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Bukumatula 4/2007

Ein REICHes Erbe

Wilhelm Reich im Original – Zitate aus fünf Jahrzehnten
von
Beatrix Teichmann-Wirth:

Einführung:

Reichs Hinterlassenschaft, das, was er in die Welt gegeben hat, macht seinem Namen alle Ehre – es ist reich. In alle Dimensionen: in die Tiefe gehend, das biologische Fundament, die Essenz des Lebens berührend und in der Breite seiner Forschungsbereiche und in deren Verbindung von Gesellschaft und Persönlichkeitsstruktur, von Psyche und Soma, von Sexualität und Politik, von Arbeit und Wissen. Sein Werk reicht aber auch bis in himmlische Höhen, und das nicht nur, was das Regenmachen betrifft, sondern auch im Berühren der kosmischen Dimension des Lebens.

So vielfältig und reichhaltig Reichs Schaffen auch war, so wenig gewinnt es nach wie vor weiterführende Beachtung. So war es mir als große Reich-Liebende ein Anliegen, dieses Erbe in unserer individuellen Wirklichkeit zu vergegenwärtigen und zu erkunden, wie es in uns weiterlebt. Dazu habe ich eingeladen, am Morgen seines 50. Todestages, am 3.11.2007. Intimität, Innigkeit und Vertiefung hab ich mir gewünscht, und tatsächlich sind nur wenige gekommen in die Praxis O.K., in die Onno Kloppgasse, und in diesem kleinen Kreis fand sie dann auch statt, die von mir gewünschte Innigkeit.

Erneut bin ich in der Zeit der Vorbereitung eingetaucht in seine Schriften und auch in meine Texte, allesamt Liebeserklärungen an ihn, meinen Wilhelm Reich. In diesem neuerlichen Eintauchen wurde ich zunehmend hellhörig auf Essentielles, auf das, was ich als Kernaussagen empfinde.

So möchte ich Reich im Original zu Wort kommen lassen, in einer sehr persönlichen Auswahl von solchen Essentials, es sind Zitate über Gott und die Welt und Zitate, welche den Menschen Reich spüren lassen. Ich habe sie nicht nach Themenbereichen geordnet sondern nach Zeiträumen beginnend mit dem sehr persönlich getönten Buch „Jenseits der Psychologie“ aus den Jahren 1934-1939 über das Eissler-Interview aus dem Jahre 1952 und schließlich auch aus Jürgen Fischers nachtodlich über ein Medium geführtes Gespräch mit „Willie Reich on Earth again“, das für mich ein wahrer Schatz ist, stellt es doch eine konsequente Fortführung des Reichschen Werkes dar.

Impulsreferat:

50 Jahre war der Nachlass von Wilhelm Reich verschlossen, jetzt, heute wird das Archiv geöffnet. Reich meinte, die Welt sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht reif für sein Spätwerk. Dies aufgrund der „strukturell charakterologischen Unfähigkeit zur Freiheit“. Die Vielzahl an teilweise herabwürdigenden Artikeln und Kommentaren zu diesem Ereignis, lassen daran zweifeln, dass dies jetzt bereits der Fall ist.

Seine Schriften haben mich selbst wieder sehr angerührt und aufgewühlt, wie immer, wenn ich in Reich eintauche.
Reich ist unbequem, es will nicht gelingen, dass ich ihn auf dem Sofa liegend lese, das eine oder andere interessant finde, Reich pocht bei mir an innerste Türen, Türen der Sehnsucht, der Rebellion, des Aufbegehrens bisweilen der Wut.

Nein, liegen bleiben kann ich da nicht, will vielmehr im umfassenden Sinne aufstehen im Gewahrsein meiner Angst, lebensverändernde Schritte tun. So war es auch diesmal in der Vorbereitung auf diesen Tag. Immer spüre ich auch, wenn ich mich berühren lasse von dem von Reich Geschriebenen meine Liebe zu ihm, so wie ich glaube, das zu verstehen, was er erkunden und aufzeigen wollte.

So will ich im Folgenden auf das eingehen, was ich als essentiell an seinem Werk finde und dann, wo es Möglichkeiten einer Fortführung für uns gibt. Essentiell sind für mich 3 Qualitäten oder vielmehr Dimensionen:Näher besehen handelt es sich dabei um nach wie vor fest verankerte Tabus in unserer Gesellschaft.

Wahrhaftigkeit:

Alle seine Erkenntnisse sind aus Reichs persönlicher Entwicklung hervorgegangen, aus seiner ihm eigenen Genauigkeit und Radikalität in der Selbsterkundung. Das findet man vor allem in seinen biographischen Aufzeichnungen „Jenseits der Psychologie“ und „Leidenschaft der Jugend“, wo er sich schonungslos offenbart und in aller Menschlichkeit zeigt. Und diese Aufhebung zwischen Persönlichem und Allgemeinem, zwischen Subjektivität und vermeintlicher Objektivität, fußt wie alles auf einer wissenschaftlichen Grundlage, wo er das naturwissenschaftliche Modell auf eine neue Ebene stellte, der funktionellen Denkmethode.

„Die Rede von der objektiven Wissenschaft wird völlig lächerlich, wenn man naturwissenschaftlich denkt. Denn die wissenschaftliche Forschung wird nicht von objektiven Wissenschaftlern, sondern von lebenden Organismen betrieben. Objektiv wird die Wissenschaft dann, wenn dieser Organismus keine Angst vor der Erkenntnis hat. Sonst wird der Streit um wissenschaftliche Fragen ein Kampf von Organismen gegen oder für Lust beziehungsweise Unlust. Dies ist bei Fragen die Sex berühren, regelmäßig der Fall.“ (Jenseits der Psychologie, S. 332)

Diese Angst vor Erkenntnis lebt in uns allen, und auch wenn wir könnten, weil durch eine Vielzahl von Körpertherapiesitzungen unsere Körper auf die Wahrheit erfühlend aufmerksam gemacht wurden, so bedarf es dennoch unserer Bereitschaft hinzusehen, anzuerkennen, was ist, jetzt, hier, doch wie Reich sagt: „Die Angst der Leute, die zu mir kommen, vor Verlust der üblichen Lebensart ist kolossal.“ (Jenseits der Psychologie, S. 350)

Diese Wahrhaftigkeit, dieser Mut, sich selbst zu erkennen und sich zu erkennen zu geben, soll auch einen Ausdruck den anderen Menschen gegenüber finden. Sharings der eigenen jetzt für mich gültigen Wahrheit sind – dann wenn richtig angewandt – ein sehr hilfreiches Modell.

Freiheit:

Reich hat die Voraussetzungen für eine Freiheit der Wahrnehmung geschaffen – in seiner charakteranalytischen Vegetotherapie mit dem Ziel der orgastischen Potenz, der freien Pulsation der Orgonenergie im Körper. Es ist damit eine Voraussetzung gegeben, dass man sich ganz „zur Verfügung hat“, für unseren Ausdruck und unsere Erlebensfähigkeit; er hat jedoch auch aufgezeigt, dass diese Freiheit große Angst macht („… denn es gibt keine größere Sehnsucht und keine größere Angst als die vor der Freiheit“).

„Das Nein zum Lebendigen ist in ihren Strukturen, nicht in ihrer Sehnsucht, nicht in ihren positiven, bewussten Wünschen – sie sind alle anständige und gute Menschen. Es ist in ihrer Struktur, es ist irgendwie in ihrem Gewebe, in ihrem Blut. Sie können nichts ertragen, was mit Orgon-Energie zu tun hat oder mit Lebensenergie oder damit, was sie Gott nennen oder mit ihren tiefsten Sehnsüchten nach Liebe und Erfüllung. Sie können es nicht ertragen und sie fürchten es aufgrund ihrer Strukturen…“ (zit. aus „Alone“)

Es handelt sich nicht um eine kleine Freiheit, sondern um eine Freiheit der Hingabe an das Leben und damit auch an das Sterben alles Festgewordenen, Identitätsstiftendem.

Liebe:

Im Grunde, an der Basis durch alle Schichten seines Werks geht es Reich immer um die Liebe, es ist dies nicht eine sentimentale Liebe, wiewohl sich Reich in seinen Liebesbriefen an Elsa Lindenberg sehr wohl des öfteren mal hinreißen lässt zu schwelgen und dies in einer bisweilen rührend kindlichen Sprache (wenn er z.B. von ihren „Brüstchen“ spricht, nach welchen er sich sehnt) tut.

Es ist ein Verständnis von Liebe als „ungestörtem orgonotischen Kontakt“, ein tiefes in Verbindung treten mit dem anderen – dem anderen wer oder was es auch immer sein mag, zu gestatten, mich zur berühren, mich anrühren zu lassen, das was Martin Buber, und davor schon Jacob Moreno als die Fähigkeit zur Begegnung beschreiben, zu riskieren, dass diese wahrhafte Begegnung uns beide verändert.

Orgonomie ist Liebe, sagt Reich und er meint damit die Fähigkeit, Eindrücke auf sich wirken zu lassen, im sprichwörtlichen Sinne in mir wirken zu lassen.

Wenn wir uns das wirklich in der ganzen Tragweite vergegenwärtigen, so ist ein so geführtes Leben gänzlich anders als es ist, wenn wir getrennt bleiben. Das würde sich in der Therapie in einer radikal fühlenden Teilhabe ausdrücken, dort, wo ich mich nicht so sehr mit den Inhalten des Klienten beschäftige, sondern aus meiner Präsenz heraus wirke, alle Hüllen der therapeutischen Identität gleichsam opfernd der Verbindung von mir zum andern.

Eine fühlende Teilhabe – oder wie Reich es nennt meine Organempfindung – würde es unmöglich machen, Tieren oder Pflanzen, der Mutter Erde derart Gewalt anzutun, wie es nach wie vor tagtäglich geschieht. In der in meinem Organismus gefühlten Vergegenwärtigung – und ich muss es so deutlich aussprechen – den lieben Augen einer Kuh, dem watschelnden Gang einer Ente oder des Gesichtsausdrucks eines Schweins und darüber hinaus im Wissen um die derzeit gängigen Tötungspraxis, ist es (mir) unmöglich, Fleisch zu essen. Thich Nhat Hanh spricht von „barmherzigem Essen“. Trennung verursacht Leid. Reich hat die bioenergetische Basis dieses Getrenntseins in der Panzerung beschrieben und das verbundene strömende Sein im Begriff der Genitalen Potenz.

In einem medial geführten Interview (Skan-Reader) spricht Reich von der Eigenliebe als allerheiligste Pflicht des Menschen.

Ich dachte zunächst daran, in der Vorbereitung auf diesen Morgen fein säuberlich auf die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Reichschen Werkes für uns Erben einzugehen. Auf die Bereiche der Therapie, der Sexualität und Liebe, der Krebsprophylaxe und der Neurosenverhütung. Und da gäbe es ja viel zu sagen und auch viel zu fragen, wie wir denn nun arbeiten, ob wir den energetischen Fluss überhaupt noch nützen, wie es mit unserer Sexualität bestellt ist, ob dies noch ein Wert ist, letztlich ob wir „sitzen“…

Dennoch wollte ich dies an dieser Stelle nicht ausführen, denk ich doch, dass es am Einzelnen liegt oder vielmehr an der Gemeinschaft von Gleich-Gestimmten, wie wir dieses Erbe – nein nicht verwalten – sondern vielmehr fortführen.

Als ich die von Reich verfassten Schriften nochmals durchging, fiel mir einiges auf, z.B. das Verständnis des Menschen als „Menschen-Tier“, wo die grundsätzliche, existentielle Freiheit des Menschen unberücksichtigt bleibt, auch die Beziehung gegenüber dem vegetativen Kontakt und vieles mehr. Und als ich mich aufmachte, diese Verlängerungen, Ausdehnungen zu erkunden, kam mir der oben erwähnte gechannelte Text entgegen, wo Reich eingesteht, dass er die menschliche Freiheit unterschätzt habe und auch die menschliche Fähigkeit, mit vorhandenen Blockierungen zu leben.

„Mein Weg der Orgonomie ist ein Menschheits-Entwicklungsweg, der es den Menschen ermöglicht, sich in Freiheit zu entwickeln und in Freiheit die eigenen Entscheidungen zu fällen. Die Orgnonomie kann es der Menschheit ermöglichen, sich selbst zu erkennen, sich selbst zu lieben und zu achten und dann neu zu überlegen, was der Mensch möchte, um dann in Freiheit – ich betone: in wahrer Freiheit zu tun, was jeder Mensch für richtig erachtet. Es ist ein gefährlicher, doch ein wahrhaftiger Weg.“ (SKAN Reader, S. 41)

So will ich zum Schluss den oben genannten drei Dimensionen – Wahrhaftigkeit, Liebe und Freiheit – drei weitere hinzufügen, als Herausforderung für uns im Leben mit dem Reichschen Erbe:
Es ist dies zunächst die Verantwortung, die Bereitschaft zu antworten und die Fähigkeit, die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, wie immer es jetzt ist. Dann ist es die Bereitschaft und die Entscheidung zu einem anderen Leben, zu einem Leben, das der Wahrhaftigkeit und Liebe Rechnung trägt und schließlich ist es eine Art commitment, eine innere Verpflichtung zu einer bestimmten Lebensweise, man könnte es nach Al Baumann auch eine „Disziplin der Lust“ nennen oder wie der Zenlehrer Claude AnShin Thomas meint: „In eine andere Form des Lebens kann man sich nicht hineindenken, dies kann man nur tun.“

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