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Bukumatula 3/2004

Otto Muehl Austellung

Immer (noch) ein Ärgernis?
und
Impressionen einer Austellung
Dario Lindes:

Im Museum für angewandte Kunst (MAK) ging Ende Mai dieses Jahres die große Otto-Muehl-Ausstellung zu Ende. Folgende zwei Texte wollen wir Ihnen als Nachbetrachtung zu diesem nicht unumstrittenen Event nachreichen :

Woge des Narzissmus: Die Muehl-Retrospektive im MAK zeigte, wie Größenwahn zur Belanglosigkeit führen kann. Ein Kommentar von Paulus Hochgatterer (erschienen im FALTER 11/04 zur Eröffnung der Ausstellung im März 2004.)

Ein Gutes besaß diese Otto-Muehl-Ausstellung zweifellos: man hatte auch mit Leuten etwas zu reden, an denen man sonst beschleunigten Schrittes vorübergehen würde – weil man sich zum Beispiel mit der Beziehung Kants zur Religion nicht auskennt.

Mit Alt-68ern sprach man bei dieser Gelegenheit über den Ausbruch aus der sexuellen Zwangsmoral (siehe ein Buchtitel von Wilhelm Reich) mithilfe von Gruppentherapiemarathons und experimentellem Psychodelikagebrauch, außerdem darüber, dass doch auch Wilhelm Reich ein ziemlich erbärmliches Ende genommen hat; mit Szene-Insidern darüber, was Peter Noever und Otto Muehl gemeinsam haben, mit Psychoanalytikern über dasselbe oder über die Rolle des Phallus als narzisstische d.h. im Grunde prägenitale Partialrepräsentanz des eigenen Selbst bei Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen.

Mit Jugendlichen schließlich – und dabei ist man eindeutig am entspanntesten – sprach man zum Beispiel über die Frage, ob die ausgestellten Fäkalobjekte irgendwann einmal echt waren oder vielleicht doch aus Plastilin, Silikon oder PU-Schaum nachgeformt wurden, oder darüber, welcher Unterschied zwischen der Darstellung des eigenen Gesichtes und jener der Geschlechtsteile besteht.

Vielleicht erfuhr man von ihnen dabei auch, dass Jugendliche ihren Sex am liebsten mit anderen Jugendlichen praktizieren, soferne man sie lässt, und nicht mit Erwachsenen; vielleicht erfährt man das aber auch nicht, denn heutige Jugendliche pflegen in ihrer Sprache über Sexualität ziemlich diskret zu sein. Als Mann über 40 neigt man dazu, nicht über die Körper von Männern über 40 zu sprechen, eher noch über Körpersäfte und Ekel im Allgemeinen.

Im übrigen bleibt – und darin bestand wohl auch das Kalkül dieser Schau – eine beeindruckende Woge von Narzissmus, die da über einen hinwegschwappte und einen im Gefühl zurückließ, in erster Linie einem monumental missglückten Künstlerleben begegnet zu sein. Die Rede ist jetzt nicht von fehlender Schuldeinsicht oder gar Reue in Bezug auf die eingestandenen und gesetzesmäßig bestraften Handlungen sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen und Kindern.

Diesbezüglich ist das vielfach zitierte Muehl’sche Diktum „Ich hatte ein neues Material entdeckt: den menschlichen Körper“ wohl als pro-grammatisch anzusehen. Manchen Menschen ist es, wie man weiß, schlecht möglich, den anderen als emotional lebendig wahrzunehmen, sie sehen immer nur das Material in einem. In der Regel bilden ent-sprechende Erfahrungen von Devitalisierung und Instrumentalisierung im Lauf der eigenen Lebensgeschichte den Hintergrund für solchen Mangel.

Die Rede soll z.B. vom Begleitkatalog zur Ausstellung sein, der sich als einerseits sorgfältig gestaltetes Druckwerk beachtlichen Ausmaßes präsentiert, das andererseits allerdings den Gesamteindruck im Detail bestätigt. Durch das Gitter seines eigenen Namenszuges blickt uns der Künstler an, sodass man Otto Muehl metaphorisch gleich einmal enthaftet, sobald man den knallgelben Umschlag des Katalogs aufschlägt. Wenige Seiten später unternimmt Direktor Peter Noever in seinem Vorwort einen Versuch der Rechtfertigung durch Raunen. Das klingt dann so: „Soll das Gesamtwerk Otto Muehls die Präsentationsplattform des Museums nicht betreten (…)? Weil sich hier ein Werk, weil sich Subjektivität präsentiert, in der sich gerade in der höchsten Individuation konkret Allgemeines artikuliert?“

Konkret Allgemeines artikuliert dann Peter Gorsen in seinem Beitrag „Die verlorene Utopie, das festgehaltene Leben. Otto Muehl Redivivus“, indem er eine Schleife von Wilhelm Reich zu Sigmund Freud und wieder retour zieht. Immerhin landet er am Schluss im Zentrum: beim narzisstischen Größen-Selbst des Künstlers. Dieses ruft im folgenden Text „Aktionismus und Kunst“ Cezanne, Picasso, van Gogh und Duchamps als Zeugen an; das ist man ja noch geneigt zu verstehen.

Dass Muehl aber die Schrift mit seiner Erinnerung an den Tod Hitlers beginnen lässt und sein eigenes Scheitern bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste daran assoziiert, das hätte man nicht unbedingt gebraucht! Wie brauchbar das Konstrukt Peter Turrinis aus seinem im Jahr 1993 entstandenen Aufsatz „Wiener Aktionismus“ ist, das denselben letztlich auf den Zerfall der Donaumonarchie zurückführt (!), sei dahingestellt.

Das Wesen des Narzissmus besteht darin, dass er keine Konstanz kennt und niemals Erfüllung findet – wenn die Ausstellung im MAK dies illustrieren wollte, so gelang es ihr vortrefflich. Beliebigkeit scheint zunehmend das Entwicklungsprinzip in Otto Muehls Schaffen geworden zu sein, Laune neben Effekt und ökonomischem Interesse sein einziges dynamisches Grundelement.

Der Aktionismus der 60er-Jahre, getragen von einem sozialrevolutionären Konzept und gespeist durch eine sublimationsverweigernde libidinöse Energie, blieb zumindest über einige Jahre hinweg halbwegs konsequent, samt Otto Muehl. Die Sozialutopie der aktionsanalytischen Kommune scheiterte im Grunde in dem Augenblick, in dem Muehl sie primär in eine Bühne für seine patriachalen Selbstdarstellungs- und Machtbedürfnisse, also für seine Art von feudalistischem Herrschaftszynismus verwandelte.

Die initiale, unpervertierte Kraft dieser Idee wird in der Ausstellung leider nicht ausreichend sichtbar. Vollends tragisch wird die Angelegenheit freilich angesichts der mangelnden künstlerischen Substanz von Muehls Bildern. In einer Polyepigonalität, die trotz offensichtlicher eigener bildnerischer Unzulänglichkeit vor keinem berühmten Vorbild zurückschreckt, springt er von Cézanne zu Picasso, von van Gogh zu Mondrian, von der Pop-Art zum deutschen Expressionismus und sucht von dem Licht, das auf die Großen fällt, jeweils einen kleinen Strahl zu erheischen, gelangt aber auf diesem Weg doch nur zur einzigen Identität, die einem Größen-Selbst wirklich zusteht: zur absoluten Belanglosigkeit.

PAULUS HOCHGATTERER ist Kinderpsychiater und Psychoanalytiker, lebt in Wien, und ist auch als Schriftsteller tätig. Zuletzt erschien sein Buch: „Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen“,
Deuticke Verlag, 2003 (siehe auch Buchrezension in Bukumatula 2/04).

Impressionen einer Ausstellung
Von Dario Lindes

Seit Anfang April habe ich einen kleinen Nebenjob: Ich stehe für ein paar Tage im Monat als Saalaufseher im MAK herum. Und in dieser Eigenschaft hatte ich von Dienst wegen die Gelegenheit, die Muehl-Ausstellung ausgiebigst zu studieren.- Schon das Setting war außer-gewöhnlich: sie wurde vom ersten bis zum letzten Tag zusätzlich von einer privaten Sicherheitsfirma bewacht – offensichtlich aus Angst vor Anschlägen extremistischer Muehl-Gegner und protestierender Ex-Kommunarden – nicht gerade alltäglich für eine einfache Kunstschau. So versah ich meinen Dienst neben baumlangen Muskelpaketen, einer immer einen Funkknopf im Ohr …, welch scharfer Kontrast zu den anderen, eher ruhigen, antiquierten, verstaubten Möbel-Sälen im Haus von Rokoko und Biedermeier bis Jugendstil.

Die Eröffnung der Ausstellung anfangs März schlug hohe mediale Wellen. Die lokale Presse erging sich in meist negativen Rezensionen (siehe Paulus Hochgatterer, vorhergehende Seiten), nicht nur über den Anlass, den Künstler, sondern auch über die Umstände der Vernissage: „Ein Großaufgebot an zusätzlich gecharterten Sicherheitskräften tummelte sich im Eingangsbereich, ein Kordon von Securities mit mahlendem Kiefer und Bewegungsmelderblick der jeden Besucher musterte, der Ausnahmezustand war erklärt, als stünde ein neuer 11. September zu befürchten, das Haus ein Hochsicherheitstrakt; es regierte die Gewalt, nicht nur auf den Bildern – und die Angst.

Der eher klein gewachsene Direktor Noever mit psychosomatisch hoch-gespannten Schultern und eingezogenem Genick, stolz umringt von hohen Bodyguards – das alles zu seinem Bedeutsamkeitserweis und des erhofften Skandals“ (Zitat Peter Roos, Kommentar im STAN-DARD 6./ 7. März).- Ein Operettenauftritt, wäre da nicht der Urheber und sein Fall: Otto Muehl.

Die Eröffnung blieb mir erspart. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich noch nicht im MAK angeheuert, ich begann erst einen Monat später meinen Dienst.

Ich erinnere mich, dass ich in jenen Tagen bei einer Konkurrenzveranstaltung war: bei einer Buchpräsentation mit Lesung des Bildenden Künstlers Otmar Bauer, dem ehemaligen Wirtschaftschef der Muehl-Kommune und ebenfalls Aktionist der ersten Stunde – sein Buch ist eine scharfe Abrechnung mit seinem ehemaligen Guru und der gesamten Friedrichshof-Bewegung (s. Buchtipp im Anhang).

Nach dem werbewirksamen Trubel der Eröffnung blieb die Ausstellung eher schütter besucht, der Skandal wich dem Vergessen und der Alltagsroutine im Museum – auch befürchtete Protestanschläge blieben aus.

Anfangs ließ ich mich von der allgemeinen Anti-Muehl-Hysterie in den Medien anstecken.- Doch ich muss gestehen: im Laufe der Ausstellungsdauer machte meine Sicht auf Otto Muehl eine Wandlung durch. An meinen ersten Dienst-Tagen im Muehl-Saal stand ich seiner erotischen Malerei ebenso fassungslos und kopfschüttelnd gegenüber wie wohl jeder andere Durchschnittsösterreicher auch. Ich fand sie einfach nur vulgär und zotig. Mir war seine eindringliche Bildsprache mit der drastisch zur Schau gestellten Sexualität und der Genital-Fixiertheit zu plakativ, zu unverblümt.

In der künstlerischen Thematisierung von Sex hatte ich immer den Anspruch an eine gewisse Dezenz, Esprit, Fingerspitzengefühl, sublime Verschleierung, Umschreibung – doch genau dies ist eben Otto Muehls Sache nicht – und ich begann zu verstehen. Je öfter ich im Saal stand und mich mit den Gemälden konfrontierte, begann sich mein ursprünglicher Widerstand und meine Abneigung gegen ihn aufzuweichen – ich hatte das Gefühl zu begreifen, was der Künstler eigentlich ausdrücken will. Zum Ende der Ausstellung hatte ich mich ein großes Stück an Otto Muehl angenähert und sah ihn nun mit anderen Augen.- Gehirnwäsche? Möglich, wenn „-wäsche“ für „Reinigung von Störendem, Verschmutztem, das den Weg zum ungetrübten Blick verstellt“, steht.

In Otto Muehls Bildern wird gevögelt, geschissen, gepisst – das ist sicher nichts für empfindliche Gemüter, die bloß auf schmucke Dekorationskunst stehen. In seinen Bildern wird auf Schritt und Tritt die Allgegenwart und die Allgewalt des Sexus deutlich, wie sie unser ganzes Leben durchzieht und bestimmt; kein Fleck bleibt von ihr unberührt: Sexualität ist überall, steckt überall dahinter, egal ob im Essen, in der Politik, in der Kunst, etc. Warum also schönreden und mit Pastellfarben ummalen? Mich faszinierte diese Botschaft – seine Bilder zogen mich mehr und mehr in ihren Bann.
Otto Muehl ist sicher kein bequemer Mensch und wird es auch nie sein. Man mag ihm auch seine Machenschaften und Entgleisungen in seiner Ex-Kommune ankreiden, da will ich ihn auch gar nicht verteidigen.

Aber was mich an der öffentlichen Kritik stört, ist die Unsachlichkeit, mit der man dem Künstler Muehl begegnet. Dabei wird oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis – da kann man ihm jetzt juristisch nichts mehr anhaben -, verbeissen sich die Kritiker nun immer mehr an seiner Kompetenz als Maler. Es scheint zur beliebten Taktik im allgemeinen „Muehl-Bashing“ zu gehören, ihn zum Dilettanten und Plagiateur abzustempeln und seine Bilder zur inhaltslosen Pornographie zu erklären; daran sieht man nur, wie sehr das sexuelle Tabu in den Köpfen dieser Leute immer noch wirkt.- Nach ausführlicher Betrachtung seiner Werke bin ich sehr wohl der Meinung, dass Otto Muehl KEIN schlechter Maler ist (was insbesondere in seinen zahlreichen Portraits zum Vorschein kommt), er beherrscht durchaus sein Handwerk, das muss man ihm schon las-sen. Und vor allem: seine Bilder haben Kraft!

Auch darf man Otto Muehl nicht nur auf seine sexuellen Sujets reduzieren. Sein künstlerisches Oeuvre weist durchaus eine breite Verschiedenheit und Vielfalt auf und hat eine lange Entwicklung hinter sich, dessen Zeugnisse alle in dieser Schau zusammengetragen waren: von den ersten naturalistischen Studien im van Gogh-Stil (50er-Jah-re) über Gerümpelskulpturen aus den frühen 60er-Jahren, Zeitungsausschnitt-Collagen, dann natürlich sein federführendes Wirken im Wiener Aktionismus (auf Photos und mit Kurzfilmen dokumentiert), Politiker- und Prominentenporträts, Selbstporträts, Zeichnungen (Selbstreflexionen zu seinem eigenen künstlerischen Werdegang), abstrakte Ölgemälde, Schüttbilder/Körpermalerei, pinkige Pop-Art in Acryl, Landschaftsmalerei (in Öl) rund um den Friedrichshof, dann die Sexualdarstellungen (vornehmlich aus seiner Haftzeit in den 90ern) und zuletzt, nach 2000, die „Video-Malerei“ (= Video-Installationen) im Mondrian-Stil.

Ich kann in seiner Vorliebe, bei Fremdstilen wie van Gogh, Gaugin, Picasso, Mondrian und der Pop-Art Anleihen zu nehmen und diese zu paraphrasieren, sie zu persiflieren, auch kein Plagiatentum erkennen – ist das nicht vielmehr ein Beweis seines handwerklichen Talents, in so viele Rollen schlüpfen zu können? Auch möchte ich seine Entdeckung des menschlichen Körpers als „neues Material“ und Projektionsfläche für seine Kunst nicht als menschenverachtende Verdinglichung des Gegenübers zum Objekt sehen. Ich halte seine Körper-Performances im Rahmen des „Wiener Aktionismus“ keineswegs für banal oder überflüssig.

Vielmehr stand dahinter der durchaus berechtigte Wunsch, so etwas wie körperliche Sinnlichkeit in der Bildenden Kunst wieder zu entdecken, den Körper in seinem sinnlichen Ausdruck darzustellen. Man muss diese Entwicklung auch im größeren kulturellen Umfeld sehen: Otto Muehl stand in den 60er-Jahren in der Tradition der Body Art und Fluxus-Bewegung, die aus Amerika kommend ihre lokale Ausprägung eben im Wiener Aktionismus gefunden hatte. So war er weder der erste noch der einzige, der den Körper zum Betätigungsfeld seines künstlerischen Schaffens machte.

Meiner Meinung nach wird der Stellenwert des Wiener Aktionismus für die Kunstgeschichte immer noch viel zu sehr unterschätzt. Oft wird mit der Muehl-Kritik auch gleichzeitig der gesamte Wiener Aktionismus in einem Aufwaschen (mit) desavouiert. Doch der Wiener Aktionismus hatte in dieser Zeit eine wichtige Bedeutung: er hatte im biederen Muff und in den erstarrten Strukturen der Nachkriegszeit einiges aufgebrochen und ästhetisch viel Neues bewirkt.

Die Aktionisten waren keine Krawallmacher, die nur um des seichten Skandals Willen schockieren wollten, nein, diese Leute hatten schon ein Anliegen, das sollten wir nicht verkennen. Und wir sollten stolz sein auf diese Kulturrichtung; sie ist eine der wenigen Bewegungen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Wien ihren Ausgang genommen hat und seither in der Kunstwelt untrennbar mit Österreich und Wien in Verbindung gebracht wird.

Man kann Otto Muehl nachsagen, was man will, aber Dilettant war er auch damals sicher keiner. Vielleicht war er keine intellektuelle Leuchte, kein sensibler Reflektierer oder scharfsinniger Konzeptionist – das war eher Günter Brus; dieser war wohl der schärfere Geist unter den Wiener Aktionisten, das intellektuelle Zugpferd der Bewegung. Vielleicht war auch Hermann Nitsch der ekelerregendere, blas-phemischere, schockierendere – und heute auf dem Kunstmarkt teurere.- Otto Muehl aber war der „Sexuellste“ unter den dreien.- Er war sicher nie ein Mensch der feinen Zwischentöne, nie zimperlich in der Wahl der Mittel, sondern immer kompromisslos und hart, ein „tough guy“, der dem Betrachter auch seine sexuellen Botschaften beinhart um die Ohren knallt.

Sein Mut jedoch, das Thema Sexualität in sei-nem Leben wie in seinem künstlerischen Werk so direkt anzusprechen, das imponiert mir schon. Ob sein Schaffen in die Kunstgeschichte eingehen wird, kann man heute noch nicht sagen, das wird die Zukunft – und vor allem der Kunstmarkt – weisen. Ob Muehl in seiner Bedeutung durch sein erotisches Genre und dem ähnlichen persönlichen Lebensschicksal (Verurteilung, Gefängnis) gar mit Egon Schiele zu vergleichen sein wird, sei dahingestellt.

Mir scheint auch, dass bei vielen Kritikern eher eine Art versteckter Neid der Vater des Gedankens ist: Neid auf die sexuelle Freiheit, die Otto Muehl über so lange Zeit hinweg genoss, welche er sich selbst zugestand, bzw. sich eigenmächtig einfach nahm.

Am Rande kam in der Ausstellung auch sein Wirken in der AAO – der „Aktions-Analytischen Organisation“ – und die Entwicklung seiner Kommune zur Sprache. Dabei wurde auf einer Schautafel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er die Ideen zu seinem alternativen Lebensmodell und seinen „therapeutischen“ Praktiken („Aktionsanalyse“) in Abwandlung von Wilhelm Reich übernommen hatte.- Es muß für einen Reichianer ein Schlag ins Gesicht sein, dass das Werk Wilhelm Reichs für sein Terrorregime herhalten musste.

In einer fatalen Mischung aus Halbbildung, Selbstüberschätzung und (vorsätzlicher?) Missinterpretation zog er Wilhelm Reichs Theorien auf das Niveau einer narzisstischen Kasperliade herunter und bastelte daraus (mit Einflüssen aus Gestalt, Psychodrama, Rebirthing, Janovs Urschreitherapie, etc.) seine eigene Methode: Das aktionistische Ausagieren von verdrängten Seeleninhalten vor einer Gruppe – eine haar-sträubend verblödelte Form der körpertheatralen Selbstdarstellung, welche unter seiner Anleitung zum Ausbruch aus kleinbürgerlich-emotionalen Zwängen führen sollte.

Die Technik der „Selbstdarstellung“, war wohl eher ein Produkt seiner eigenen narzisstischen Schlagseite, entsprang mehr seiner eigenen unaufgearbeiteten Neigung zu Selbstdarstellung als einem real therapeutischen Anliegen.- In der MAK-Ausstellung waren dazu einige bezeichnende filmische Kostproben auf Video zu sehen: Otto Muehl und andere Kommunarden beim Herumgehoppse vor kuderndem „Fan“-Publikum – um dann nach absolvierter „Nummer“ Beifall heischend eitel in der Runde herumzustolzieren.- Mir kam das vor wie eine Schar vernachlässigter kleiner Kinder, die verzweifelt Zuwendung suchen.

Mit Wilhelm Reich und wirklich freier Sexualität hatte das Muehl-Projekt genauso wenig zu tun wie ein Purzelbaum mit einem Baum.

Ich will jedoch, trotz all der Auswüchse und Obskurantismen, die ursprünglich gute Absicht, die den Gründervater der Bewegung am Anfang inspiriert hatte, nicht vergessen und durchaus positiv anerkennen – nämlich ein neues Konzept des intimen Zusammenlebens zwischen den Menschen zu finden. Das Projekt „Friedrichshof“ war im Ansprechen und Bearbeiten des Themas Sexualität sicher viel kompromissloser als ähnlich geartete Folgeprojekte heute – nicht so doppelbödig und verlogen wie etwa das ZEGG („trau dich, aber nicht zu viel“).

Otto Muehl hatte in völliger Verblendung seine Verwandlung vom charismatischen Führer zum patriarchalen Tyrann und das Abdriften seiner Kommune in einen totalitären Sex-Gulag übersehen.- Er hat den ganzen psychischen Ballast und Seelenmüll unserer Gesellschaft in die Kommune mit hineingenommen, ohne ihn vorher zu analysieren und vor den Toren abzulegen. So war Otto Muehl gleichermaßen Diagnostiker wie Symptom dessen, was er selbst anprangerte und zu beheben versuchte: Eine vom Kleinbürgertum und Kapitalismus deformierte „Psyche“, ein „Kleiner Mann“ eben.
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MAK Seite: http://www.mak.at/programm/ausstellungen/otto_muehl

Eine Initiative abtrünniger Ex-Kommunarden informiert kritisch mit Zeugenaussagen und Schicksalsberichten von Missbrauchsopfern:
www.re-port.de

Die aktuelle Seite des Friedrichshofs heute. Hier erhalten Sie Ein- und Überblick über den derzeitigen Stand und Verwendung des Areals als Wohngenossenschaft (z.B. hat sich STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl auf dem Gelände ein Privathaus gebaut). Der Friedrichshof ist im Besitz des künstlerischen Nachlasses von Otto Muehl und der weltweit größten Sammlung des Wiener Aktionismus:
www.friedrichshof.at

Buchtipps zum Thema:

Robert Fleck: „Die Muehl-Kommune – Freie Sexualität und Aktionismus“
Toni E. Altenberg: „Mein Leben in der Muehl-Kommune“
Eva Badura-Triska und Hubert Klocker: „Otto Muehl – Aspekte einer Totalrevolution“
Otmar Bauer: „1968 – Autobiographische Notizen – Wiener Aktionismus, Studentenrevolte, Underground, Kommune Friedrichshof, Muehl Ottos Sekte“
William Levy: „Unser Freund Otto Muehl – eine Studie zum Kulturschock“
Peter Stoeckl, „Kommune und Ritual. Das Scheitern einer utopischen Gemeinschaft“.

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