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Bukumatula 4/2004

Körperschmerz – Seelenschmerz

Buchbesprechung von
Dario Lindes:

Hildegund Heinl und Peter Heinl
Körperschmerz – Seelenschmerz
Kösel-Verlag, 2004, München;
217 Seiten, gebunden, 19,95 €

Als roter Faden zieht sich durch das soeben erschienene Buch, das getrost als „ihr Lebenswerk“ bezeichnet werden kann, der über 60-jährige ärztliche Weg von Dr. Hildegund Heinl (geb. 1919) von der Kriegs- und Nachkriegsorthopädie hin zur psychosomatischen Orthopädie. Hildegund Heinl schildert eindringlich, wie zunächst Patienten mit schweren körperlichen Kriegsschäden versorgt werden mussten. Für die seelischen Verletzungen war da kein Platz.

In den 60er-Jahren trat verstärkt der damals sogenannte „Weichteilrheumatismus“ in der ambulanten orthopädischen Praxis in den Vordergrund. Dabei fielen zunehmend Krankheitsverläufe auf, die sich nicht in das gewohnte Raster von gestörter Statik oder mechanischer Überbeanspruchung einordnen ließen. Die Behandlung verlief oft erfolglos.

Heinl beschreibt nun, wie und warum sie die orthopädische Untersuchung durch ihr, im Laufe der Jahre entwickeltes psychosomatisches Konzept erweiterte. Exemplarische Krankengeschichten, die als Leitschiene den Fortgang der Darstellung illustrieren, begleiten den Leser Schritt für Schritt auf der Suche nach Zusammenhängen zwischen Körperschmerz und Seelenschmerz.

Auch die aus den Erfahrungen der orthopädischen Praxis hervorgegangenen Seminare für Ärzte und Betroffene werden dargestellt und geben weiteres Anschauungsmaterial zum methodischen Vorgehen von Hildegund und Peter (ihr Sohn) Heinl.
Für an wissenschaftlichen Begründungen interessierte Leser dürften Aufbau und Ergebnisse einer zu dem Thema verfassten Forschungsstudie über Rückenschmerzen aufschlussreich sein, die von der Forschungsstelle für Psychotherapie in Stuttgart (gemeinsam mit Dr. Dietmar Czogalik) erstellt wurde.

Es ist faszinierend, wie gut die teilweise bereits vor Jahrzehnten aus der klinischen Erfahrung abgeleiteten Erkenntnisse der Autoren mit den Ergebnissen der modernen neurobiologischen Forschung, auf die die Autoren ausführlich eingehen, überein stimmen. – Hier 2 Beispiele:

1) Die direkte Wirkung des Gehirns auf das periphere Bewegungssystem ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt. Sie führt zu einem Körpergedächtnis für Schmerz- und Gewalterfahrungen, das noch Jahrzehnte nach der Verletzung der körperlichen und seelischen Integrität als Schmerzsyndrom am Ort der Gewalterfahrung in Erscheinung treten kann. Auslöser führen zur Reaktivierung der unbewussten früheren traumatischen Ereignisse. Zum Beispiel können auch spezielle Formen der physikalischen Therapie das unerkannte ursprüngliche Körpertrauma reaktivieren. Dies erklärt, warum einige Patienten einer konventionellen medizinisch-physikalischen Therapie gegenüber resistent sind oder sich das Krankheitsbild sogar noch verschlechtert.

2) Schmerzempfindung und Schmerzbewertung sind keine lokalisierten Phänomene, sondern werden durch neuronale, hormonelle und biochemische Schaltkreise beeinflusst. Oft liegen die ursprünglichen seelischen und körperlichen Verletzungen im frühen Kindesalter, in denen diese Schaltkreise noch nicht voll ausgebildet sind. Es kommt zu einer zentralen Regulationsstörung mit Daueranspannung der betroffenen Muskelgruppen („Muskelpanzer“, siehe Wilhelm Reich), die letztlich den Effekt einer Arbeitsüberlastung hat. Die Autoren sprechen von „innerer Arbeitsüberlastung“.
Die ärztliche Intuition und subtile Beobachtungsgabe von Hildegund und Peter Heinl sind beeindruckend. Es ist ihnen ein insgesamt über-zeugender Beitrag zur psychosomatischen Orthopädie gelungen, der Ärzten, Psycho- und Physiotherapeuten entscheidende Impulse in ihrer klinischen Arbeit vermitteln kann.
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Dr. Hildegund Heinl ist Fachärztin für Orthopädie und Psychotherapeutin (Gestalt) und lebt im Soonwald-Schlösschen im Taunus (westlich von Frankfurt); ihr Sohn Dr. Peter Heinl ist Psychiater und Psychotherapeut und lebt in London.

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