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Bukumatula 3/1990

Psychologische vs. Energetische Betrachtung zum Phänomen der Übertragung

Auch Freud wusste schon davon …
Fotsetzung von Bukumatula 2/90
Will Davis:

„RESONANZ“

In seinem Buch Charakter-Analyse begann Wilhelm Reich die Unterschiedlichkeit einer psychologischen und einer energetischen Sichtweise auszuarbeiten, was schließlich zu seinem bio-psychologischen Verständnis menschlichen Funktionierens führte. In dieser Schrift wirft Reich die Frage auf, ob es denn überhaupt vernünftig sei von einem Neurotiker die Fähigkeit zu erwarten, daß er eine echte positive Übertragungsbeziehung zu seinem Therapeuten herstellen kann, wovon die Psychoanalyse abhängig ist. Die Antwort, die er selbst darauf gibt ist ein klares: Nein. Prägnant und scharf zeigt er auf, daß der größte Teil der sogenannten „positiven“ Übertragungen in ihrem Kern latent negative Übertragungen sind. Psychologisch gesehen sind es prägenitale Bestrebungen, die eher narzißtischen Strukturen entsprechen, – nämlich dem Bedürfnis geliebt zu werden, und nicht dem zu lieben.

Zur wirklichen Übertragung (Reich nannte Sie echte Übertragung) gehören objektgebundene, libidinöse, erotische Strömungen, die erst möglich sind, wenn das genitale Entwicklungsstadium erreicht werden konnte. Das Bedürfnis geliebt zu werden hat ganz und gar nichts mit der „Übertragung“ zu tun die Freud beschreibt, nämlich einer spontanen Bewegung nach außen, hin zu einem Objekt.

David Boadella stellt zu diesem Thema in seinem Artikel: „Tranferance, Resonance and Interferance“ faßt, daß Übertragung in ihrem Kern „die Geschichte früherer Interferenz-Muster widerspiegelt“ und daran „festklebt“. Er fährt fort, daß, wie Reich schon sagte, eine positive Übertragung überwunden werden muß, bevor wirklich bedeutsame Arbeit geleistet werden kann. Für Boadella stammt das Übertragungsphänomen aus den beiden äußeren Schichten der Charakterstruktur: aus der Maske (Abwehr) und aus dem Schatten (der verwirrten, unterdrückten, und verzerrten „mittleren“ Schicht). Effiziente Arbeit aber beginnt erst dann, wenn auch der Kern („Core“) kontaktierbar wird. Erst dadurch kann es zu einer Resonanz zwischen Klient und Therapeut kommen.

In einem persönlichen Gespräch erklärte mir David Boadella, daß er „Resonanz“ mit Reichs Konzept der echten Übertragung gleichsetze. Meines Erachtens gibt es da jedoch einen großen Unterschied zwischen den Aussagen von Reich und Freud und denen von Boadella. Reich sagte nicht, daß positive Übertragung überwunden werden müsse. Er wies jedoch ausführlich darauf hin, daß das, was allgemein unter „positiver Übertragung“ verstanden wurde, es häufig ganz und gar nicht war und daß damit zu arbeiten sinnlos sei, solange nicht eine sinnlich-genitale Übertragung stattfindet.

Es ist also notwendig, die ‚falsche“ positive Übertragung zu erkennen und nicht die positive Übertragung per se zu eliminieren. Im Gegensatz zu Reich und Freud, die beide Übertragungserscheinungen als spontanes energetisches (Libido-) Ereignis sehen, dem ein Kern-Prozeß zugrunde liegt, meint Boadella, daß Übertragung aus den abwehrenden und gepanzerten Teilen der Struktur stamme. Seine Erklärung setzt für mich die Verwirrung und Unklarheit um Übertragung als einen historischen Substitutionsprozeß fort und unterstützt damit das negative Ansehen, das Übertragung zum schwarzen Schaf der Psychoanalyse machte. Ich glaube weder, daß dies eine korrekte Darstellung von Übertragung selbst, noch von ihrer Rolle im therapeutischen Prozeß ist.

Ich stimme auch nicht mit Boadella überein, wenn er meint, daß sein Konzept von Resonanz mit echter Übertragung gleichzusetzen sei. So wie es David Boadella darstellt – und auch damit arbeitet – ist Resonanz ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Therapeut und Klient. Dieses Zusammenwirken ist meiner Meinung nach für gutes energetisches Arbeiten auch wesentlich. Resonanz ist ein exzellentes Wort und ein hervorragendes Konzept, das in energetischen Begriffen das erklärt, was zwischen Therapeut und Klient stattfinden muß. In seinem letzthin erschienenen Buch „Lifestreams“ schreibt Boadella:

Wenn es darum geht, blockierte Gefühle zum Ausdruck zu bringen, so sind die wesentlichsten Werkzeuge Sensibilität und die Fähigkeit eine lebendige Antwort für andere Menschen zu finden. Reich nannte dies „vegetative Identifikation“, die Fähigkeit in unserem eigenen Körper die blockierten Ausdrucksmuster zu spüren, die sich gegenseitig einschnüren. Stanley Keleman benutzte den Begriff körperliche Resonanz für die biologische Verbindung zweier Menschen. (S. 15)

Reich nannte diese lebendige Beziehungsform aber „vegetative Identifikation“ und nicht echte Übertragung. Und das aus gutem Grund. Es handelt sich um zwei verschiedene Dinge. So wie Reich und Freud Übertragung beschrieben, ist sie das spontane, zielgerichtete Ausgreifen von Lebensenergie, ungeachtet der Antwort. Sie ist primär.

Echte Übertragung ist ein von innen motiviertes unaufhaltsames Ereignis. Was danach geschieht, wird die psychische Struktur des Individuums und die therapeutische Beziehung beeinflussen, und dies wiederum wird die Qualität der Resonanz bestimmen. Übertragung ist ein spontaner Prozeß, der aus dem „Kern“ kommt – eine Bewegung des Individuums nach außen in die Welt. Die Resonanz bringt dann die Schwingungen zweier oder mehrerer Organismen auf psychischer und/oder auf körperlicher Ebene in Einklang, sobald dieser ursprüngliche Übertragungs-Prozeß einmal stattgefunden hat.

Übertragung als primärer Impuls ist im wesentlichen intra-psychisch, Resonanz immer interpsychisch, interpersonal. Beides ist notwendig für das Gelingen der Arbeit. Resonanz wird jedoch nicht stattfinden ohne einer vorangegangenen echten positiven Übertragung.

„ECHTE“ ÜBERTRAGUNG

Um eine konzeptionelle Ordnung herzustellen möchte ich zusammenfassen: wirklich bedeutsame Arbeit kann nur geleistet werden kann, wenn auch der „Kern“, der vegetative Kern (Core), kontaktiert wurde. Wenn Boadella behauptet, daß Übertragungen aus der Maske und dem Schatten kommen, dann meint er vermutlich damit, daß sie psychische Phänomene aus dem oberflächlichen Bereich seien (z.B. die gepanzerten Schichten des Organismus). Und tatsächlich haben wir hier ja auch: latent negative Übertragung, negative Übertragung, Projektionen, Widerstände, Vermeidungen, usw. Diese dürfen jedoch nicht mit dem, was Reich echte Übertragung nannte, die in ihrer Natur kern-verbunden ist, verwechselt werden. Wurde der Kern kontaktiert – oder besser, ist der Kern kontaktierbar – dann findet bereits Übertragung statt, der Organismus greift von selbst nach außen aus. Dann muß auch echte Gegenübertragung stattfinden – eine reale und positive Antwort des anderen in der Beziehung. Wenn diese stattfindet, dann haben wir Resonanz – psychische und somatische Resonanz.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir interessant festzustellen, wie wenig über echte positive Gegen-Übertragung gesagt wird. Wie die Übertragung selbst, so wird sie im allgemeinen als Problem angesehen. Manche Therapieschulen gehen sogar so weit, daß sie sie zu vermeiden trachten. Carl Rogers ist einer der wenigen, der diese Thematik aktiv und direkt als wichtigen Teil der Therapie miteinschließt. Auch in Boadellas Konzept der Resonanz ist die positive Gegenübertragung ein wesentliches Element.

Betrachtet man Übertragung nicht aus einer energetischen Perspektive, dann kann man nie wissen wann und wie sie stattfindet. Wenn es sich um keine echte Übertragung handelt, um keine libidinöse Aussendung, dann ist es auch sinnlos damit Übertragungsarbeit leisten zu wollen. Latent negative Übertragung, Projektion und ausagierendes Verhalten mit Übertragung zu verwechseln, schwächt nur die therapeutisch wirksame Handhabung all dieser Phänomene.

Insbesondere die Psychoanalyse warf immer wieder die Frage auf, weshalb eine Arbeit einmal erfolgreich verläuft und ein anderes Mal wieder nicht. Oder: welche Erklärung gibt es für die Tatsache, daß eine korrekte Deutung einmal einen Klienten erreicht und bewegt und ein anderes Mal wieder nicht. Eine mögliche – und für mich auch sehr wesentliche – Begründung für erfolgreiches Arbeiten scheint mit dem Zeitpunkt, zu dem eine Deutung erfolgt, zusammenzuhängen.

Häufig finden wir jedoch – wie auch Freud ausführte – zwei parallel laufende Informa-tionssysteme: das eine beinhaltet das, was der Patient über sich selbst weiß, und das andere, was er vom Therapeuten gehört hat. Dazwischen findet jedoch keine Interaktion statt.

Meiner Überzeugung nach wirken Übertragungstechniken nur dann, wenn auch eine spontane Aussendung von Libido auf ein Objekt hin stattfindet. Energetisch gesehen heißt dies, daß eine Arbeit nur dann effektiv verlaufen wird, wenn auch zum inneren Kern Kontakt hergestellt werden kann. Nur mit den Reaktionen aus der Panzerung, mit Abwehrsystemen und Widerständen zu arbeiten ist bestenfalls unproduktiv, meistens jedoch vergeblich.

Während seiner Amerikareise im Jahre 1910 hielt Freud eine Reihe von Vorträgen, in denen er immer wieder betonte, daß wirksame therapeutische Arbeit stets begleitet ist von einer nach außen gehenden emotionalen Bewegtheit, entweder im Ausdruck oder als „Loslassen“, dem Affekt. Dies ist die energetische Beteiligung am Heilungsprozeß, die genauso wichtig ist für die Arbeit mit dem scheinbar psychologischen Phänomen von Übertragung. Ich meine nicht, daß gutes Arbeiten mit der Übertragung von emotionalen Ausbrüchen begleitet sein muß (obwohl dies manchmal der Fall ist), aber ich meine, daß bei echter Übertragung ein energetisches Phänomen wirksam ist, das erkannt und genutzt werden muß, um tiefe Veränderungen in einem Menschen möglich zu machen.

Echte Übertragung entsteht in der Gegenwart und ist eine lebendige Erfahrung. Auch Freud zeigt mit besonderer Sorgfalt auf, daß die Idee, die hinter erfolgreicher Übertragungsarbeit steht, die Bewußtmachung und Überwindung innerer Widerstände ist und nicht einfach eine Wiederherstellung der Vergangenheit, sondern die Verwandlung des Wiedererlebens in Erinnerung.

Übertragung ist keine Übertragung von Objekten, so wie die Psychologie dies versteht, sondern vielmehr eine, „Übertragung“‚ von Libido, von Energie. Das Objekt ist das Produkt, die Aussendung der Prozeß. Wir können uns entscheiden, ob wir mit dem Produkt oder mit dem Prozeß arbeiten wollen. Dies klar zu unterscheiden ist von großer Bedeutung, denn jede getroffene Wahl hat eine Vielzahl von Konsequenzen.

Bei echter Übertragung handelt der Klient in der gegenwärtigen Situation, im Hier und Jetzt, entsprechend seiner unvollendeten libidinösen Strömungen, die Befriedung finden müssen. Das Mißverstehen von echter Übertragung auf der einen und Ausagieren und andere Verhaltensformen, die dem Abwehrsystem entstammen, auf der anderen Seite, gibt Anlaß zu Verwirrung und Unklarheit in der Arbeit. In einer therapeutischen Beziehung gibt es einen großen Anteil von ausagierendem Verhalten, das Freud bei der Entwicklung seiner Technik beschrieb, welches laut Reich aber nicht den Bestrebungen der Libido entspricht. Ausagieren ist ein Wiederherstellen, ein Wiedererleben der Vergangenheit, mit Projektion und Schuldzuweisungen, Widerstand, Abwehr, Vermeidung etc. Dabei kann auch echte Übertragung stattfinden. Dies muß jedoch unterschieden werden von den obengenannten scheinbaren Übertragungsvorgängen. Eine solche Unterscheidung ist bisher nicht klar getroffen worden. Die meisten Reaktionen der Klienten werden in die fehl-interpretierte Übertragungs-Schublade eingepaßt: der Therapeut repräsentiert jemanden aus der Vergangenheit, sie haben sich verliebt in den Therapeuten als Vater usw. In einer psychologischen Terminologie heißt das: der Klient muß sich dann tatsächlich in seinen Therapeuten verlieben.

AUS MEINER PRAXIS

Aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich drei Beispiele anführen, die hilfreich sein können zu unterscheiden, ob es sich um echte Übertragung handelt oder nicht. Als ich anfing in Deutschland zu arbeiten, ließ ich eine Klientin als Lockerungs-Übung mit einem Tennisschläger auf einen Lowen-Stuhl schlagen. Plötzlich unterbrach sie die Übung und kam mit erhobenem Schläger auf mich zu. Erstaunt fragte ich sie, was sie jetzt vorhabe, worauf sie antwortete: „Du erinnerst mich an meinen Vater!“ Immer noch erstaunt, nun aber über diese überraschende Äußerung, sagte ich zu ihr: „Mach dich nicht lächerlich, ich spreche nicht einmal Deutsch! Komm, fang nochmal an.“ Unverzüglich kehrte sie zu ihrer Übung zurück. – Hier hatte keinerlei Übertragung stattgefunden. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Arbeit mit ihr war noch kaum Energie mobilisiert. Es war eine Art theatralisches Ausagieren – des dramatischen Effekts wegen; vollkommen bewußt, vernunftgesteuert und ohne jede Verbindung zu einem tieferen Teil ihrer selbst. Sie glaubte offenbar, daß eine solche Art zu Handeln von ihr erwartet wurde.

Die Klientin in meinem zweiten Beispiel war fünfzig Jahre alt und hatte mit mir und mit einem anderen Therapeuten schon eine ganze Zeit lang gearbeitet. Es war offensichtlich, daß die Arbeit einiges in Bewegung gebracht hatte. Trotz ihres Alters zeigte sie in all ihren Handlungen und Reaktionen ein auffallendes Klein-Mädchen-Verhalten – außer wenn sie damit konfrontiert wurde. Sie reagierte dann schnell und behauptete ärgerlich ihren Standpunkt. Umständlich und schüchtern erklärte sie mir eines Tages, daß sie sich in mich verliebt habe. Meine Antwort war sinngemäß: „Ja, das kann ich verstehen. Wir haben viele wichtige Augenblicke und Erfahrungen miteinander geteilt. Ich habe immer versucht aufmerksam zu sein und dir meinen Respekt vor dir und meine Fürsorge für dich zu zeigen.“ Ich machte ihr deutlich, daß ich darüberhinaus nicht verfügbar war, daß mich ihre Aussage jedoch weder überraschte noch außer Fassung brachte. Ich war mir nicht ganz klar darüber, was geschehen war. Zunächst dachte ich, es handle sich um eine Art kameradschaftlich-adoleszenter Verliebtheit, was ich als ein Zeichen von Wachstum verstehe; möglicherweise war es das aber nicht. Nachdem ich ihr nämlich erklärt hatte, daß das, was gerade mit ihr geschah für mich gut annehmbar sei, schien sie enttäuscht und verärgert darüber, daß ich ihre Äußerungen so rasch akzeptiert hatte. Was sie erwartet und gewünscht hatte, so vermute ich, war eher eine „Problem-Reaktion“; dies ist für mich auch der Grund, weshalb ich nicht glaube, daß es sich um echte Übertragung gehandelt hat. Ich glaube, sie war mehr daran interessiert, was ihre Verliebtheit bedeute als daran, daß sie verliebt war.

Der dritte Fall erscheint mir geeignet, ein Beispiel von echter Übertragung aufzuzeigen: Ich hatte lange und intensiv mit einer Frau gearbeitet, die eine reiche Geschichte wirklich ernster Probleme hatte. Diese Frau wurde arbeitsunfähig und mußte ihre Stelle kündigen. Sie hatte schon einige verschiedene Therapien hinter sich, was ich als ernsten Versuch verstand sich selbst helfen zu wollen. Nachdem wir gut zwei Jahre miteinander gearbeitet und Teile ihrer Augenblockierung aufgelöst hatten, waren wir über die Phase von Drama und Ausagieren hinaus. Eines Tages sagte sie etwas sehr Wichtiges zu mir: „Weißt du, ich verstehe es eigentlich nicht, aber du bist der erste Therapeut, in den ich mich nicht verliebt habe. Das verwirrt mich jetzt richtig.“- Sie wußte nicht mehr woran sie war, weil sie glaubte, daß sie sich in ihren Therapeuten verlieben müsse, was dann eine bestimmte Bedeutung hätte. Tatsächlich kam es jedoch zu einem libidinösen Streben nach Verbindung, genau wie Freud und Reich es beschrieben haben. Ich war weder ihr Vater noch sonst irgendjemand aus ihrer Vergangenheit. In der gegenwärtigen Beziehung war ich ein erwachsener Mann, der beständig für sie gesorgt hatte. Sie war eine zunehmend erwachsen werdende Frau, die gerade lernte ihrer natürlichen Libido zu trauen und darauf zu reagieren. Weil es nicht die Liebe war, die sie bei ihren anderen Therapeuten erfahren hatte, wußte sie nicht was sie mit ihrem Gefühl tun sollte. Der Unterschied zwischen einem psychologischen und einem funktionellen Ansatz – auch bei einem so klassisch psychologischen „Werkzeug“ wie dem der Übertragung – wird nun hoffentlich klarer. Reich sagte dazu folgendes:

Die Psychologie analysiert und zerlegt Erlebnisse und Konflikte und verfolgt diese zurück zu früheren, historisch wichtigen Erfahrungen. Gegenwärtige Ideen und triebhafte Ziele eines Menschen sind ein verständliches Ergebnis früherer oder unterdrückter Ideen und instinktiver Ziele. Die funktionelle Orgonomie zerlegt nicht frühere Erfahrungen, sie arbeitet auch nicht mit der Assoziation von Gedanken, sondern sie arbeitet direkt mit den instinktiven, triebhaften Energien, die sie von charakterlichen und muskulären Blockaden löst und so ermöglicht, daß die Energie wieder frei strömen und fließen kann. Sie beschäftigt sich nicht mit der Ursache der Blockierung. (O.E.B.1950, Betonung vom Autor)

MAN MUSS DEN FEIND NICHT VOR DEN TOREN SEINER
HAUPTSTADT ANGREIFEN …

In dieser Diskussion möchte ich aufzeigen, daß wir nicht länger von einem psychologischen Verständnis menschlichen Verhaltens abhängig sind. Trotzdem ist es überraschend, daß das psychologische Modell – trotz Reichs umwälzender Erkenntnisse und Neuerungen – auch innerhalb der Körperarbeit im Reichianischen Bereich dominant blieb. Für die meisten Therapeuten ist Reichsche Arbeit Analyse mit Bewegung und viel „Geschrei“. Die Arbeit mit Emotionen wird im allgemeinen als der „Energie“-Teil der Arbeit gesehen; und wenn diese getan ist, kann man zur „richtigen“, zur eigentlichen Arbeit zurückkehren, nämlich dem Verstehen und Interpretieren.

Eigentlich werden nur die Emotionen und möglicherweise auch der physische Körper mit in die Arbeit einbezogen, dies jedoch nur im Rahmen des psychologischen Funktionierens. Die Haltung und das Verständnis haben sich nicht verändert. Es ist eher eine Erweiterung des psychologischen Konzepts, als eine Neustrukturierung und Veränderung von Schwerpunkten. Im Kern blieb das psychisch-zentrierte Modell erhalten.

Ich glaube nicht, daß dies der Forderung Reichs entspricht. Ohne eine elementare Veränderung arbeiten wir noch immer mit dem ursprünglichen Modell, das Freud folgendermaßen beschrieb: „Wir können sagen, daß der mentale Apparat, die psychischen Strukturen der Meisterung und Entladung der Vielzahl von Stimuli, von Energie dient.“ Ich möchte die für mich sehr wesentliche Frage aufwerfen, ob die psychischen Strukturen den Fluß der Energie „meistern“ und organisieren, oder ob die Energie die aus ihr resultierenden Strukturen, den psychischen Apparat organisiert. Ich glaube, das Reich sich für die zweite dieser Möglichkeiten einsetzte. Bestenfalls entspricht ersteres seinem Arbeitsmodell aus der Übergangszeit, der charakteranalytischen Periode, in der er die Gefühle und den Körper in den psychoanalytischen Rahmen einbrachte. Aber es entspricht nicht dem Konzept, das er später entwickelte (s. „Die Funktion des Orgasmus“). Zwischen diesen beiden Schaffensperioden gibt es deutliche Unterschiede.

Indem wir auch Freuds ursprüngliches Verständnis von Übertragung begreifen, werden wir von der Notwendigkeit ständig zu deuten und zu interpretieren (und damit auch von Fehl-Deutungen) befreit. Darüberhinaus nimmt es den Druck vom Therapeuten, die zentrale Figur in der Arbeit zu sein. Der Fokus der Arbeit kann mehr zum Klienten übergehen und dort auch bleiben. Projektionen und Gegenübertragungen werden vermindert.

Der Heilungsprozeß war bisher von einer Beeinflussung des Klienten von „außen“ abhängig. Dies ist der zentrale Aspekt eines medizinischen Modells. Freud spricht ständig über die „Zugänglichkeit für Beeinflussung“ durch den Arzt.

Indem man die Arbeit von einer energetischen Seite her angeht, ist die interpersonale Beziehung zwar immer noch ein wichtiger Faktor, aber sie spielt nicht mehr eine kausale Rolle. Sie ist nicht das Mittel der Wahl, um den Organismus zu mobilisieren, wie z.B. Übertragung in der Psychoanalyse, Projektion in der Gestalttherapie, oder Konfrontation in der Bioenergetik – sowohl auf verbaler, als auch auf physischer Ebene. Die Beziehung kann immer noch empfänglich für Übertragung oder Projektion sein, aber sie wird deshalb nebensächlich, weil der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Prozeß liegt – der wachsenden libidinösen Aussendung.

Das Ziel der Arbeit besteht darin, die Libido aus dem intra-psychischen Bereich zu entwickeln. Wenn Energie mobilisiert wird und nach außen fließen kann, können die erwarteten psychischen Manifestationen auftreten. Wenn man energetisch vorgeht, dann liegt der Schwerpunkt der Arbeit beim Klienten selbst, was dieser auch von Anfang an spürt und versteht. Er macht nicht die Erfahrung, daß von außen Einfluß genommen wird.

Es bleibt die Fragejob bei einem energetischen Arbeiten von innen nach außen der innen entstehende Energiefluß nicht auf dieselben Widerstände treffen und dort in gleicher Weise abgeblockt wird, wie bei der Arbeit von außen nach innen.

Meine Erfahrung zeigt, daß dies nicht geschieht. Das bringt uns zu einem weiteren Punkt auf den Freud in der obengenannten Passage hinwies: Man muß den Feind nicht gerade „vor den Toren seiner Hauptstadt“ angreifen, um wirkungsvolle Arbeit leisten zu können. Freud betont sogar, daß neue Positionen geschaffen werden müssen, um die Aufmerksamkeit von den feindlichen Bollwerken abzuziehen. Von außen nach innen zu arbeiten heißt die Widerstände anzugreifen, um die Panzerung zu entfernen. Dies hat jedoch nur eine Verstärkung der Widerstände, mit einem gelegentlich erfolgreichen Bezwingen der Festungsmauern zur Folge.

Arbeitet man energetisch-funktionell, dann nähert man sich vorsichtig den Abwehr- und Widerstandsgrenzen und versucht nicht mehr gegen den Willen des Klienten in seine Festungen einzubrechen oder sie niederzureißen. Alle einsichtigen Therapeuten und Theoretiker haben in der einen oder anderen Form über den tiefen Wunsch des Klienten gesund sein zu wollen, gesprochen. Arbeitet man von innen nach außen, so wird der Therapeut vom Klienten nicht als Aggressor erlebt)sondern als jemand, der den wachsenden Heilungsprozeß unterstützt. Mit einem solchen Verstehen können wir unsere Position neu definieren und die Probleme von einer anderen Seite her angehen.

BIBLIOGRAPHIE:

Laplache, J. Pontalis, J.-B., „Das Vokabular der Psychoanalyse“, Suhrkamp, 1972
Hilton Wink, Virginia: „Working with Sexual Transference“, The Clinical Journal of Bioenergetic Analysis, Vol. 3, No 1 S. 1987
Davis, Will: „On Working Energetically, Part II: Historical Material“, Energy and Character, Vol. 19, No 1 Spring 1988
Freud, Sigmund: „A General Introduction to Psychoanalysis“, Washington Square Press, New York, 1960
Sulloway, Frank J.: „Freud, Biologist of the Mind“, Basic Books Inc., New York, 1983
Reich, Wilhelm: „Character Analysis“, Farrar, Straus und Giroux, New York, 1976
Boadella, David: „Journal ‚of Biodynamic Psychology“, No 3, Winter 1982
Boadella, David: „Lifestreams“, Routledge and Kegan Paul, London, 1987
Reich, Wilhelm: „Orgone Energy Bulletin“, 1950

In der Übersetzung wurden soweit wie möglich die ins Deutsche übersetzten Bücher, beziehungsweise die Originalschriften, die erst später ins Englische übersetzt wurden benutzt.

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