchem Grunde auch immer, ein emotionales Defizit und fehlendes Selbstvertrauen. Es ist von Bedeutung, wonach der Therapeut beim Erstgespräch frägt. „Was fehlt Ihnen?“ bezieht sich auf Defizite, „Was haben Sie?“ bezieht sich auf Symptome.

Wenn die Traumatisierung nach dem dritten Lebensjahr erfolgt ist, entstehen die in der Körperpsychotherapie so genannten „harten Strukturen“. Also der masochistische Charakter, der psychopathische (in der Psychoanalyse der narzisstische Charakter), der rigide und der hysterische Charakter. Ich setze das Verständnis dieser Begriffe voraus, empfehle sonst mein Buch „Emotionale Reintegration“. Diese Charakterstrukturen werden sich eher einen Partner suchen, der, zumindest in wesentlichen Punkten, dem Charakter des Vaters entspricht.

Ist die Situation bei der Partnersuche also hoffnungslos? Nein! Ich habe folgende Vorstellung von einer Lösung dieser schwierigen Aufgabe, die zu einer liebevollen und partnerschaftlichen Beziehung führen kann: Wir als hilflose Helfer, suchen uns einen Partner mit ähnlichen Wesenszügen der Mutter, um durch neuerliches Durchleben des Beziehungsdramas – diesmal aber mit den Fähigkeiten eines Erwachsenen, und das ist der Unterschied zum hilflosen Kind – das Thema aufzulösen.

Ist dies ohne Therapie überhaupt möglich?

Ich glaube schon. Überlegen wir uns, wie viel Prozent der Menschen weltweit in Psychotherapie gehen. Es ist ein verschwindend kleiner Anteil, wenn wir zum Beispiel den asiatischen Kontinent, Ozeanien oder Afrika betrachten.
Bedeutet dies, dass alle diese Milliarden Menschen verloren sind und nur unglückliche Beziehungen führen können?
Meine Vorstellung über den Sinn einer Beziehung ist die Möglichkeit aneinander und miteinander zu lernen, also aneinander zu wachsen und die Defizite der Kindheit, wenn sie auch nicht aufzulösen, sie jedoch durch die neue emotional korrigierende Erfahrung in der Partnerschaft zu relativieren.

All diese Überlegungen gelten für die heilende Funktion einer geglückten Beziehung. Wenn die Partnerwahl auf einen Menschen fällt, der zu sehr der Mutter ähnelt, muss die Beziehung scheitern: lediglich eine gewisse Ähnlichkeit lässt hoffen, dass es zu einer Heilung kommt. Wenn es um die therapeutische Heilung der Wunde geht – und das ist die Voraussetzung, um selbst therapeutisch zu arbeiten – bedarf es mehr. Eine gründliche Durcharbeitung des Themas ist notwendig.

Damit ist gemeint, dass es in der Therapie zunächst um das Verstehen der Zusammenhänge geht – das berühmte „Aha-Erlebnis“. Aber damit ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Alice Miller spricht über den therapeutischen Prozess folgendermaßen: Zunächst erkennt der Patient, was er tut und warum er es tut. Beim nächsten Mal, wenn er in eine ähnliche Situation kommt, erkennt er die Falle, fällt aber dennoch wieder hinein.

Das nächste Mal erkennt er die Falle rechtzeitig, fällt aber wieder hinein. Letztlich kann er vor der Falle stehen bleiben und sich entscheiden, aufgrund seiner Ressourcen als Erwachsener, einen anderen Weg einzuschlagen. Jetzt kommt die Pointe: Wenn der Patient sich in einer Krise befindet, fällt er in die Falle, so als ob er noch nie die Zusammenhänge verstanden hätte. Es handelt sich also um einen Prozess, bis der Patient auch in Krisen gelernt hat, anders zu entscheiden, als sein Programm ihn leitet. Die Psychoanalyse nennt diesen Prozess „Durcharbeiten“.

Mir fällt dazu der Spruch von Konrad Lorenz, dem berühmten Verhaltensforscher, der den Nobelpreis für Physiologie erhalten hat, ein: „Gehört ist nicht zugehört – zugehört ist nicht verstanden – verstanden ist nicht einverstanden – einverstanden ist nicht durchgeführt und durchgeführt ist nicht beibehalten!“

Was beeinflusst unsere Berufswahl zum Therapeuten?

Wenn wir Medizinstudenten im ersten Semester im Anatomiesaal beobachten, können wir ziemlich genau voraussagen, ob der betreffende Student später Chirurg, Zahnarzt, Orthopäde oder aber Internist, Kinderarzt oder Psychiater wird.
Wenn keine innere Wunde besteht, entwickelt sich kein Interesse beim späteren Arzt, sich den Rest seines Lebens die seelischen Probleme anderer Menschen anzuhören. Erst die Erfahrung der eigenen frühen Wunde macht diese Menschen empfindsam für das seelische Befinden ihrer Patienten.

Es entsteht ein Verstehen des Anderen auf unbewusstem Wege. Wir können körperpsychotherapeutisch auch von `somatischer Resonanz´ sprechen. Beim Erkennen der Wunde des Gegenübers beginnen wir die eigene Wunde zu spüren. Das Vorhandensein einer eigenen Wunde lässt Studenten Psychologie, Psychotherapie, Theologie und Sozialberufe studieren. Dieses Hingezogen sein zu leidenden Menschen geschieht zunächst unbewusst.

Der Betroffene erzählt zum Beispiel in der eigenen Therapie, dass er verwundert ist, dass sich Menschen aus seiner Umgebung mit psychischen Problemen gerade an ihn wenden würden. Es ist diesen Personen eher unangenehm, sich als Klagemauer zu sehen oder schlimmstenfalls als Mistkübel fremder Sorgen. Sie besitzen ja noch kein Werkzeug, mit dieser Gabe sorgsam umzugehen. Es fehlt am Beginn noch völlig das Verständnis, warum sie wie ein Magnet für seelische Probleme anderer wirken und leiden oft darunter.

Alice Miller hat in ihrem Buch „Das Drama des begabten Kindes“ ausführlich beschrieben, was mit einem Kind geschieht, welches den Auftrag der Mutter in sich trägt, sich um die eigene Mutter kümmern zu sollen, anstatt umgekehrt. Es entwickelt so etwas wie eine `Antenne´, mit der es sofort fühlt, wenn die Mutter etwas braucht. Diese Antenne wird zu dem Werkzeug, welches auch im Erwachsenenalter erhalten bleibt und uns spüren lässt, was unser Gegenüber braucht.

Solange wir uns allerdings dieser Begabung nicht bewusst sind, um sie therapeutisch zu nützen, sind wir selbst Opfer dieser Fähigkeit. In dem Sinne, als wir anderen zwanghaft helfen, ohne uns selbst helfen zu können. Wir fühlen uns von den Menschen ausgebeutet und missbraucht, bei gleichzeitiger Sehnsucht, selbst einmal mit unseren Schmerzen gesehen zu werden.

Wolfgang Schmidbauer nannte in seinem großartigen Buch diese Per-sonen „Die hilflosen Helfer“.

Das Wort „Trauma“ bedeutet körperliche oder seelische Verletzung. Wir unterscheiden zwischen frühen und frühesten Traumen und Traumen ab dem dritten Lebensjahr. Außerdem gibt es Traumen im Erwachsenenleben, die als „posttraumatische Belastungsstörung“ bezeichnet werden.

Frühe Traumen bezeichne ich als Traumen vor dem dritten Lebensjahr. Früheste Traumen sind seelische Verletzungen vor, während und nach der Geburt. Bereits im Uterus bekommt der Embryo mit, was seine Mutter emotional empfindet. Wenn sie leidet, leidet der Embryo, wie im vorigen Kapitel besprochen, mit.

Die Wunde kann nicht von selbst heilen. Dazu wäre es notwendig, die dazugehörigen Emotionen zuzulassen. Wir wissen, dass Säuglinge als Reaktion auf massiven psychischen Stress sterben können. Deshalb spalten sie ja als Schutzmechanismus die Verletzung ab. Bereits in den 1930er Jahren beobachtete Rene Spitz an Säuglingen in Waisenhäusern viele spontane Todesfälle, obwohl die Säuglinge hygienisch und ernährungsmäßig bestens versorgt waren. Die fehlende emotionale Zuwendung war zu viel Stress, um überleben zu können.

Unser Unbewusstes – ich meine nicht das Unterbewusste im Freudianischen Verständnis, einen Ort wo alle verdrängten Traumen gespeichert sind, sondern unser großes Potential an psychischen und seelischen Reaktionen, welches uns zur Verfügung steht, ohne dass wir uns seiner bewusst sind, dieses Unbewusste ist und bleibt ein Kind. Entsprechend verhält es sich auch bezüglich der Verarbeitung früher und frühester Traumen. Es traut sich nicht die Emotionen hochkommen zu lassen, ohne die eine Heilung nicht möglich ist, obwohl diese Emotionen – Arthur Janov nannte sie den Urschmerz – die starke Tendenz haben, an die Oberfläche zu treten.

Neurologisch gesehen verwenden wir große Gehirnareale, um diesen Urschmerz zu unterdrücken. Aus Angst, diese überwältigenden seelischen Schmerzen nicht ertragen zu können, wählen wir entweder eher ein Abreagieren dieses inneren Druckes, etwa durch eine Arbeitswut („workoholic“), oder durch extremen Sport, manchmal auch durch Promiskuität. Eine Form der emotionslosen Abreaktion mit vielen Sexualpartnern, ohne die Fähigkeit Gefühle wie Hingabe oder Liebe zuzulassen. Ein anderer Weg, den Urschmerz unterdrückt zu halten, ist die Dämpfung durch Drogen wie Alkohol, Cannabis, Heroin oder ähnliche Suchtmittel.

Die Heilung der Wunde

Die Wunde selbst ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns für den Beruf des Therapeuten entscheiden. Um ihn aber ausüben zu können, bedarf es einer gründlichen Reflexion durch eine Therapie. Sonst sind wir die hilflosen Helfer, die selbst mitleiden, ohne wirklich helfen zu können. Es geht ja in der Therapie nicht um direktives Handeln, es geht nicht darum, Ratschläge zu geben oder Anweisungen zu erteilen.

Es geht ausschließlich um bewusste Wahrnehmung, die des Therapeuten und die des Klienten. Wir als Therapeuten besitzen ja kein Werkzeug bei unserer Arbeit. Unser Werkzeug sind wir selbst. Ich bezeichne den unbehandelten Therapeuten gerne als einen Rohdiamanten, der erst geschliffen werden muss. Dann erst besitzt er viele Facetten, in denen sich der Patient auch spiegeln kann.

Ich hoffe durch diese Überlegungen Therapeuten, oder denjenigen Personen, die diesen Beruf anstreben, etwas Verständnis über diese grundlegenden Gegebenheiten im therapeutischen Feld mitzugeben und bin auch gerne zu einer theoretischen Auseinandersetzung oder Bereicherung durch eigene Erfahrungen bereit.

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Kontaktadresse:
office@peterbolen.at
www.peterbolen.at

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