16 Aug.
Bukumatula 1/2004
Wider die Psyche der Frau
Dario Lindes:
„ORGASMOTRON“ wird wohl ein Ladenhüter bleiben …
so prophezeit Rolf DEGEN, Psychologe und Wissenschaftsjournalist in Bonn, die Absatzchancen eines neuen Orgasmusgeräts
Vor einiger Zeit strapazierte ein seltsames Umfrageergebnis die Gutgläubigkeit der Zeitungsleser. Danach wäre den meisten Frauen ein Einkaufsbummel wichtiger als ein Orgasmus. Die Mehrheit der befragten Damen hatte doch tatsächlich erklärt, sie könne im Zweifelsfall eher auf Sex verzichten als aufs Shopping. Jetzt stößt eine neue, ähnlich bizarre Pressemeldung ins gleiche Horn: da hat ein amerikanischer Wissenschaftler eine neue „Orgasmusmaschine“ für Frauen entwickelt – und die Angesprochenen wollen sie nicht einmal ausprobieren!
Fallbeispiel: Um sie von ihren chronischen Rückenschmerzen zu befreien, hatte der Schmerzspezialist Dr. Stuart Meloy aus Winston-Salem/US-Bundessaat North Carolina, einer Patientin Elektroden in die Wirbelsäule eingepflanzt. Doch einer der Drähte rutschte am Ziel vorbei und traf den „falschen“ Nerv. Das daraufhin folgende laute Stöhnen der Frau war höchst merkwürdig und ließ nur eine Deutung zu: die Impulse hatten bei ihr einen Orgasmus ausgelöst. „Als ich sie fragte, was denn los sei, antwortete sie nur: Das müssen Sie unbedingt meinem Mann beibringen!“, erinnert sich Meloy.
Dieser Zufallstreffer brachte den findigen Mediziner auf eine zündende Idee: eine elektronische Prothese zur entwickeln, die Frauen mit Orgasmusschwierigkeiten – egal welcher Ursache – den ultimativen Glücksrausch verschafft. Das nach dem Vorbild aus einem Woody-Allen-Film benannte „Orgasmotron“ sollte zukünftig nur noch aus einem Kasten von der Größe eines Herzschrittmachers bestehen, der unter die Haut eingepflanzt und per Fernbedienung ausgelöst werden kann.
Jetzt, zweieinhalb Jahre nach der Entdeckung, erhielt Meloy von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA (Anm.: dieselbe Behörde, die Wilhelm Reich verfolgte und ins Gefängnis brachte) grünes Licht, seinen Lustverstärker an freiwilligen Probandinnen zu testen. „Ich dachte, die Leute würden mir die Tür einrennen, um an den Versuchen teilnehmen zu können“, gestand der verdutzte Meloy dem britischen Wissenschaftsmagazin „New Scientist“. Doch weit gefehlt: nur eine einzige Frau(!) hatte bislang die erste Versuchsphase absolviert, und lediglich eine weitere hatte sich angemeldet. Dabei erfüllen nach aktuellen Daten 32 % aller Frauen eine der beiden Voraussetzungen für die stimulierende Behandlung: lebenslange Anorgasmie, oder Verlust der früheren Orgasmusfähigkeit.
Meloy ist nicht der erste Mann, der erfahren muss, dass die weibliche Sexualität sein Begriffsvermögen bei weitem übersteigt. Ein Gerät, das einen Orgasmus auf Knopfdruck liefert, geht offenbar voll an den weiblichen Bedürfnissen vorbei. Frauen wünschen sich ihren Sex viel stärker in Gefühlen und Beziehungen zu ganz bestimmten Partnern eingebunden, also keinen konsumierbaren Schnellimbiss, sondern vielmehr eine Eruption, die aus nicht plan- und berechenbarer Leidenschaft erwächst. Zumindest ein gewisses Überraschungsmoment, das Sex in der realen Welt oft so reizvoll macht, sollte erhalten bleiben. Vielleicht könnte man ja das „Orgasmotron“ mit einem Zufallstimer versehen, wie er in Einbruchssicherungen bei Hausanlagen vorkommt, die das Licht unvorhersehbar an- und aus schalten …
Doch letztlich entstammt das Konzept des beliebig steuerbaren sexuellen Höhepunkts eindeutig der Psyche der Männer, die anscheinend ja auch Viagra für die beste Erfindung seit der Einführung des Videorekorders halten. Ihr Wunsch, die Partnerin in jeder Hinsicht erschöpfend zu befriedigen, verbindet sich in diesem neuen Gerät vorzüglich mit einer weiteren zentralen Leidenschaft: der Heimwerkerei. Wenn Baumärkte das Orgasmotron für 99 € pro Stück anbieten würden, wäre das der Knaller und würde millionenfach an Frauen verschenkt. Am besten gleich mit Universalfernbedienung, die wahlweise auch das Garagentor ansteuert.
Doch was Frauen sich eigentlich wünschen, ist eine Fernbedienung für Männer, damit nach mühevollem Styling und Auf-sexy-Trimmen auch nur das eine konkret angepeilte Subjekt der Begierde anspringt – und nicht immer nur all die anderen Schürzenjäger, mit denen frau nun wirklich nichts zu tun haben will.
(aufgelesen in der Zeitschrift „GEHIRN & GEIST – Magazin für Psychologie und Hirnforschung“ Nr. 2/2004; Verlag SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT)
Kommentar von Dario Lindes:
Als ich in der Zeitschrift GEHIRN & GEIST über diese Nachricht stolperte, war ich nicht schlecht erstaunt. Was will uns diese Meldung sagen? Dass der Orgasmus (den Frauen) gar nicht so wichtig ist, dass nur wir Männer so orgasmusfixiert sind und uns zu viel (unnötige) Gedanken darüber machen, dass dies also eine rein männliche eingeengte Sichtweise und darum falsch und behandlungsbedürftig ist, wie uns von den Frauen immer wieder gesagt wird?
Vor allem dieser Aspekt, die Betonung des Sexuellen, wird ja gerade von feministischer Seite immer wieder an Freud und der ganzen Psychoanalyse als zu männlich dominiert und als patriarchale Vereinnahmung kritisiert. Aber dieser Meinung möchte ich als intelligenter, denkender und vor allem körperlich fühlender Mensch und Reichianer – und NICHT nur als Mann – klar entgegentreten. Ich habe Wilhelm Reich gerade über die Sexualökonomie und Orgasmuslehre für mein Leben entdeckt und schätzen gelernt und stimme ihm in dieser rigorosen Haltung voll und ganz zu (eigentlich war ich schon lange vorher Reichianer – bevor ich überhaupt je etwas von W. Reich gehört habe, überhaupt seinen Namen kannte). Ich finde seine Erkenntnis von der Bedeutung des Orgasmus für die psychische Gesundheit eine bahnbrechende Entdeckung und DIE zentrale Botschaft an uns alle.
Ich bin in meiner ideologischen Ausrichtung daher durchaus auch orgamusorientiert, das bekenne ich offen ein, aber nicht aus männlich-chauvinistischer Borniertheit und Sexismus, sondern aus tiefster psychohygienischer Überzeugung. Denn wie Reich schon in seiner Sexualökonomie darlegte, können nur im optimalen, gemeinsamen (!) Orgasmus eines Paares, der das einzig anzustrebende Endziel jeglichen sexuellen Begehrens und aller sexueller Interaktion ist, die sexuellen Energien der Libido vollständig und restlos aufgelöst (verbraucht) werden, sodass libidinöse Energiereste nicht übrigbleiben und so ins Psychische umgeleitet werden und als Futter für Neurosen dienen.
Deshalb stehe ich dieser orgasmus-verleugnenden Haltung der Frauen, die offenbar durch diese Pressemeldung transportiert werden soll, durchaus skeptisch gegenüber. Diese lapidare Haltung der Geringachtung „Des brauch ma eh´ net, des kommt nur alles von den sexbesessenen Männern“ halte ich für eine gefährliche Unterschätzung. Vielmehr kommt in mir jedes Mal der stille Verdacht auf, dass es sich hierbei selbst schon um eine neurotische Verirrung handelt, die dann nur nach außen hin als hochmoralische Haltung kaschiert wird.
Unter der Decke des Moralinsauren und Pseudo-Erhabenen aber brodeln im Unbewussten weiterhin die gestauten sexuellen Energien, die man nicht wahrhaben will, die aber auf Erlösung im erfüllenden Orgasmus hoffen, anstatt dessen aber ins Verkopfte, Abwertende sublimiert werden (im schlimmsten Fall gar in Gewalt und Totalitarismus – s. „Die Massenpsychologie des Faschismus“).
Zugegeben: ein elektronisches Gerät, das ein Orgasmus-Surrogat hervorrufen soll, erscheint mir ebenfalls grotesk. Aber die dahinter steckende pauschal sexualverdrängende Haltung der Frauen, das Thema „Orgasmus“ so zu ignorieren, macht mir schon Stirnrunzeln.
Soweit meine kleinen Anmerkungen. Auf eine heiße Kontroverse – und eventuelle Widersprüche – mit den Lesern (vornehmlich den weiblichen) freue ich mich schon!