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Bukumatula 1/1999

Was Reich mit dem ZEGG zu tun hat

Auf dass „die Information der freien Liebe sich soweit durchsetzt,
dass sie zellulär und selbstverständlich wird“ 1
Beatrix Teichmann-Wirth:

Das ZEGG, Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung, ist ein beständiger Versuch. In meinem Verständnis ein Versuch, das zu leben, was Wilhelm Reich erforscht und als Vision beschrieben hat. Denn für Reich musste es – verfolgt man seinen Lebenslauf, bei einer Vision bleiben: dass die Sexualität in ihrer Freiheit als Basis für individuelles und gemeinschaftliches Leben gilt.

Aber zunächst zu den Tatsachen:
Das ZEGG als Projekt ist vieles. Zunächst ein Ort in der Nähe von Berlin, wo Menschen seit 1991 (zur Zeit sind es an die 75 Erwachsene und deren Kinder) zusammenleben, und das mehrmals pro Jahr zu Seminaren, Workshops und Treffen einlädt und sich somit für Gäste und den Austausch öffnet. Zentral ist das jährlich stattfindende „Sommercamp“.
Es entstand in einigen Stufen, aus einem Projekt (MEIGA), das u.a. durch Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels ins Leben gerufen wurde und das zum Ziel hatte, sich selbst und das Zusammenleben mit anderen zum Forschungsgegenstand zu machen.
Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels seien an dieser Stelle hervorgehoben, weil sie durch ihre Veröffentlichungen einiges in mir und wohl auch in anderen bewegt haben.

Das Forschungsprojekt sollte „eine Antwort geben zu den brennenden ökologischen und psychologischen Fragen unserer Zeit auf der Grundlage einer soliden, humanen Gemeinschaftsbasis“ (aus: Lichtenfels, 96a, S.86).

Dies geschah, und diese Basis ist nach wie vor Kernpunkt der Lebensgestaltung im ZEGG, indem sich die Beteiligten intimsten inneren Fragen stellen. Zuallererst sind dies Themen wie Sexualität, Autorität, Macht, Konkurrenz und Eifersucht.

Neben diesem Forschungsbereich wird der Ökologie (Aufbau von Permakultur, Einsatz von Sonnenkollektoren und einer Pflanzenkläranlage) und dem schöpferischen Dasein, wie es sich in der Malerei, Bildhauerei und dem Musizieren äußert, großer Raum gegeben.

Das ZEGG berührt damit in seiner Grundlegung Fragen, welche Reich in den Mittelpunkt seiner Forschung stellte und zu einem seiner zentralsten Anliegen machte:

  • Dass Gesellschaftsreformen an der charakterlichen (sexuellen) Beschränkung des Individuums scheitern, wie er dies für die russische Revolution u.a. beschrieben hat und damit die Arbeit auch an der Persönlichkeitsstruktur stattzufinden hat.
  • Dass das zutiefst Private eine politische Dimension hat und dass damit die Politik sich an eben diese innersten Bedürfnissen des Menschen zu wenden hat. So war Reichs Kampf gegen die Wohnungsnot auch vom Wunsch getragen, ein freieres Sexualleben zu fördern.
  • Dass zwischen Innen und Außen keine Trennung besteht, dass sich das, was sich im Mikrokosmos Mensch befreien kann, zutiefst mit seiner Verbindung zu und mit der Offenheit für andere Menschen, Lebewesen und dem Kosmos zusammenhängt.
  • Dass die Freiheit im Liebesleben, wie sie sich in einer nicht auf die Ehemonogamie beschränkten freien Sexualität ausdrückt, Freiheit von sogenannten sekundären irrationalen Bestrebungen wie Destruktion, Neid und Missgunst, Eifersucht, letztendlich Lebensfeindlichkeit bedeutet. Oder anders, „ZEGG-näher“ ausgedrückt, dass der Frieden im Inneren (in den Herzen und Leibern der Menschen) den Frieden in der Welt speist.
  • Dass der Mensch nur erforschen kann, was er in sich erforscht und befreit hat, dann also, wenn er sich selbst zum Forschungsgegenstand macht, d.h., dass der Mensch Subjekt und Gegenstand der Forschung zugleich ist.

Dies alles versuchen, wie im nachfolgenden Vortrag zu lesen ist, die Menschen, welche am ZEGG mitarbeiten, zu verwirklichen. Sie leisten damit, meiner Ansicht nach, einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Reichschen Ansatzes – und dies im wahrsten Sinne des Wortes:

Dort, wo die Befreiung nicht beim individuellen Organismus stehen bleibt, sondern wo die Gemeinschaft als pulsierender Organismus wahrgenommen und gepflegt wird.

Dort, wo sich Menschen auf die Suche nach Formen begeben, die ein lebendiges, offenherziges, sich in der menschlichen Blöße zeigendes Miteinander möglich machen.

Dort, wo die Fürsorge für die Umgebung (pflanzlicher, ökologischer) Art nicht bei Konzepten stehenbleibt, sondern praktiziert wird. Wo der Kontakt zur Natur auf Neugier und Liebe und nicht auf Angst beruht.

Dort wo die Kinder in Freiheit ohne kleinfamiliäre Abhängigkeiten aufwachsen dürfen.

Dort, wo eine spirituelle Lebensweise erforscht wird, welche das Lebendige mit der eigenen inneren Stimme verbindet.

Dort, wo durch die Betonung des Weiblichen und der darin innewohnenden Kraft einer „weichen Macht“ dem Männlichen in Reichs Ansatz eine zweite (weibliche) Dimension an die Seite gestellt wird.

Es ist gut für mich zu wissen, dass es nicht allzu weit entfernt Keimzellen für heilendes Zusammenleben gibt, und ich könnte mir vorstellen, dass Wilhelm Reich, wo immer er jetzt sein mag, mit wohlwollenden Augen und Zufriedenheit darauf blickt.

1 zit. nach Sabine Lichtenfels

Bücher:
Duhm Dieter: Aufbrauch zur neuen Kultur. Von der Verweigerung zur Neugestaltung. Umrisse einer ökologischen und menschlichen Alternative. Verlag Meiga 1993
Duhm, Dieter: Der unerlöste Eros. Verlag Meiga 1991
Lichtenfels, Sabine: Der Hunger hinter dem Schweigen. Annäherung an sexuelle und spirituelle Wirklichkeiten. Verlag Meiga 1996
Lichtenfels, Sabine: Weiche Macht. Perspektiven eines neuen Frauenbewusstseins und einer neuen Liebe zu den Männern. Verlag Berghoff and Friends, 1996a

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