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Bukumatula 1/2010

Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?

Gespräch mit dem Filmemacher Antonin Svoboda
Günter Hebenstreit:

Günter Hebenstreit: Du hast seit zehn Jahren gemeinsam mit Barbara Albert, Jessica Hausner und Martin Gschlacht die Produktionsfirma COOP 99. Ihr habt eine Vielzahl an Filmen gemacht und zuletzt hast Du selber als Regisseur gearbeitet und warst mit den Filmen „Spiele Leben“ und „Immer Nie Am Meer“ auch international erfolgreich.

Antonin Svoboda: International sind das eher unsere Produktionen wie der Goldene Bär-Gewinner „Grbavica“, der oscarnominierte Dokumentarfilm „Darwins Nightmare“ oder der Cannes-Wettbewerbsfilm „Die fetten Jahre sind vorbei“.

G: Wie kamst du als Filmproduzent und Regisseur auf Wilhelm Reich?

A: Neben vielen anderen Anregungen bin ich irgendwann in meiner Studienzeit auch über Reich gestolpert. Damals gab es ein Regieseminar mit Roland Klick, der auch im Film vorkommt. Das Thema war ‚Reich und die freie Energie’ und zwar im Rahmen eines Seminars über: „Woraus besteht die Welt, worüber machen wir überhaupt Filme, was können Themen sein.“ Es war ein sehr ungewöhnliches Seminar, das Roland Klick damals in Berlin gehalten hat.

Es ist schon ein sehr aufreibendes Betätigungsfeld Filme zu produzieren. Da ist viel psychischer und physischer Stress dabei, eine ständige Selbstüberforderung und -ausbeutung. Man kann sehr wenig selber regulieren, wenn man so vielen Prozessen ausgeliefert ist, die von anderen Dingen und anderen Menschen abhängig sind.

Irgendwann ist mir dabei mein `Zentrum´ abhanden gekommen. So ein Gefühl hatte ich damals jedenfalls. Ich habe meditiert und auch vieles andere ausprobiert. Ich habe mich einfach nach etwas `gesehnt´. Dann bin ich einmal zufällig ins Internet, ich weiß gar nicht mehr, was ich recherchieren wollte und habe die Homepage des Wiener Wilhelm Reich Instituts mit der Ankündigung eines Vortrags eines Dr. Heiko Lassek entdeckt. Der war schon für den nächsten Tag angekündigt. Da er im Neuen Institutsgebäude fast gegenüber meines Büros in der Wasagasse angekündigt war, habe ich mir gedacht: wenn es sich so zufällig ergibt, dann schau’ ich doch morgen dort vorbei.

G: Wie hat es sich weiterentwickelt, wie kam es zum Film?

A: Es kam erst mal gar nicht zu einem Film, weil ich ja etwas für mich gesucht habe. Ich bin dort hinmarschiert und habe es erstaunlich gefunden, dass da vorne jemand steht, dem zufällig an diesem Vorlesungsabend das Mikrofon ausgefallen ist, was eigentlich auch egal war, weil es ein relativ kleiner Hörsaal war.

Man hat das schon ganz gut verstanden, nur hatte man 5 Euro zahlen müssen; also war die Erwartungshaltung so, dass mit dem Eintrittsgeld auch ein Mikrofon mitgekauft wird, und die Beschwerden mancher Zuhörer hatten dann für mich schon etwas offensichtlich `Lächerliches´.

Es war eine Spiegelung in der Spiegelung einer Situation, weil vorne einer gestanden ist, der über energetische Prozesse gesprochen hat, die nicht immer gleichmäßig ablaufen, bei denen man sich daher auf die wechselnden Gegebenheiten einstellen muss, wie das Leben halt ist es also nicht mit mechanistischen, sondern mit lebendigen Koordinaten zu betrachten. Und gleichzeitig war genau eine derartige mechanistische Haltung aber offensichtlich: „Wenn ich 5 Euro zahle, muss ein Mikrofon auch funktionieren!“

Das Schöne dabei war, dass sich Heiko Lassek nicht aus der Ruhe hat bringen lassen. Er hat gesagt: „Wenn Sie mich nicht verstehen, dann kommen Sie doch näher oder Sie können ihr Geld auch zurück haben.“ Und er hat mit seinem Konzept weitergemacht: nämlich dann irgendwann einmal von der Reich-Ebene auf die Chi-Energie umzuschwenken, also zu seinem, sag’ ich jetzt einmal, GrundthemA: Herauszufinden was Chi-Energie und Reichs Ansatz von Lebensenergie an Ähnlichkeiten und Deckungsgleichheiten haben.

Er hat das dann auch praktisch mit den `Spontanen Bewegungen´ demonstriert. Das war für mich das Erstaunlichste: Sich einerseits nicht auf eine banale, materialistische Ebene ziehen zu lassen und andererseits da etwas zu demonstrieren, was sowieso jedem den `Vogel´ raushauen muss, wenn man das sieht. Man spricht sich schnell in so einem universitären Vorlesungsraum jede Seriosität ab, wenn man sich hinstellt und mit den Händen irgendwie spontan zu wackeln beginnt.

Das war meine `Einführung´ und ich habe auf meiner Suche eine wichtige Erfahrung gemacht.Ich habe mich in die Reich-Literatur eingelesen und an einem Ausbildungsworkshop mit Heiko Lassek teilgenommen. Die Fortbildungsveranstaltungen während der nächsten beiden Jahre waren auch im Wechselspiel meiner Arbeit mit Schauspielern umzugehen äußerst bereichernd, besonders das spontane Moment, was ja in der Behandlung auch etwas Wichtiges ist: Zuzulassen und Nachzuspüren, `In sich hinein zu hören´ und einen Ausdruck dafür zu finden, was man dabei entdeckt und diesen Dialog von Körper und Psyche mit jemandem anderen zuzulassen.

G: In dieser Zeit hast du dir `deinen´ Wilhelm Reich gesucht und gefunden erschlossen?

A: Erschlossen wäre vielleicht zu viel. Es ist sicher etwas, was ich gar nicht abschließen kann oder will, kann also für mich ruhig offen bleiben. Ich habe lediglich eine Tür geöffnet und bin durchgegangen.

G: Wann gab’s da den Punkt, an dem du das erste Mal darüber nachgedacht hast auch beruflich etwas daraus zu machen?

A: Durch Reichs Biografie.Nachdem ich mir über Behandlung, Therapie und den heutigen Stand der Fortentwicklung ein `einfühlbares´ Bild machen konnte, habe ich mich mit der Zeit für das biografische Moment zu interessieren begonnen und habe schnell festgestellt, dass Reichs Leben schon eine wahnsinnig metaphorische Geschichte ist. Sein Schicksal ist für mich sehr verknüpft mit dem 20. Jahrhundert, oder zumindest mit der ersten Hälfte und deren Folgen.

Eigentlich war die Biografie also das Erste, was mich an einen Film hat denken lassen. Und wie es halt so beim Recherchieren ist, und besonders bei Reich, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Da muss man dann eben auch dran denken, dass man bei einem Spielfilm relativ wenig wissenschaftlichen Input liefern kann. Das Spielfilmkino ist vor allem eine emotionale Maschine.

Man muss sich eher auf das Moment Mensch, das Moment Zwischenmenschlichkeit, das Moment Empathie usw. konzentrieren und deswegen wurde mir dann irgendwann klar: Wenn man versuchen will Reich vollständig zu zeigen in dem Sinne wie Reich bis heute verschieden gesehen wird, welche Arbeiten und Forschungen von seiner Arbeit inspiriert und bereichert wurden, wie viele verschiedene Reichsche Ansätze heute praktiziert werden, dann kriegt man das gar nicht in einem Spielfilm unter.

Das war dann der Moment den Entschluss zu fassen: O.k. man macht 2 Projekte. Einen Spielfilm, um sich darin mehr auf das persönliche Moment, auf dieses Schicksal, das dieser Wissenschaftler, Forscher, Entdecker als Mensch mit seinem ganzen komplexen Charakter und auch mit seinem ganzen, sehr vielschichtigen Umfeld erlebt hat. Und als Zweites macht man eine Doku mit den therapeutischen und forschungswissenschaftlichen Details.

Letzteres habe ich mir dann auch fürs Fernsehen gedacht und verwirklicht, weil mit diesem Medium natürlich viel mehr Menschen zu erreichen sind etwa 150.000 Menschen trotz des späten Sendetermins. Das ist auch der einzige Sendeplatz, der im ORF für eine so lange Doku zu bekommen ist. Ich war jedenfalls glücklich, diese Doku in dieser Länge in Zusammenarbeit mit dem ORF machen zu dürfen und auch im Redakteur und Abteilungsleiter des Dokumentarfilms, Franz Gabner, eine große Unterstützung zu finden.

Es war meine Überlegung, mich jetzt nicht so sehr in dieser TV-Doku zu verwirklichen, sondern zu schau’n, dass ich ein Produkt herstelle, das in gewisser Weise populär genug ist, damit auch Nicht-Reich-Affine, nicht a priori bereits an Orgonomie, Medizin, Psychologie, Soziologie Interessierte, also Menschen, die im Alltagsleben in ihren ganz normalen Familienund Berufskoordinaten stecken, diesen Film interessant und spannend finden.

Zur Zielgruppe gehört z.B. für mich jeder Mensch, der sich noch fragt, ob sein Leben das ist, was die anderen vorschreiben, oder ob es da nicht noch mehr gibt als die Gesetze, die die Gesellschaft sich selbst aus allen möglichen Nöten heraus gibt und bei dem es Momente gibt, in denen er sich fragt: Wie fühle ich mich? Bin ich glücklich? Lebe ich ein emotional erfülltes Leben, und bin ich mir der gewohnten, täglichen Verhaltensmuster und der dahinter stehenden, oft unausgesprochen Probleme bewusst?

G: Du meinst also, dass Menschen die sich diese Fragen stellen, auch ihr eigenes Leben in Frage stellen wollen?

A: Genau, aber vielleicht ist das gar nicht so ein bewusster Prozess. Ich meine nicht in erster Linie die bereits `Wissenden´, sondern die, die zumindest in sich ein waches Bedürfnis nach Klarheit und umfassendem Wissen spüren.

G: Wen umfasst dein Zielpublikum noch?

A: Es war mir wichtig, dass keine Vorkenntnis von Nöten sind. Ich wollte einfach eine historisch spannende Figur, die in ihrem Kontext auch viel Zeithistorie zulässt, abbilden. Aber nicht nur das Zeitgeschehen, sondern auch alle Entwicklungen, die sich seit 1920 aus der Psychoanalyse heraus ergeben haben und warum Wilhelm Reich immer wieder an die Grenzen des sozial Tabuisierten gekommen ist und er diese Grenze auch thematisiert hat.

Das deutlich zu machen war mir ein Anliegen, und ich hoffe, dass ich da eine Balance gefunden habe und dass man diesen Zusammenhang, den ich mit Reichschen Originaltexten verknüpft habe, mitbekommt. Ich wollte, dass klar wird, dass der `Autor´ Reich ein sehr scharf analysierender Beobachter seiner Zeit war, dass er in das Umfeld seiner Zeit eingebettet gezeigt wird immerhin war es ihm als Erster in der Psychoanalyse ein Anliegen, gesellschaftliche, politische Themen in seine Arbeit mit einfliesen zu lassen und dass letztlich auch der `Mensch´ Reich portraitiert wird, vorwiegend unter Verwendung des Briefwechsels mit A.S. Neill.

G: Von dem Moment an, als der Gedanke, die Absicht da war, bis zur Durchführung: Wie lange war die Vorbereitungszeit?

A: Na ja, wenn ich überlege: Ich kenne Heiko Lassek seit mehr als sechs Jahren dann waren wir sicher vier, fünf Jahre an dem Projekt dran.

G: Und worauf bist du dann bei dieser Arbeit gestoßen? War es ein Abenteuer für dich?

A: Absolut! Dadurch, dass ich für beides recherchierte, also für Dokumentarfilm und Spielfilm, hab’ ich mich quasi für alles interessiert. Ich hatte die Möglichkeit, zwei Mal in Begleitung von Heiko nach Amerika zu reisen, um verschiedene Leute kennen zu lernen. Mit ihm habe ich zu Anfang natürlich am meisten über Reich gesprochen und mir verschiedenste Konzepte überlegt. Eva Reich durfte ich noch vor ihrem Tod kennen lernen oder auch Richard Blasband, der noch ein direkter Schüler von Reich war und sich als Wissenschaftler und Therapeut mit der orgonomischen Forschung über 50 Jahre lang eingehend beschäftigt hat.

Aber auch andere Persönlichkeiten wie die Journalistin und Filmemacherin Digne Meller Marcovicz, die in den 80er Jahren den Dokumentarfilm über Wilhelm Reich „Viva Kleiner Mann“ für einen deutschen Sender gemacht hat. Dieser wurde dann leider nie ausgestrahlt. Ich habe deswegen auch ganz absichtlich diesen Film an mehreren Stellen in meinem Film zitiert und einige Ausschnitte davon hinein genommen. Und es war auch insofern ein Abenteuer, als wir viele unterschiedliche Menschen getroffen haben, die alle, wie schon gesagt, ein anderes Bild von Reich haben und ihn natürlich auf ihre ganz eigene Art interpretierten.

Ich habe auch Peter Reich, seinen Sohn, kennen gelernt und es wurde sehr bald klar, dass alle diese Zeitzeugen immer auch wissen wollten, welche Position ich persönlich einnehme. Sehr schnell wandelte sich dann ein unverbindliches Gespräch in ein Verhängnisvolles in ein Gespräch über: „Auf welcher Seite stehe ich eigentlich, welche Theorie spricht mich an, welche bin ich bereit zu verurteilen, zu ignorieren oder fallen zu lassen, weil sie eben so oder so nicht richtig wäre.“ Deswegen war es ganz wichtig, meinen eigenen Standpunkt zu haben und zu sagen: „Ich bin Filmemacher und kein Wissenschafter. Ich bin ein `Kulturauge´ und erlaube mir ein großes Spektrum betrachten und vermitteln zu wollen.“

Für mich ging es in all diesen Begegnungen darum, keine allzu definierte Position einnehmen zu müssen, denn da gibt es das Phänomen, dass Menschen, die sich über mehr als 50 Jahre lang mit Orgonomie beschäftigen, ein betontes Moment zur Abgrenzung entwickelt haben Abgrenzung zu einem `Aussen´ und auch untereinander. Motto: „Um mich zu definieren, muss ich eine Grenze zu anderen Personen und Meinungen ziehen.“ Und es stellte sich auch die Frage: in wie weit will ich Reich im Original zitieren?

Dass Reich mehr oder weniger aus der Quellenforschung der Psychoanalyse ausgestrichen ist, ist schon heftig. Man findet einfach in keinem Lehrbuch Texte von ihm oder über ihn, nicht einmal eine Fußnote. An den Universitäten wird `Reich´ ebenfalls mehr als populärwissenschaftliches oder auch als fantastisches Beschäftigungsfeld betrachtet. Da sind Vorurteile mit im Spiel, die u.a. auch mit der 68er Bewegung zu tun haben. Das ist aber ein eigenes Kapitel, das man vielleicht ein andermal besprechen sollte.

Jedenfalls war es ein großes Abenteuer, da und dort irgendwo eine Essenz zu finden, oder einen Konsens, um schließlich doch zu sagen: O.k., das Spektrum reicht wirklich von hier bis dort. Dieser Arbeitsschritt hat auch relativ lange gedauert. Wir haben sehr viel Material gedreht, wir haben sehr viele Interviews gemacht und ich habe viele schlaflose Nächte damit verbracht mir zu überlegen, worauf ich besonderes Gewicht legen will. Ich habe dann zusätzliche Unterstützung durch meinen Co-Gestalter Nico Dabelstein und die Dramaturgin Irene Reiserer bekommen, die viel Ordnung in den Wust an Themen und Materialien gebracht haben; und nicht zuletzt auch durch meinen Cutter, Oliver Neumann, der dank seiner Geduld und Experimentierfreudigkeit keinen Versuch scheute.

Es ist wohl etwas Besonderes, wenn man sich über Jahre hinweg mit einem Menschen, einer Person beschäftigt. Die Interviewpartner werfen dann wieder ihren eigenen ‚Spot’, ihre eigene Gewichtung darauf, währenddessen dieser Reich natürlich bereits in mir und in meiner Vorstellung ein eigenes Leben entwickelt hat. All diesen Einflüssen versuchte ich in der Arbeit gerecht zu werden. Wenn du nach `dem Abenteuer´ fragst, also das war wirklich ein Abenteuer!

G: Zentral war also die Auseinandersetzung mit ganz unterschiedlichen Menschen, auch solchen, die Reich noch persönlich gekannt haben und wie die auf dich reagierten; wo lag denn die Grenze, der schmale Grat zwischen ‚Freund’ und ‚Feind’?

A: Ja, das ist ein schmaler Grat. Viele Kontakte sind über Empfehlung von Heiko Lassek zustande gekommen und über diese Empfehlungen bin ich wieder auf andere gekommen. Ein paar Interviewpartner hab’ ich selber eingebracht, auch weil ich z.B. mit dem Filmemacher Roland Klick noch einen weiteren Blickwinkel auf die Thematik haben wollte.

Die ständige Frage war: Wo finde ich Interviewpartner und -partnerinnen aus den verschiedensten Betätigungsfeldern und mit den unterschiedlichsten Anschauungen über Reich? Deswegen sind die auch gar nicht so vor ausgewählt gewesen im Sinne von ‚Freunde’ oder ‚Feinde’.

Z.B hat ein Hämatologe, der sich über die Veränderungen der Blutbilder beim Reich’schen Blut-Test mit Reich beschäftigt einen anderen Ansatz, auch einen viel wissenschaftlicheren Ansatz, als jemand, der sich als Historiker über die Frühoder Spätphase Gedanken macht, oder auch wie jemand, der frühkindliche Therapienansätze aus dem Verständnis von Reichs Methode heraus anwendet.

Das präventive Moment mündet da z.B. in der Frage nach dem Umgang und der Therapie mit Kleinkindern.

Das sind natürlich sehr verschiedene Ansätze, und in den annähernden Gesprächen war schon auch immer wieder einmal eine distanzierte Haltung dabei.

G: Wie war das für dich?

A: Na ja, zum einen wollte ich distanziertere Meinungen ja auch zulassen. Es ist schon gut, dass nicht jeder dasselbe predigt. Ich wollte mit dem Film ja auch das Heute abdecken und wollte viele biografische Details erfahren und einbringen, um einen spannenden Background zu haben.

Das Ziel war aber zu zeigen, wo Leute wie z.B. Blumenthal oder Andersson, die Skandinavier mit ihren Kliniken, die Arbeitsansätze Reichs einbinden und wo z.B. auch Tina Lindemann mit ihren Behandlungen, bezogen auf diese Ansätze, heute steht.

Außerdem sollte man verstehen, von wo Reich herkommt, woher wiederum die Interviewpartner Reich kennen und wie sie Reich heute weiterdenken bzw. in ihrer Arbeit fortführen; wie etwa Heiko Lassek, der den energetischen Funktionsprozess in einem Vergleich mit ChiEnergie fortführt und ihn im Film in sozial-philosophischer Art und Weise diskutiert. Aber mein klares Ziel war es zu zeigen, dass Reich heute noch immer aktuell ist.

Nicht der Reich wie er vor 50 Jahren war und was er damals gemacht hat, sondern der Reich der sich als Gewicht, als Stoff in seinen Texten und durch seine Behandlungsmethoden in Erinnerung gehalten hat und dessen Behandlungskonzepte auch heute erfolgreich angewendet werden.

G: Es war also ein Prozess über mehr als vier Jahre. Gab es da auch Punkte, Situationen, wo du geglaubt hast, es geht gar nicht weiter?

A: Natürlich. Das Projekt musste ja auch finanziert werden viele Recherchen, viele Reisen, viele Drehaufnahmen, viel Schnittarbeit; Arbeit, die über viele Monate gegangen ist und finanziell vorgeschossen werden musste. Das kostete alles Geld.

Dazu kam ein großes Problem: Ursprünglich hatten wir gehofft, mit dem ‚Wilhelm Reich-Infant-Trust-Fund’ (WRITF) zusammenarbeiten zu können. Dann kam aber das Jubiläumsjahr 2007 dazwischen, in dem es auch die von Birgit Johler zusammengestellte Reich-Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien gab.

Zur Eröffnung waren damals auch Mary Higgins und der Vizepräsident der amerikanischen Reich-Gesellschaft, des WRITF, Kevin Hinchey, anwesend. In Gesprächen konnten wir mit ihnen zu der Übereinstimmung kommen, dass es jetzt wirklich an der Zeit sei, zusammenzuarbeiten. Wir sprachen darüber, dass es nicht mehr so sein kann, dass der WRITF jegliche Publikation über Reich kontrollieren muss.

Es müsse eine Art von Austauschmitarbeit geben; es erschien klar, dass sich Europa und Amerika gegenseitig bereichern können. Im Dialog mit Heiko Lassek und der deutschen Gesellschaft war das alles gut geplant, und die Aussichten für eine Zusammenarbeit standen gut. Eigentlich war geplant, dass der Film anlässlich der Archiveröffnung gezeigt wird.

Das hat sich aber sofort zerschlagen als die Amerikaner wieder zurück in ihrem Land waren und drauf gekommen sind, dass bei dieser Ausstellung im Jüdischen Museum irgendwelche Texte nicht so in den Kontext gebracht waren, wie sie es gerne gehabt hätten und sie sind gewohnt zu kontrollieren.

Das eine oder andere an der Kritik war vielleicht berechtigt: Ein Akkumulator war im Ausstellungsraum neben neonröhrentechnischen Geräten aufgestellt worden. Das war sicher kontraproduktiv. Nur muss man sagen, dass man das als Kunstausstellungsverantwortliche vielleicht nicht wissen muss. Insbesondere muss man aber in so einer Situation nicht wie die Inquisition darauf reagieren und dann meinen, deswegen ist alles andere auch schlecht.

(Anmerkung der Redaktion: Der zentrale Punkt der Kritik bestand in der dringenden Aufforderung eine Probe radioaktiven Materials aus dem Ausstellungsraum mit dem Orgon-Akkumulator zu entfernen, um analoge Wirkungen wie bei Reichs Experiment mit radioaktivem Material in einem starken Orgon-Feld, auszuschliessen.)

Eigentlich war das das größte Problem: dass die Amerikaner mir von dieser versprochenen Kooperation wieder abgesprungen sind, mir sogar den Zugang zum Archiv und auch sonst jede Unterstützung verweigert haben.

G: Wobei du mit dieser Ausstellung ja gar nichts zu tun gehabt hast…?

A: Natürlich nicht. Aber das ist ja auch das Problem mit ich sag jetzt einmal „Sekten“, denn wie der WRITF in Amerika agiert, verhält er sich wie eine Sekte und ist daher immer abgrenzend und ausschließend. Dass sie nach 50 Jahren nicht kapiert haben, dass ‚Reich’ nicht als Sektenglaube zu betrachten und zu verwalten ist, sondern ein lebendiger Diskussionsprozess ist, ist sowieso die traurigste Erkenntnis, die ich daraus ziehen musste.

Das war enttäuschend. Ich habe aber trotzdem noch die Hoffnung, die jüngere amerikanische Generation, die sich mit Reich beschäftigt, in einen neuen Dialog mit Europa treten zu sehen. Leider schaffen sie das gegenwärtig aber nicht.

Offensichtlich ist es eine große Bürde, das Museum in Orgonon mit relativ viel Geld für relativ wenige Besucher aufrecht zu erhalten. Generell ist die Idee „aufrecht zu erhalten“, möglichst zu konservieren, ja ein Quatsch.Ich meine, es muss doch der Welt überlassen bleiben, Reich zu hinterfragen, seine Ansätze zu erforschen und zu erproben und einfach selber zu denken.

Er hat ja auch selbst gesagt, er habe so wie Columbus Amerika entdeckt hat eine Lebensenergie entdeckt; nur wie sie funktioniert, was damit tatsächlich möglich ist und in welchem Kontext und mit welchen Konsequenzen sie zu betrachten und zu behandeln ist, wird späteren Generationen vorbehalten bleiben.

Ich bin froh, dass hier in Europa die Möglichkeit besteht, Reich sehr wohl zu thematisieren und erarbeiten zu können und dass nicht alle Rechte schon gar nicht die für einen Dokumentarfilm bei diesem WRITF liegen, sonst wäre das alles wirklich sehr frustrierend gewesen.

G: Wie schätzt Du die Situation Reich betreffend in Amerika ein? Wie unterscheidet sich Europa von den USA?

A: Der generelle Unterschied zwischen Europa und Amerika ist der, dass die Amerikaner relativ konservativ auf ihre Art und Weise sind, wie sie Dinge erforschen. Der Europäer, glaube ich, ist ein größerer, offenerer Kulturmensch, was natürlich auch die Gefahr beinhaltet, dass er auch ein Träumer, ein Fantast ist. Der Europäer orientiert sich mehr an Gefühlen, der Amerikaner orientiert sich mehr an Ergebnissen.

So war es auch, als ich mit Juristen, Therapeuten oder mit Reichs Familienangehörigen gesprochen habe. Es ging immer sehr darum, was effektiv möglich und auch juristisch zu erzielen war. Das ist z.B. auch in der heutigen Diskussion über das Thema „Bachelor-Studium, oder nicht“ so.

Übernehmen wir jetzt, weil die EU sich an die USA angleichen möchte, mehr oder weniger das amerikanische Unterrichtssystem, oder behalten wir unser europäisches, eher offenes, auch sehr anregendes Studiensystem, in dem sich Studienpläne auch autonom von den Studenten kreieren lassen, wo sie sich selber ihr Betätigungsfeld zusammenstellen, wo sie sich selber ihren Ausbildungswerdegang suchen und finden können?

Das amerikanische System ist sehr zielorientiert und zwingt die Studenten in weniger Zeit zu mehr Effizienz. Das heißt, sie müssen sich noch mehr spezialisieren und können sich noch weniger einen generellen Überblick verschaffen. Das ist ein großer kultureller Unterschied, der natürlich bis in den Alltag hineinreicht und hat seine Vorund Nachteile.

Im Film beziehe ich dazu Stellung, indem ich relativ viel aus Europa aufgenommen habe. Bis auf Eva Reich sind keine Amerikaner drinnen. Ich habe Richard Blasband absichtlich nicht hinein genommen, weil ich auch über das ‚cloud-busting’ nicht viel drinnen habe. Das ist einfach auch eine Sache, die für mich unter wissenschaftliche Hybris fällt und auch durch Kate Bushs Video ausreichend abgedeckt ist.

Aber man kann sehen: Aha, da gibt es noch eine weitere Dimension möglicherweise kann die Forschung dorthin gehen. Mir war es also kein zentrales Anliegen zu zeigen, dass er diese Energieforschung bis in die atmosphärischen, kosmischen Ebenen gebracht hat. Das erschien mir definitiv nur für Leute mit „special interest“ wichtig.

G: Was waren die Reaktionen nach der der Erstausstrahlung im ORF?

A: Beim ORF haben etliche Leute angefragt, die den Film nach der Ausstrahlung kaufen wollten; dort kostet sie allerdings 99 Euro, wobei man nur einen `Mitschnitt´ bekommt. Der ORF hat keine Verkaufslizenz, weil der Film von meiner Firma als eigenständiger Fernsehfilm produziert wurde.

Ich kenne bis jetzt nur Reaktionen aus meinem persönlichen Umfeld und von Kollegen, aber die waren sehr positiv. Die haben sich dann gleich Reich-Bücher gekauft. Sie haben den Film so anregend gefunden, dass sie die Primärliteratur lesen wollten was eigentlich auch mein Anliegen war. Und da sind sie jetzt am nächsten Tag in der Buchhandlung gestanden und haben mehr oder weniger die siebente Bestellung desselben Buches aufgegeben. Es gab also sozusagen kurzfristig in den Buchhandlungen offensichtlich deckungsgleiche Bestellungen. Und es haben sich auch Menschen für Behandlungen z.B. bei Tina Lindemann gemeldet.

Das habe ich mir auch gewünscht: Dass sich einerseits Leute mit der Primärliteratur zu beschäftigen beginnen und weiter die wissenschaftliche Arbeit fortführen und andererseits das Praktische: dass sich Menschen für diese Art von Behandlung interessieren. Es ist mir schon klar, dass man keinen Erdrutsch mit einem Dokumentarfilm und einer einmaligen Sonntagsabend-Ausstrahlung auslösen kann. Aber ich hoffe dass sich die `Idee´ fortsetzt, zum Beispiel auch in Deutschland.

Bei deutschen Fernsehsendern stößt man auf relativ viel Ignoranz, weil Wilhelm Reich dort einfach kein seriöses Thema ist. Bei ARTE wurde die Anfrage mit dem Argument abgeschmettert, dass Reich ja eh’ schon einmal thematisiert wurde. Dann stellte sich heraus: das waren gerade drei Minuten in einer sechsteiligen Serie über Sigmund Freud. Und mehr scheinen sie dort nicht zu brauchen.

Ich glaube, dass Reich in den späten sechziger Jahren zu einem Problem wurde und missinterpretiert wurde. Er hat „Die sexuelle Revolution“ geschrieben, die von den `68ern´ in ihre Headline übernommen wurde. Auch nach 40 Jahren wird das noch immer so genannt, hat aber mit Reich eigentlich nichts zu tun.

Wilhelm Reich hat sich sehr präzise das zwischenmenschliche Miteinander angesehen. Die Sexualität ist für ihn ein Geschehen zwischen Liebenden, die sich im Vertrauen auf eine intime Welt ihrer emotionalen Intimität öffnen. Und das ist ein energetischer Prozess. Bei vielen schwirrt aber das Bild von irgendeinem Sexguru herum, so nach dem Motto: „fick dich frei“, und das ist natürlich eine krasse Diffamierung.

Grundsätzlich gibt es für mich drei Bereiche: Den energetischen Prozess, den individuellen Prozess und den kulturellen Prozess und diese drei Bereiche muss man zusammen denken. Wenn man sie auseinander reißt, dann ist Reichs Theorie in alle Richtungen missinterpretierbar. Ich glaube, daher rührt viel Schaden, der sich durch Vorverurteilung hier und heute immer noch zeigt.

G: Unter der Devise: Alle wissen Bescheid und keiner ist informiert?

A: Genau. Darin liegt natürlich vieles, was jeden Einzelnen betrifft. Darum ist ‚Reich’ auch nicht etwas, womit man sich so einfach und gerne beschäftigen kann. Auch wenn die Karotte am Ende recht süß ist und appetitlich aussieht: Jeder Mensch möchte frei sein, jeder Mensch möchte sich zumindest gut fühlen, jeder Mensch möchte sich lebendig fühlen der Weg dort hin ist aber mit vielen Hindernissen bestückt. Und so ist es dann doch oft einfacher diese Hindernisse nicht zu überwinden, sondern dort zu bleiben, wo man sich sicher fühlt, wo die Gesellschaft einen auch hin platzieren will, weil man eine Funktion erfüllt und man nichts in Frage stellen muss.

So ist die Begegnung mit Reich eine Arbeit an der Erkenntnis des Lebendigen, wie letztlich jede Begegnung mit dem Leben: eine Herausforderung, eine Fragestellung. Es ist schon schwierig, sich wesentliche Fragen zu stellen und letztlich auch die Konsequenzen daraus zu ziehen.

G: Wenn du in 20, 30 Jahren auf deinen Film zurückblickst, was wird dir dazu einfallen?

A: In die Zukunft zu blicken ist Wunschdenken. Trotzdem: ich wünsche mir, dass der Film dann extrem altmodisch wirkt und dass aber vielleicht, wo über Energie und Energieforschung gesprochen wird, der Film etwas sehr Ursprüngliches hat.

Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren sehr viel weiter sind. Dass in unserem Alltag das Wissen selbstverständlich ist, dass das, was wir heute noch als psychologische Prozesse, als Migräne, Depression, Lustlosigkeit, Appetitlosigkeit etc. beschreiben, psychische Probleme sind, die einen energetische Ausgangspunkt haben eben eine Konsequenz von Energiestau, Energieüberfluss oder energetischer Verzerrung

G: Was sind Deine nächsten Pläne?

A: Nur weil der Dokumentarfilm jetzt fertig ist, heißt das nicht, dass die Arbeit für mich wirklich abgeschlossen ist.Wir haben auch eine englische Fassung gemacht eine DVD mit Sprachauswahl. Das hat alles sehr viel Geld gekostet und muss erst einmal wieder eingespielt werden. Wir haben jetzt auch einen Weltvertrieb für die Doku gefunden, was für ein TV-Produkt relativ ungewöhnlich ist. Alles zusammen bedarf das aber noch recht viel an Zeit und Energie.

Dann gibt es noch das Spielfilmprojekt, für das ich Klaus Maria Brandauer als Reich-Darsteller begeistern konnte und im Wort habe. Dieses Projekt ist auf jeden Fall eines meiner nächsten großen Ziele. Und dann möchte ich mich einer Liebesgeschichte zuwenden: Alles was `Reich´ und das Drumherum in mir ausgelöst haben, alles was meine eigene Behandlung und alle therapeutischen Erlebnismomente bewirkt haben, möchte ich in einen Liebesfilm umsetzen. Das ist sicherlich eine Aufgabe, wo ich wieder mehr ganz nach Reich, „selbstregulierend“ meine eigene Vision erzählen kann und nicht auf die vielen Meinungen anderer Rücksicht nehmen muss.

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Die DVD „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ kann als zweisprachige Promoversion gegen einen Selbstkostenpreis von € 19,90,zuzüglich Porto unter nina@coop99.at bestellt werden.

Filmvorführung im Rahmen des WR-Forums:
„Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“
Dokumentarfilm (2009; 95 Min)

anschließend Diskussion mit Antonin Svoboda (Regisseur, COOP 99)
Zeit: Donnerstag, 11. März 2010, Beginn: 19Uhr
Ort: Amerlinghaus (Galerie), 1070 Wien, Stiftgasse 8
Kostenbeitrag: € 5.-

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