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Bukumatula 1/2010

Reich im Studienplan unterzubringen ist heutzutage gar keine Selbstverständlichkeit!

Gespräch mit Renate Wieser über ihren Lehrauftrag an der Universität Innsbruck
und ihre Sympathie für die „Audimaxisten“
Robert Federhofer:

Robert: In dieser BUKUMATULA-Ausgabe veröffentlichen wir einen Artikel von Michaela Holaus einer Studentin, die an deiner Lehrveranstaltung über Wilhelm Reich teilgenommen hat.

Renate: Ja, ich freue mich darüber! Es handelt sich um eine Seminararbeit, die im Rahmen dieser Lehrveranstaltung entstanden ist. Ich freue mich vor allem darüber, dass Studierende über die einfache Rezeption von dargebotenen Inhalten hinausgehen darüber nachdenken, ob und in welcher Form die Thesen von Wilhelm Reich zum Verständnis von Phänomenen beitragen können, die uns heute in der Gesellschaft begegnen.

Robert: Um welche Lehrveranstaltung handelt es sich da genau?

Renate: Das Seminar heißt „Wilhelm Reich: Psychoanalyse, Körper und Energie“ und wurde zuletzt im Sommersemester 2009 am Institut für Erziehungswissenschaften der Uni Innsbruck angeboten; in zwei Wochenend-Blocks pro Semester sollte es das Gesamtwerk von Wilhelm Reich darstellen (uff!).An dieser Stelle möchte ich besonders dem engagierten Ordinarius des Institutes, Professor Josef Aigner, danken, dass er es geschafft hat, das kontroversielle Thema „Reich“ im Studienplan unterzubringen das ist heutzutage gar keine Selbstverständlichkeit!

Robert: Vielleicht kommen wir später noch auf die Situation an den Unis zurück. Ich möchte dich zuerst noch über die Lehrveranstaltung befragen: Wie wurde denn Reich von den Studierenden aufgenommen?– Gab es besondere Interessensschwerpunkte?

Renate: Grundsätzlich glaube ich sagen zu können, dass die meisten Studierenden froh waren, sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit einem Forschungsansatz auseinander setzen zu können, der sich in vielerlei Hinsicht vom üblichen Angebot an der Uni unterscheidet. Die Lebendigkeit des Reich´schen Werkes hat sich in einem lebendigen Seminar gespiegelt: Es gab sehr rege Debatten, viele in die Tiefe der Materie gehende Fragen und oft neue, ungewohnte Perspektiven auf ein Thema; vielleicht auch ungewohnte Perspektiven auf Lehrende.

Einmal habe ich auf dem Tisch stehend Energieübungen zur Auflockerung vorgezeigt, nachdem in einem Seminarraum mit 20 Sitzplätzen rund um den Tisch 45 TeilnehmerInnen waren und sonst keine Chance auf ein Sehen und Mitmachen bestanden hätte. Wo immer Reich ins Spiel kommt, fördert er auch die Polarisierung. Das liegt an seiner unkonventionellen Art der Forschung und Hypothesenbildung dem orgonomischen Funktionalismus. Dadurch, dass er sich Analogieschlüsse ziehend, auf der Suche nach gemeinsamen funktionalen Wurzeln durch Medizin, Psychologie, Biologie, Soziologie usw. bewegt, kommt er zu oft genialen und unvermuteten Ergebnissen und Visionen, die auf vielen Gebieten vor allem im Spätwerk natürlich noch viel Raum für detailliertere Forschung lassen.

Das ist ja aber auch ein spannender Aspekt seiner Arbeit. Großes Interesse hat das Menschenbild von Reich ausgelöst, das der späten Psychoanalyse diametral gegenüber steht: Das Modell der charakterlichen Schichtung: kooperierender und liebender biologischer Kern gepanzerte, sekundäre Charakterschicht soziale Oberfläche. Die damit verbundenen Funktionalitäten Entstehungsgeschichte und Effekte für das Individuum und die Gesellschaft waren ein Kernstück der Debatte im ersten Seminarblock.

Rege Resonanz fand auch die Entwicklung von Reichs energetischem Ansatz und seiner Nutzung und Anwendung, sowie die Einbeziehung des Körpers in die Therapie. Im zweiten Seminarblock stand vor allem die Auseinandersetzung mit Reichs Theorie zur Krebsbiopathie im Zentrum der Aufmerksamkeit der Studierenden. Viele Studierende sind bereits in pädagogischen oder angrenzenden Berufen tätig, werden es später sein und/oder haben selbst bereits Kinder. Die Frage nach Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen Stichwort: „Neurosenprophylaxe“ hatte naturgemäß ebenso eine brennende Relevanz für die TeilnehmerInnen.

Ich habe auch nach dem Seminar Anfragen von Studierenden bekommen, die sich, durch die Lehrveranstaltung angeregt, in ihrem Beruf weiter mit dem Reich´schen Ansatz beschäftigen wollen. Zum Beispiel ein Berufsschullehrer, den die in die politisch rechte Richtung gehende Entwicklung vieler seiner SchülerInnen beschäftigt und der nach Antworten für sich in seinem Lehrersein sucht, bzw. sich weitergehend mit den tieferen Bedürfnissen der SchülerInnen auseinandersetzen möchte. Summa summarum habe ich mit großer Lust meine Kenntnisse über Reich weitergegeben. Mir war es auch wichtig, Raum für eine freie Auseinandersetzung zu schaffen, sowie für die Möglichkeit, selbständig die dargebotene Materie zu reflektieren; ich glaube, dass mir das in dieser Lehrveranstaltung gelungen ist.

Robert: Danke für deine Seminarreflexion. Freiraum im Studium, Bildung statt Ausbildung sind ja gerade jetzt zentrale Forderungen vieler Studierender ausgehend von der „Audimaxisten-Bewegung“, die an der Wiener Uni ihr Zentrum hat. Was gibst du dieser Bewegung für eine Bedeutung?

Renate: Ich möchte an dieser Stelle keine tiefschürfende Analyse des Bildungssystems und der Bewegung, die in diesem Kontext stattfindet, abgeben. Einen Aspekt möchte ich aber doch gerne ansprechen: Ich freue mich darüber, dass diese bewegten StudentInnen erstmals seit langer Zeit in diesem Ausmaß für ihre Interessen eintreten. Interessen, die dem Leben, der Entfaltung, der Entwicklung von „(self)-respons-ability“ dienen.

Selbstverantwortung drückt für mich in der Tiefe die Fähigkeit aus, aus dem menschlichen Kern heraus auf das Leben zu antworten. Interessen, die Konkurrenz und Getrenntheit überwinden wollen, bergen für mich Hoffnung für unser aller Leben in der Zukunft im Gegensatz zu Interessen, die aus der Angststeuerung des Systems erwachsen und lediglich auf einen kurzfristigen persönlichen Vorteil gegenüber Anderen zielen.

Die Audimaxisten bilden jetzt gerade den Kontrapunkt zu den vielen Besorgnis erregenden politischen und menschlichen Entwicklungen in unserem Land. In den vor Lebendigkeit und Aufgewecktheit sprühenden, unter persönlicher Beteiligung von Vielen, demokratisch herbeigeführten Ausdrucksformen dieser Bewegung, steckt noch viel Entwicklungspotenzial.

Klar kann auf der Ebene der Forderungen noch viel den Bach hinuntergehen, klar können mögliches Steckenbleiben und/oder Ausdünnen der Bewegung noch viel Frustration hervorrufen. Aber ich bin tief davon überzeugt, dass, wer einmal in so einem Rahmen den Geschmack eines gemeinsamen Wollens für das Wohl des Gesamten gekostet hat, ein Stück mehr bereit ist, sich auch in anderen Zusammenhängen auf das Leben auszurichten und die Angststeuerung zu überwinden und sich auch weiterhin dafür im Kollektiv einzusetzen.

Ich möchte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Lichtblick dieser Bewegung leider keineswegs die Gesamtsituation Aller und insbesondere der jungen Generation widerspiegelt. Ich glaube, wir haben als engagierte Menschen noch viel zu tun, um unser eigenes Wohl und das des Gesamten zu fördern. Auf der Ebene der praktischen Unterstützung habe ich den Studierenden angeboten, als Facilitator für lösungsfokusierte Großgruppenveranstaltungen zur Verfügung zu stehen falls sie einen Bedarf danach haben.

Robert: Abgesehen von der Uni – was treibst du denn sonst gerade im öffentlichen Raum in Bezug auf deine genannten Anliegen?

Renate: Ich backe kleine Brötchen und experimentiere. Im Oktober habe ich im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Rassismusfreie Zone“ unter dem Titel „Sind es immer die Anderen?“ in einer Ottakringer Galerie eine Performance zur Reich´schen Massenpsychologie gemacht.Frei nach Vally Exports „Tapp-und-Tast-Kino“ konnten die BesucherInnen die Qualität von unterschiedlich emotional besetzten Gegenständen ertasten und mit den unterschiedlichen charakterlichen Schichten in Verbindung bringen. Danach wurde heftig darüber diskutiert, was es wohl bedeutet, wenn Reich davon spricht, dass der Faschismus nicht die Bewegung einer Minderheit ist, sondern der direkte Ausdruck der „zweiten“ Charakterschicht ihr politisch organisierter Ausdruck.

Die Gegend um den Yppenplatz/Brunnenmarkt in Ottakring wird immer stärker von der Integrationsförderung geprägt: Die erwähnte Galerie befindet sich zum Beispiel im Haus von Frederik Morten, der unter den Nazis Österreich verlassen musste ebenso im Haus befindet sich eine Moschee, was Morten zum Ausspruch veranlasste: „Wahrscheinlich bin ich der einzige Jud’ auf der Welt mit einer eigenen Moschee“.

Kurz gesagt: ich glaube es steht an verstärkt mit unserem Angebot dorthin zu gehen, wo bereits das Neue keimt, es zu unterstützen und das Unsere dazu beizutragen und darüber hinaus uns was Neues einfallen zu lassen!Ach ja, damit ich es nicht vergesse: Vor unserer WRI-Veranstaltung zur Wiederkehr des 50. Todestags von Wilhelm Reich habe ich mit einigen Anderen im Museumsquartier eine „free hug“ Aktion gemacht und ein Jahr davor mit Beatrix Teichmann-Wirth auf dem Adventmarkt vor der Karlskirche.

Unsere Erfahrungen mit den Menschen, die unsere Gratis-Umarmungen angenommen oder aber auch verweigert haben waren sehr bewegend. Menschen eine liebevolle, körperliche Berührung anzubieten, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten, bringt Bewegung in viele Richtungen. Ich glaube überhaupt, dass sich unsere Aktionen über neue Formen ausdrücken sollten: “Form Follows Function“ wird für mich ein immer wichtigeres Motto.

Ich möchte gerne wieder eine „free hug“-Aktion starten und suche interessierte Gleichgesinnte. Ein schon länger bestehender Plan, so eine Aktion auch einmal zweisprachig in Klagenfurt/Celovec abzuhalten, harrt noch immer seiner Verwirklichung, eventuell auch mit einer Doku darüber. Wie gesagt: Interessierte mit aktionistischem Blut in den Adern bitte bei mir melden!

Robert: Danke für das Gespräch.

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Kontaktadresse: renate.wieser@ki-solutions.cc

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