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Bukumatula 4/2006

Askov war eine Reise wert

Bericht vom 10. EABP-Kongress zum Thema: „Liebe und Sexualität, Arbeit und Spiel, Wissen und Wissenschaft“
von
Elfriede Kastenberger:

Der 10. Kongress der EABP fand vom 21. bis 24. September 2006 in Askov statt, auf dem wunderschönen, großzügig ange-legten Areal einer der ältesten dänischen Volkshochschulen, mit weiten Rasenflächen, riesigen, uralten Bäumen und übers ganze Gelände verstreuten Unterkünften. Zentral gelegen waren die Tagungsräume und der Festsaal. In den dänischen Volkshoch-schulen leben junge Menschen für zwei bis drei Monate, sie sind so etwas wie Volksuniversitäten, die großen Wert auf ganzheitli-che Erziehung legen und Menschen dazu anleiten, sich bewusst zu werden, was ihre eigenen Werte sind und was es bedeutet, demokratisch gesinntes Mitglied einer Gesellschaft zu sein. As-kov selbst ist ein kleiner Ort und liegt ungefähr 250km westlich von Kopenhagen.

Ungefähr 250 TeilnehmerInnen aus ganz Europa – von Spanien bis Griechenland, von Russland bis Südfrankreich – bevölkerten die Gebäude, hörten die Vorträge, trafen einander zwischen-durch beim Essen und in den Pausen. Es gab viele Gelegenheiten zu Diskussion, Austausch und Kennenlernen. Wir feierten ein großes Fest mit Gala-Diner anlässlich der Gründung der EABP vor zwanzig Jahren und des zehnten EABP-Kongresses. Malcolm Brown, einer der drei Initiatoren der Gründung der EABP, hielt eine sehr besinnliche Festrede. Eine Capoeira-Gruppe trommelte uns auf und brachte heiße Stimmung in den Saal, und mit Sket-ches und Tanzmusik wurde bis in den Morgen hinein gefeiert.

Die EABP-Generalversammlung gehörte zum weniger lustvollen Teil des Kongresses; wichtig ist zu berichten, dass die Vorschläge für neue „Membership-Criterias“, die eine ziemliche Erhöhung der Anforderungen für die Aufnahme in die EABP gebracht hät-ten, zurückgezogen wurden und nochmals überarbeitet werden, und dass neue Ethik-Richtlinien angenommen wurden. Joop Val-star (Niederlande) wurde zum neuen EABP-Präsidenten gewählt.

Die Hauptvorträge wurden gehalten von:

GUSTL MARLOCK: Love and Sexuality

Marlocks Beitrag – er ist Co-Autor des „Handbuchs für Körper-psychotherapie“ – war ein eher philosophischer, mit Filmaus-schnitten untermauerter Vortrag über die zeit-geistigen Verände-rungen von Beziehung, Liebe und Sexualität.

GEORGE DOWNING: The Developmental Roots of Work and Play

Ein sehr interessanter, eindrucksvoller und berührender Vortrag. Downing ging zuerst auf die „körperlichen Mikropraktiken“ („Body micropractices“) ein, die sich bei jedem Säugling indivi-duell und einzigartig entwickeln – in einem andauernden Dialog mit und in Reaktion auf seine Bezugspersonen. Er hat diese dann anhand von Videos aus zweien seiner Projekte erläutert. In die-sen Projekten wurden psychisch bzw. psychiatrisch erkrankte Mütter mit ihren Säuglingen aufgenommen und betreut. Dabei wird – zusätzlich zu verschiedenen Therapie-Angeboten – mit Videos in Zeitlupe gearbeitet.

Das erste Video zeigte eine schizophrene Mutter beim Wickeln ihres Babys, weitgehend ohne Interaktion, und auch die Reaktion des Babys, das minimal in Kontakt gehen kann (da es ja nicht ankommt) und vage im Raum umherlächelt.- Ein weiteres Video nach drei Monaten stationärer Therapie zeigt deutlich mehr Inter-aktions- und Kommunikationsangebote beim Wickeln von Seiten der Mutter – und das Kind sehr viel mehr in Kontakt mit ihr.

Das zweite Video zeigte eine Mutter, die mehrfach schwerste Traumatisierungen erlebt hatte, in Interaktion mit ihrem Baby. Downing hat betont, dass sie ihr Kind liebt. Das Video lässt in der Zeitlupe immer wieder während der spielerischen Zuwen-dung zum Kind die Ambivalenz und den Ekel der Mutter aufblit-zend sichtbar werden.

Gleichzeitig zeigt es die emotionale Kom-petenz des ca. 5 Monate(!) alten Kindes: Während der unange-nehmen Phasen wendet es seine Aufmerksamkeit ab und be-schäftigt sich intensiv mit seiner Decke, leitet dann aber selbst eine zärtliche Interaktion ein, auf die die Mutter eingehen kann.

In der therapeutischen Arbeit werden die Videos mit den Müttern besprochen und ihnen so die Gelegenheit geboten, sich selbst von außen wahrzunehmen. Durch die gleichzeitig erfolgende Körperpsychotherapie, die die Selbst-Wahrnehmung im Inneren verbessert, und andere Therapieangebote kann eine deutliche Verbesserung der Mutter-Kind Beziehung erreicht werden.

George Downing, Ph.D. ist Psychologe und Leiter der Kinder-psychiatrischen Abteilung und Mitglied des klinischen Lehrkörpers der Salpétrière, Paris. Als Professor für Klinische Psychologie lehrt er an der Universität Klagenfurt und ist Lehrbeauftragter im Eltern-Kind-Programm der Freud-Gesellschaft, New York, sowie Forschungsberater des Fachbe-reichs Psychiatrie an der Universität Heidelberg und der Abteilung für Entwicklungspsychologie an der Universität Bologna. Er ist Autor von Körper und Wort in der Psychotherapie (Kösel-Verlag) und Co-Autor von Postpartale psychische Störungen: Ein interaktionszentrierter Therapieleit-faden.

KERSTIN MOBERG: Love, Touch and Oxytocin

Kerstin Moberg ist es vom ersten Moment des Vortrags an gelun-gen, ihr Auditorium in “Oxytocin-Stimmung” zu versetzen: Trotz des hohen wissenschaftlichen Niveaus herrschte eine warme und verbundene Atmosphäre (da schau: unsere oder vielleicht auch nur meine Erwartung an „wissenschaftlich“!). Sie erzählte, dass sie früher, so wie es in der Physiologie modern war, über Stress und den Darm geforscht habe. Nach der Geburt ihrer Kinder hätte sie aber viel mehr interessiert, was sich da im Körper ab-spielt und wie die tiefe Bindung zwischen Mutter und Kind auf physiologischer Ebene beeinflusst bzw. hergestellt wird. Oxytocin ist schon lange bekannt als das Hormon, das nach der Geburt dazu führt, dass sich die Gebärmutter wieder zusammen-zieht und die Milchproduktion in Gang gesetzt wird.

Erst in den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass es eine ganz wesentli-che Bedeutung für die Bindung zwischen Mutter und Kind – und auf Bindungen überhaupt – hat; außerdem wirkt es auf weitge-hend alle physiologischen Parameter (Blutdruck, Pulsrate, Haut-temperatur, Muskelspannung, etc.) entgegengesetzt zu den Stresshormonen und führt zu einer freundlich-entspannten Stimmung, die Vertrauen und auch Neugier-Verhalten fördert; Frau Moberg bezeichnet es als „körpereigene Valium“ Es wird nicht nur nach der Geburt und beim Stillen, sondern auch bei zärtlicher Berührung, Massage (besonders an der Vorderseite des Körpers) und anderen Formen von Körperkontakt ausgeschüttet. Wenn genügend Oxytocin in der Säuglingszeit vorhanden war, kann im späteren Leben die Oxytocin-Physiologie mit geringen Dosen wieder erreicht werden.

Dr. Kerstin Uvnas-Moberg ist Professorin für Physiologie an der Universi-tät für Agrikulturwissenschaften in Uppsala, Schweden. Darüber hinaus forscht sie in der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie am Karo-linska Institut, Stockholm. Sie hat mehr als 400 Beiträge geschrieben und in den letzten 20 Jahren das Hormon `Oxytocin´ bei Ratten und Menschen erforscht. Darüber hinaus hat sie Promotionen in so verschiedenen Berei-chen wie Psychologie, Gynäkologie, Veterinärwissenschaft, Physikalischer Therapie und Geburtshilfe betreut. 1990 gewann sie einen Preis für `Kar-riere-Entwicklung´ des Schwedischen Rats für Medizinische Forschung.- Ihr letztes Buch hat den Titel The Oxytocin Factor: Tapping the Hormone of Calm, Love and Healing (Merloyd Lawrence Books). Es beschäftigt sich mit den entspannenden und heilenden Effekten von Oxytocin auf den Kör-per als direkte Folge von Berührung.- Kerstin Moberg hat vier Kinder und lebt in Djursholm, Schweden.

JOACHIM BAUER: Er hielt einen interessanten Vortrag über „Spiegelneuronen“, die möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Gegenübertragung spielen.

Und:

KENNETH PURVIS: Er hielt einen sehr witzigen und geschei-ten Vortrag mit dem Titel „Orgasm Revisited“, der sich mit dem männlichen und weiblichen Orgasmus befasste.

Des Weiteren gab es eine Reihe von Workshops von unter-schiedlichster Qualität und vier Podiumsdiskussionen. Wir ge-dachten auch Gerda Boyesens mit einer Veranstaltung und es wurde ein sehr berührender Film mit und über Eva Reich „Ich bin ein Doktor auf Expedition“ von Heidrun Mössner gezeigt.

Alles in allem: Askov war eine Reise wert!

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