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Bukumatula 1/2009

Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt

Gespräch mit Wolfram Ratz anlässlich seines Ausscheidens als Sekretär des Wiener Wilhelm Reich- Instituts
Beatrix Teichmann-Wirth:

Regina: Wolfram, wie bist Du zum Wilhelm Reich-Institut (WRI) gestoßen?

Wolfram: Zum WRI, das 1982 gegründet wurde, stieß ich über Dr. Peter Bolen, dem eigentlichen Initiator des Instituts, der schon vorher und dann in diesem Rahmen Ausbildungsgruppen in Körperarbeit nach Wilhelm Reich angeboten hat. Mich hat das vom Inhalt her außerordentlich interessiert, und ich begann mich für diverse Tätigkeiten zu engagieren – auch für die AIKE anlässlich der Wilhelm Reich-Tage 1982 und viele Jahre später für die AABP.

Zurückblickend war es für mich die Zeit einer aufregenden humanistischen Aufbruchsstimmung. Mit zunehmenden WRI-Aktivitäten wurde auch die Organisationsarbeit immer mehr. 1986 hat die damalige Obfrau, Renate Grossauer-Schnee, vorgeschlagen, mich als „Sekretär“ anzustellen, was ich mit großer Freude angenommen habe.

R: Wolfram, du hast einmal erzählt, dass es immer ein Traum von dir war, eine eigene Zeitung herauszugeben. Kannst du das näher erläutern?

W: In mir gab es immer schon eine Liebe zur Sprache. Ich habe vieles für mich zusammengeschrieben, wobei mir klar war, dass das literarisch nicht von Wesentlichkeit war. Dann bin ich aber einmal im Falter auf ein Interview mit einem französischen Autor gestoßen, in welchem er meinte: „Ich gehe nie in eine Buchhandlung. Wenn ich ein Buch lesen will, schreibe ich es mir selber.“

Dieser Satz hat mein Leben verändert. Unmittelbar darauf, das war 1987, habe ich eine eigene Zeitschrift herausgegeben, eine „Leserzeitschrift“ mit dem Titel „Gustl“, die für ein Jahr konzipiert war und in der die Leser die Beiträge selbst verfasst haben. Verwandte, Freunde und Bekannte haben dabei mitgemacht. Das war für mich von der Idee bis zur Ausführung ein großes Projekt – und hat mich schon mit der ersten von sechs Ausgaben, nicht nur finanziell, auf den Boden gebracht: Zu einem von mir durchaus geschätzten homöopathisch-pornografischen Artikel von Peter Stöckl, meinte meine Mutter damals: „Ich schäme mich, dass du mein Sohn bist“, was mich aber in meinen Ambitionen als „Zeitungsmacher“ nicht aufhalten konnte.

Zum Entschluss, eine WRI-Zeitschrift herauszugeben, möchte ich voranstellen, dass es zu jener Zeit bereits regelmäßig Info-Briefe an die Mitglieder gab, in denen über Vorträge, Seminare, etc. berichtet wurde. Und so entstand in mir die Idee einer Zeitschrift, die auch von den damaligen Vorstandsmitgliedern aufgegriffen wurde. Ich kann mich noch gut an das Treffen bei Monika Bammer-Gürtler erinnern – bei der wir über viele Jahre hinweg unsere Vorstandssitzungen abgehalten haben und für deren Gastfreundschaft und Engagement ich heute noch Dank sage -, bei dem wir die Namensgebung in Form eines „Brainstormings“ erarbeitet haben.

Von mehr als fünfzig Ideen wurde der Vorschlag von Alfred Preindl, der heute als Psychiater tätig ist, angenommen. Und der hieß eben: „Bukumatula“ – das „Ledigenhaus“. Der Bezug dazu entspringt den Forschungen des Ethnologen Bronislaw Malinowskis auf den Trobrianderinseln, die Reich in sein Buch „Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral“ einfließen ließ.

Das PC-Zeitalter hatte damals noch keinen Einzug in den Alltag gefunden und die Herstellung einer Zeitschrift auf privater Ebene war dementsprechend mühsam. Zu dieser Zeit war eine IBM-Schreibmaschine, die drei Zeilen zurück korrigieren konnte, schon ein technisches Wunderwerk. Wenn dann irgendwo mitten in der Seite etwas falsch war, dann hat man das ausschneiden und wieder zusammenkleben, bzw. überhaupt neu schreiben müssen.

R: Aber Wolfram, kannst du sagen, wie es dazu gekommen ist, dass du ausgerechnet für das WRI Sekretär geworden bist und dir den „Traum“ einer Zeitschrift erfüllt hast – was hat es mit Wilhelm Reich auf sich?

W: Es war schon so, dass das, was ich von und über Wilhelm Reich gelesen habe, mein Weltbild sehr verändert hat. Mein Wissen, das ich von Eltern, Lehrern und Pfarrern vermittelt bekommen habe, habe ich damit massiv infrage gestellt. Ich habe mich nach und nach mit dem Werk Reichs auseinandergesetzt; vieles kenne ich gar nicht, die wesentlichen Eckpunkte zumindest seiner psychoanalytischen Zeit sind mir aber vertraut.

Ich meine, dass das ein Wissen ist, nach dem viele Menschen dieser Welt hungern. Warum ich mich gerade für Reich so eingesetzt habe, weiß ich nicht. Vielleicht hat das mit seiner Außenseiterrolle zu tun. Ich selbst fühle mich als „Suchender“ ebenso oft verloren wie herausgefordert. Außenseiter bringen jedenfalls oft Erstaunliches zustande.

R: Kannst du dich noch an die Bukumatuala-„Nullnummer“ erinnern?

W: Anlässlich der Wiederkehr von Wilhelm Reichs neunzigstem Geburtstag gab es 1987 europaweit Veranstaltungen – etwa in Berlin, die ich besucht habe, in Neapel, bei der ich einen Vortrag gehalten habe und in Wien, die ich organisiert habe. Und damit gab es eine Menge an „Material“.

Die erste Bukumatula-Ausgabe erschien im Herbst 1988. Die Journalistin Nadine Hauer hatte einen Artikel über Reich verfasst, der mich sehr beeindruckt hat und den sie uns zur Verfügung stellte. Das war der Hauptartikel der ersten Ausgabe und aus meiner Sicht ein sehr schöner Beginn.

R: Was würdest du als „Highlight“ in deiner Zeit als Sekretär sehen?

W: Meiner Meinung nach lagen die „Goldenen Jahre“ des Reich-Instituts zwischen 1986 und 1991, in denen ich mich auch persönlich besonders engagiert habe. Ursprünglich als Ausbildungsinstitut gegründet, gab es das Bestreben, die besten Therapeuten und Therapeutinnen auf diesem Gebiet nach Wien zu holen. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen war ich von Anfang an von der Wirksamkeit der Vegetotherapie überzeugt. Und es kamen – manche in Jahresabständen – Al Bauman, Emily Derr, Myron Sharaf, Eva Reich, Jürgen Christian, David Boadella und einige mehr.

Zum Teil haben sie bei mir gewohnt, und so konnte ich sie auch persönlich näher kennen lernen. Gestoppt wurden diese goldenen Jahre, durch eine Steuerprüfung im Jahr 1991. Aus irgendeinem Grund wurde die Finanzbehörde auf uns aufmerksam, und wir wurden darauf hingewiesen, dass wir nach Paragraf so und so, die begrenzte Einkommensteuer für ausländische Therapeuten nicht abgeführt haben. Das war der Beginn einer „Depression“, was ich im Nachhinein – und noch heute darüber zerknirscht – als „Pulsationsbewegung“ zur Kenntnis genommen habe. Zu dieser Zeit habe ich einen großen Teil der Verantwortung für das WRI auf mich bezogen gefühlt und war wirklich verzweifelt.

Es ging damals immerhin um eine Nachzahlung in Höhe von mehr als 100.000,- Schilling. Das war für unseren kleinen Verein unfassbar viel. Aufgrund der außerordentlich komplizierten und dazu unklaren Rechtslage haben wir Udo Stalzers Steuerberatungskanzlei eingeschaltet, die gegen den Finanzamtsbescheid wiederholt Einspruch erhoben hat, was sich über neun Jahre hingezogen hat. Insgesamt haben wir schließlich an die 90.000,- Schilling für Finanzamt und Steuerberater aufwenden müssen.

Ich bin sowohl Beatrix Teichmann-Wirth und Günter Hebenstreit, die in dieser schwierigen Zeit das WRI-Ruder übernommen haben, als auch den anderen damaligen Vorstandsmitgliedern und insbesondere den Bukumatula-Lesern und Leserinnen dankbar, dass sie durch ihre, zum Teil sehr großzügige finanzielle Unterstützung, zum Überleben des WRI beigetragen haben.

Aus Anlass der Steuerprüfung sind ab 1991 sämtliche Aktivitäten – mit Ausnahme eines SKAN-Ausbildungslehrgangs mit Loil Neidhöfer und Petra Mathes, der großen Anklang fand – über viele Jahre hinweg eingestellt worden.- Nach Abschluss der Steueraffäre haben sich im Jahr 2000 Günter Hebenstreit als Obmann und der Vorstand für eine Wiederbelebung der Aktivitäten eingesetzt. Wir haben Toni Stejskal als Organisationsberater engagiert und 2001 bei Heiko Lassek angefragt, wieder frischen Wind in die Reich-Szene zu bringen, was mit seinen vielen nachfolgenden Vortragsreisen nach Wien und seinen Ausbildungslehrgängen in „Orgontherapie“ sehr erfolgreich war.

R: Wolfram, würdest du zu den goldenen WRI-Zeiten auch den EABP- Kongress – anlässlich der Wiederkehr Reichs 100. Geburtstags, 1997 – in Pamhagen dazuzählen – und welche Rolle spielte das WRI zu diesem Zeitpunkt?

W: Den EABP-Kongress in Wien und Pamhagen habe ich insofern in bleibender Erinnerung, als damals die Finanzierung einer Gedenktafel für Wilhelm Reich anstand, die von Hildegund Berghold gestal-tet wurde und die 45.000.- Schilling gekostet hat. (Anmerkung: Die vom WRI initiierte Gedenktafel in der Blindengasse 46a wurde am 30. November 1997 bei strömenden Regen und düsterkalter Abendstimmung in Anwesenheit des Bezirkvorstehers, einiger Polizisten und einer kleinen Reich- Gemeinde mit einer Ansprache von Beatrix Teichmann-Wirth enthüllt.)

Auch dafür habe ich mir selbst große Verantwortung auferlegt, das Geld dafür aufzutreiben, was mir persönlich ja überhaupt nicht liegt. Ich bin damals zur Symposiumseröffnung im Palais Ferstl mit einem Korb herumgegangen und habe um Spenden gebeten. Und in Pamhagen habe ich auch immer wieder einen Spendenkorb aufgestellt – und am Abend das Geld gezählt.

Auf diese Weise habe ich Kontakte mit so manchen Teilnehmern knüpfen können; auf den Inhalt der Tagung habe ich mich aber nicht konzentrieren können.- In Pamhagen habe ich noch einmal Myron Sharaf getroffen, dem ich mich sehr nahe fühlte, nicht ahnend, dass er ein paar Tage später sterben würde. Das WRI hat zu dieser Tagung nicht wirklich etwas beigetragen; ich persönlich habe aber als damaliges Vorstandsmitglied der AABP an den Vorbereitungen mitgearbeitet.

R: Wenn du von der Zeit der „Depression“ sprichst: Was hat dich daran gehindert dieses sinkende Schiff zu verlassen?

W: Der Grund, das Schiff nicht zu verlassen, lag für mich in erster Linie darin, dass ich mich dem Werk Reichs vom Herzen her wirklich verbun- den fühle und dass auch alle Vorstandsmitglieder mit an Bord geblieben sind. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit meinem Engagement einen Außenseiterweg beschreite. Aber es tauchten immer wieder für mich faszinierende Leute auf, die mich zum Weitergehen veranlasst haben.

Es war meine Hoffnung, dass aufgrund der Bedürftigkeit der Menschen nach einem glücklicheren Leben Wilhelm Reichs Gedankengut irgendwann Fuß fassen könnte; offenbar waren fünfzig Jahre zu wenig. Für mich hat das Werk Wilhelm Reichs, insbesondere auch sein Lebensweg, mit einem heftigen Anstoß zu kreativem Tun und lebenslangem Lernen zu tun – das Leben zu erlernen – und mein Anliegen ist es, das auch anderen Menschen weiterzugeben: Dass man ein Leben lang lernen darf, lernen soll, lernen muss, um in Frieden sterben zu können. So meine ich das. Wenn es einen Sinn im Leben gibt, dann soll man lernen Abschied zu nehmen.

R: Wenn du jetzt noch einmal mit all deinen bisherigen Erfahrungen mit Bukumatula von vorne anfangen würdest: Was würdest du anders machen?

W: Nach zwanzig Jahren der Herausgeberschaft mit etwa einhundert Ausgaben möchte ich zunächst – und das ist mir ein großes Anliegen, allen Autoren und Autorinnen meinen Dank aussprechen, dass sie so viele gute, manchmal hervorragende Beiträge beigesteuert haben. Insbesondere möchte ich Beatrix Teichmann-Wirth und Heiko Lassek danken, die mir stets mit Rat und Tat, also mit Beiträgen ausgeholfen haben, wenn es zu Redaktionsschluss keine gab.

Bukumatula ist aus meiner Sicht im Laufe der Zeit irgendwann `stehen´ geblieben. Formal betrifft das etwa das Layout – und vom Inhalt her – und das ist für mich von größerer Bedeutung, habe ich mich als Herausgeber fast ausschließlich dem „frühen“ Reich gewidmet. Ich meine, dass es an der Zeit ist – insbesondere auch durch die Öffnung des Reich-Archivs – das Risiko einzugehen, sich auf den „späten“ Reich einzulassen, auch wenn das in einer Sackgasse enden sollte. Ich finde diesen Weg spannend und möchte sowohl die Redaktion als auch den WRI-Vorstand geradezu auffordern, ihn zu beschreiten.

R: Was würdest du dir für Bukumatula wünschen, und was würdest du dir für das WRI wünschen?

W: Für Bukumatula wünsche ich mir, dass es am Leben bleibt, auch wenn künftig vielleicht weniger Ausgaben im Jahr, die aber regelmäßig, erscheinen sollten. Dem neuen Chefredakteur, Robert Federhofer, wünsche ich, dass er seine eigene Kreativität einbringt und er seine Persönlichkeit auch über diese Ebene zu entwickeln versteht. Ich möchte ihm raten ein Redaktionsteam zur Erleichterung seiner Arbeit zusammenzustellen, dass er Kontakte zu Autoren pflegt und Interviewpartner für Beiträge findet. Es gibt ja genug interessante Menschen, mit denen es sich lohnt, Kontakt aufzunehmen. Ich werde ihn in der Anfangsphase gerne unterstützen.

Es war immer mein Anliegen – und das habe ich auch geschafft -, dass in Bukumatula fast ausschließlich Originalbeiträge erschienen sind. Es soll eine „Originalzeitung“ bleiben, auch mit dem Risiko, weniger gute Beiträge zusammenzubringen; zumindest bleibt sie damit authentisch. – Inwieweit Printmedien im Zeitalter des Internets Bestand haben, wird man sehen. Aber eine Zeitschrift, die man sinnlich wahrnehmen kann, die man fühlen und riechen kann, wird immer etwas Besonderes bleiben – und sie ist auch eine Art „Visitenkarte“ des Vereins.

Für das WRI wünsche ich mir, dass es eine Drehscheibe für das Werk Wilhelm Reichs bleibt und dass es sich, die Fußballersprache zu Hilfe nehmend, für eine „Nachwuchsmannschaft“ verantwortlich fühlt. Durch mein Ausscheiden als Sekretär und die damit freigewordene finanzielle Verbindlichkeit, meine ich, dass sich eine Schleuse geöffnet hat, womit sich ganz neue Möglichkeiten für Ideen bzw. Aktivitäten auftun. Längerfristig lohnt es bestimmt, sich den Arbeiten und „Visionen“ Wilhelm Reichs weiterhin anzunehmen, was ich mit meinem Lieblingszitat unterstreichen möchte: „Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.“ Übrigens:

Neben meiner geliebten Tätigkeit als Psychotherapeut werde ich mich künftighin haltlos meiner neu erworbenen italienischen Knopfharmonika hingeben. Und: Dieses Interview widme ich Dr. Peter Bolen, der mir aus einer tiefen Lebenskrise geholfen und mir als Mentor einen ganz neuen und spannenden Lebensweg eröffnet hat.

R: Lieber Wolfram, ich wünsche dir viel Freude beim Musizieren und bedanke mich im Namen aller für deine Ausdauer gerade in den finanziell schwierigen WRI-Zeiten. Ich hoffe, dass dich die Erinnerung an die kreativen Zeiten immer wieder erheitern und beflügeln kann und du auch in Zukunft unbelastet im „Weisenrat“ dein hütendes und wohlwollendes Auge auf die „Jugend“ richtest.

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