17 Aug.
Bukumatula 1/2006
Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie, Forschung und Relevanz im therapeutischen Prozess;
Hrsg. Peter Geißler
Buchbesprechung
Beatrix Teichmann-Wirth:
Der Versuch einer Rezension zum Buch „Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie.
Forschung und Relevanz im therapeutischen Prozess“.
Herausgegeben von Peter Geißler in der edition psychosozialdes Psychosozial Verlags; Gießen 2005.
„ If my heart could do the thinking
and my head began to feel . . . “
Van Morrison
Ich liebe es Liebeserklärungen zu schreiben, zu schwärmen von Vorträgen, Büchern oder Menschen.
Bei diesem Buch wollte es jedoch nicht gelingen, so sehr ich mich bemühte, ich konnte mich nicht begeistern. Nur an einzelnen wenigen Stellen, in Beiträgen des Herausgebers spürte ich bisweilen eine Art Inspiration, eine An- und Aufgeregtheit.
Das Buch ist für Liebesgefühle zu spröde. Es läßt sich nicht in den Arm nehmen und herzen und kosen. Es ist ein Lehrbuch, das den Stand der Diskussion innerhalb der Analytischen Körperpsychotherapie dokumentiert. Der Titel „Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie“ hat mich interessiert, und so hab ich mich gleich einmal als Rezensentin gemeldet. Hab wohl angenommen, dass es um nonverbale Interventionsformen geht und war interessiert, was sich Neues tut am Markt der Körperpsychotherapeuten.
Doch schon beim Lesen des Klappentextes war ich ent-täuscht – da war von Mikro- und Makroanalyse die Rede, von Enactments, auch die Begriffe Beziehungsregulierung und Aushandlungsprozesse waren mir ganz und gar nicht geläufig.
Dennoch: Ich hatte eine Rezension versprochen und so machte ich mich an die Arbeit. Und eine Arbeit war das wirklich, dieses Buch durchzugehen, nein vielmehr durchzuarbeiten, denn bald war klar, dass es hier nicht mit Durchlesen getan war. Denn hier liegt ein Buch vor, welches genau behandelt werden will, man könnte sagen, mikroanalytisch, denn mit einem freien, sanft-weichschauenden Auge ist’s nicht zu erfassen. Also nahm ich einen Unterstreichstift zur Hand, ein Schreibheft zur Seite und begann – wie in meinen alten trotzkistischen Zeiten bei der Lektüre der Rotfront – Zeile für Zeile zu durchforsten.
Alsbald wurde mir klar, dass ich mich offenbar schon sehr weit weg bewegt hatte von einer im analytischen Begriffssystem beheimateten Welt. Und es scheint, als ob man in dieses Land nicht einfach auf Urlaub fahren kann, bloß ausgestattet mit einigen Grundkenntnissen der Sprache.
Nein, diese Sprache ist sehr exklusiv, exklusiv, ausschließend, sie befindet sich nicht auf dem Boden der für die Psychotherapie allgemeingültigen Sprache, schon gar nicht für Körperpsychotherapeuten.
So will ich an dieser Stelle meinen ersten Kritikpunkt nennen, und vielleicht ist dieser ja ganz essentiell: diese Sprache ist eine Sprache, die man – ich – mühsam zu lernen hat, sie ist körperfern, entfremdet, läßt sich – für mich – nur durch harte Gedankenarbeit entschlüsseln. Begriffe wie Explikation, Interaktanden, auch PAMS (Prototypische Affektive Mikrosequenzen) oder der Begriff der Affektregulation, oder auch Enactment, adulte Selbstbewegung und übertragungsanaloge Ermutigung stimmen nichts in meinem Körper an, keine Resonanz, kein unmittelbares Erkennen und Erfassen im Sinne eines „ja genau!“, wie das bei Reichs Begriffen der Ausdrucksbewegung, Panzerung und dem Begriff des Strömens ist, wo ich sogleich das Gemeinte – körperlich – realisiere.
Natürlich oder besser unnatürlich, weil durch eine männliche Wissenschaftswelt konditioniert, fühlte ich mich bald beschämt, etwas nicht zu wissen, nicht im State of the Art zu sein, doch dann mit einigem Abstand und Mozart im Ohr dämmerte mir, oder ich gestattete mir vielmehr es zu denken, dass es gerade bei einem Buch, bei welchem es soviel um den Zusammenhang von Wort und Tat, verbalem und nonverbalem Ausdruck geht, auch darum gehen könnte, körpernah, aus dem Körper kommend zu schreiben. Das würde sogleich eine allgemeine, die enge Welt der psychoanalytischen Körperpsychotherapeuten erweiternde Verständigungsbasis geben. Auf dieser Basis könnte wirklicher Austausch stattfinden und eine wechselseitige Befruchtung.
Doch ich will – versprochen ist versprochen – eine Rezension schreiben, dem Buch gerecht werden – wäre da nicht meine Körperempfindung der Kontraktion, das körperlich gespürte Nein, nochmal hineinzugehen in die Artikel, um ja was G´scheites zu schreiben.
Ich seh schon, das wird keine klassische Rezension, ein Durchgehen und Beschreiben aller hier erschienenen Artikel wird nicht stattfinden. Zur Orientierung will ich jedoch an den Schluss einen Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis geben, es finden sich sowohl Beiträge, die im Symposium vorgetragen wurden, als auch ergänzende Artikel, die teilweise nur entfernt mit dem Thema zu tun haben. Es ist ein Verdienst und ein Anliegen des Herausgebers, in diesen Symposiumssammelbänden Raum zu geben, um den Diskussionsstand in der psychoanalytischen Körperpsychotherapie zu dokumentieren.
Ich werde mich auf das Kernthema des 2004 stattgefundenen Symposiums mit dem Titel „Nonverbale Interaktion: Makro- und Mikroperspektive“ beziehen sowie auf die grundsätzliche therapeutische Ausrichtung der psychoanalytischen Körperpsychotherapie, soweit es mir möglich war durch die Lektüre etwas davon zu verstehen.
Im Vorwort beschreibt Geißler zunächst die Entwicklungsgeschichte des Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“, das – 1998 von Geißler und Rückert gegründet -, jährlich in Wien stattfindet. Ausgangspunkt war der Dialog von Psychoanalytikern mit Interesse an körperlichen Ausdrucksphänomenen und Beziehungsbotschaften und Körperpsychotherapeuten der DÖK, welchen die Betrachtung der therapeutischen Beziehung sowie die Beachtung der Gegenübertragung im Sinne projektiver Anteile in der Bioengetischen Analyse zu kurz gekommen ist und welche zur Erkenntnis kamen, „dass es ohne psychodynamisches Verständnis des psychotherapeutischen Prozesses schwierig war, effektiv Körpertherapie zu betreiben, die über starke Effekte innerhalb der Therapiesitzungen hinausgingen.“
Es wurden sukzessive Erkenntnisse von Downing aus der Säuglingsforschung integriert. Downings Verdienst ist die Verschiebung der Aufmerksamkeit von kognitiven auf körperliche Prozesse und die Einführung eines neuen Begriffssystems (affektomotorische Schemata, Körperstrategien, körperliche Mikropraktiken…). Formal mündete diese neue Schwerpunktsetzung in der Gründung des AKP (Arbeitskreis für analytische körperbezogene Psychotherapie).Die Beschreibung der Entwicklungsgeschichte ließ mich einiges verstehen über das Verständnis von therapeutischer Beziehung und auch über die Schwerpunktsetzung der Forschung im AKP. Und es ließ mich verstehen, warum Reich so gar nicht oder nur sehr peripher vorkommt.
Die Wurzeln der Mitglieder im AKP finden sich also zum einen in der psychoanalytischen Tradition, zum anderen in der Bioenergetischen Analyse. Beide – Freud wie Lowen – haben das energetisch-ökonomische Fundament der Neurose nicht weiter berücksichtigt, was das konkrete Arbeiten betrifft. Freud hat sich auf den Wortinhalt der freien Assoziation konzentriert, und Lowen hat die Charakterstrukturen eingehendst auch in ihren körperlichen Aspekten beschrieben und Übungen zur Verfügung gestellt, um den Körperpanzer zu lösen. Beide haben den energetischen Beziehungsaspekt in den Therapien außer acht gelassen.
Im Einführungskapitel beschreibt Geißler sodann sehr persönlich die Schamgefühle, „sich selbst im Video zu sehen“. Sich diesem auf Film unwiderruflich gebannten eigenen Ausdruck auszusetzen, find´ ich sehr mutig und dem gebührt meine Anerkennung. Dieser Aspekt wird auch in einem zweiten auch von Geißler verfaßten Beitrag aufgegriffen, der die praxeologischen Folgerungen diskutiert. Das gemeinsame (mit dem Klienten) Ansehen von Therapiesitzungen auf Video wird als Hilfsmoment im Sinne eines dritten Objekts gesehen.
Aber es ist vor allem das bewußte sich dem Blick des Klienten Aussetzen, wie es sich in der Frage „Wie sehen Sie mich?“ ausdrückt oder auch in der Einladung an den Klienten, den affektiven Gesichtsausdruck des Therapeuten nachzuahmen, das ich bemerkenswert finde. Da wird ein Beziehungsraum eröffnet, der am gegensätzlichen Pol des klasssich analytischen Settings angesiedelt ist. Freud soll ja das Couch Setting so begründet haben, dass er sich doch nicht 17 Stunden pro Tag anstarren lasse.
Ich selbst konnte diese Schamgefühle in meiner tanztherapeutischen Praxis erleben, (mittlerweile wird diese Methode bewegungsanalytische Therapie nach Cary Rick genannt, und der Therapeut tritt nicht mehr über Bewegung in Kontakt) – damals konnte ich am eigenen Leib erleben, wie es ist, sich zu zeigen – überdies nicht bloß in kontrollierter Weise am Stuhl sitzend, gerade mal die Arme, Hände, Gesicht und vielleicht noch den Oberkörper bewegend, in der tanztherapeutischen Situation war ich ganz sichtbar, von Kopf bis Fuß und in Bewegung – high risk.
Geißler verweist in diesem Abschnitt auch auf die Potentiale der Video(mikro)analyse innerhalb der Ausbildung oder auch für zukünftige Therapien und betont, dass die selbstreflexive Funktion des Therapeuten erhöht wird. Es ermöglicht sukzessiv ein erhöhtes Selbstgewahrsein im Sinne eines begleitenden Selbstmonitoring. Da wir als Körpertherapeuten ein solches Gewahrsein von körperlichen Gegenübertragungsreaktionen jedoch gelernt haben sollten, stellt sich mir die Frage, inwiefern dieser unmittelbare Zugang und eine Schulung in körperlicher Selbstwahrnehmung nicht ein geeigneteres, vor allem einfacheres Element ist.
Die Beachtung der nicht mit freien Auge sichtbaren Verhaltensweisen, der Mimik und Gestik eines Menschen wird in einigen Beiträgen viel Raum gewidmet und der Wert der Beobachtung und nachträglichen Analyse von sogenannten PAMS beziehungsweise von kleinen nonverbalen Sequenzen wird hoch geschätzt. Meiner Ansicht nach werden hier bisweilen körperliche Vorgänge psychologisiert. Besonders deutlich – ich möchte fast sagen kraß – fand ich diese künstliche Bedeutungsschwangerschaft im Beitrag von Streeck, der darin die sogenannten „enactments“ als gemeinsame Inszenierungen zwischen Klient und Therapeut beschreibt.
Ich kann nicht umhin, hier einen Auszug aus einer derartigen Sequenz zu zitieren: „Zu Beginn einer Behandlungsstunde sitzen sich Patient und Psychotherapeut längere Zeit schweigend gegenüber. Während sie sich wortlos ansehen, fasst sich der Therapeut plötzlich ins Gesicht und reibt sich mit dem Zeige- und Mittelfinger am Nasenwinkel – ein körperliches Verhalten, das in erster Linie der Beseitigung eines störenden Reizes und damit der Selbstregulierung des Therapeuten dient.
Kaum hat der Therapeut diese nur wenige Sekunden andauernde Selbstberührung beendet, beugt sich der Patient nach vorne und reibt sich seinerseits am Unterschenkel – auch dies ein Verhalten, das primär selbstregulative Funktionen haben dürfte. Indem die Selbstberührung des Patienten aber unmittelbar im Anschluss an das selbstberührende Verhalten des Therapeuten erfolgt, setzt sich der Patient mit seinem Verhalten, das für sich genommen keinerlei Bedeutung hat, in ein Verhältnis zu dem Therapeuten, und aus ihrem beiderseitigen körperlichen Verhalten entsteht eine interaktive Gestalt, die momentan Aspekte ihrer Beziehung zur Darstellung bringt.“ (Streeck, S 41-42).
Diese Sequenz wird im Sinne eines „pre-enactments“ (Anmerkung: was immer das ist) gesehen und weiter so interpretiert, dass die „aufeinander folgenden Selbstberührungen in diesem Moment wie pantomimisch etwas von ihrer Beziehung darstellen. Ein Verhältnis, das ebenso von Aspekten bestimmt zu sein scheint, die mit Gleichheit und Gleichrangigkeit verbunden sind, wie mit einer Zuordnung von „oben“ und „unten“, von aufrechter und gebeugter Haltung, von scheinbarer Dominanz und deren – möglicherweise ironischen – Zitierung“ (S 42).
Diese Interpretation mag ja stimmen, aber mir scheint sie doch überzogen und ich frag mich auch, welche Art der Beziehung hier konstituiert wird auf dem Boden einer derartigen Betrachtungsweise.
Allgemein meine ich, dass die Forscher-therapeuten mit der Hervorhebung der Betrachtung des mimischen Ausdrucks des Klienten hinter Reich am Beginn der Entwicklung der Orgontherapie beziehungsweise wie er es damals nannte der charakteranalytischen Vegetotherapie zurück gehen: dort wo er gegenüber dem Couch Setting zum vis-a`-vis Setting wechselte und in der Betrachtung der Mimik und Gestik des Klienten oder auch in der Nachahmung und einer Einladung die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, den Körper, das „Wie“ gegenüber dem „Was“ in die Therapie einbezog.
Überhaupt ist es in der Lektüre des Buches für mich so, als ob es einen Wilhelm Reich nie gegeben hätte, und es erscheint vergessen, dass Reich der erste analytische Körperpsychotherapeut war. Das meine ich hier nicht im Sinne einer narzißtischen Kränkung, dass „mein Guru“ Wilhelm Reich nicht gebührend gewürdigt wird, aber es scheint mir so, als ob die Autoren das Rad neu zu erfinden hätten und es erstaunt mich, dass nicht auf den unermesslichen und noch lange nicht voll genützten Wissens- und Erfahrungsschatz von Wilhelm Reich aber auch von anderen körperorientierten Therapeuten – die Bewegungsanalyse hat zum Beispiel ein ganz klares und stringentes Konzept über den Zusammenhang von Bewegungsbild und Selbstkonzept – zurückgegriffen wird.
Das Aufgreifen von nonverbalen Botschaften und die Beschreibung des Körperpanzers in Ergänzung der Charakterstruktur war für Reich nur der Anfang. Er ist immer tiefer ins biologische Fundament eingedrungen, geleitet vom Motiv, die Essenz, das, was Leben ausmacht zu erforschen. Er ist nicht bei der Beschreibung der Oberfläche – im wahrsten Sinne des Wortes – der Phänomene, stehengeblieben, die sich oftmals als hochkomplex gestalten mögen, nein er hat in Form von phänomenologischer Erkundung immer mehr das gemeinsame Fundament all dieser Ausdrucksformen erforscht. Und hier an der Basis ist es einfach und es wirkt ein Prinzip, das alles Lebendige durchdringt – die Pulsation der Lebensenergie. Im Gegensatz dazu scheinen die hier schreibenden analytischen Körperpsychotherapeuten sich auf die Ebene eben jener komplizierten Verästelungen zu beziehen und zu konzentrieren.
Das Instrument der Videoanalyse läßt uns die Aktivität bestimmter Muskelbezirke zwar feststellen, doch diese Analyse spricht nur den Sehsinn an und dieser ist sehr begrenzt.
Es ist eine Frage, worauf ich mein Augenmerk richte – auf das, was sich herauslöst aus der – um mit Reichscher Terminologie zu sprechen – Panzerung als eine Ausdrucksbewegung, dem also, was pulsiert, oder auf das, was Struktur geworden ist.
In Therapien geht es meiner Erfahrung nach um ein Pendeln zwischen beidem: Struktur- Festgewordenes kann ich beschreiben und zu dessen Wahrnehmung eignet sich der Sehsinn, für das zweitere, nämlich der Wahrnehmung dessen, was sich aus dem Festgewordenen an Lebendigem herauslöst, braucht es einen anderen Sinn, einen Spürsinn, ein Körperempfinden, das Instrument dazu ist die vegetative Identifikation, dass ich also in meinem Körper empfinde, was sich dort im anderen ereignet, hier bin ich mehr Resonanzraum als Beobachter. Und das wiederum braucht ein Gestimmtsein meines Wahrnehmungsinstruments.
Und dieses mein Körper-Wahrnehmungs-Instrument wird nicht gestimmt durch ein immer detaillierteres Wissen, welche Muskelgruppen beim Klienten oder auch bei mir aktiviert werden, nein dieses Instrument bedarf einer Pflege, eines Trainings auf der Ebene des Empfindens oder wie Reich es nennt, den Prozeß der Entpanzerung, ein Freiwerden von chronischer Kontraktion, die ein ganzheitliches Mit-Erleben verhindern.
Mein therapeutisches Handeln fußt auf eben dieser Ein-Stimmung; meine Interventionen leiten sich nicht aus Konzepten ab, sondern aus direktem Kontakt – über meine Resonanzfähigkeit. Dies läßt mich jenseits einer defizitorientierten Arbeit den Menschen in seinem Potential aufspüren und berühren. Boyesen spricht in diesem Sinne auch davon, dass es gilt, der Energie des Klienten zu folgen.
Sowohl was den therapeutischen Kontakt als auch was die Ausbildung betrifft meine ich, dass die Wahrnehmung des Ganzen, des Gesamteindrucks hilfreicher ist, als die der Verästelung des Ausdrucks; eine derartige Wahrnehmungs-Einstellung läßt mich unmittelbar wahrnehmen, was dieser Mensch ausdrückt, vorausgesetzt ich verfüge über ein gestimmtes Instrument.
Sonst läuft man leicht Gefahr den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Die praxeologischen Konsequenzen und die fruchtbare Verwertbarkeit von Untersuchungsergebnissen wird von den Autoren im Buch sehr wohl angesprochen und so hab auch ich mich immer und immer wieder in der teilweise mühsamen Beschäftigung mit dem Buch gefragt, worum es denn eigentlich geht, was mit den Ergebnissen anzufangen ist – ich ahne, dass es auch bei den analytischen Körperpsychotherapeuten um ein tieferes Verständnis des Klienten und von Interaktionsprozessen in der therapeutischen Beziehung geht.
Die – meiner Ansicht nach aufgrund von im wahrsten Sinne des Wortes spitz-findige – Erforschung eben dieser Prozesse legt für mich jedoch nahe, dass man annimmt, dass diese Erkenntnisse verallgemeinerbar sind und damit die Untersuchungsergebnisse eine Relevanz für den individuellen Therapieprozeß haben. Das hängt an der Idee, dass etwas plan- und vorhersehbar ist, dass es auf dieser Ebene eine Überindividualität gibt, dass auf dieser Ebene Regelmäßigkeiten, welche eine Ordnung implizieren, zu finden sind. Ich denke, dass das Leben zwar einer Ordnung folgt, diese jedoch nicht vorhersehbar und logisch ist. Gendlin hat dies einmal in den Begriff der Fortsetzungsordnung gebracht.
„Die Art, wie der Körper den nächsten Schritt findet, der den gegenwärtigen Erlebensprozeß fortsetzen oder weitertragen wird, (ist) in einer bestimmten Weise wohlgeordnet, obwohl dieser nächste Schritt nicht ein logisches Ergebnis dessen ist, was bereits da war. Der Körper (die Natur, der Kosmos…) hat (ist) eine Ordnung, die noch nicht fertig, noch nicht vollendet ist. Diese Ordnung verlangt immer nach einem weiteren Fortsetzungsschritt – der Körper (die Natur, der Felt Sense, …) ist bereit für einen solchen Schritt.“ (Gendlin, zit. nach Wiltschko, 1995, S 18)
Postuliert man die Notwendigkeit einer Kohärenz von Forschungsanliegen, Therapietheorie, Instrumenten und den praxeologischen Konsequenzen – was einige Male im Buch durch Geißler aber auch durch Tilmann Moser hinterfragt wird -, so darf man das Therapieziel nicht aus den Augen verlieren.
Dieses Therapieziel ist bei allen therapeutischen Ansätzen zwar unterschiedlich ausformuliert, letztendlich geht es aber in allen Richtungen um 2 Facetten ein und derselben Dimension: dies ist die (Wieder-)Erlangung der Ganzheit und Einheitlichkeit gegenüber der Brüchigkeit, Trennung und Spaltung; die 2. Facette – unmittelbar damit zusammenhängend – ist die Kontaktfähigkeit des Menschen, das heißt die Freiheit und Fähigkeit, adäquat auf eine Situation und einen Menschen zu antworten, dass ich mich zur Verfügung habe in all den Möglichkeiten des Handelns.
Sieht man, wie Reich das in seinem energetischen Verständnis tut, den Therapeuten als das Instrument in der therapeutischen Wirksamkeit so gilt es, für den Therapeuten einheitlich zu sein und in dieser Einheitlichkeit zu antworten. Man könnte dies in die Begriffe der Präsenz, der Gegenwärtigkeit und Kongruenz fassen.
Dieses Antworten ist einfach, auf einer ganz elementaren Ebene menschlichen Seins. Eine Sehnsucht danach fand ich vor allem in 2 Beiträgen im Buch: Im Beitrag von Heisterkamp, über unmittelbare Wirkungszusammenhänge in der Psychotherapie, in welchen er für mich aufgrund der Terminologie teilweise schwer verständliche affektmotorische Schemata als Urformen von leiblicher und emotionaler Bezogenheit beschreibt. Er greift hier die primären Muster der Bezogenheit auf und hebt die leibliche Artikulation als Königsweg zum Unbewußten hervor und stellt das präsentische Verstehen dem repräsentischen, aufgrund nachträglicher Reflexion stattfindenden Verstehen gegenüber.
Ich denke, das ist das, was Wilhelm Reich als vegetative Identifikation, als energetisches Kommunizieren beschrieben hat.
Hier in diesem Beitrag erzählt Heisterkamp von zwei eigenen Therapiesituationen in seiner Ausbildung, wo ihm der Therapeut unmittelbar menschlich begegnete.
Im sogenannten „Verletzungsbeispiel“ beschreibt Heisterkamp wie er bei einer Schlagübung plötzlich nicht auf die Matte sondern auf den Fußboden mit der Hand aufschlug, was große Schmerzen verursachte, er schreibt (S 125) :“Unvergesslich ist mir geblieben, wie mein damaliger Therapeut erschreckt zu mir hinsprang, mir etwas schuldbewusst riet, meine Hände unter kaltes Wasser zu halten und schnell in einen Nachbarraum lief, um `Mobilat´ zu holen. Damit cremte er meine Hand ein und bandagierte sie anschließend fachgerecht. Obwohl ich mir in meinem erwachsenen Ich durchaus der Banalität der Situation bewusst war, spürte ich mit tiefer leiblicher Gewissheit, wie sehr mich seine faktische Sorge um mein leibliches Wohlergehen berührte“.
Ich weiß gar nicht wie ich das ausdrücken soll, will ich doch nicht verletzend sein, aber diese Reaktion des Analytikers ist doch absolut selbst-verständlich. Wie karg an Menschlichkeit muß eine Therapie sein, dass dies einen, wie Heisterkamp beschreibt, tiefgreifenden Eindruck hinterläßt. Die folgende Interpretation hebt sodann noch mal mehr aus der Selbstverständlichkeit heraus, dann wenn Heisterkamp schreibt: „Ich hatte meinen damaligen Therapeuten unbewusst mit meinem Enactment dahin gebracht, seine mir hilfreiche Einfühlung operativ zu fundieren, seine Empathie gewissermaßen handfest zu machen.“ (ebd.)
Und da frag ich mich erneut, was der Anlaß, das Motiv sein mag, das Geschehen nicht einfach, ja einfach zu belassen, schlicht als ein berührendes menschliches Geschehen, wo hinter allen elaborierten und wohl-gemeinten Interventionsformen einfacher menschlicher Kontakt stattfindet, den es meiner Ansicht nach bloß mit Dankbarkeit zu würdigen gilt, so dass die Wirkung sich im Inneren entfalten kann und somit im Sinne einer korrigierenden Erfahrung ein Stück Heilung von früheren Verletzungen stattfinden kann.
Die Sehnsucht nach der Einfachheit aber auch nach dem Raum des Nicht-Wissens spiegelt sich auch sehr deutlich im Einführungskapitel von Geißler wider, mit dem ich diesen Versuch der Rezension, die eigentlich keine wurde, schließen will.
Geißler weist hier auf die Gefahren der „Versuchung einer positivistischen Idealisierung“ hin. Er schreibt (S 18) „Als psychoanalytische Psychotherapeuten haben wir viel Zeit in unsere Ausbildung der Schulung und Verfeinerung unserer Gegenübertragung gewidmet, als Körpertherapeuten dem Training unseres körperlichen Spürbewusstseins. Wir sollten also nicht zu sehr der Versuchung einer positivistischen Idealisierung erliegen, sondern das, was wir gut gelernt haben, weiterhin schätzen.“< Vereinfacht ausgedrückt verstehe ich dies als Einladung, sich nicht gänzlich oder vornehmlich auf Untersuchungsergebnisse zu stützen, sondern auf die eigenen Sinne und das eigene Spürbewusstsein wie Schellenbaum es nennt.
Geißler zitiert an dieser Stelle Odgen, der die Reaktionen des Analytikers als möglichen Bezugspunkt zur Beurteilung einer psychoanalytischen Situation heranzieht. Odgen (2004, S 71, zit. nach Geißler S 23,24) schreibt: „… auf mein Empfinden darüber zu achten, was sich – falls es so etwas gibt – am lebendigsten und echtesten anfühlt. Die Wörter `lebendig´ und `echt´ sind ständig in Bewegung, ständig `im Flug´…, und sie scheinen sich – als täten sie dies vorsätzlich – allen Versuchen, ihre Bedeutung zu definieren und abzugrenzen, zu widersetzen…
Nach meiner Auffassung erfordert die Entwicklung einer analytischen Sensibilität vom Analytiker zwingend, dass er seine Fähigkeit verbessert, die lebendigen Augenblicke einer analytischen Sitzung viszeral zu spüren; zu hören, dass ein Wort oder ein Satz durch die Art, wie er benutzt wird, auf interessante und unerwartete Weise `neu zum Leuchten´ gebracht wurde…“ Als ich dieses Zitat las, war meine Resonanz stark im Sinne eines „ja genau!, darum gehts“. Aber – das hat Reich schon in den 30-er Jahren beschrieben, diese energetischen Resonanz, das viszerale Spüren, oder wie er es nannte, die `vegetative Identifikation´ und dies als das therapeutische Instrument hervorhob.
Und auch jene „Tiefendimension des Erlebens am Herzen – die ganz-heitliche Erfahrungsmodi gekennzeichnet durch ein Verschwimmen der Unterscheidung von Selbst und Anderen, von Innen und Außen…“ (S 24) findet sich bei Reich in der Beschreibung der energetischen Feldüberlagerung, welche in der Annahme von morphogenetischen Feldern gründet, wie Sheldrake sie nennt und welche Phänomene wie Telepathie erklären und jede Interaktion als „biological grounded“ verstehen läßt. Da muß ich mich jetzt wirklich ereifern: Genau das ist die Grundlage der Reich´schen Theorie, die Annahme einer alles Lebendige durchdringenden Lebensenergie als das Fundament und verbindende Element aller Ausdrucksformen des Lebendigen. Und Reichs Lebenswerk ist der wissenschaftlichen Ergründung eben jenes biologischen Fundaments gewidmet.
Es ist heikel, wie Geißler schreibt, sich in diese Bereiche vorzuwagen und dies mag jetzt überzogen klingen und bräuchte wahrscheinlich eine eingehendere Betrachtung über die charakterologischen Voraussetzungen für die Angst des Menschen vor der Freiheit und den Konsequenzen daraus – das würde jetzt sicher zu weit führen. Aber dieses Berühren der tiefsten Schicht, wie Reich es ausgehend von der Annahme der genitalen Potenz, der Beschreibung des Orgasmusreflexes als Grundbewegung eines freien Energieflusses bis zur wissenschaftlichen Fundierung der Orgonenergie tat, hat ihn letztendlich das Leben gekostet, oder wie er selbst einmal zu seinem Freund A.S. Neill gesagt hat: „Die Sexualität haben sie mir noch verziehen, aber das ich das Leben selbst berührte, dafür werden sie mich töten.“
So ist‘s doch ansatzweise eine Liebeserklärung geworden, wieder einmal – unbeabsichtigt von mir – für „meinen Wilhelm Reich“. Hab´ erneut entdecken dürfen, welch großer Schatz in seinem Werk teilweise immer noch verborgen liegt. So hat es mich angeregt das Buch weiter zu erkunden, ob es ein Jenseits von Reich gibt, ob es eine „Verlängerung“ seiner Theorie in das therapeutische Handeln jetzt mit all unserer therapeutischen Erfahrung und für die Ausbildung geben kann und wie diese aussehen mag. Ich hab´ mich sehr bemüht, das große Wissen, das im Buch vermittelt wird zu begreifen.
Einiges hab ich – so glaube ich – verstanden, doch trotz intensiver, wochenlanger Beschäftigung damit bin ich mir nicht sicher, ob ich dem Buch mit diesem Beitrag gerecht werde. Anerkennen möchte ich die Offenheit der AKP Mitglieder für Neues, dafür sich selbst immer wieder in Frage zu stellen und sich gedanklich zu bewegen. In dem Sinne hoffe ich, dass mein Beitrag trotz meiner teilweise sehr kritischen Sicht konstruktiv wirken mag. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Johannes Ranefeld im eben beschriebenen Buch (S 108): „Wo ich bin, denke ich nicht nach, wo ich nachdenke, bin ich nicht mehr“.
Ja, das hab ich erfahren. Ich hab erfahren, welche Wirkung der Aufenthalt in Gedankenwelten auf meinen Organismus hat: die Energie wird nach oben gezogen, der Körper weniger spürbar und vor allem: ich bin nie da, wo ich bin, ob es im Schwimmbad ist – ich denke, beim Kochen – ich denke, beim Essen – ich denke, in der Ayurvedabehandlung – ich denke… So freu‘ ich mich jetzt auf ein wieder gedankenfreieres Sein… Hier ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis: Streeck: Erzählen und Interaktion im psychotherapeutischen Dialog.
Bänninger-Huber: Mimische Signale, Affektregulierung und Psychotherapie. Moser: Analytische Körperpsychotherapie und Mikroperspektive. Ranefeld: Vis a` vis: Psychoanalyse Aug´in Auge, Aug´um Auge. Heisterkamp: Unmittelbare Wirkungszusammenhänge in der Psychotherapie. Oberzaucher: Die Evolution des Gedankenlesens. Geißler: Über Schwierigkeiten beim Versuch der Integration von Körpertechniken in einen psychoanalytischen Prozess. Geißler: Regression, interaktionelles Verstehen und prozedurales Unbewusstes: einige Gedanken.